Senja, 350 Kilometer nördlich des Polarkreises. Das hier ist Norwegen im Miniaturformat, sagen die Norweger. Auf der zweitgrößten Insel des Landes gibt es Wälder, Berge und Fjorde. Die knapp 8.000 Einwohner leben vom Tourismus und vor allem von der Fischerei. Es gibt große Fischbestände vor der Küste Senjas – und es gibt Öl und Gas. Beides wollen die Energieunternehmen möglichst bald ausbeuten, sagt Geir Seljeseth, Regionaldirektor der Arbeitgeberorganisation Norsk olje og gass:
"Wir müssen neue Gebiete erschließen, wenn wir die Produktion auf dem norwegischen Kontinentalsockel aufrechterhalten wollen. Und dieses Gebiet kennen wir gut. Wir wissen genau, wo hier etwas zu finden ist und wo nicht. Deshalb könnten wir sehr schnell mit der Produktion beginnen."
Das sei nicht nur wichtig für Norwegen, sondern für ganz Europa, meint Seljeseth. Schließlich sei Gas wesentlich klimafreundlicher als Kohle oder Atomkraft. Und ein großer Teil der norwegischen Produktion gehe in die EU:
"Norwegen ist eine stabile Demokratie, die fossile Rohstoffe für Europa produziert. Es ist also auch eine sicherheitspolitische Frage: Die Energiesicherheit für die Zukunft zu gewährleisten."
Diskussion um eine Machbarkeitsstudie
Norsk olje og gass veröffentlichte kürzlich zusammen mit dem größten Gewerkschaftsdachverband LO eine Studie. Demnach liegen umgerechnet zwischen 50 und 100 Milliarden Euro vor den Lofoten, Vesterålen und Senja. Diese Ressourcen seien von enormer Wichtigkeit für den norwegischen Wohlfahrtsstaat, betonen die Autoren.
Senja mit seinen Rohstoffschätzen liegt in der Provinz Troms. In deren Hauptstadt Tromsø hat nicht nur Norsk Olje og Gass ein Büro, sondern auch Norges Naturvernforbund, Norwegens größte Naturschutzorganisation. Die stellvertretende Vorsitzende Silje Lundberg will unbedingt verhindern, dass die umstrittenen Gebiete für die Öl- und Gasindustrie geöffnet werden – und argumentiert dabei nicht nur mit der bisher unberührten Natur:
"Viele Menschen hier arbeiten im Tourismus und in der Fischereiwirtschaft. Und der norwegische Kontinentalsockel ist in dieser Gegend so schmal, dass einfach nicht genug Platz ist für Fische und Öl."
Man müsse sich also entscheiden, sagt Lundberg: Entweder Arbeitsplätze in der Fischerei, oder Arbeitsplätze in der Öl-Industrie. Auch Dag Frøland befürchtet, dass die Fischer verdrängt werden könnten. Der Lehrer engagiert sich in der Bürgerbewegung für öl-freie Lofoten, Vesterålen und Senja:
"Die Öl-Industrie bezahlt viel bessere Löhne. Ich finde aber, es ist für Nord-Norwegen wichtig, die Fischerei als Wirtschaftszweig zu erhalten, der traditionell mit unserem Landesteil verbunden ist."
Im Moment geht es noch gar nicht darum, die Öl-Felder für die Industrie zu öffnen, sondern um die Frage, ob eine Machbarkeitsstudie durchgeführt werden soll, um herausfinden, welche Konsequenzen die Ausbeutung der Rohstoffe hätte. Doch Frøland findet, man wisse schon jetzt genug:
"Denn schließlich habe in der Geschichte der norwegischen Öl-Industrie noch jede Machbarkeitsstudie letztlich zur Ausbeutung geführt."
Jack Jensen ist Fischer auf Senja und gehört einer der Fischereigewerkschaften auf der Insel an. Der 62-Jährige sieht das Ganze ziemlich pragmatisch – viel pragmatischer als seine Kollegen auf den Lofoten, betont er. Er ist dafür, die Machbarkeitsstudie durchzuführen. Schließlich habe Norwegen das beste Sozialsystem der Welt. Und um das zu behalten, müsse man etwas tun.
"Natürlich werde die Ausbeutung der Öl-Reserven nicht ganz ohne Konflikte mit den Fischern ablaufen", sagt Jensen. "Aber die Erfahrung zeigt, dass Ölindustrie und Fischereiwirtschaft nebeneinander existieren können, wenn man miteinander redet. Da kann mir niemand etwas anderes erzählen."