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Notkaufprogramm der EZB
Sinn: "Überhaupt keine Maßnahme gegen die Coronakrise"

Der ehemalige IFO-Präsident Hans-Werner Sinn hält das angekündigte Anleihekaufprogramm der EZB für vertretbar, in der Coronakrise aber wenig hilfreich. Dabei gehe es nur darum, "die Banken zu halten". Wichtiger seien aktuell Investitionen in die Medizintechnik und die Stütze der Realwirtschaft.

Hans-Werner Sinn im Gespräch mit Martin Zagatta |
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hans-Werner Sinn, ehemaliger Präsident des ifo Instituts, im eleganten Anzug in der Ludwig Maximilian Universität in München.
Der Ökonom Hans-Werner Sinn (picture alliance / Sven Simon)
Die EZB will im Kampf gegen das Coronavirus 750 Milliarden Euro für Anleihekäufe zur Verfügung stellen. Hans-Werner Sinn, früherer Präsident des Ifo-Instituts, hat die Geldpolitik der EZB oft sehr kritisch gesehen. In diesem Fall sei der Schritt aber vertretbar, sagte er im Dlf. Dennoch forderte er, die Prioritäten richtig zu setzen. Vor der Rettung der Banken mit enormen Summen, müsse man in die Medizintechnik investieren, um die Corona-Krise zu bekämpfen.
Maßnahmen hätten vorbereitet werden müssen
Zagatta: Herr Sinn, verhält sich die EZB da jetzt fahrlässig, oder ist das in dieser Corona-Krise jetzt äußerst sinnvoll, dass die Europäische Zentralbank 750 Milliarden einsetzt für ein Notkaufprogramm, für Anleihen?
Sinn: Ja, man kann diese Politik sicher vertreten. Das Problem ist: Die Anleger flüchten aus Italien und aus Griechenland. Die Kurse der Staatspapiere fallen und die Effektivrenditen der Wertpapiere sind wieder etwas gestiegen, auf drei beziehungsweise vier Prozent. Das sieht man als Alarmzeichen; es ist auch eines. Aber man muss natürlich sehen: Bevor die überhaupt im Euro waren, hatte Griechenland 25 Prozent Zinsen zu zahlen und Italien zwölf, wenn ich mal in das Jahr 1995 gehe, wo der Euro dann wirklich beschlossen wurde.
Also gut, es ist schon ein Alarmzeichen, und ich verstehe die Politik. Ich will mich da auch nicht jetzt als großer Kritiker einbringen. Das Problem ist eigentlich, dass solche Maßnahmen im Grunde hätten vorbereitet werden müssen, indem man das Pulverfass trocken hielt. Das hat man aber nicht getan. Man hat in den letzten Jahren diese Politik schon immer gemacht. Wir haben ja von 2015 bis 2018 insgesamt für zweieinhalbtausend Milliarden Euro Staatspapiere gekauft – wir, die EZB -, nicht Staatspapiere, sondern Wertpapiere. Davon waren 1,9 Staatspapiere und 200.000 waren öffentliche Papiere von Rettungsfonds und so weiter. Da ist bereits sehr viel Geld gedruckt worden, um diese Papiere zu kaufen, die der Markt gar nicht mehr haben wollte, weil er kein Vertrauen mehr in die Länder hatte, die diese Papiere emittiert haben, und das macht man jetzt weiter. Das ist eigentlich eine Drogenpolitik. Wir haben bislang die Droge des billigen Geldes gegeben und jetzt hat der Patient wieder eine Krise, jetzt braucht man noch mehr von der Droge. Ich verstehe das, aber es ist überhaupt keine Maßnahme gegen die Corona-Krise, was eigentlich hier stattfindet, weder im medizinischen Bereich, noch zur Rettung der Realwirtschaft, sondern hier geht es darum, Portfolios zu retten, die Banken halten. Das ist auch wichtig, aber es ist ein Nebenschauplatz des eigentlichen Geschehens, das ganz woanders liegt.
Der Turm der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main
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Vor einer Woche hatte die EZB ein Paket gegen die Coronakrise geschnürt. Jetzt will sie mit einem neuen milliardenschweren Notkaufprogramm die wirtschaftlichen Folgen abfedern. Die neue Reaktion der EZB zeige, wie ernst die Lage sei, erklärte Dlf-Wirtschaftsxperte Klemens Kindermann.
Zagatta: Aber Sie sagen, es ist trotzdem richtig. Sonst würde die Eurozone auseinanderbrechen.
Sinn: Wer sagt das?
"Jetzt hilft man erstens den Banken"
Zagatta: Das frage ich Sie! Sonst könnten Staaten wie Griechenland und Italien diese Krise finanziell nicht überleben.
Sinn: Ja, jetzt hilft man erstens den Banken, die die italienischen und griechischen Staatspapiere in ihren Büchern haben. Das ist einmal die Hauptsache. Das sind die Banken im Norden, auch in Deutschland, aber vor allem auch in Frankreich. Die Franzosen sind sehr, sehr stark investiert in italienischen Staatspapieren. Denen hilft man, indem man jetzt die Kurse dieser Papiere wieder stützt. Sonst hätten sie Abschreibungen und Verluste und dann würde die eine oder andere Bank vielleicht in die Insolvenz kommen. Das ist der tiefere Grund.
Sekundär hilft man auch den Italienern, weil sie dann neue Staatspapiere ausgeben können zu etwas günstigeren Zinsen. Das ist aber wirklich nur sekundär. Die Italiener brauchen sicher Unterstützung. Ich habe auch vorgeschlagen, dass Deutschland zum Beispiel unilateral, nicht über die EU, sondern ein Geschenk von 20 Milliarden Euro für Italien auf den Tisch legt, um ihnen unsere Solidarität zu zeigen. Aber diese Automatismen, die da schleichend gewaltige Geldmengen umverteilen über die EZB, die im Grunde für manches, was sie tut, gar nicht befugt ist, die sehe ich mit Sorge. Wir haben in der nächsten Woche ja das Urteil des Verfassungsgerichts zu diesen Kaufprogrammen und da möchte ich mal wissen, ob das, was da drinstehen wird in diesem Urteil, überhaupt kompatibel ist, oder umgekehrt, das was jetzt gemacht wird kompatibel ist mit dem Urteil.
Coronavirus
Coronavirus (imago / Science Photo Library)
"Den Italienern geht es wirklich schlecht"
Zagatta: Sie sagen aber, den Italienern 20 Milliarden schenken. Griechenland hätte entsprechende Forderungen oder Wünsche dann sicher auch noch und eine Reihe von anderen Staaten. Das gäbe doch einen riesen Aufstand in Deutschland. Sie würden das trotzdem für vernünftig halten?
Sinn: Ja. Schauen Sie, wir haben zwei Möglichkeiten. Wir lassen die schleichenden Transfers über das Euro-System zu, die zunächst einmal in den Büchern nicht aufscheinen, die aber genauso reale Verluste sind. Denken Sie an die riesigen Target-Schulden, die die Italiener gemacht haben - für 400 Milliarden Euro, von denen Deutschland ein Drittel trägt, falls Italien nicht zahlt. Das passiert so schleichend. Die Presse versteht das nicht, berichtet darüber nicht. Das sind ja ganz andere Summen. Da bin ich eher der Meinung, dass man einfach mal offen und ehrlich hier 20 Milliarden Euro auf den Tisch legt und sagt, hier, das ist unsere Solidarität. Wir müssen auch den Italienern helfen. Den Italienern geht es wirklich schlecht. Die sind ja massiv betroffen, weil das Virus dort erst mal ankam durch die intensiven Kontakte, die man mit China hatte. Das waren Wirtschaftskontakte, Touristen, aber auch die 300.000 Gastarbeiter aus China, die in Italien arbeiten, die zurückkamen vom Neujahrsfest und diesen Virus da hingetragen haben. Italien geht es wirklich dreckig. Wir müssen unseren italienischen Freunden helfen, aber offen und ehrlich und nicht so tun, als würde das die EU tun, sondern wenn wir es tun, dann ist das unser Geld und unsere freie Entscheidung.
Zagatta: Und Sie glauben, das wäre der deutschen Bevölkerung zu vermitteln?
Sinn: Ja, das ist der deutschen Bevölkerung, glaube ich, sehr gut zu vermitteln.
Zagatta: Sie haben eingangs gesagt, das sind jetzt alles Maßnahmen, um Schulden einzudämmen oder Staaten am Überleben zu halten unter Umständen.
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Das Coronavirus sei unheimlich ansteckend – daher seien Ausgangssperren der einzige Weg, die Ausbreitung zu bekämpfen, sagte die italienische Politikerin Laura Garavini im Dlf. Sie fürchte, dass wie in Italien, auch Gesundheitssysteme anderer europäischer Länder bald an ihre Grenzen stoßen könnten.
Mehr Geld für Medizintechnik
Sinn: Nein! Um Banken am Überleben zu halten, die die Staatspapiere halten in ihren Büchern.
Zagatta: Und das alles hilft noch nicht in der Corona-Krise, um die es jetzt geht. Was fordern Sie da finanziell?
Sinn: Na gut, da müssen wir jetzt massiv die Krankenhausbetten erweitern. Wir müssen Beatmungsgeräte produzieren lassen – nicht normale, sondern Druckbeatmungsgeräte. Da gibt es nicht genug. Wir wissen das. Und wir haben natürlich außerdem die Quarantäne-Maßnahmen, die die Bundesregierung hier ergriffen hat.
Zagatta: Herr Sinn, ich frage nach finanziellen Maßnahmen. Was würde das kosten?
Sinn: Es geht auch nicht ums Geld!
Zagatta: Es geht jetzt nicht nur ums Geld?
Sinn: Das bisschen Geld, was diese medizinischen Maßnahmen kosten, ist doch ein Klacks. Da muss man Geld ausgeben und da darf man auch an gar nichts sparen. Bevor wir jetzt Banken retten mit riesigen Geldsummen, können wir mit Bruchteilen erst mal in die Medizintechnik investieren, damit wir wirklich die Krise bekämpfen, die Corona-Krise, die medizinische, und wenn die vorbei ist, geht es der Wirtschaft auch wieder besser. Die Prioritäten muss man einfach richtig setzen.
Realwirtschaft muss gestützt werden
Im Übrigen ist es wichtig, die Realwirtschaft zu stützen, und deswegen sind die Entscheidungen der Bundesregierung, hier mit dem Kurzarbeitergeld zu helfen und auch Programme zu haben, um Firmen, die an und für sich gesund sind, aber jetzt in der Krise in die Insolvenz geraten können, zu retten, das ist alles, glaube ich, viel wichtiger. Ich würde eine Rangordnung machen, wo man sein Geld ausgibt: Erst mal Medizintechnik, Krankenhäuser und alles, was damit zusammenhängt. Da würde ich überhaupt keine Grenze setzen, sondern wirklich massiv intervenieren. Das Zweite ist: Ich würde die Realwirtschaft schützen, und das Dritte ist, ich würde die Banken schützen. Aber die Banken kann ich vielleicht auch noch anders schützen. Wenn sie denn Pleite gehen, dann sollte man ihnen helfen, auch, ja, damit das Finanzsystem nicht zusammenbricht, aber dann lieber Aktien im Austausch dafür verlangen, anstatt dass man hier still und heimlich über die Mechanismen der Europäischen Zentralbank praktisch Gewinne erzeugt, die letztlich dann doch zu Lasten der Allgemeinheit gehen.
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