Notizen aus Berlin
Berlinale im Eis

Die 65. Internationalen Filmfestspiele sind eröffnet. Mit dem Grönland-Drama "Nobody wants the night" von Isabel Coixet gab es einen frostigen Start. Der Film über die Frau eines Arktis-Forschers Anfang des 20. Jahrhunderts ist unserem Autor Christoph Schmitz etwas zu überfrachtet - mit "lawinenschwerem Pathos."

Von Christoph Schmitz |
    Rinko Kikuchi, Isabel Coixet, Juliette Binoche und Gabriel Byrne posieren für die Kamera.
    Rinko Kikuchi, Regisseurin Isabel Coixet, Juliette Binoche und Gabriel Byrne (Ekaterina Chesnokova, dpa picture-alliance)
    Für einen Rheinländer wie mich ist es in Berlin vor allem im Winter immer etwas zu windig. Anders als im mittelalterlichen Köln zieht durch die Berliner Alleen die gefühlte Kälte Sibiriens. Im warmen und überfüllten Kino aber war es heute Mittag noch kälter. Jedenfalls auf der Leinwand. Die tollkühne New Yorker High-Society-Dame Josephine Peary (Juliette Binoche) reist durch Grönland Richtung Nordpol im Jahr 1908. Historisch belegt. Sie folgt ihrem Mann Robert, der am nördlichsten Punkt der Erde die amerikanische Flagge setzen möchte. Glück und Ruhm will sie mit ihm teilen – und bleibt doch im Eis stecken, zuletzt in einem Iglu zusammen mit der schwangeren Inuitfrau Allaka bei entsetzlichen Minustemperaturen und arktischer Dunkelheit.
    "Niemand will diese Nacht", so heißt der Eröffnungsfilm der Berlinale von Isabel Coixet. Zwei kulturelle Aggregatzustände prallen hier aufeinander: die westliche Leistungsgesellschaft, die die Natur unterjochen will, und die indigene Ökogesellschaft, die sich den Naturgesetzen der Wildnis beugt. Ein paar faszinierende Szenen gelingen der Regisseurin, etwa wenn Josephine in langem Kleid per Fernrohr die Weite der Arktis betrachtet und ihr Grammophon dazu italienische Opernmusik spielt. Leider verderben lawinenschweres Pathos und grelle Symbolik den Film.
    Ein weiterer Film in Eis und Schnee: "The days run away like wild horses over the hill"
    Subtiler setzt die Eis- und Jahreszeitenmetapher der Eröffnungsbeitrag der Sektion "Forum" ein: "The days run away like wild horses over the hill" des Polen Marcin Malaszczak. Mädchen, junge und alte Frauen, Mütter, Tagesmütter und Großmütter bevölkern plaudernd diesen kleinen, strengen Film, der die Schönheit des Moments und die Vergänglichkeit des Lebens aufscheinen läßt. Über die Schlittenbahn der Kinder hinweg winken sich zwei Frauen am Schluß zu. Tag eins der Berlinale war also ein Schneetag. Der Wettbewerb ist im Eis stecken geblieben. Das "Forum" hat Fahrt aufgenommen. Morgen wird's wohl richtig losgehen.