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Notizen aus Hardrockhausen

Journalist Moritz von Uslar hat sich dorthin begeben, wo man ihn nicht unbedingt erwartet hätte: in die brandenburgische Provinz. Mit Hut, Notizbuch und Aufnahmegerät hat er das dortige Leben erkundet, Klischees überprüft, hingeschaut, was passiert.

Von Ralph Gerstenberg |
    Das Buch beginnt im Berliner Szenelokal "Grill Royal", die Kellner servieren Steaks und Champagner, während Moritz von Uslar seinen verblüfften Freunden erklärt, dass er drei Monate lang in einer brandenburgischen Kleinstadt zu leben gedenke, dort, wo keiner jemals freiwillig anhalten würde, in "Hardrockhausen", der Heimat des "Prolls", des Nazirockhörers mit Hang zum Auto- und Körpertuning. Was wie eine bewusste Provokation gelangweilter Berlin-Mitte-Existenzen wirkt, spukte von Uslar bereits eine Weile im Kopf herum. Der Buchvertrag für den Selbsterfahrungstrip war unterzeichnet, die Firma Fiat spendierte einen Leihwagen, alles war gesagt, nichts konnte den Reporter, der seinen Vertrag beim Spiegel gekündigt hatte, mehr aufhalten.

    "Ich hatte wirklich richtig so eine tiefe Lust immer, bei diesen Leuten an diesen Bushaltestellen zu stehen, die man manchmal so in der Kleinstadt sieht, die sich ganz offensichtlich total langweilen und nur so Käse reden und ab und zu 'nen Spuckefaden fallen lassen. Die seh' ich schon mein ganzes Leben und dachte: Was ist mit denen? Was geht da ab? Irgendwie gefällt mir das. Die sieht man zum Beispiel auch an Tankstellen rumstehen. Das ist so eine Art von Hängertum, die bei mir fast 'romantic feelings' ausgelöst hat, wo ich dachte: Da dabeistehen und dokumentieren, das wär's."

    Acht Wochen kurvte von Uslar auf der Suche nach einem geeigneten Ort durch die brandenburgische Provinz. In Schwedt besuchte der Hobbyfighter einen Boxclub. Doch die dortige Plattenbautristesse war dem Reporter zu dicht am Ostklischee. Seine Kleinstadt, die er im Buch nach dem Landkreis "Oberhavel" nennt - deren Realname aber jeder innerhalb weniger Sekunden im Internet herausfinden kann -, entdeckte er durch Zufall auf dem Heimweg von einer wieder mal erfolglosen Recherchetour: Eine uckermärkische Ortschaft, weder besonders schön, noch hässlich, die einen intakten Eindruck macht. Später erfährt er, dass es hier prozentual sogar weniger Arbeitslose gibt als in Berlin. Moritz von Uslar parkt sein Auto am Straßenrand und betritt die Stadt wie ein Westernheld:

    "Das ist ja eine Westernsituation. Man steht da an der Theke und spürt, dass es eigentlich nicht geht, dass es eine komische Situation ist, man spürt auch, dass man sehr auffällt. Und dann kommen ja auch wirklich die Männer zu einem und sagen: "Dich kenne ich nicht, aber ick kenn hier sonst jeden. Also wat willst du hier?"

    Von Uslar quartiert sich in einer Pension ein, die bei ihm "Haus Heimat" heißt, und betritt - ein mulmiges Gefühl im Magen - die vollste Kneipe der Stadt, die "Gaststätte Schröder". Dort lernt er Raoul kennen, der über der Kneipe wohnt und in der stadtbekannten Band "5 Teeth Less" das Schlagzeug bearbeitet. Nach und nach lernt von Uslar auch die übrigen Bandkollegen kennen, ebenso Blocky, der zwar ein wenig unter Nationalstolz leidet, aber sonst ganz okay ist. In einer skurrilen Szene wird im Beisein von Moritz von Uslar auf einer brandenburgischen Datsche ein Fahnenwechsel zelebriert:

    "Es dämmerte, als die Runde sich in einem Halbkreis um die Deutschlandfahne herum aufstellte. ( ... ) Der Mann vom Schützenverein hatte eine Schwarzpulverkanone auf Rädern mitgebracht. Die Deutschlandfahne, so Blocky, hatte er bei Netto im Angebot geschossen: poliertes Aluminium.15,90 statt 22,90. (…) Blocky holte die schwarz-rot-goldene Fahne ein und zog eine neue schwarz-rot-goldene Fahne am Mast hoch. Der Hausherr sprach das feierliche Geleit: "Auf meinen Garten. Unser schönes Vaterland. Und darauf, dass immer Bier im Kühlschrank ist." Gelächter. Freude Applaus. Der Sohn des Tierarztes trat hervor und blies Muss i denn zum Städtele hinaus auf der Trompete. Der Mann vom Schützenverein steckte die Zündschnur der Kanone in Brand, es bumste. Noch mal Applaus."

    "Ich hab keinen Rechtsradikalismus dort erlebt. Ich hab im engeren Sinne keine Nazisprüche erlebt, wohl aber so einen bisschen beleidigten deutschen Stolz. Und den finde ich immer bisschen langweilig. Der Tenor war dann immer: 'Ich möchte meine Deutschlandfahne zeigen können.' Wo ich gesagt hab: 'Ist doch mir wurscht, zeig doch deine Deutschlandfahne.' Und da gab's diese sehr herrliche Szene, wie eine Deutschlandfahne in 'nem Garten eingeholt wird und durch die nächste ersetzt wird. Die eine war ein bisschen zu gelb, die neuere war dann Gott sei Dank ein bisschen goldener. Und das wurde irgendwie so als Spektakel inszeniert. Ich fand's durchaus ironisch vom Gastgeber. Der hatte, glaube ich, selber das Gefühl, dass er hier so ein bisschen was Schrulliges tut."

    Moritz von Uslar ist sich seiner Exotenrolle in Oberhavel durchaus bewusst. Er spricht von sich in der dritten Person, nennt sich "der Reporter" oder ironisch: "Reporterdarsteller". Er macht sich nicht mit den Einheimischen gemein, sondern betont seine Andersartigkeit, indem er ein hippes Hütchen trägt - ein Accessoire, das der ansässige "Prollfighter" mit seinen Piercings, Haardeckeln und Tattoos nicht unbedingt zu schätzen weiß. Dennoch oder gerade deswegen wird er von Einheimischen akzeptiert. Es gelingt ihm, einzutauchen in den uckermärkischen Mikrokosmos. Nicht umsonst lautet der Untertitel des Buches: "Eine teilnehmende Beobachtung". Moritz von Uslar wird zum Teil der Handlung seines Buches, die er durch Dinge, die er tut oder unterlässt, forciert, drosselt oder in eine andere, der Story zuträglichere Richtung treibt. Gonzo-Journalismus à la Hunter S. Thompson - made in Germany! Dafür befreit sich von Uslar von journalistischen Erwartungszwängen. Er fährt in eine brandenburgische Kleinstadt, an der ihn - so behauptet er jedenfalls - absolut nichts interessiert:

    "Das war mir unheimlich wichtig, und das ist auch die Wahrheit. Aber es ist natürlich erstmal eine rhetorische Geste, eine Volte, ein Täuschungsmanöver. Mich interessiert natürlich erstmal einfach alles. Aber das ist so ein toter Satz. Das ist so wahnsinnig oft schon gesagt worden, dass ich das nicht mehr hören kann. Der neugierige Reporter, der Lichtgeist der Neugier, dieses ganze Gehabe törnt mich als Leser so ab. Das professionelle Etwas-wissen-Wollen von Menschen ist so abgedroschen, so alt. Die Leute reagieren so kühl mittlerweile - zu Recht! - auf die so genannten Reporter, dass ich das erstmal alles durchstreichen muss, dass ich erstmal sagen muss: Ich nicht. Ich will nicht. Ich will mich nicht interessieren. Ich will keine schlauen Fragen stellen. Ich will nicht hinter die Dinge kommen. Ich will auf die Dinge draufgucken und dumm bleiben. Reicht. Ist viel interessanter."

    Moritz von Uslar gelingt eine Gratwanderung. Er schildert das Leben in einer ostdeutschen Kleinstadt, in der ein Großteil der Jugend zu jenen gehört, die Soziologen wie Heinz Bude als Überflüssige oder Ausgeschlossene bezeichnen würden, und produziert dabei weder Sozialkitsch noch Betroffenheitsrhetorik. Aus einem höchst subjektiven Blickwinkel zeigt er Alltagsrituale, Kommunikation, Lebensentwürfe und Fluchten in Alkohol, aber auch Witz und eine störrische Art, Widrigkeiten die Stirn zu bieten. Am Ende verlässt er als "Einheimischer" den Ort, wie es etwas pathetisch im Geleittext heißt. Der Mann mit dem Hut hat dort geboxt, rumgehangen, viel getrunken, Gespräche aufgeschnappt und einfach "teilgenommen" an dem Leben, das dort stattfindet.

    Moritz von Uslar "Deutschboden. Eine teilnehmende Beobachtung", erschienen bei Kiepenheuer & Witsch, 380 Seiten, 19,95 Euro.