Lowestoft ist der östlichste Ort von ganz Großbritannien. Die Hafenstadt liegt direkt an der Nordsee. Von hier starten Biologen regelmäßig mit Forschungsschiffen, um die Fischfauna auf See zu kontrollieren. Sie tun das schon seit Jahrzehnten. Bei diesen marinen Volkszählungen zeigen sich inzwischen immer stärkere Artenverschiebungen in der ganzen Nordsee:
"Über die letzten Jahre hat es Sieger und Verlierer gegeben, wenn man so will. Glattrochen gibt es heute praktisch gar nicht mehr in der Nordsee. Auch Dorsch ist stark überfischt worden und im Bestand geschrumpft. Gewinner sind dagegen Arten, die man eher im Mittelmeer oder in der Biskaya vermuten würde. Im Kanal und in der südlichen Nordsee finden wir heute viel mehr Fische wie Anchovis oder Sardinen. Einer der größten Gewinner aber sind Tintenfische."
John Pinnegar schilderte das jetzt in Liverpool, wo die britische Ökologische Gesellschaft zur Zeit ihre Jahrestagung abhält. Pinnegar arbeitet am CEFAS. So heißt das staatliche britische Fischerei-Forschungszentrum in Lowestoft.
Die Fischerei beginnt, Tintenfische zu fangen
Bei ihren Kontrollfahrten steuern die Forscher insgesamt 74 Messpunkte im Meer an, vom Englischen Kanal im Süden bis zu den Färöer-Inseln im Norden. Dort werfen sie jedes Mal die Netze aus und schauen, was sich so alles fangen lässt.
"Im Jahr 1985 stießen wir nur an 20 Prozent unserer Messstellen auf Tintenfische. 2014 waren es schon 60 Prozent. So dass jetzt auch die Fischerei beginnt, Tintenfische zu fangen, vor allem in Schottland. Die Tiere nehmen in allen Bereichen der Nordsee zu."
Der Kleine Pfeil- oder der Zwergkalmar sind Tintenfisch-Arten, die sich heute in der Nordsee tummeln. Begünstigt wird ihre Invasion offensichtlich durch den Klimawandel. Seit den 80er-Jahren hat sich das Oberflächenwasser der Nordsee im Durchschnitt um fast zwei Grad Celsius erwärmt. Aber auch in anderen Meeren seien Tintenfische heute auf dem Vormarsch, so John Pinnegar:
"Kürzlich ist eine bemerkenswerte Studie erschienen, die zeigt: Tintenfische, Oktopusse und Sepien nehmen an vielen Stellen auf der ganzen Welt zu. Wahrscheinlich hat das nicht nur mit dem Klimawandel zu tun, sondern auch mit der Fischerei. Denn sie entfernt viele Dorsche und andere Raubfische aus dem Meer, die sich von Tintenfischen ernähren."
Die Nordsee wird immer subtropischer
Anscheinend verbessern sich also nicht nur die Lebensbedingungen für Tintenfische, sondern auch ihre Überlebenschancen im Clinch mit Fressfeinden.
Wie wird sich die Wohngemeinschaft in der Nordsee weiterentwickeln, wenn die Wassertemperaturen weiter steigen? Auch mit dieser Frage beschäftigen sich die Biologen aus dem britischen Fischerei-Forschungszentrum:
"Tintenfische werden sich auch weiter am schnellsten und weitesten ausbreiten. Aber auch Arten wie Petersfisch und Gestreifte Meerbarbe werden in der Nordsee zunehmen. Nach unseren Abschätzungen breiten sie sich alle mit einer Geschwindigkeit von etwa 20 Kilometer pro Jahrzehnt aus - die Tintenfische etwas schneller. Von allen Arten, seien es nun Fische oder Tintenfische, wird erwartet, dass sie nach Norden vorrücken."
Die Nordsee werde immer subtropischer, sagen die Biologen. Große Kaltwasserfische wie der Dorsch wandern ab, kleine wärmeliebende Arten kommen hinzu, im Schlepptau die ausbreitungsfreudigen Tintenfische. Ökosystem und Nordseefischer müssen sich auf große Umbrüche einstellen.