Jeden Tag bringt der junge Russe Vahim Prudnikow Touristen auf Ausflugsschiffen vom norwegischem Hauptort Longyearbyen zu den letzten verbliebenen russischen Siedlungen Spitzbergens. Das Schiff gleitet an der Ostküste der Insel entlang, vorbei an imposanten Gletschern.
Für den Moskauer ist das nicht bloß ein Sommerjob. Er will der nationalen Sache Russlands dienen.
"In den 90er-Jahren haben wir viele Siedlungen im Nordpolarmeer verlassen, das hätten wir nicht tun sollen. Dort befinden sich ja noch die Gebäude, die Wetterstationen, die Infrastruktur. Wir sollten sie wieder nutzen. Es ist unser Land."
"In den 90er-Jahren haben wir viele Siedlungen im Nordpolarmeer verlassen, das hätten wir nicht tun sollen. Dort befinden sich ja noch die Gebäude, die Wetterstationen, die Infrastruktur. Wir sollten sie wieder nutzen. Es ist unser Land."
Viel Geld für einen Außenposten
Kurz darauf taucht Barentsburg auf – die russische Hauptsiedlung Spitzbergens. Fördertürme ragen aus der kargen Landschaft. Zu Sowjetzeiten lebten hier rund 1.500 Menschen und förderten Kohle. Heute sind es nur noch 500 Einwohner – und viele fragen sich, was die hier noch tun, denn Kohle wird kaum mehr aus der Erde geholt.
Dennoch investieren die Russen wieder eine Menge Geld in diesen Außenposten – die historischen Holzhäuser werden restauriert, aus einem Arbeiterwohnheim wurde ein Hotel. Die Fremdenführerin von Barentsburg versichert: Hier geschehe alles nur für die friedliche Entwicklung des Tourismus.
"Der Grund für uns, hier in der Arktis zu bleiben, ist einfach: Wir wollen damit zeigen: Wir sind hier. Und wir wollen den Tourismus ausbauen. Letztes Jahr hatten wir schon 20.000 Besucher."
Das allerdings waren fast ausschließlich neugierige Tagestouristen. Über Nacht bleibt hier kaum jemand. Vielleicht passen die riesigen Radaranlagen über Barentsburg nicht so recht zu einem Ferienort.
Ein Anschlag auf Norwegens Hoheit
Auch in Longyearbyen, dem norwegischen Hauptort der Inselgruppe, lebt man schon lange nicht mehr vom Kohleabbau – man setzt auf Forschung und Tourismus.
Die Aktivitäten der Russen im Nordmeer sieht man mit wachsender Sorge. Immer öfter provoziere die Großmacht das kleine Norwegen. Etwa durch den Besuch des stellvertretenden Ministerpräsidenten Dimitri Rogosin im April dieses Jahres. Rogosin steht wegen der Annektion der Krim auf der Sanktionsliste von EU und Norwegen. Geir Barstein, Redakteur bei "Svalbard Posten", der - wie sie sich selbst nennt, nördlichsten Zeitung der Welt:
"Er war zur unerwünschten Person erklärt worden. Dennoch landete er plötzlich auf Spitzbergen und knipste gleich nach seiner Ankunft ein Selfie mit einem Eisbärenschild und verbreitete es danach über Twitter.
Da war die Aufregung groß – sowohl beim Gouverneur hier als auch bei der Regierung in Oslo. Viele sahen darin einen Anschlag auf Norwegens Hoheit. Und fürchten, dass wir am Ende die Kontrolle über diese Inselgruppe an Russland verlieren könnten."
Nach außen hin gibt man sich auf Spitzbergen gelassen. Der norwegische Gouverneur der Inselgruppe, Odd Olsen Ingerø, betont, die Russen seien an den Spitzbergen-Vertrag gebunden:
"Im großen und Ganzen respektieren die Russen, dass hier norwegische Gesetze gelten, an die sie sich halten müssen. Ansonsten machen die Russen kein Geheimnis daraus, dass sie hier auch nach dem endgültigen Ende der Kohleförderung bleiben und die Siedlungen nicht aufgeben wollen. Sie wollen von hier aus die Entwicklung in dieser Region beobachten."
Wenn Eisbärzählen zum Problem wird
Und dabei wollen die Russen selbst aber nicht beobachtet werden. Das bekommt auch die norwegisch-russische Forschungszusammenarbeit zu spüren. Der norwegische Polarforscher Jon Aars wollte in diesem Sommer gemeinsam mit russischen Kollegen Eisbären zählen, um deren Bestand zu ermitteln – und das auch außerhalb Spitzbergens in russischen Nordpolargebieten. Noch vor wenigen Jahren wäre das kein Problem gewesen. Doch diesmal kam ein "Njet".
"Wir waren ziemlich überrascht darüber, dass die Genehmigung für eine Zählung in den russisch kontrollierten Gebieten wieder zurückgezogen worden ist. Wir hatten schließlich mit der russischen Seite darüber eine schriftliche Übereinkunft. Meine russischen Kollegen können sich uns gegenüber nicht offen über die Gründe für die Ablehnung äußern. Das scheint auf höherer politischer Ebene entschieden worden zu sein."
Die atemberaubend schöne Inselgruppe im Nordpolarmeer sollte ein Ort der friedlichen Koexistenz der Völker sein – das war die Idee des Spitzbergenvertrages. Nun fürchten viele Norweger, dem mächtigen Russland könnte auch dieses internationale Recht bald egal sein.