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Nordrhein-Westfalen
Durchbruch im Streit um die Inklusion

Der gemeinsame Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung in Regelschulen kostet Geld. Mit der finanziellen Einigung habe man die Grundlage für Verlässlichkeit und gute Zusammenarbeit mit den Kommunen geschaffen, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der NRW-Grünen, Sigrid Beer, im DLF.

Sigrid Beer im Gespräch mit Regina Brinkmann |
    Ein Schulkind steht vor einer Tafel, auf der das Wort "Inklusion" geschrieben steht.
    Die Deutsche UNESCO-Kommission hat 2010 den Expertenkreis "Inklusive Bildung" gegründet. (picture alliance / dpa)
    Regina Brinkmann: Monatelang dauerte in Nordrhein-Westfalen das Tauziehen zwischen Land und Kommunen um die Kosten für den gemeinsamen Unterricht von Schülern mit und ohne Behinderung. Jetzt stehen die Zeichen endlich auf Einigung: Die haben die Fraktionsvorsitzenden im rot-grünen Landtag soeben verkündet. Und diese Einigung soll so aussehen: 175 Millionen Euro will das Land in den nächsten fünf Jahren beisteuern, damit die Kommunen ihre Schulen für den inklusiven Unterricht ausstatten können. Und sollte die Kostenpauschale in Höhe von jährlich 35 Millionen Euro nicht reichen, wird das Land die Mehrkosten tragen. Sigrid Beer Beer ist Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im NRW-Landtag, hat den Kompromiss mit ausgehandelt. Ich habe sie vor der Sendung gesprochen und sie gefragt: Mussten Sie vor den Kommunalwahlen in NRW noch eine gute Figur machen oder wieso sind Sie jetzt endlich den Kommunen im Streit um die Inklusionskosten entgegengekommen?
    Sigrid Beer: Also wir hätten das eigentlich ganz gerne schon zu Weihnachten 2012 verkündet, denn da haben wir den Kommunen schon das Angebot gemacht, lasst uns zusammensetzen und über die Fragen von potenziellen Kostenaufwendungen miteinander reden. Das haben wir dann im Januar verabredet, das dann auch so gemeinsam zu tun, diesen Jahres. Wir wären sehr viel früher gerne da auch zu einem Abschluss gekommen. Dass das jetzt zu klappen scheint, freut uns aber trotzdem besonders.
    Brinkmann: Na ja, die Kommunen hatten aber auch womöglich berechtigte Sorgen, dass die Kosten auf Dauer für die Inklusion, dass sie die nicht stemmen können.
    Beer: Ja, deswegen sind wir ja gerne auf den Vorschlag zugegangen und haben gesagt: Lasst uns bitte einen gemeinsamen Gutachter benennen. Das haben wir auch zugrunde gelegt mit einem der Gutachter, die die kommunalen Spitzenverbände auch vorgeschlagen haben. Und da wird deutlich, dass man schon einen differenzierten Blick drauf werfen kann. Wir haben gesagt, keine Prinzipienreiterei auf dem Rücken der Kinder, sondern das Land erklärt sich bereit, die Kommunen jetzt in den Anfangsprozessen auch zu unterstützen, und wir schauen gemeinsam auf die weitere Entwicklung.
    Brinkmann: Ja, und Sie sind ja in puncto Risiko auch den Kommunen jetzt entgegengekommen, also Sie wollen gegebenenfalls, zumindest in den nächsten drei Jahren, auch drauflegen, wenn Mehrkosten auf die Kommunen zukommen. Wie hoch soll das denn dann sein?
    Beer: Ja, wir haben miteinander vereinbart in der Tat, die Entwicklungsschritte jetzt gemeinsam anzuschauen und zu untersuchen. Wir stellen jetzt für die originären Schulträgeraufgaben 25 Millionen Euro in Aussicht für die nächsten fünf Jahre jeweils, und für unterstützendes, nicht lehrendes Personal außerdem eine Inklusionspauschale von zehn Millionen Euro. Wir werden in jedem Jahr draufschauen, ob das den Erwartungen auch entspricht, ob das die Aufwendungen, aber im Bereich der Schulträgeraufgaben auch den Entlastungen entspricht. Und das ist für mich auch noch mal eine Grundlage der Verlässlichkeit, unserer Verlässlichkeit und guten Zusammenarbeit mit den Kommunen, die wir ja an vielen, vielen Stellen dann auch schon bewiesen haben.
    Brinkmann: Frau BeerBeer, Sie reden von Verlässlichkeit, aber nach diesen fünf Jahren, wie geht es denn dann weiter?
    Beer: Na ja, wir haben gesagt, keine Prinzipienreiterei, im Bereich der Schulträgeraufgaben greift das Konnexitätsprinzip, das heißt, dass wir dann sowieso im Rhythmus der Konnexitätsevaluation sind, wie das KonnexAG das sowieso vorsieht.
    Brinkmann: Das klingt jetzt aber höllisch kompliziert. Da müssen Sie noch mal ein bisschen Klartext sprechen.
    Beer: Nein, gerne. Wir haben eine gesetzliche Grundlage, und dadurch, dass wir sagen, wir erkennen die Konnexität an, sind die Kommunen da in einem ganz sicheren Verfahren, was was gesetzlich festgelegt ist und nach dem wir jetzt … In den ersten Schritten, wo ja auch die Kommunen gar nicht prognostizieren können, wie sind denn nun die Anstiege wirklich und welche Kosten sind tatsächlich da, das begleiten wir eng in einer jährlichen Durchschau, und dann greift das Prinzip, alle fünf Jahre draufzuschauen.
    Brinkmann: Das heißt, sie können sich langfristig darauf verlassen, wenn da richtig dicke Mehrkosten auf die zukommen, dass Sie da auch wieder einspringen als Land?
    Beer: Wir machen ein Begleitgesetz dazu und wir sind da so verlässlich, wie wir das immer gegenüber den Kommunen gewesen sind.
    Brinkmann: Ja, jetzt soll es ab dem nächsten Schuljahr schon einen Rechtsanspruch auf gemeinsamen Unterricht in den Klassen 1 bis 5 geben. Sind Sie jetzt trotz des langwierigen Streits um die Finanzen auf diese Situation gut vorbereitet?
    Beer: Wir haben ja sehr viel Geld auch vorher schon in die Hand genommen für die Landesaufgaben, das heißt, wir stellen im gesamten Rahmen der Legislatur 750 Millionen Euro für zusätzliche Lehrerkapazitäten zur Verfügung, wir haben 100 Millionen Euro eingesetzt, weil wir die Studienkapazitäten aufbauen, zusätzliche SonderpädagogInnen ausbilden, zusätzlich Kollegen und Kolleginnen weiterqualifizieren, die jetzt schon im Beruf stehen. Das sind alles die Dinge, die wir sowieso schon auf den Weg gebracht haben. Von daher macht das Land seine Hausaufgaben. Wir investieren jetzt mit den zusätzlichen Unterstützungen mehr als eine Milliarde Euro.
    Brinkmann: Was sagen Sie denn heute aktuell den Lehrerinnen und Lehrern, die jetzt schon die Inklusion auch stemmen müssen, jetzt schon an ihre Grenzen stoßen?
    Beer: Also ich begleite Inklusion seit mehr als 20 Jahren. Meine Kinder sind im gemeinsamen Unterricht beschult worden. Ich weiß, dass es gelingen kann. Wir bieten Fortbildungen an, wir bieten Unterstützung an, wir wollen die Schulen untereinander vernetzen, um von den guten Beispielen untereinander zu lernen. Wir fangen hier nicht bei Null an, sondern wir haben fast 30 Jahre gemeinsamen Unterricht und die guten Erfahrungen in NRW.
    Brinkmann: Sigrid BeerBeer, Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Landtag von NRW, zur Einigung im Streit um die Inklusionskosten.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.