Ann-Kathrin Büüsker: Eine Schutzzone in Nordsyrien unter internationaler Kontrolle – das war der Vorschlag, den Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer am Montagabend machte und über den wir in Deutschland seitdem diskutieren, auch über die Kommunikation. Sie hatte den zuständigen Außenminister nur per SMS informiert, statt sich abzusprechen. Und wir diskutieren natürlich auch über die Details: Wie soll das denn da überhaupt aussehen. Und während Deutschland diskutiert, schaffen Erdogan und Putin beim Gespräch in Sotschi Fakten: Die Waffenruhe verlängert. Die Türkei und Russland wollen gemeinsam in einem 30 Kilometer breiten Streifen patrouillieren.
All das kann ich jetzt mit Niels Annen besprechen, SPD-Mitglied und Staatsminister im Auswärtigen Amt. Einen schönen guten Morgen, Herr Annen.
Niels Annen: Ja! – Einen schönen guten Morgen.
Büüsker: Die Waffenruhe ist verlängert. Russland schafft vor Ort Fakten. Muss man an dieser Stelle festhalten: Die Russen geben in Nordsyrien den Ton an, während die Deutschen nicht mal miteinander reden?
Annen: Ich glaube, dass es erst einmal zu begrüßen ist, dass dort nicht weiter gekämpft wird. Das muss man ausdrücklich sagen. Denn unser Fokus sollte neben den politischen Fragen ja auch auf die humanitäre Notsituation der Menschen gelenkt werden.
Aber ich würde den Zusammenhang eher herstellen zwischen dem völlig überraschenden Abzug der amerikanischen Truppen aus dem Nordosten Syriens und jetzt auch der russischen Rolle. Die sind im Grunde genommen in dieses Vakuum hineingestoßen, haben dort Fakten geschaffen, und deswegen wird jetzt auch zu diskutieren sein, was die Entscheidung von Sotschi gestern eigentlich für den Vorschlag der Verteidigungsministerin bedeutet.
"Über Stilfragen kann man lange miteinander reden"
Büüsker: Ein Vakuum, das ja auch geschaffen wurde, weil der Westen nicht reagiert hat. Vor dem Hintergrund vielleicht auch ganz gut, dass Kramp-Karrenbauer jetzt diesen Vorschlag gemacht hat, weil der Westen endlich mal was macht?
Annen: Ich glaube, Vorschläge sind immer gut, und wir alle machen uns ja nicht erst seit gestern Gedanken über die Lage in Syrien. Das ist auch schon ein Punkt, der mich ein bisschen geärgert hat, denn Deutschland engagiert sich seit vielen Jahren schon unter vorherigen Regierungen. Wir haben die Vereinten Nationen nicht nur in Worten, sondern auch in Taten unterstützt, und ja gerade in den letzten Wochen eigentlich auch ein bisschen Grund für Hoffnung gehabt. Das war ja einer der Gründe, weshalb wir die türkische Invasion so verurteilt haben, weil sie nämlich den Friedensprozess, der ja weiterläuft, die Verhandlungen zwischen den unterschiedlichen Gruppierungen, die die UN organisiert haben, in Gefahr bringt.
Büüsker: Sowohl der türkische Einmarsch ein Desaster, aber auch die Kommunikation jetzt innerhalb der Bundesregierung ein Desaster?
Annen: Na ja. Man kann über Stilfragen lange miteinander reden. Aber es geht ja nun um die Sache und deswegen, denke ich, wäre es schon sehr, sehr hilfreich, wenn die Verteidigungsministerin jetzt dem Parlament, aber auch uns als Koalitionspartner erklären wird, was für konkrete Vorstellungen sie mit ihrem Vorschlag eigentlich verbindet. Denn eine solche Schutzzone in der gegenwärtigen politischen, aber auch in der militärischen Lage ist hoch kompliziert, gerade nach der Verständigung zwischen Putin und Erdogan gestern. Es gibt aber auch weitere Fragen. Der Deutsche Bundestag wird ja der Entsendung von Soldaten nur zustimmen, wenn es eine klare völkerrechtliche Grundlage gibt, und wir alle wissen, dass der Sicherheitsrat seit sehr vielen Jahren blockiert ist. Insofern, glaube ich, muss dort nachgelegt werden, weil ein allgemein gehaltener Vorschlag ja auch nichts Neues ist im Kern und die Debatte eigentlich nicht wirklich voranbringt.
"Wir sind der zweitgrößte Geber für humanitäre Hilfe"
Büüsker: Über die Details würde ich gerne gleich tatsächlich noch mal mit Ihnen sprechen. Aber ich muss noch mal nachfragen. Der Vorschlag von Kramp-Karrenbauer, der wurde am Montagabend ventiliert, und stand heute Morgen, Mittwochmorgen, kennen Sie immer noch keine Details?
Annen: Ich kenne nur das, was die Ministerin vorgetragen hat, in Fernseh-Interviews, in öffentlichen Äußerungen. Das ist ein Teil einer politischen Kommunikation, die sicherlich hätte besser laufen können. Aber ich denke, wir sollten uns jetzt alle darauf konzentrieren, was in der Substanz nun an Vorschlägen kommt, was davon möglicherweise aufgegriffen werden kann. Aber es gibt ja auch eine Diskussion, die Sie verfolgen, was heute schon die rechtlichen Rahmenbedingungen angeht.
Und ich finde auch wichtig, dass wir an dieser Stelle deswegen nicht den Eindruck erwecken, dass Deutschland an der Seite steht oder untätig bleibt, denn wir sind beispielsweise der zweitgrößte Geber für humanitäre Hilfe in dieser schwierigen Region auch heute schon. Wir stimmen uns eng ab mit unseren internationalen und europäischen Partnern.
Und wenn ich einen weiteren Aspekt hier noch einmal beleuchten darf: Wir haben ja gemeinsam in den letzten Jahren in einer Großen Koalition erreichen können, dass der sogenannten Islamische Staat zurückgedrängt worden ist. Jetzt haben sich die Amerikaner zurückgezogen. Die Russen werden gemeinsam mit den Türken in dieser Zone patrouillieren. Es ist völlig unklar, wie es dort eigentlich weitergeht, und deswegen hat Heiko Maas eine Initiative auf den Weg gebracht, dass das jetzt schnell mit den Partnern der Anti-IS-Koalition beraten wird. Das sind alles politische Punkte, die wichtig sind und die nicht in den Hintergrund gedrückt werden sollten.
Büüsker: Dann lassen Sie uns vielleicht heute Morgen mal gemeinsam überlegen, wo wir jetzt keine Details der Verteidigungsministerin kennen. Aber Sie haben gerade gesagt, es gibt entsprechende Überlegungen auch seit Jahren schon im Auswärtigen Amt. Wenn wir uns so eine Sicherheitszone mal vorstellen, wie könnte die aus Ihrer Sicht unter internationaler Führung aussehen?
Annen: Die Voraussetzung für eine sogenannte Schutzzone ist erst mal ein Mandat der Vereinten Nationen. Dieses Mandat bedarf einer Mehrheit im Sicherheitsrat, und Sie wissen alle, dass das in den letzten Jahren nicht gelungen ist, weil der Sicherheitsrat blockiert ist. Es gibt auch eine gewisse internationale Skepsis. Deswegen ist eigentlich außerhalb dieses Vorschlages von Frau Kramp-Karrenbauer dort zumindest in den letzten Wochen und Monaten auch nicht ernsthaft auf internationaler Ebene darüber diskutiert worden, weil wir auch schlechte Erfahrungen gemacht haben.
"Erwarten von Türkei, dass sie sich aus Syrien zurückzieht"
Büüsker: Aber es geht ja dabei insbesondere um die Blockade durch Russland, und Russland schafft jetzt ja im Prinzip eine Schutzzone, gemeinsam mit der Türkei. Da scheint die Chance doch durchaus gegeben, Russland auf die Seite zu bekommen.
Annen: Ja! Ich glaube, dass der Punkt, den Sie ansprechen, in der Tat sehr, sehr wichtig ist. Wir müssen uns nur die Frage stellen: Wenn wir uns im Grunde genommen beteiligen würden an einer Schutzzone, die de facto von der russischen und der türkischen Regierung bereits vereinbart worden ist und durch militärische Kräfte ja auch manifestiert ist, dann unterstützen wir ja möglicherweise Fakten, die wir aber im Kern ablehnen. Denn unsere Haltung ist ja weiterhin klar. Wir erwarten von der Türkei, dass sie sich aus Syrien zurückzieht. Insofern muss man sich am Ende die Frage stellen, was bedeutet es eigentlich konkret unter diesen heutigen politischen Gesichtspunkten? Werden wir dann quasi zu einer unterstützenden Kraft für die russische Politik in Nordostsyrien? Das kann ich mir eigentlich beim besten Willen nicht vorstellen und deswegen gibt es in der Tat sehr viele wichtige Details jetzt zu klären.
Büüsker: Aber zeigt nicht die Erfahrung mit der Türkei und auch im politischen Umgang mit Russland, dass man immer eine bessere Verhandlungsposition hat, wenn man tatsächlich vor Ort ist und mitreden kann, als wenn man ganz weit am Rand steht?
Annen: Wenn Sie mir diese Bemerkung erlauben? – Der Krieg ist jetzt ja in einer Entwicklungsphase seit vielen, vielen Jahren, bei der alleine die Amerikaner mit einer relevanten militärischen Präsenz vor Ort gewesen sind. Die haben diese Präsenz jetzt reduziert, fast auf null reduziert, und damit im Grunde genommen auch die Handlungsmöglichkeiten und das politische Druckinstrument herausgenommen. Das wird man nicht von heute auf morgen durch einen Beschluss der deutschen Seite alleine verändern können.
Büüsker: Aber genau das spricht doch dafür, dass man sich vor Ort engagieren muss, damit man eine Möglichkeit hat einzuwirken.
Annen: Wir reden aber über zwei verschiedene Dinge. Wir reden über eine langfristige Perspektive, was die europäische Außen- und Sicherheitspolitik angeht. Das werden wir aber nicht von heute auf morgen verändern können. Und wir brauchen eine ebenso realistische Sicht auf das, was Deutschland im Moment leisten kann, was die Europäische Union im Moment leisten kann. Darüber habe ich gesprochen. Das ist unser Beitrag zum Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat. Das ist unser wichtiger Beitrag zur humanitären Hilfe und zum politischen Prozess in Syrien. Ich glaube, darauf sollten wir uns jetzt auch konzentrieren.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.