"Danke für den Einsatz. Das hier ist ein großer und historischer Tag. Ich gratuliere - und erkläre die Goliat-Plattform hiermit offiziell für eröffnet."
Ein sonniger Tag Mitte April in der Barentssee vor Hammerfest, mehr als 600 Kilometer nördlich des Polarkreises. Norwegens Öl-Minister Tord Lien steht im neongelben Schutzanzug in einer riesigen Halle auf der Bohrinsel Goliat und durchschneidet ein rotes Band - umringt von 50 Arbeitern und ausgewählten Gästen, die der Betreiber Eni Norge per Hubschrauber auf die Plattform hat fliegen lassen. Goliat ist das erste Offshore-Feld im norwegischen Teil der Barentssee, das Öl produziert - das nördlichste der Welt, wie Eni-Kommunikationschef Andreas Wulff betont:
"Goliat ist ein Pionier-Projekt. So etwas wie hier ist technisch noch nirgends anders versucht worden. Wir haben bewiesen, dass die Produktion in der Barentssee funktionieren kann."
Neue Vorräte für 15 Jahre
Neben dem italienischen Eni-Konzern ist die norwegische Statoil mit 35 Prozent an dem Projekt beteiligt. Seit Mitte März läuft die Förderung. Die Konzerne gehen davon aus, dass unter dem Meeresboden etwa 180 Millionen Barrel Öl lagern. 15 Jahre sollen die Vorräte reichen. Doch der Produktionsstart kommt zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt: Bei einem Öl-Preis um die 40 Dollar pro Barrel ist Goliat viel zu teuer, um Gewinn abzuwerfen. Mindestens 47 Milliarden norwegische Kronen - umgerechnet cirka fünf Milliarden Euro - hat die Plattform gekostet. Ursprünglich hatte Eni 30 Milliarden veranschlagt. Doch es gab technische Schwierigkeiten. So hat sich das Projekt mehr als zwei Jahre verzögert. Zum geplanten Starttermin 2013 wurde Öl noch deutlich teurer gehandelt als heute - diesen Einwand wimmelt Eni-Sprecher Wulff allerdings ab:
"Wir wissen aus der Geschichte, dass die Ölpreise immer wieder schwanken. Gerade sind sie relativ niedrig. Aber wir rechnen damit, dass sie wieder steigen werden. "
Norwegische Analysten haben ausgerechnet, dass Goliat die Gewinnschwelle nur dann überschreiten kann, wenn das Öl mehr als 90 Dollar pro Barrel kostet. Eni selbst geht von einer deutlich niedrigeren Zahl aus:
"Unsere Gewinnschwelle liegt bei unter 50 Dollar. Auf Details dazu gehen wir grundsätzlich nicht ein. Aber wir sind sicher, dass Goliat Gewinne machen wird. Und auch das norwegische Volk wird am Ende gutes Geld verdienen. Damit wird Goliat positiv zur gesellschaftlichen Entwicklung in Norwegen beitragen."
Projekt mit großen technischen Schwierigkeiten
Das erwartet auch der norwegische Energieminister Tord Lien. Goliat sei ein Meilenstein für das Land, sagt er:
"Natürlich ist es uns am liebsten, wenn Projekte im zeitlichen und finanziellen Rahmen bleiben. Aber bei diesem Projekt mussten große technische Schwierigkeiten gelöst werden, und das hat man geschafft. Dieses Wissen können Eni, Statoil, die Zulieferer und alle anderen Akteure auf dem norwegischen Kontinentalsockel mitnehmen, wenn es darum geht, neue Felder zu erschließen."
Denn dass trotz des niedrigen Ölpreises neue Felder erschlossen werden sollen, daran lässt der Minister keinen Zweifel:
"Das hier ist der größte und wichtigste Industriezweig in Norwegen, der 200.000 Menschen beschäftigt. Und auch aus europäischer Sicht finde ich es wichtig, dass ein demokratisches Land, das großen Wert auf Umweltstandards legt, zur Energiesicherheit künftiger Generationen beiträgt."
Die norwegische Minderheitsregierung aus konservativer Høyre-Partei und Liens populistischer Fortschrittspartei setzt dabei zunehmend auf den Norden des Landes. In der jüngsten Konzessionsrunde hat sie viele noch unerforschte Areale zur Exploration ausgeschrieben, fast alle liegen in der Barentssee, einige wenige in der Norwegischen See weiter südlich. Es sei das erste Mal seit Mitte der 90er Jahre, dass die Industrie Zugang zu völlig neuen Gebieten erhalte, betont der norwegische Energieminister und verweist darauf, dass sich rund 25 Unternehmen um die 57 Areale beworben haben – trotz der Turbulenzen am Energiemarkt:
"Es besteht kein Zweifel, dass die Situation eine Herausforderung ist. Aber die norwegischen Behörden sorgen für stabile fiskalpolitische und ökonomische Rahmenbedingungen. Deshalb haben die internationalen Konzerne immer noch großes Interesse."
Ökosystem im Stress
Noch liegt die Barentssee weitgehend unberührt vor der Küste der nördlichsten norwegischen Provinz Finnmark. Neben Goliat ist bisher nur Schneewittchen in Produktion: Seit 2007 fördert der Statoil-Konzern aus diesem Feld Erdgas und verarbeitet es auf der Insel Melkøya vor Hammerfest weiter. Das hat dem kleinen Ort viele neue Arbeitsplätze und Einwohner gebracht. Doch der wichtigste Wirtschaftszweig in den übrigen Teilen Finnmarks bleibt die Fischerei. Das ist einer der Gründe, warum Umweltschützer die Energie-Projekte kritisch sehen. Auch Frederic Hauge, Gründer und Direktor der Umweltorganisation Bellona:
"Wir arbeiten hier in einer der empfindlichsten Gegenden der Welt. Und in einer der fünf wichtigsten für die weltweite Fischproduktion. Das Ökosystem ist jetzt schon großem Stress ausgesetzt, durch Umweltgifte, die Luftverschmutzung und Atommüll von russischer Seite. Es muss sich in sehr kurzer Zeit sehr großen Veränderungen anpassen."
Hauge kritisiert, auf der Bohrplattform Goliat würden Sicherheits- und Umweltauflagen nicht eingehalten. Er glaubt auch nicht an das Versprechen von Eni, die norwegische Gesellschaft werde mit dem Öl aus der Barentssee viel Geld verdienen. Der Öl- und Gassektor sei schließlich hoch subventioniert.
Umweltschützer gegen Steuervorteile für Öl-Firmen
"Das norwegische Öl aus der Barentssee ist zu teuer. Hier sollte einfach keine Förderung stattfinden. Aber die größte Organisation in Norwegen ist der "Denyers Club". Der besteht aus Leuten, die einfach nicht wahrhaben wollen, was passiert."
Etwa, dass in der Welt kein Bedarf mehr an teuren norwegischen Rohstoffen besteht, wenn das Öl aus Saudi-Arabien deutlich billiger zu haben ist. Deshalb hat der Umweltschützer vorgeschlagen, sämtliche Steuervorteile für die Öl-Firmen abzuschaffen. Doch Energieminister Tord Lien winkt ab:
"Es ist ja kein Geheimnis, dass die meisten Umweltorganisationen die norwegische Ölindustrie am liebsten ganz abschaffen würden. Aber das ist nicht die Politik dieser Regierung."
Die Öl-Unternehmen freut es. Auf der Barentssee-Konferenz in Hammerfest haben sich Mitte April alle wichtigen Vertreter der Branche versammelt, um über die Zukunft zu beraten. Lien nennen sie hier "unseren geliebten Öl-Minister". Und als Eni-Kommunikationschef Andreas Wulff, untermalt von dramatischer Musik, zu Beginn des Treffens ein Video von der Goliat-Eröffnung zeigt, werden beide Männer begeistert gefeiert.
Doch der Optimismus ist längst nicht mehr so groß, wie er einmal war, sagt Thina Saltvedt. Die promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin arbeitet seit vielen Jahren als leitende Öl-Analystin beim Finanzkonzern Nordea:
"Die laufende Produktion ist schon bei einem Preis von ungefähr 26 Dollar profitabel. Aber neue Projekte sind teurer, zuletzt lagen sie bei 40 bis 70 Dollar pro Barrel. Wenn der Preis wie zuletzt um die 40 Dollar liegt, rentieren sich viele der geplanten Vorhaben nicht. Sie werden also entweder verschoben oder gleich ganz abgesagt."
Projekte in der Barentssee sind besonders kostspielig
Zwar hätten Unternehmen wie Statoil es in den vergangen Jahren geschafft, mit neuen Technologien ihre Kosten zu senken, sagt Saltvedt. In der Barentssee seien die Projekte aber besonders kostspielig, weil die Felder so weit draußen liegen und es anders als in der Nordsee an Infrastruktur fehlt. Trotzdem bestehe Interesse an den Gebieten, weil die Felder in der Nordsee schon seit über 30 Jahren ausgebeutet werden:
"Dort, wo wir bisher produzieren, gehen die Vorräte zur Neige. Um die Förderung zu stabilisieren, muss der natürliche Rückgang ersetzt werden. Deshalb gehen jetzt alle in den Norden."
Die einzige positive Ausnahme in der Nordsee ist nach Ansicht der Analystin Johan Sverdrup, ein riesiges Feld, das erst 2010 entdeckt wurde und das vermutlich genug Öl für die kommenden 40 bis 50 Jahre enthält. Generell aber findet Saltvedt, dass die Norweger in den vergangenen Jahren zu sehr auf den Rohstoff Öl gesetzt haben:
"Die Leute haben sich entspannt und gedacht, das Geschäft mit dem Öl wird ewig so weitergehen. Was aber keiner bedacht hat: Die Produktion ist seit 2001 deutlich zurückgegangen. Die hohen Preise haben das mehr als ausgeglichen. Aber jetzt darauf zu wetten, dass der Ölpreis wieder auf 100 Dollar oder mehr steigt, das halte ich für schwierig und ziemlich riskant."
Öl-Firmen müssen Kosten einsparen
Viele der Öl- und Gasunternehmen haben sich anscheinend auf die hohen Einnahmen verlassen und nicht für schlechtere Zeiten vorgesorgt. Nun müssen sie massiv Kosten einsparen, und das bekommen vor allem die Mitarbeiter im Südwesten des Landes zu spüren, sagt Gerd Kristiansen, Chefin des größten Gewerkschaftsdachverbandes LO:
"Inzwischen haben wir in Norwegen fast 140.000 Arbeitslose. Das ist viel für unser Land. Wir hatten früher eine Quote von unter drei Prozent. Durch die Ölkrise hat sich das geändert. Dadurch haben 40.000 Menschen in dieser Industrie ihren Job verloren."
Und die Gewerkschaftschefin macht sich längst nicht nur wegen der Betroffenen Sorgen:
"Die Einnahmen aus der Öl- und Gasindustrie finanzieren etwa ein Fünftel des Staatshaushaltes. Das allein sagt viel aus über die Bedeutung für unseren Wohlfahrtsstaat. Wenn der Ölpreis nicht wieder steigt und die Aktivitäten auf dem norwegischen Kontinentalsockel zunehmen, dann müssen wir einen Teil unserer Sozialleistungen kürzen."
Fonds für schlechte Zeiten
Frühling in Oslo. In der Hauptstadt ist der Wohlstand besonders deutlich zu spüren, den Norwegen seit dem ersten Öl-Fund an Weihnachten 1969 angehäuft hat. Hans-Olav Syversen ist Vorsitzender im Finanzausschuss. Die steigende Arbeitslosigkeit sei einer Kombination aus niedrigem Ölpreis und zu hohen Kosten geschuldet, analysiert der Christdemokrat. So dramatisch wie die Gewerkschafterin sieht er die Lage aber nicht:
"Der Staatshaushalt selbst verändert sich durch den Ölpreis nicht, weil wir einen Fonds haben. Dadurch werden gute und schlechte Öl-Jahre ausgeglichen. Für 2016 und 2017 hat die Situation also keine direkten Konsequenzen. Erst langfristig gesehen könnte sich das ändern: Der Fonds könnte schrumpfen."
Der Ölfonds, von dem Syversen spricht, gilt als größter Staatsfonds der Welt. Eingerichtet 1990, werden seit Mitte der 90er Jahre alle Einnahmen aus der Öl- und Gas-Industrie eingezahlt, Steuereinnahmen ebenso wie direkte Einkommen staatlicher Öl-Gesellschaften. Etwa 7.000 Milliarden norwegische Kronen - 700 Milliarden Euro - ist der Fonds heute wert. Der offizielle Titel lautet "Staatlicher Pensionsfond Ausland". Das sagt viel über die Gründungs-Idee aus. Hans-Olav Syversen:
"Wenn irgendwann der Tag kommt, an dem wir den letzten Hahn zudrehen, dann haben wir immer noch den Fonds, der weiter Rendite und damit Geld abwirft. Wir werden also hoffentlich vom Ersparten leben können, wenn wir keine Öl- und Gas-Einnahmen mehr haben. Das ist wichtig für uns, denn es sollen nicht nur ein oder zwei Generationen vom Öl profitieren sondern auch die zukünftigen."
2016 ertsmals Griff ins Sparschwein
Ziel der Gründung war auch, einen aufgeblasenen Haushalt ebenso zu verhindern wie plötzliche finanzielle Einbrüche, unter denen zum Beispiel Russland angesichts der Preissprünge am Rohstoffmarkt leidet. Doch das Öl-Geld ausschließlich zu sparen war natürlich keine Option. Also musste sich die Regierung etwas überlegen, erklärt Karl-Eirik Schjøtt-Pedersen, 2001 Finanzminister in der sozialdemokratischen Regierung von Jens Stoltenberg:
"In einem Land mit einem so großen Vermögen wie Norwegen muss man der Bevölkerung erklären, wie viel Geld man ausgeben kann. Also haben wir die Regel eingeführt, dass nur der Überschuss aus dem Kapital benutzt werden darf."
Wie hoch dieser jährliche Überschuss sein würde, schätzte die Regierung 2001 anhand der damaligen Situation am Aktienmarkt. Karl-Eirik Schjøtt-Pedersen:
"Nach unserer Regel dürfen pro Jahr maximal vier Prozent aus dem Fonds entnommen werden. Der Ölpreis beeinflusst also nur, wie viel neues Vermögen hineinfließt. Der Haushalt ist dagegen vom Gesamtkapital abhängig."
Die 2001 eingeführte Regel besteht bis heute. Im Januar allerdings hat Finanzministerin Siv Jensen zum ersten Mal mehr Geld aus dem Fonds entnommen, als an neuen Öl- und Gaseinnahmen hineinkam: Gut 700 Millionen Euro, um die Ausgaben im Haushalt auszugleichen. Dass die internationale Presse deshalb von einem Sündenfall und einem "Griff nach dem Notgroschen" sprach, hält ihr Staatssekretär Paal Bjørnestad allerdings für Unsinn:
"Das ist falsch, denn die 7.000 Milliarden Kronen liegen ja nicht in einem Sparschwein. Wenn sie in einem Sparschwein lägen, dann hätten wir tatsächlich weniger hineingetan als herausgenommen. Aber glücklicherweise sind die 7.000 Milliarden in 9.000 Unternehmen investiert. Wir verdienen also Geld damit und zwar mehr, als wir verwenden."
Wert des Fonds schwankt teils in Sekunden
Der Staatssekretär verweist darauf, dass auch im neusten Haushaltsplan sogar weniger als die erlaubten vier Prozent aus dem Staatsfonds eingeplant sind. Am Ende des Jahres werde man sich also trotz des ölpreisbedingt niedrigeren Wirtschaftswachstums und der steigenden Arbeitslosigkeit an die Regeln halten.
Seinen Öl-Fonds verwaltet das Land auf ganz eigene Art. Zuständig ist Norges Bank Investment Management, eine Abteilung der Zentralbank. Sie sitzt im Dachgeschoss eines altehrwürdigen Gebäudes in Oslo und investiert im Auftrag des Finanzministeriums 60 Prozent des Ölvermögens in Aktien, 35 Prozent in Zinspapiere, die übrigen fünf Prozent in Immobilien - und zwar ausschließlich im Ausland und nach bestimmten ethischen Richtlinien. Der Fonds besitzt Firmenanteile in 78 Ländern - auch in Deutschland. Gerade hat er angekündigt, sich als Investor der Sammelklage gegen Volkswagen wegen des Abgas-Skandals anzuschließen. Der Wert des Fonds schwankt teils in Sekunden um viele Millionen Euro. Entscheidend sei, ihn als Langzeit-Investor zu betrachten, sagt Finanzausschuss-Chef Hans-Olav Syversen:
"Wenn man nun jeden Monat oder jedes Quartal einzeln sieht, kann man schon nervös werden. Aber da müssen wir uns locker machen und abwarten."
Deshalb findet Syversen es auch in Ordnung, dass erstmals Kapital aus dem Fonds entnommen wurde. Anfang des Jahres sei eben vieles zusammengekommen, sagt der Christdemokrat, dessen Partei die Minderheitsregierung im Parlament stützt: Der niedrige Ölpreis, die steigende Arbeitslosigkeit und Turbulenzen an den Aktienmärkten.
"Sonst hätten wir drastische Kürzungen im Budget vornehmen müssen, und das hätte für wesentlich mehr Unruhe und wirtschaftliche Stagnation gesorgt. Das wäre viel schlimmer gewesen, als kurzzeitig Kapital abzuziehen."
Norwegen braucht neue Wirtschaftszweige
Langfristig müssten aber andere Lösungen her, betont der norwegische Finanzpolitiker:
"Wir müssen damit rechnen, dass der Fonds nicht mehr so stark wächst, dass die Öl-Aktivitäten und der Preis zurückgehen. Deshalb müssen wir uns überlegen, auf welchen anderen wirtschaftlichen Beinen Norwegen künftig stehen kann. In diesem Sinne ist die jetzige Situation für uns vielleicht sogar ganz gesund: Sie ist ein Warnsignal."
So sieht es auch Öl-Analystin Thina Saltvedt. Sie ist froh, dass die Politiker neuerdings über die notwendige Wirtschafts-Umstellung sprechen.
Wir haben uns zu abhängig vom Öl-Sektor gemacht. Und das ist beunruhigend. Das haben wir in vielen anderen Ländern gesehen. Wir brauchen eine breiter aufgestellte Wirtschaft. Aber das Öl hat uns Reichtum gebracht, einen hohen Lebensstandard und viele interessante Technologien, die wir jetzt in anderen Bereichen einsetzen können. Ich glaube, wir werden es schaffen. Aber wir müssen nach vorne schauen, endlich loslegen und etwas spannendes Neues beginnen.