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Norwegen als Arbeitsmarkt

Lebten vor fünf Jahren noch 9400 Deutsche offiziell in Norwegen, sind es derzeit schon mehr als 13.000. Allein im vergangenen Jahr ließen sich 2100 Bundesbürger in dem skandinavischen Land nieder. Die allermeisten kamen der Arbeit wegen.

Von Markus Rimmele |
    Als Oliver Jörk seine Folien mit den Vergleichszahlen auflegt, wird es still im Raum. Hierzulande ein Wirtschaftswachstum zwischen einem und zweieinhalb Prozent, in Norwegen 3,4. Bei der Arbeitslosenquote steht in der Deutschlandspalte 10,1 Prozent, in Norwegen 3,8. Das grenzt an Vollbeschäftigung. Ja, es fehlt sogar an Arbeitskräften in Norwegen:

    "Norwegen befindet sich in einer konjunkturellen Hochphase. Das hat natürlich vor allem mit der Öl- und Gassituation zu tun. Norwegen ist ja inzwischen weltweit der drittgrößte Ölexporteur und der viertgrößte Gasexporteur. Und die Einnahmen, die auf der einen Seite die Unternehmen verzeichnen und auf der anderen über die Steuern auch der Staat, das schwappt auf alle zum Schluss, alle Branchen in Norwegen über. Und deswegen gibt es insgesamt einen starken Nachfragebedarf."

    Oliver Jörk ist der Geschäftsführer der Deutsch-Norwegischen Handelskammer in Oslo. Die Nachfrage, von der er spricht, kann längst nicht mehr vom norwegischen Arbeitsmarkt allein gedeckt werden. Ausländer strömen ins Land, vor allem Deutsche. Lebten vor fünf Jahren noch 9.400 Deutsche offiziell in Norwegen, sind es derzeit schon mehr als 13.000. Allein im vergangenen Jahr ließen sich 2100 Bundesbürger in dem skandinavischen Land nieder. Die allermeisten kamen der Arbeit wegen. Die Hürden für die deutschen Arbeitsmigranten sind niedrig.

    "Die Profilanforderungen sind in letzter Zeit wegen des akuten Bedarfs sogar gesunken, ist mein Eindruck. Das heißt, inzwischen kommt es nicht mehr auf Berufserfahrung an im Extremfall. Inzwischen wird nicht mehr darauf geachtet, ob die Person norwegische Grundkenntnisse hat. Das Profil ist also offen."

    Offen innerhalb eines gewissen Rahmens natürlich. Es sind ganz spezielle Branchen, die Mitarbeiter suchen. Anfangs waren es etwa Handwerker und Ärzte, die in Norwegen mit Kusshand empfangen wurden. Mittlerweile aber sind vor allem Ingenieure höchst begehrt, händeringend gesucht. Norwegische Headhunter ziehen durch Deutschland auf der Jagd nach geeigneten Personen. Auch Björn Engeset verdient sein Geld mit der Arbeitsvermittlung. Mitten im Berliner Prenzlauer Berg unterhält der Norweger sein kleines schickes Büro. Erst vor drei Monaten hat er eröffnet und denkt schon darüber nach, eine Hilfskraft einzustellen wegen des Andrangs. Er hat schon 20 Leute in sein Heimatland vermittelt.
    "Prozessingenieure, Chemieingenieure im Öl- und Gasbereich, dann Instrument- und Automatisierungsingenieure gibt es auch, Bauingenieure, und Elektroingenieure sind auch ganz nachgefragt. Die sagen, wir finden keine Leute. Manchmal glauben wir, dass wir einen gefunden haben und sind ganz aufgeregt, weil endlich haben wir einen. Und dann hat der ein anderes Angebot bekommen, und dann haben wir ihn verloren. Wir sind konstant auf der Suche nach Leuten. Und das ist das ganze Spektrum."

    Mit 35 - 42.000 Euro Einstiegsgehalt kann ein Ingenieur in Norwegen rechnen, allerdings bei höheren Lebenshaltungskosten als in Deutschland.

    Weniger paradiesisch ist die Arbeitsmarktlage allerdings für den Kreis von Hochschulabsolventen, die eigentlich als Norwegen-Spezialisten zu gelten haben, die Skandinavisten. Hinter ihnen sind keine Headhunter her. Und doch, sagt Frauke Stuhl vom Nordeuropa-Institut der Berliner Humboldt-Universität, bietet Norwegen Chancen für die Absolventen.

    "Es ist auf jeden Fall einfacher, als in Deutschland einen Job zu finden, weil wir so eine Art Nischenfach studieren. Und auf Skandinavisten wartet die Welt nicht, aber in Norwegen schon eher, weil wir eben über Deutsch als Fremdsprache da Deutsch unterrichten können oder eben in der Reiseleitung arbeiten. Oder auch in Verlagen, die versuchen, deutsche Bücher nach Norwegen zu bringen. Also, hier ist Norwegen nur ein ganz kleiner Markt, aber Deutschland ist für Norwegen ein sehr großer Markt."

    Eines jedenfalls gilt für alle, egal ob Ingenieur oder Kulturarbeiter: Deutsche Arbeitskräfte sind, das belegt eine Studie, beliebt in Norwegen. Wegen der kulturellen und sprachlichen Verwandtschaft, weil sie als kompetent gelten und weil sie häufig lange oder gar für immer bleiben. Auf der anderen Seite aber erwarten die Norweger von den Zuwanderern auch etwas. Wer ausschließlich um des Jobs willen nach Norwegen geht, macht sich nicht beliebt. Wer kommt, sollte schnell die Sprache lernen, sollte auch Interesse für die Kultur des Landes mitbringen. Und er sollte natürlich kein Problem haben mit dem Leben und Klima im Norden.