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Nordrhein-Westfalen
Der Wolf kehrt zurück

Nicht nur in Brandenburg, Sachsen und Niedersachsen ist die Rückkehr des Wolfs in heimische Wälder Thema - auch in Nordrhein-Westfalen wurden erste Fotonachweise der Tiere erbracht. Viele begrüßen die Rückkehr des Raubtiers - aber es gibt auch Ängste und Sorgen.

Von Moritz Küpper |
    Ein Rudel Wölfe im Tier-Freigelände im Nationalpark Bayerischer Wald bei Neuschönau, 2009
    Wölfe siedeln sich fast überall in Deutschland wieder an. (picture alliance / dpa / ZB / Patrick Pleul)
    Der Wedingenhof im Heisterholz, Kreis Minden-Lübbecke, nahe der Landesgrenze zu Niedersachsen. Drei Fernsehkameras, einige Hörfunkjournalisten sowie Zeitungskollegen stapfen durch den tiefen, nassen Boden der Heide. Die Forstleute von "Wald und Holz", dem zuständigen Landesbetrieb, haben eingeladen, nachdem Ende Dezember in dieser Gegend ein Wolf gesehen/ausgemacht wurde. Seitdem ist das Interesse groß, will bebildert werden und sorgt erst mal für Irritationen:
    "Du willst doch jetzt nicht das Schaf außerhalb des Zauns stellen?"
    "In einem Foto sieht man doch nicht wo außerhalb und innerhalb ist..."
    Am Morgen hat es geschneit. Weiß auf weiß, das verträgt sich nicht und so tauschen Papp-Wolf und Stein-Schaf einmal kurz die Seiten. Nichts ist aussagekräftiger als gute Bilder. Und dafür soll heute gesorgt werden:
    "In erster Linie ist die Rückkehr des Wolfes auch eine ganz große Kommunikationsbaustelle. Das heißt, man muss die Bevölkerung informieren. Wölfe sind im Prinzip durch die Medien präsent - aber unmittelbare Erfahrung haben wir hier nicht. Das heißt, es gibt also auch sehr, sehr viel Sachinformation, die vermittelt werden. Wir müssen in die Umweltbildung einsteigen," sagt Jan Preller. Der großgewachsene Mann in dunkelgrünem Forst-Outfit ist Wolfsberater - und rechnet schon seit Längerem damit, dass es Wölfe auch nach Nordrhein-Westfalen verschlägt. Im Gepäck hat er unter anderem eine Kopie des Ratgebers "Schutzmaßnahmen für den Wolf", aus dem Freistaat Sachsen. Auch Preller macht Fotos, während sein Chef, Franz Stockmann, seit rund sieben Jahren Leiter des Regionalforstamtes Ostwestfalen-Lippe, die Situation einordnet:
    "Wir haben seit 180 Jahren keine Erfahrung mehr mit Wölfen und das Ganze ist emotional natürlich ein bisschen hochgeschaukelt. Ich glaube wir, als Mitarbeiter der Umweltverwaltung, im weitesten Sinne, des Landesbetriebes sind da gut aufgestellt."
    Herdensets zum Schutz von Schafen
    Stockmann trägt Lederhose, strahlt Zuversicht aus - auch wenn er natürlich in den letzten Tagen und Wochen mitbekommen hat, welche Reaktionen das Auftauchen des Wolfes ausgelöst hat. So hat beispielsweise Eckhard Fuhr, ein bekannter Journalist, erst vor ein paar Tagen eine Lesung aus seinem Wolfs-Besuch extra hier im Landkreis abgehalten. Für Stockman eine Möglichkeit, beide Extreme zu beobachten:
    "Das ist auf der einen Seite der emotional hochgeschaukelte - ich sag das jetzt mal so ein bisschen frech - Naturschützer, der sagt: Willkommen Wolf. Und auf der anderen Seite ist derjenige, der vielleicht jagdliche oder sonstige Interessen hat und sagt, das ist ein furchtbares Tier. Das ist ein Konkurrent, der ist Jahrhunderte, Jahrtausende lang verfolgt worden und jetzt auf einmal öffnen wir dem Tür und Tor."
    Doch ganz so weit geht es hier, in Minden-Lübbecke, nicht - wird doch ein sogenanntes Herdenset vorgestellt. Dessen Ziel: Dem Wolf über einen Stromschlag klar machen, dass Schafsherden kein Nahrungsziel für ihn sein soll. Norbert Schmelzer, der zuständige Mann für Set und Region, hat derweil die gelb-schwarzen Netze, etwas mehr als einen Meter hoch, aufgestellt.
    Immer wieder muss Schmelzer innehalten, den Zaun neu stecken oder auch den Stromkasten anschließen.
    Ein Papp-Wolf steht auf einer beschneiten Wiese
    NRW bereitet sich auf den Wolf vor (deutschlandradio.de/Moritz Küpper )
    Blickt man auf eine Karte des Wolfsvorkommens in Deutschland, wird klar, warum das Interesse so groß ist: Denn während sich im Osten des Landes - in Sachsen, Brandenburg, vor allem in der Lausitz - zahlreiche graue Wolfsembleme für große Aufkommen stehen, dünnen die sich ganz gen Westen immer mehr aus: Sachsen-Anhalt noch vereinzelt, dann Niedersachsen, das war es. Doch eben in Niedersachsen, nur einige Kilometer entfernt ist, leben mindestens fünf Wolfsrudel.
    "Ich glaube, das Land hat gehofft, dass das noch eine Weile an Ihnen vorübergeht. Ich habe auch jetzt noch nicht das Gefühl, dass das in der Gänze der Bedeutung erkannt wird. Im Moment überwiegt einfach: Ja, toll, der Wolf ist da, Bereicherung in der Vielfalt der Natur. Das ist sicherlich so, aber die Vielfalt ist nicht teilbar in der Natur und wenn ich Tierschutz für den Wolf haben will und den propagiere, dann brauche ich auch Tierschutz für das Schaf," sagt Ortrun Humpert vom Schafzuchtverband NRW. Auch sie ist zu diesem Termin gekommen, auch sie will helfen - nicht nur beim Aufbau des Sets, sondern generell im Umgang mit dem Wolf.
    "Wir haben diese Sets für den allerersten Anfang, für den Notfall, aber dabei darf es nicht bleiben und da muss jetzt ganz zeitnah was geschehen."
    Wolf im Siegerland in die Fotofalle getappt
    Denn: Nur insgesamt vier solcher Herdenschutz-Sets gibt es. In ganz NRW. Jetzt zwei in der Region Minden-Lübbecke. Zur Einordnung: Alleine hier gibt es 50 Schafhaltungen mit mindestens 20 Schafen. Herden, die weniger haben, werden nicht erfasst. Zwei Sets für einen Kreis - Schutz ist anders. Humpert fordert Entschädigungszahlungen für gerissene Tiere. Auch Ausbildungen von adäquaten Herdenschutzhunden hält sie für einen gangbaren Weg.
    "Wir sehen, wie schnell sich das entwickelt und wie schnell die Wölfe plötzlich gesichtet werden und wir haben keine Möglichkeit mehr zu warten."
    Zumal NRW auch zu einem Schauplatz eines besonderen Ereignis werden könnte. Denn neben dem sogenannten Stemweder Wolf hier am Rande von Niedersachsen, tappte vor einigen Tagen im Siegerland, also auf der anderen Seite des Bundeslandes, ein Wolf in eine Fotofalle. Noch gibt es keinen endgültigen Beweis, die Konstellation könnte aber historisch sein, wie Wolfsberater Preller erklärt:
    "So, das heißt, wir haben also an der Nordkante und an der Südkante Wolfsbesuch in Nordrhein-Westfalen. Und spannend ist jetzt, das werden jetzt die weiteren genetischen Auswertungen zeigen: Wo kommen die Wölfe her? Also: Ist der Stemweder Wolf ein Niedersachse oder ist er direkt aus Sachsen rübergelaufen. Und, kommt der Wolf im Siegerland möglicherweise nicht aus Niedersachsen, sondern kommt er aus der französisch-italienischen Wolfspopulation. Also, das ist schon eine spannende Entwicklung, die sich da so auch in dem Bereich der biologischen Vielfalt und Ökologie entwickelt."
    Und die dafür sorgen könnte, dass sich in NRW die beiden großen Wolfspopulationen Europas treffen und vereinigen. Und spätestens dann wäre der Wolf endgültig zurück in Nordrhein-Westfalen.