Ralf Krauter: Nordkorea hat heute erneut eine Mittelstreckenrakete getestet und damit gegen eine UN-Resolution verstoßen. Da das kommunistische Land bereits Anfang März vier Raketen in Richtung Japan ins Meer geschossen hatte, reagiert die internationale Politik inzwischen zunehmend besorgt und die USA mit wachsendem Säbelrasseln auf die Provokation. Aber ist die Angst vor Nordkoreas Raketenarsenal wirklich gerechtfertigt? Das habe ich vorhin den Raketenexperten Professor Robert Schmucker von der Technischen Universität München gefragt, der die Entwicklung seit langem verfolgt.
Robert Schmucker: Diese Gefahr ist keineswegs so bedrohlich. Diese Angst ist nicht gerechtfertigt. Kann man überhaupt nicht sagen, Nordkorea ist ein Pokerspieler, schießt ab und zu Raketen, ja, aber das ist überhaupt nicht bedrohlich, das ist nicht gefährlich. Wir müssen da wirklich sehr, sehr stark uns bemühen, abzurüsten in unseren Gedanken. Es ist viel weniger dahinter, als wir denken.
Krauter: Was macht Sie da so sicher?
Schmucker: Nordkorea hängt völlig von der Zulieferung von anderen Ländern ab. Sie haben praktisch keine ernsthaften Eigenentwicklungen. Das, was sie zeigen, ist das übliche, es sind Testschüsse, die oft schief gehen. Also man muss sagen, sie probieren viel, aber es ist nicht weiter gefährlich.
Krauter: Also Sie würden sagen, ein Pokerspieler, der blufft?
Schmucker: Richtig. Bluffen ist das Wichtigste in diesem Spiel, dass der andere denkt, man hat viel, viel mehr. Und man denkt ja immer, der andere kann es, was wir nicht können, und sie machen große Fortschritte. Nein, da ist nichts dahinter, gar nichts dahinter.
Unklar, ob die Raketen über eine Nukleare Sprengladung verfügen
Krauter: Laut Einschätzung der US-Armee, war heute in einer Agenturmeldung zu lesen, hat es sich bei dem Test heute früh um eine Mittelstreckenrakete vom Typ KN15 gehandelt, die wohl so 60 Kilometer weit geflogen sein soll. Wie weit könnte dieser Typ generell fliegen, und wem könnte der gefährlich werden?
Schmucker: Die wenigen Informationen, die ich habe, heißt: neun Minuten Flugzeit, deutet auf eine Rakete hin, die so knapp 1000 Kilometer fliegen könnte. Und das würde sich um eine Nodong handeln, die Nordkorea seit vielen Jahren hat, genauso wie baugleiche Geräte in Pakistan und im Iran.
Krauter: Aber 1000 Kilometer Reichweite würde ja schon immerhin genügen, um Anrainern wie Südkorea oder Japan dann berechtigterweise in Sorge zu versetzen.
Schmucker: Das ist richtig. Die Raketen, die Nordkorea hat, haben diese Reichweite. Inwieweit sie militärisch einsetzbar sind, das ist eine Frage. Ob sie überhaupt über eine nukleare Sprengladung verfügen, ist genauso eine Frage. Und was Reichweiten anbelangt: Nordkorea hat einen Satellitenträger, damit kann man natürlich beliebige Reichweiten erzielen. Die Frage Reichweite ist immer falsch gestellt. Es muss heißen: Reichweite, und was kann er damit transportieren, und welche Ladungen hat er.
Krauter: Das Albtraumszenario haben Sie schon angesprochen, also eine weitfliegende Interkontinentalrakete mit einem Nuklearsprengkopf. Wie groß sind die technischen Hürden, und wie weit ist Nordkorea davon noch entfernt Ihrer Kenntnis nach?
Schmucker: Von einer ernsthaft einsetzbaren Interkontinentalrakete mit einem größeren Sprengkopf ist Nordkorea noch viele, viele Jahre entfernt. Das würde man sehen, da müssen viele Erprobungen durchgeführt werden. Bis jetzt ist da außer viel Gerede nichts sichtbar.
Krauter: Wenn das so viel heiße Luft ist, wenn da geblufft wird, wie ist dann zu erklären, dass die internationale Diplomatie trotzdem so erregt reagiert auf diese fortwährenden Provokationen?
Schmucker: Es gibt bei der Bedrohung ja zwei Aspekte: Einmal die richtige Bedrohung, die wahre Bedrohung, und zum anderen der Unsicherheitsspielraum. Und den kann man natürlich sehr, sehr weit auslegen. Das heißt, man sagt, es könnte ja vielleicht sein, wir wissen es nicht, also muss ich dagegen gewappnet sein. Das ist eine politische Einschätzung, die man so oder so treiben kann. Ich würde sagen, Ruhe bewahren, einfach den jungen Führer dort zu ignorieren. Das würde ihn viel mehr treffen, als wenn wir dauernd über jedes Stöckchen springen, das er uns hinhält.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.