Stefan Heinlein: Und über die Situation im Sudan möchte ich jetzt sprechen mit Professor Stefan Kröpelin von der Uni Köln. Guten Tag, Herr Professor!
Stefan Kröpelin: Guten Tag!
Heinlein: Erleben wir gerade den Anfang vom Ende der Ära al-Baschir?
Kröpelin: Ja, davon gehe ich schon aus. Schon allein deshalb, weil ja der Präsident angekündigt hat, im nächsten Jahr nicht mehr anzutreten und auch als Parteivorsitzender der Regierungspartei zurückgetreten ist. Also schon deshalb ist praktisch jetzt das Ende abzusehen.
Heinlein: Warum tritt er nicht jetzt schon zurück? Warum kämpft er noch um seine Macht mit diesem Notstand?
Kröpelin: Es ist ja so, dass er natürlich schon ein gewählter Präsident ist, dass seine Partei die größte ist, dass es also für afrikanische Verhältnisse auch zu relativ unbeanstandeten Wahlen gekommen ist in den letzten Jahren. Und die Problematik besteht natürlich in einem so riesigen Land wie dem Sudan, der fünfmal so groß ist wie Deutschland, der also 40 Millionen Einwohner hat, während er 1950 nur fünf Millionen hatte, und der vor allem jetzt seit der Unabhängigkeit des Südsudans im Jahr 2011 mehr als die Hälfte seiner Öleinnahmen, den einzigen substanziellen Einnahmen, die das Land hat, verloren hat. Und damit ist natürlich jede Regierung praktisch vor unlösbare Probleme gestellt. So weit ich gehört habe, hat Baschir sogar manche der Forderungen für legitim erklärt, und natürlich ist nicht auszuschließen, dass er jetzt noch vorzeitig zurücktritt. Aber sicherlich wird eine neue Epoche beginnen. Die Frage ist halt, in welche Richtung die gehen wird.
Verhältnisse wie in Libyen, Jemen oder Syrien will niemand
Heinlein: Gibt es im Sudan, Herr Professor, so etwas wie eine politische Opposition, Politiker und Parteien, die in der Lage sind, eine Alternative zu bilden zum Präsidenten, der ja seit über drei Jahrzehnten autoritär reagiert?
Kröpelin: Der Sudan ist berühmt für seinen zivilen Ungehorsam, der schon zu früheren Umstürzen oder Revolutionen geführt hat. Der Sudan war übrigens ja das erste afrikanische Land, das seine Unabhängigkeit erkämpft hat und schon vor 130 Jahren damals gegen die britische Großmacht gekämpft hat. Also da ist eine alte Tradition. Umgekehrt ist die Bevölkerung ja im Grunde schon grundsätzlich sehr friedlich. Und die Probleme oder die Proteste, die ich jetzt sehe in den letzten zwei Monaten, haben für mich eine gewisse Ähnlichkeit mit den Gelbwesten in Frankreich zum Beispiel. Denn es geht dort hauptsächlich ja um die wirtschaftlichen Probleme, die ja wie gesagt ausgelöst sind hauptsächlich durch den Wegfall der Öleinnahmen und natürlich auch die 20 Jahre langen internationalen Sanktionen, die natürlich dem Land auch wirtschaftlich geschadet haben. Und dass jetzt eben gerade der jüngere Teil der Bevölkerung, der ja heute die Mehrheit der Gesamtbevölkerung einnimmt und die Mittelschicht jetzt schon sehr unter diesen wirtschaftlichen Problemen leidet und einfach hofft, dass es durch einen Regierungswechsel besser würde, das bleibt abzuwarten. Weil auf der anderen Seite sind natürlich Gefahren, dass, wenn es wirklich zu einer Art neuem Bürgerkrieg käme, dass wir dann Verhältnisse wie in Libyen, Jemen oder Syrien bekommen. Und das, glaube ich, will niemand.
Gut informierte junge Bevölkerung
Heinlein: Die Gefahr eines neuen Bürgerkriegs besteht durchaus, so habe ich sie verstanden. Wie fest steht denn das Militär noch an der Seite des Präsidenten?
Kröpelin: So weit ich das beurteilen kann, schon sehr nahe, denn er ist ja ursprünglich auch ein Militär, der ja den vorhergehenden Diktator damals gestürzt hat, auch mit Unterstützung aus dem Ausland, und so weiter. Also, ich hoffe es nicht. Ich würde es auch allein von der Mentalität der sudanesischen Bevölkerung, die ich sehr schätze – ich glaube jetzt nicht, dass es so schlimm würde wie zum Beispiel in Syrien, da die Religionen ja auch relativ friedlich zusammenleben im Nordsudan, und viele Probleme einfach von keiner Regierung zu lösen sind, solange die Wirtschaftslage so katastrophal schlecht ist.
Heinlein: Das Nachbarland Äthiopien erlebt ja aktuell eine Art demokratischen Aufbruch mit einem neuen Präsidenten. Hat das irgendwelche Auswirkungen auf die Menschen im Sudan? Bekommen die Menschen das überhaupt mit, dass in ihrem Nachbarland jetzt so etwas herrscht wie Glasnost und Perestroika?
Kröpelin: Ja, das auf jeden Fall. Sagen wir mal, die Bevölkerung als junge Bevölkerung, ob die an den Universitäten sind, oder vielleicht eben die Mittelschicht, die sind sehr gut informiert einfach über die Medien, die ja allgemein zugänglich sind. Und die sind politisch extrem gut informiert, nicht nur über die Vorgänge im eigenen Land, sondern auch im anderen Land. Das ist also wirklich eine riesige Veränderung zu der jüngeren Vergangenheit. Und natürlich hat ein Großteil der Bevölkerung, die abseits der Zentren in dieser Zehnmillionenstadt von Khartum und Omdurman leben, die haben normalerweise ganz andere Probleme, nämlich, wie sie den nächsten Tag überleben. Die haben sicher andere Sorgen, als politisch tätig zu werden. Aber in den Zentren, natürlich, werden gerade hauptsächlich durch die jüngere, besser ausgebildete Bevölkerung diese Proteste geführt, in der Hoffnung, dass nach einem Regierungswechsel alles besser würde. Und das bleibt abzuwarten.
Heinlein: Notstand im Sudan. Dazu heute Mittag hier im Deutschlandfunk Professor Stefan Kröpelin von der Uni Köln. Ganz herzlichen Dank für Ihre Zeit, und ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende!
Kröpelin: Danke schön, ich Ihnen auch!
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