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Norwegen und die EU
"Norwegen übernimmt viele Regeln, die in Brüssel beschlossen werden"

Nach dem Referendum in Großbritannien herrscht noch Unklarheit über die zukünftigen Handelsbeziehungen zur EU. Ein mögliches Modell: Norwegen. Das Land sei aber trotzdem auf enge Beziehungen zu den Europäern angewiesen, sagte die Journalistin und Skandinavistin Jana Sinram. Durch das sogenannte EWS-Abkommen müsse Norwegen in vielen Bereichen EU-Regeln genauso in nationales Recht umsetzen wie die Mitgliedsländer.

Jana Sinram im Gespräch mit Klemens Kindermann |
    Goliat Ölfeld in der Barentssee
    Norwegen ist auf enge Beziehungen mit der EU angewiesen: 80 Prozent der Exporte – zum Beispiel Öl und Gas – gehen in die EU. (picture-allicance / dpa / Terje Mortensen)
    Klemens Kindermann: Noch ist der Brexit nicht vollzogen. Aber schon jetzt rätseln alle: Wie sollen die Handelsbeziehungen Großbritanniens zur EU aussehen? Bekommt London Zugang zum EU-Binnenmarkt, auch wenn es nicht mehr Mitglied der EU ist? Als Modell dafür wird immer wieder Norwegen genannt. Meine Kollegin Jana Sinram aus der Nachrichtenredaktion ist Skandinavistin und hat gerade zwei Monate in Norwegen verbracht und dort beim öffentlich-rechtlichen Sender NRK gearbeitet.
    Gleiche Rechte und Pflichten innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums
    Frau Sinram – wie genau funktioniert das norwegische Modell?
    Jana Sinram: Norwegen ist ja deshalb kein EU-Mitglied der EU, weil die Norweger den Beitritt zwei Mal in Volksabstimmungen abgelehnt haben - und es auch weiterhin eine Mehrheit dagegen gibt. Das Land ist aber trotzdem auf enge Beziehungen zu den Europäern angewiesen. Die Wirtschaft ist abhängig vom europäischen Markt. 80 Prozent der Exporte – zum Beispiel Öl und Gas – gehen in die EU. Deshalb hat Norwegen mit der EU das sogenannte EWR-Abkommen geschlossen. EWR steht für "Europäischer Wirtschaftsraum". Das Abkommen ist seit 1994 in Kraft. Es gilt für die EU-Mitglieder, für Norwegen und außerdem noch für Island und Liechtenstein. Innerhalb dieses Europäischen Wirtschaftsraumes haben alle Länder die gleichen Rechte und Pflichten. Das heißt: Norwegen und die beiden anderen Länder bekommen einen direkten Zugang zum Binnenmarkt der EU. Im Gegenzug gilt auch für sie das Prinzip der vier Freiheiten, also: freier Warenaustausch über Landesgrenzen, freier Dienstleistungsverkehr, freier Kapitalverkehr und die Bewegungsfreiheit für Arbeitnehmer.
    Kindermann: Und die Arbeitnehmerfreizügigkeit passt Großbritannien ja gerade überhaupt nicht. Wie sieht die praktische Umsetzung der Pflichten in Norwegen aus?
    Sinram: Norwegen muss alle Richtlinien, die relevante Politikbereiche betreffen, übernehmen. Das heißt: Es muss EU-Regeln genauso in nationales Recht umsetzen wie die Mitgliedsländer. Innen-, Justiz- und Sicherheitspolitik sind zwar ausgenommen, ebenso wie Landwirtschaft, Fischereipolitik und noch einige andere Bereiche. Trotzdem: Norwegen übernimmt sehr viele Regeln, die in Brüssel beschlossen werden. Und wenn es das nicht tut, drohen Sanktionen. Damit hat die EU zum Beispiel vor drei Jahren gedroht, weil Norwegen die Umsetzung von mehr als 500 Richtlinien verschleppt hat.
    "Norwegen und die anderen Nicht-EU-Mitglieder bezahlen jährliche Beiträge"
    Kindermann: Und was kostet die Norweger der Zugang zum Binnenmarkt?
    Sinram: Norwegen und die anderen Nicht-EU-Mitglieder des Europäischen Wirtschaftsraums bezahlen jährliche Beiträge. Das Geld fließt in zwei Fonds und ist dazu gedacht, soziale und ökonomische Unterschiede zwischen den EU-Mitgliedern auszugleichen. Um es konkret zu machen: Die Norweger überweisen pro Jahr 388 Millionen Euro an die EU. Das hört sich vielleicht erst einmal nicht nach viel an. Aber wenn man sich die Summe pro Kopf anschaut, stellt man fest: Die Norweger zahlen für die Zusammenarbeit mit der EU pro Einwohner gut 76 Euro im Jahr. Das ist gar nicht so viel günstiger als die Voll-Mitgliedschaft der Briten: Deren Netto-Beitrag zur EU lag 2011 bei gut 89 Euro pro Einwohner.
    Kindermann: Die norwegische Regierung hat den Briten vor dem Referendum davon abgeraten, ihr Modell zu übernehmen. Warum?
    Sinram: Das Hauptargument war: Wir zahlen hohe Beiträge an die EU, wir müssen Gesetze mitragen, aber wir haben kein Mitspracherecht, wenn die Regeln gemacht werden. Diese Situation würde auch die Briten erwarten. Tatsächlich dürfte es aber auch damit zu tun haben, dass die Norweger befürchten, dass der Brexit für sie selbst negative Konsequenzen hat.
    Kindermann: Das müssen Sie uns erklären. Was befürchten die Norweger genau?
    Sinram: Neben den Befürchtungen, die alle anderen auch haben – Auswirkungen auf die Börsen, auf die eigene Währung und den Export – gibt es die Angst, dass der Zugang zum Binnenmark für Norwegen teurer wird. Denn wenn die britischen Beiträge wegfallen, fehlt der EU Geld – und das, so die Bedenken, könnte sie sich von den Unterzeichnern des EWR-Vertrages zurückholen.
    Kindermann: Norwegen und die EU – eine Einordnung von Jana Sinram.