Die Schule von Utsira könnte man leicht übersehen, obwohl sie auf einer Anhöhe hinter dem Rathaus liegt. Der Bau verschwindet zur Hälfte im Hang, auf dem Dach wuchert es nassgrün, und die vertikale Holzverschalung trägt das Grau-Braun der Schärenfelsen. Durch eine dachhohe Glasfassade betritt man ein helles Atrium. Holzwände, Holztische, Holzbänke. Es ist Mittagspause, Kinder zwischen 7 und 15 Jahren sitzen um einen langen Tisch herum und essen ihre mitgebrachten Brote und Donuts. Ein Junge mit Downsyndrom verteilt seine Apfelschnitze.
25 Schüler gibt es hier, verteilt auf drei winzige Klassen. 1 bis 4, 5 bis 7, 8 bis 10. Arna Leidland, die Schulleiterin, eine Zugezogene vom Festland, läuft wie alle auf dicken Socken. Im Lehrerzimmer lässt sie sich in einen Stuhl am Konferenztisch fallen und streicht ihre ergrauten Haare hinter ihre bunten Ohrhänger:
"Die Kinder wachsen hier sehr geborgen auf. Eigentlich kümmern sich alle Erwachsenen um sie. Und ihnen wird auch etwas geboten, es gibt regelmäßig Besuche von Schriftstellern und Musikern hier an der Schule. Und weil sie so wenige sind, lernen sie sehr früh, Verantwortung zu übernehmen."
"Es ist wirklich toll hier für Jugendliche"
Mit dem Neubau von Dorfschule und Kindergarten stemmten sich die Utsirer gegen die Abwanderung: Wir wollen hier nicht weg, lautete die Botschaft, wir investieren stattdessen in die Jugend. Aber die meisten Schulkameraden sind nach ein paar Jahren wieder weg, beklagen die Schüler.
Die älteren unter ihnen haben heute Englisch und Spanisch, unterrichtet von einer Andalusierin, die es für ein paar Jahre nach Norwegen verschlagen hat. Rune und Ine aus der neunten Klasse wissen, dass sie später die Insel verlassen müssen:
"Ich bin auf Utsira aufgewachsen und habe Lust hier auch den Rest meines Lebens zu verbringen. Aber für eine Berufsausbildung oder ein Studium muss ich auf's Festland. In meiner Freizeit helfe ich meinem Onkel mit seinen Schafen. Es ist wirklich toll an einem so kleinen Platz zu leben als Jugendlicher, man kennt alle und bekommt schnell Hilfe, wenn man sie braucht."
"Utsira ist definiv besser als eine Stadt. Hier kannst du fischen, mit Freunden zu jeder Tageszeit zusammen sein, es gibt keine Kriminalität. Das ist wie eine große Familie hier."
Als sie gefragt werden, ob sie glücklich sind, kichern die Jugendlichen verlegen. Mit solchen Vokabeln ist man hier sparsam. Glad, zu deutsch glücklich, sagt man höchstens, wenn man verliebt ist.
Beteiligte an Wasserstoff-Projekt zieht positive Bilanz
Im Lehrerzimmer scheint dagegen Glück in der Luft zu liegen. Vielleicht, weil sich hier 8 Lehrer 25 Schüler teilen. Ein junger Kollege im Baumfällerhemd tritt ein und nickt den Anwesenden lächelnd zu. Am Kaffeeautomaten stehen zwei Lehrerinnen und unterhalten sich gedämpft, aber gut gelaunt. Als im Raum die Rede auf die Versuche kommt, Utsira als alternativen Energiestandort zu etablieren, bekommt die Harmonie Risse. Eine Lehrerin, die kurz vor der Pensionierung steht, klappt mit Schwung ihre Brotdose zu:
"Ich sehe das mit dem Wasserstoff im Nachhinein sehr positiv. Ich gehörte damals zu den zehn Haushalten, die mit dem Wasserstoffstrom beliefert wurden. Ich war im chinesischen Fernsehen, im französischen und im italienischen. Die Kritiker sagen, dass daraus keine Arbeitsplätze entstanden seien. Aber das hatte ja der Konzern Norsk Hydro gar nicht versprochen! Man darf aber nicht vergessen, dass damals ja sehr viele Touristen kamen und daran viele verdient haben: Die Vermieter, der Laden, die Fährgesellschaft. So wurden Arbeitsplätze an anderer Stelle geschaffen oder gesichert."
Die öffentliche Hand als Arbeitgeber
Die nächste Unterrichtsstunde beginnt, die Kolleginnen und Kollegen greifen lächelnd ihre Unterlagen und gehen gemächlich hinaus. Als wollten sie sagen: Auf die öffentliche Hand als Arbeitgeber ist in Norwegen ohnehin am meisten Verlass. 8 Lehrer auf 25 Kinder! Schulleiterin Leidland schenkt sich noch einmal Kaffee ein. Auf der weißen Tasse prangt ein Postkartenmotiv von Utsira, eine Schülerarbeit:
"Die Insulaner haben die Haltung: Wir leben hier draußen, also haben wir Recht auf dieses und jenes. Ich sage immer: Ihr seid ziemlich verwöhnt. Ihr vergesst, dass ihr hier einen viel größeren Einfluss auf Politik und Verwaltung habt. Ihr braucht bloß zu den Gemeindeverantwortlichen über die Straße zu gehen!"