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Norwegen
Widerstand gegen den Nazi-Terror

Die Zahl der aktiven Widerstandskämpfer während der deutschen Besatzung in Norwegen war gering. Die Unterstützung in der Bevölkerung aber war groß. Wer konnte, gewährte Unterschlupf oder boykottierte die Nazis. Allerdings kratzen Historiker am Mythos der norwegischen Widerstands-Erzählung.

Von Gunnar Köhne |
Norwegische Widerstandskämpfer während der Ausbildung.
Norwegische Widerstandskämpfer während der Aubildung (picture-alliance / dpa)
Über einen versteckten Hintereingang im vierten Obergeschoss betreten wir einen kaum beleuchteten, engen Korridor. Er führt in einen fensterlosen Raum. Gitta Storehjerde sucht einen Lichtschalter. Eine nackte Glühbirne beginnt schwach zu leuchten:
"Hier war der Wachraum. Und dort sind die Toiletten und Duschen. Den Gefangenen wurde dort nach den Verhören das Blut abgespült."
Wir sind in der ehemaligen Gestapo-Dienststelle von Bergen. Hier, wie andernorts, verhörten und folterten die Deutschen während der fünfjährigen Besetzung Norwegens ihre Gegner. Gitta Storehjerde ist Mitglied im Verein "Gestapo-Hus". Der will aus diesen Räumen ein Museum machen.
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe Vergangenheitsbewältigung - "Deutschenkinder" in Norwegen.
In einer Ecke liegen ein paar Gipssäcke, die Handwerker fangen demnächst an. Storehjerde, eine junge Anthropologin von der nahe gelegenen Universität der Stadt, engagiert sich, weil ihre Großtante hier einmal verhört worden war. Sie geht weiter zum Zellentrakt. In einer der fünf Zellen schaltet sie die Lampe ihres Smartphones an und sucht mit dem Lichtkegel die Wände ab:
"Sehen Sie hier, an den Wänden finden sich eingeritzte Botschaften: Manche haben einen Bibelspruch geschrieben, andere nur ihre Namen und das Datum. Solche Sprüche halfen den Gefangenen nach den Misshandlungen, die Hoffnung nicht zu verlieren. Hier zum Beispiel "Gott erhört Gebete".
Zellen dienten als Getränkelager
Bis vor Kurzem dienten die Zellen als Getränkelager des Nachtclubs im zweiten Stock. Das fünfgeschossige Gebäude aus den 30er-Jahren gleich neben Bergens Nationaltheater hieß im Volksmund zwar schon immer "Gestapo-Haus". Und davor wurde auch ein kleines Denkmal in Erinnerung an die Opfer des deutschen Terrors aufgestellt. Aber die Verhörzentrale im vierten Stock blieb weitgehend unbeachtet.
Auch Terje Olsen ist mitgekommen. Der von der Parkinson-Krankheit gebeugte alte Mann schaut sich stumm in den Räumen um. Sein Vater war der Widerstandskämpfer Reidar Olsen, der den Auftrag hatte, in Bergen norwegische Nazikollaborateure zu liquidieren. Im November 1944 wurde er verraten, von der Gestapo verhaftet, hierher gebracht und zu Tode gefoltert.
"Mein Vater wurde nicht hier, sondern im Stockwerk über uns umgebracht. Der brauchte ja nicht mehr in eine Zelle gebracht zu werden, weil sie ihn noch am selben Tag totschlugen. Klar, es ist für mich nicht einfach, hier zu stehen. Andererseits kam ich mit meiner Mutter schon als 4-Jähriger gleich nach Kriegsende 1945 das erste Mal hierher. Meine Mutter wollte genau wissen, was passiert war, und hat uns Kindern auch immer wieder erklärt, dass Vater hier sein Leben lassen musste - und warum. Das hat uns
Handvoll Widerstandskämpfer lebt noch
Der Bergener Lokalhistoriker Ole-Jacob Abraham kennt die Geschichte von Reidar Olsen und anderer mutiger Widerstandskämpfer. Doch seit er die Geschichte des Widerstandes hier an der Westküste Norwegens erforscht hat, weiß er auch: Es gab nicht viele Reidar Olsens. Der Widerstand gegen die deutschen Besatzer sei Jahrzehnte lang zu einem nationalen Befreiungskampf überhöht worden, aber:
"Am aktiven Widerstand im Land waren nur sehr wenige Menschen beteiligt. Die Hauptwiderstandsgruppe hier in der Region Bergen, 'Björnvest' genannt, zählte exakt 253 Mann. Denen gegenüber waren allein hier in Bergen 20.000 Wehrmachtssoldaten stationiert. Was hätten die dagegen schon ausrichten können? Allerdings erfuhren die Widerstandsleute viel Unterstützung in der Bevölkerung. Ihnen wurde zu ihren Verstecken Essen gebracht, und sie bekamen auf Bauernhöfen auch oft Unterschlupf. Aber aktiv gegen die Deutschen gekämpft hat nur ein winziger Anteil der Bevölkerung."
Eine Handvoll Widerstandskämpfer lebt noch - einer von ihnen ist Sverre Sivertsen, ein 94-Jähriger Hüne am Stock, der den deutschen Reporter gut aufgelegt mit wachen Augen und spitzbübischem Lächeln begrüßt. Als 19-Jähriger hatte er sich der Widerstandsgruppe "Björnvest" in seiner Heimatstadt Bergen angeschlossen. Er war damals sogar an zwei Banküberfällen beteiligt – das Geld sei an die Hinterbliebene getöteter Kameraden weitergegeben worden.
Sverre Sivertsen gehörte in seiner Heimatstadt Bergen zur Widerstandsgruppe "Björnvest"
Sverre Sivertsen gehörte in seiner Heimatstadt Bergen zur Widerstandsgruppe "Björnvest" (Deutschlandradio / Gunnar Köhne)
In einem unwegsamen Gebirge nördlich von Bergen wurde Sivertsens kleine Widerstandsgruppe kurz vor Kriegsende von den Besatzern aufgespürt.
"Da kam es zur direkten Feindberührung mit den Deutschen. Wir waren rund 200 Mann und lagen mit unseren Maschinengewehren in unseren Stellungen. Die Deutschen kamen den Berg hochgeklettert, hatten aber große Schwierigkeiten voranzukommen in dem Gelände mit viel liegen gebliebenem Schnee. Es wurde ein ziemlich unbarmherziges Gefecht."
Mythos der Widerstandshelden bröckelt
Es waren Geschichten wie diese, die den Mythos der hoffnungslos unterlegenen, aber unerschrockenen norwegischen Widerstandshelden nach dem Ende des Krieges begründeten. Dass nun, 70 Jahre später, an diesem Mythos gekratzt wird - Sverre Sivertsen empfindet das auch gegenüber seinen gefallenen Kameraden als nicht in Ordnung. Dass sich damals Norwegerinnen auf Liebesbeziehungen mit Wehrmachtssoldaten einließen, während er vom Feind auf Leben und Tod gejagt wurde, dass konnte auch Sivertsen lange Zeit nicht verzeihen.
"Mit der Zeit bekommt man natürlich eine andere Sicht auf die Dinge. Diesen Mädchen musste damals klar gewesen sein, dass sie sich nicht mit den Deutschen einlassen sollten. Unter keinen Umständen! Sie haben es trotzdem getan. Aber, wissen Sie, Liebe ist nun mal wie sie ist. Da fallen dann alle Tabus."
Dass sich die norwegische Regierung bei den betroffenen Frauen und ihren Kindern inzwischen für die teilweise erniedrigende Behandlung nach dem Krieg entschuldigt hat, findet auch Terje Olsen, Sohn des von der Gestapo zu Tode geprügelten Widerständlers Reidar Olsen, völlig in Ordnung. Er glaubt, dass sich auch sein Vater weniger über die sogenannten "Deutschenmädchen" empört hätte, als vielmehr über die diejenigen Landsleute, die an den Deutschen kräftig verdient hatten:
"Die großen Firmen des Landes und die staatlichen Behörden, wie Norsk Hydro, die Straßenverkehrsbehörde oder die Eisenbahngesellschaft, die mithilfe der Zwangsarbeiter der Deutschen viele neue Straßen und Eisenbahnlinien bekommen hatten – die blieben nach dem Krieg unbehelligt. Darüber wird bis heute zu wenig geredet!"