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Notre-Dame de Paris
Das neue Leben der alten Kathedrale

Vor zwei Jahren wurde die weltberühmte Kirche durch einen Brand schwer beschädigt, jetzt ist sie eingerüstet. Was nach dem Wiederaufbau zum Vorschein kommen soll, steht noch nicht fest. Das Wahrzeichen ist Eigentum des Staates, aber auch eine katholische Kultstätte.

Von Suzanne Krause |
Blick auf die seitlichen Stützen der Kathedrale
In Notre Dame sind die Instandsetzungsarbeiten in vollem Gange (Deutschlandradio / Suzanne Krause)
1. April 2021 – Gründonnerstag. In Notre-Dame de Paris kniet Erzbischof Michel Aupetit sich vor weiß gewandeten Priestern zur Fußwaschung hin und bittet dann um Gottes Segen. Nach einer halben Stunde klingt die Karmesse aus - die einzige Veranstaltung zum diesjährigen Osterfest, die in der berühmten Pariser Kathedrale stattfindet.
Anwesend ist gerade Mal ein Dutzend Personen, Gläubige können die Zeremonie nur dank der TV-Live-Übertragung verfolgen. Für sie, wie auch für Touristen, sind die Pforten seit zwei Jahren geschlossen.

Am 15. April 2019 wurde Notre Dame bei einem Brand schwer beschädigt. Das Feuer war im Dachstuhl ausgebrochen und hatte sich rasend schnell ausgebreitet. Fast die ganze Nacht lang kämpften mehr als 600 Feuerwehrleute unter Einsatz ihres Lebens darum, zu retten, was noch zu retten war. Der Dachstuhl jedoch, mit seinem Eichengebälk aus dem Mittelalter, "Wald von Notre-Dame" genannt, ging in Flammen auf, herabstürzende Balken durchschlugen die Gewölbedecke, die Turmspitze mit dem Hahn fiel herab, das Bleidach schmolz, Giftgase zogen über die Stadt. Die Medien berichteten in Live-Sendungen vom Brandort, tausende Menschen strömten gen Notre-Dame, weltweit verfolgten Millionen fassungslos das Geschehen in Paris.
Innerhalb weniger Stunden hatte sich die Kathedrale, seit Jahrhunderten wie ein Schiff auf der Seine mitten in der Stadt thronend, ein Wahrzeichen von Paris und Frankreich, ein Monument des Katholizismus, in ein einsturzgefährdetes Sorgenkind verwandelt. Seither ist Notre Dame de Paris eine einzigartige Großbaustelle.

Die Einsturzgefahr ist gebannt

April 2021, Baustellenbesichtigung, in den sozialen Medien live übertragen. Eine fast einmalige Gelegenheit, einen Blick ins Innere des von einem hohen Bauzaun umgebenen Monuments zu erhaschen. Der Brandschutt, der sich vor dem Hauptaltar aufgetürmt hatte, ist abgeräumt, die verkohlten Balken, die auf dem Gewölbe lasteten, sind geborgen. Innen und außen ist die Kathedrale komplett eingerüstet. Vor allem aber: Das Gerüst auf dem Dach, 60 Tonnen schwer, das Anfang 2019 für die geplante Restaurierung der Turmspitze errichtet worden war und dessen Rohre beim Brand miteinander verschmolzen, konnte in monatelanger Arbeit abgebaut werden. Seit Kurzem ist für Notre Dame jegliche Einsturzgefahr endlich gebannt.
Bei der Baustellenführung zieht General Jean-Louis Georgelin, Leiter der staatlichen Einrichtung zum Wiederaufbau von Notre-Dame, erste Bilanz.
"Nun sind sämtliche Stützstreben im Herzen der Kathedrale mit Holzverschalungen abgesichert. Somit können wir beginnen, das Deckengewölbe zu konsolidieren oder auch wieder aufzubauen. Diese Arbeiten werden sich bis in den Sommer hinziehen."
Feuer und Rauch über der Kathedrale Notre-Dame in Paris
Die Bilder der brennenden Kathedrale gingen um die Welt (AFP/Francois Guillot)
Im Frühjahr wurden erste Eichen für das neue Dach geschlagen. Die eigentlichen Restaurierungsarbeiten sollen in einigen Monaten starten. Später als ursprünglich gedacht, die hohe Bleibelastung und der erste strikte Corona-Lockdown verzögerten das Vorankommen, so Georgelin.
Jean-Louis Georgelin: "Mein wichtigstes Anliegen ist, dass wir es schaffen, bald einen detaillierten Zeitplan aufzustellen. Um zu wissen, was wann fertig sein muss, damit Notre Dame ab April 2024 wieder für religiöse Zeremonien und für Touristen offensteht."
Denn das hatte Staatspräsident Emmanuel Macron am Tag nach der Brandnacht feierlich versprochen. Er regte zudem an, der altehrwürdigen Kathedrale einen zeitgenössischen Touch zu verleihen. Das löste polemische Debatten aus zur Frage, in welcher Form Notre Dame, insbesondere Turmspitze und Dach, wiederauferstehen solle. Star-Architekten lieferten futuristische Ideen: Ein Glashaus als Dach, mit begrünter Wandelhalle. Oder einem Schwimmbad. Zum Entsetzen derer, die einen originalgetreuen Wiederaufbau verlangen.

Wem gehört Notre Dame?

Mehr oder minder offen steht eine weitere Frage im Raum: Gehört Notre-Dame de Paris der einheimischen katholischen Kirche? Oder den Touristen?
Juristisch ist die Lage klar: Im laizistischen Frankreich ist die Kathedrale Eigentum des Staats – der sie der Kirche zur Nutzung überlässt. Wobei: Unter den 30.000 Tagesbesucherinnen und Besuchern, die vor dem Brand Notre-Dame aufsuchten, waren Kirchgänger deutlich in der Minderheit.
Um die Zukunft der Kathedrale geht es bei einer von der Pariser Erzdiözese eigens einberufenen Kommission. Geleitet wird sie von Père Gilles Drouin, Direktor der liturgischen Fachschaft am Katholischen Institut von Paris. Drouin wohnt in der Maison des Chanoines, dem "Stiftsherren-Haus", ein verwinkelter Bau aus dem 17. Jahrhundert, zu Fuß drei Minuten von der Kathedrale entfernt.
Bauhaus, Kirche und Kloster - Kathedralen der Zukunftaddon
Das Bauhaus revolutionierte Design und Formgebung – auch von Kirchen. Von der Architektur bis zur Teekanne nutzen Sakralbauten Ideen des Bauhauses. Und das ist kein Zufall: Die Idee der Kathedrale war zentral für das Bauhaus.
Unterwegs dorthin kommt der Pfarrer auf seine aktuelle Mission zu sprechen: Notre Dames Zukunft zu sichern. Eine Idee des Komitees: Bei der vom Pariser Rathaus geplanten Neugestaltung des Kathedralen-Umfelds solle ein Parcours einmal um Notre Dame herum geschaffen werden. Père Drouin nähert sich der Kathedrale.
"Bislang ist eigentlich nur die Fassade richtig gut zu sehen. Bei einem Rundgang aber ließe sich die urbane Einbettung der Kathedrale besser verstehen. Hier im Norden liegt das 'Stiftsherren-Viertel', im Süden das Studentenviertel, im Westen das ehemalige Hospiz-Spital. Alle haben historisch enge Beziehungen zu Notre-Dame. Deshalb wünschen wir uns einen mit Infotafeln ausgestatteten Parcours. Hier gleich gegenüber findet sich ein wunderschönes Seitenportal. Nun ist es vom Bauzaun verdeckt, aber auch früher hat es kaum einer bemerkt. Mit einem Rundgang um die Kathedrale könnte man auch den Touristenstrom etwas entzerren. Im Rathaus stößt die Idee auf Zustimmung."

"Notre Dame soll rundum katholisch sein"

Drouin betritt das Diözesan-Haus. Im Foyer hängen bunte Kinderzeichnungen. Bilder von Notre -Dame, viele mit Herzchen verziert, auf einigen züngeln Flammen aus den Türmen. Den Malwettbewerb hatte der Pariser Erzbischof initiiert, kurz nach dem Brand. Eingeschickt wurden 6.000 Bilder. Die Terrasse im 3. Stock bietet Aussicht auf die Kathedrale vis-a-vis. Auf die Baustelle. Ins Auge stechen die aus hellem Holz gezimmerten Stützen, die sich an die steinernen historischen Strebebögen schmiegen: Die ersten Sicherungsarbeiten nach dem Brand. Père Drouin schaut zum Nordturm. Dessen Glockenstuhl ging vor zwei Jahren in Rauch auf.
"Es heißt, dass der Giebel während des Brands ins Schwingen geriet. Das hat mir der Architekt von Notre-Dame bestätigt."
Mit ihm, wie auch mit den staatlichen Denkmalschutz-Experten und sonstigen Stellen, arbeite die von ihm geleitete Kommission eng zusammen, versichert der Priester.
"Bei unserer Kommissions-Arbeit setzen wir auf eine Art Mantra: Notre-Dame soll rundum katholisch sein, schließlich ist sie die Kathedrale der Pariser Erzdiözese. Aber sie soll jedermann offenstehen, alle Welt empfangen. Das ist wesentlich. Hier wird die Liturgie zelebriert. Notre Dame ist einer der wenigen mittelalterlichen Bauten in Paris, der noch seiner ursprünglichen Bestimmung gerecht wird. Der Louvre zum Beispiel war mal ein Königspalast und ist jetzt ein Museum. Notre-Dame aber dient weiterhin als Haus Gottes, auch wenn nun der Alltag anders ist als früher."

"Die Beichtstühle sind verwaist"

Im Laufe der Jahrhunderte wurde Notre-Dame de Paris immer wieder umgebaut. Das hatte auch Einfluss auf den Ablauf der liturgischen Zeremonien. Der bisher letzte große Einschnitt im Leben der Kathedrale geht auf Eugène Viollet-le-Duc zurück: Der Architekt hatte sie im 19. Jahrhundert umfangreich renovieren lassen.
"Zur Zeit von Viollet-le-Duc gab es noch kaum Touristen, von der Pariser Weltausstellung mal abgesehen. Heute zählt Notre Dame jährlich zwölf Millionen Touristen. Doppelt so viele als vor gut 30 Jahren, als Kardinal Lustiger das Bauwerk renovieren ließ. Deshalb werden wir uns beim Wiederaufbau darum bemühen, Kultus und Kultur unter einen Hut zu bringen. Allerdings ohne die Kathedrale in zwei verschiedene Bereiche aufzuteilen."
Eine kürzlich veröffentlichte wissenschaftliche Studie besagt: Das Gros der Touristen und Touristinnen ist nun nicht-christlicher oder post-christlicher Kultur. Doch immerhin noch 40 Prozent kämen auch aus spirituellen Beweggründen.
"Wenn die Messe im hinteren Bereich abgehalten wird, nehmen daran 40 Personen teil. Wird sie in der Mitte der Kathedrale zelebriert, sind es 400."
Père Gilles Drouin steht auf dem Balkon des Diözesanhauses, im Hintergrund ist die gegenüberliegende Kathedrale zu sehen
Vom Diözesanhaus hat man einen guten Blick auf die Baustelle (Deutschlandradio / Suzanne Krause)
Im Rahmen der Restaurierung sind Neuerungen geplant: Eine Taufkapelle. Liturgisch stimmungsvolle Beleuchtung. Und: Die Kapellen, die bislang ein Schattendasein führten, sollen mehr ins Licht gerückt werden.
"Dort stehen Altäre, aber es findet keine Messe mehr statt. Die Beichtstühle sind verwaist, an den Wänden sind Bilder, die keiner bemerkt. Die Kapellen werden nun restauriert. Und dann wollen wir sie für liturgische Zwecke nutzen. So etwas hat es in französischen Kirchen bislang noch nicht gegeben. Jede Kapelle in Notre-Dame wird zu einer Etappe des geplanten 'Initiations-Parcours'. Bei dem Rundgang wollen wir die Besucherinnen und Besucher in die Katechese einführen, ihnen eine Botschaft vermitteln, sie an die 'Pforten des Mysteriums' führen."
Ein Thema sei, sagt Père Gilles Drouin, für ihn besonders herausfordernd:
"Es muss gelingen, in Notre-Dame in einvernehmlicher Manier moderne Kunst einzubringen. Vor einer Polemik habe ich keine Angst, sie ist unvermeidbar. Denn das Thema zeitgenössische Kunst ist heikel. Dahingehend ist bislang in Notre Dame manches gelungen, anderes weniger. Dieses Thema bereitet mir schlaflose Nächte."

Leuchtende Farben unter dem Ruß von Jahrhunderten

Der Aspekt der Moderne in Notre Dame beschäftigt Dany Sandron nicht. Er ist Historiker und erforscht seit einem Vierteljahrhundert die Geschichte der Kathedrale. Kurz nach dem Brand lancierte Frankreichs nationaler Wissenschaftsrat ein breites Forschungsprogramm zu Notre Dame. Sandron ist regelmäßig dort auf der Baustelle.
"Dank der Gerüste komme ich an bisher unzugängliche Stellen. Die Gewölbe-Scheitelsteine sind nun fast in Reichweite. Wir haben Reste polychromer Wand-Dekorationen entdeckt und werden klären, ob sie aus dem Mittelalter stammen oder jüngeren Datums sind. Bisher war viel unter dem Dreck von Jahrhunderten, unter Kerzenruß verborgen", sagt Sandron.
Derzeit werden zwei Kapellen restauriert, ein Test. Das Ergebnis sei spektakulär.
"Da kommen Farben zutage, deren Leuchtkraft radikal mit dem sonst so düsteren Ambiente in der Kathedrale bricht. Dank der Restaurierung wird das Innere von Notre Dame wieder mehr wie im Mittelalter aussehen, heller und ohne die harten Gegenlicht-Kontraste zwischen den bunten Kirchenfenstern und den grauen Mauern."
Sandron zieht sein jüngstes Werk aus dem Regal in seinem Büro: Eine detailreiche Darstellung zu Historie und Archäologie von Notre Dame de Paris zwischen dem 12. und dem 14. Jahrhundert. Ein Referenzwerk. Schon beim Bau galt die Kathedrale laut Zeitzeugen als einzigartig: Als das seit Römertagen ehrgeizigste Bauwerk nördlich der Alpen.

In der Kathedrale herrschte wildes Treiben

Der Alltag von Notre-Dame im Mittelalter wirkt aus heutiger Sicht fast unvorstellbar. Bis zu 120 Messen pro Tag wurden damals in der sogenannten "Pariser Mutter-Kirche" zelebriert, die erste im Morgengrauen, die letzte gen Mitternacht.
"Es herrschte weit mehr Rummel als heute. Laut Gerichtsakten trieb sich da auch Gesindel herum, Taschendiebe, Prostituierte auf Freier-Fang vor oder in Notre Dame. Denn dies war im Mittelalter der größte öffentliche Raum von ganz Paris."
Freiburger Münster - Im Bann der Gotik
Das Freiburger Münster ist ein Besuchermagnet. Die wenigsten dürften wissen, welche Geschichten die Figuren aus Stein erzählen: von Tugend und Glauben, von Todsünden, Judenhass und Kirchenkritik.
Sandrons Fachwissen habe sie schon mehrfach angezapft, erzählt Mylène Pardoen bei einem Tee auf der Terrasse des Café Esmeralda, gleich hinter Notre-Dame gelegen. Mylène Pardoen ist Klangwelt-Archäologin, die einzige weltweit. Auf der Suche nach den Geräuschen, Tönen aus Notre Dames längst vergangenen Alltagstagen hat sie Historiker Sandron nahezu Löcher in den Bauch gefragt.
Wie wandelte sich von Jahrhundert zu Jahrhundert das Innere der Kathedrale? Wo wurde wann welche Messe zelebriert? Welche religiösen Riten waren wann in Mode? Welche Glöckchen waren dabei im Einsatz?

"Die Orgel soll wie früher klingen"

Der nächste Arbeitsschritt: Töne aufzuzeichnen, die denen von früher so nah wie möglich kommen. Und dann mische sie alle Einzelteile zu einer Art Hörbild, einem akustischen Puzzle, erklärt Mylène Pardoen.
"Mit Kollegen arbeite ich an einem Modell, um die für jede Epoche typische Geräuschkulisse in Notre Dame zu rekonstruieren. Geplant ist eine Anwendung für das breite Publikum – auf Knopfdruck soll das akustische Geschehen in Notre-Dame zu hören sein, ob nun beim Bau im 12. oder bei einer Messe im 14. Jahrhundert."
In der Kathedrale werden Signaltöne ausgestrahlt. Damit messen die Wissenschaftler auch die derzeitige Akustik. Die Daten wurden mit dem 'akustischen Lagebericht' verglichen, den ein Kollege schon Jahre vor dem Brand erstellte, resümiert Pardoen.
"Wegen des Einsturzes der drei Gewölbedecken sind 20 Prozent der herkömmlichen Akustik verlorengegangen."
Die Forschergruppe erstellt Rechenmodelle, um zu simulieren, wie sich bauliche Maßnahmen bei der Neugestaltung des Inneren von Notre-Dame auf die Akustik auswirken. Um dann diese oder jene Maßnahme zu empfehlen oder davon abzuraten.
"Das Ziel ist natürlich, die Akustik aus der Zeit vor dem Brand wiederherzustellen. Die Orgel soll wie früher klingen und der Chor seine akustischen Markierungspunkte wiederfinden."

Viele sind Notre Dame innig verbunden

Der Anthropologe Gaspard Salatko sitzt nicht hinter Notre-Dame, sondern neben Saint-Germain l'Auxerrois, der historienreichen Kirche direkt am Louvre. Sie ist für die Dauer der Bauarbeiten in Notre-Dame sozusagen deren Zweigstelle. Und beherbergt derzeit auch die Statue der Jungfrau mit dem Kind – Schutzpatronin der Pariser Kathedrale. Salatko hat der Heiligen Maria gerade einen Besuch abgestattet.
Die Statue der Jungfrau Maria
Die Statue der Jungfrau Maria aus Notre Dame hat derzeit in der Kirche Saint-Germain l'Auxerrois Unterschlupf gefunden (Deutschlandradio / Suzanne Krause)
Gaspard Salatko ist Mitglied einer Gruppe von Sozialwissenschaftlern. Sie erforscht, warum der Brand der Pariser Kathedrale im In – und Ausland Gefühlstürme ausgelöst hatte. Als im März 2020 gemeldet wurde, Diebe hätten auf der Baustelle Trümmer zu entwenden versucht, horchten Salatko und sein Team auf.
"Damals erzählte der Sprecher der Pariser Diözese, es gebe viel Nachfrage nach Überresten, Trümmern von Notre-Dame. Man habe unzählige Briefe aus der ganzen Welt erhalten, von Menschen, die um ein Erinnerungsstück bitten. Das regte uns an, die Bittbriefe auszuwerten: Sie bezeugen eine Verbundenheit mit der Kathedrale."
Unter den Bittstellern ist ein amerikanisches Paar, dessen Tochter vor Urzeiten in Notre- Dame getauft wurde. Ein junger Künstler, der mit einem selbstgefertigten Reliquienschrein den Erbauern der Kathedrale eine Hommage erweisen möchte. Ein Architekt, der mit angekohlten Balken eine Dorfkapelle restaurieren will.

"Ein komplett demokratischer Ort"

Zentral ist für Salatko letztendlich eine andere Frage: Die nach dem Umgang mit den Trümmern und Überresten des Brands der Pariser Kathedrale. Verkohlte Balken und Mauertrümmer werden auf herkömmlichen Baustellen als Abfall angesehen, im Falle Notre Dames gelten sie als archäologisches Relikt. Im Rahmen des Wiederaufbaus erfahren teils auch Objekte aus dem Inneren der Kathedrale eine Art Statuswechsel.
Salatko gibt ein Beispiel von zwei illustren Schatzstücken, die beide, fast ein Wunder, den Brand überstanden haben: Die Marien-Statue und der Turmspitzen-Hahn. Während erstere– selbstverständlich - ihren Status als kirchliches Objekt beibehält, gilt der Hahn nunmehr als nicht-kirchliches, als Denkmalschutz-Objekt.
Mit der Restaurierung wird ein neues Kapitel in den Annalen Notre-Dames geschrieben. Wenn Gaspard Salatko die Baustelle betritt, ist er jedes Mal aufs Neue überrascht, wie gut dort Staat und Kirche im laizistischen Frankreich zusammenarbeiten.
"Für mich repräsentiert die Kathedralen-Baustelle einen komplett demokratischen Ort. Hier kommen viele unterschiedliche Welten zusammen, jede fühlt sich aus diesem oder jenen Grund vom Bauwerk angesprochen. Dies ist ein Ort des Austauschs, eines tollen Dialogs, eines großen menschlichen Abenteuers."
Père Gilles Drouin von der kirchlichen Wiederaufbau-Kommission sieht es ähnlich.
"Auf der Baustelle arbeiten viele Muslime. Zum islamischen Feiertag L'Aïd wollten die Chefs ihnen freigeben. Doch die Arbeiter sagten: 'Nein danke. Wir stehen alle im Dienst der 'großen Dame'', wie sie Notre Dame nennen. Und dann haben sie weitergearbeitet."