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"Notwendig, legitim und provisorisch"

Hans-Joachim Wiese: Die israelische Sperranlage wird heute Thema einer Anhörung des internationalen Gerichtshofes in Den Haag sein. Anfang Dezember hatte die UN-Vollversammlung den Gerichtshof beauftragt, ein Gutachten darüber zu erstellen, ob es sich bei dem Bauwerk um eine Maßnahme Israels zu Selbstverteidigung, oder um eine völkerrechtswidrige Absperrung auf palästinensischem Gebiet handelt. Israel boykottiert die Anhörung in Den Haag, worüber ich mich jetzt mit dem israelischen Botschafter in Berlin, Shimon Stein, unterhalten möchte. Herr Stein, die Anhörung wird durch das gestrige Selbstmordattentat eines palästinensischen Terroristen überschattet, der in Jerusalem acht Menschen mit in den Tod riss. Der israelische Außenminister Schalom sagte gestern, dass dieser Anschlag die Notwendigkeit der Sperranlage erneut unterstreicht. Sie haben nun die Reportage aus Masra eben mitgehört. Niemand streitet ja Israel das Recht auf Selbstverteidigung ab, aber gibt Ihnen nicht die Verzweiflung und Verbitterung der Palästinenser, die dort zum Ausdruck kam, zu denken? Glauben Sie nicht, dass die Absperrung ganze Dörfer den Terroristen erst richtig Zulauf verschafft?

    Shimon Stein: Ja, Herr Wiese, ich habe zugehört und ich hoffe, dass im Lauf des morgigen Programms Sie auch ein Gespräch mit Vertretern der acht Familien führen werden, deren Kinder und Angehörige gestern dem Terror zum Opfer gefallen sind. Sie werden zugeben, wenn die Frage, was eigentlich Vorrang hat, das Recht auf Leben oder das Recht auf Qualität des Lebens, dass das Recht auf Leben Vorrang hat. Insofern müssen diese Familien, für die ich auch große Sympathien habe, sich die Frage stellen: Wie ist es eigentlich dazu gekommen, dass eines Tages Israel beschlossen hat, den Zaun zu errichten? Es scheint mir, dass hier Ursache und Auswirkung nicht so sehr bedacht werden. Die Betonung liegt ja immer auf der Auswirkung und nicht auf der Ursache. Und so geht es auch heute in Den Haag. Die UNO-Vollversammlung hat beschlossen, die Sache an Den Haag weiter zu richten, mit der Bitte um ein Gutachten. Aber über die Gründe, die dazu geführt haben, hat die UNO-Vollversammlung kein einziges Wort verloren.

    Wiese: Lassen Sie uns dazu etwas später kommen, zu der Anhörung in Den Haag. Lassen Sie uns eben noch bei der Selbstverteidigung bleiben. Das Recht auf Selbstverteidigung, das sagte ich ja, streitet Israel ja niemand ab. Aber glauben Sie wirklich, dass es eine Korrekte Art der Selbstverteidigung ist, diesen Zaun, von dem Sie sprechen, diese Sperranlage, nicht etwa an der grünen Grenze zu errichten, sondern mitten auf palästinensischem Gebiet? Glauben Sie nicht, dadurch werden erst die Terroristen motiviert?

    Stein: Ob sie motiviert werden oder nicht, ich glaube, um die Motivation zu verringern, muss zunächst die palästinensische Behörde die notwendigen Maßnahmen treffen, zu der sie sich selbst in der roadmap verpflichtet hat. Zweitens werde ich Ihnen sehr dankbar sein, wenn Sie eben nicht von einer Sperranlage sprechen würden und damit eben die palästinensische Art und Weise der Beschreibung...

    Wiese: Die palästinensische Seite ist sehr viel härter in ihren Formulierungen. Die palästinensische Seite spricht von Apartheidsmauer, ja sogar von Nazimauer. Das sind sicherlich völlig unangebrachte Äußerungen.

    Stein: Ich werde über die notwendige Maßnahme, sich zu verteidigen, sprechen. Der Zaun gilt als eine Abwehr, als Verteidigungsmaßnahme, und nicht als eine Terrormaßnahme. Darüber hinaus meine ich zu dem Verlauf des Zaunes - wir müssen zwei Punkte berücksichtigen: Der Zaun soll eigentlich erheblich zur Reduzierung der Selbstmordattentate beitragen. In den Abschnitten, in denen der Zaun verläuft, hat er dramatisch zu der Reduzierung des Terrors beigetragen. Zweitens müssen wir alles tun, um auf die humanitären Belange der Palästinenser einzugehen. Das werden wir weiter versuchen, denn das letzte Wort in Sachen Verlauf des Zaunes ist noch nicht gesprochen. Aber wie gesagt, wichtig ist, zu betonen, wie es eigentlich dazu gekommen ist, das Israel sich gezwungen fühlt, über zwei Milliarden Euro hier auszugeben, um seine Bürger zu schützen.

    Wiese: Herr Botschafter, wenn Sie davon ausgehen, dass die Sperranlage palästinensische Terroristen zurückhalten wird, warum trennen Sie dann Palästinenser von Palästinensern? In Ostjerusalem verläuft die Anlage zum Beispiel als acht Meter hohe Mauer mitten durch den Vorort Abudis. Da können die Terroristen doch auch von der israelischen Seite kommen.

    Stein: Ich meine, das einzige Argument, das für uns den Antiterrorzaun rechtfertigt, ist die Sicherheit. Wir suchen jetzt eine Vorentscheidung über die politische Grenze zwischen uns und den Palästinensern zu treffen. Über die politische Grenze werden in Friedensverhandlungen die Entscheidungen getroffen werden. Die Argumente sind heute einschließlich und alleine Sicherheitsargumente. Wie können wir verhindern, dass das, was gestern in Jerusalem geschehen ist, dass bis zum gestrigen Tag 925 Israelis ums Leben gekommen sind, wie können wir dazu beitragen, dass diese Zahl drastisch reduziert wird. Darum geht es und nicht über politische Entscheidungen. Der Zaun ist notwendig, der Zaun ist legitim, und der Zaun ist provisorisch. Zäune können gebaut werden und können auch abgebaut werden. Das Leben von Menschen können wir leider nicht wieder herstellen. Das es unangenehm ist, davon gehe ich aus, aber es handelt sich hier um den Vorrang des Lebens und nicht um die Qualität des Lebens.

    Wiese: Herr Botschafter, ich habe Sie also richtig verstanden, wenn Sie sagen, Israel ist bereit im Rahmen eines Friedensabkommens mit den Palästinensern den Verlauf der Sperranlage zu korrigieren und auch dann große Siedlungen wie etwa Ariel zu räumen? Das ist ja mittlerweile eine richtige Stadt.

    Stein: Wissen Sie, es ist nicht lange her, vor 3 ½ Jahren im September, in Camp David war Ministerpräsident Barak bereit, sich aus 97 Prozent des Gebietes zurückzuziehen und damit eine große Masse von Siedlungen abzubauen. Seit dem leben die Israelis mit dem Terror, weil die Palästinenser dieses Angebot abgelehnt haben. Selbstverständlich, wenn es dazu kommen sollte, im Rahmen von Gesprächen, werden wir auch zu schmerzhaften Kompromissen bereit sein.

    Wiese: Auch zu Kompromissen, die einen Abbau von Siedlungen wie Ariel bedeuteten?

    Stein: Ich möchte genau das, wozu Sie mich zwingen, nicht tun. Ich habe nur auf das Angebot von vor nur 3 ½ Jahren von Ministerpräsident Barak hingewiesen, wo die Bereitschaft da war, sich weitgehend aus den Gebieten zurückzuziehen, dazu noch eine ganze Reihe von anderen Maßnahmen. Aber dieses Angebot ist von Arafat abgelehnt worden und seit dem leben wir in Israel mit dem Alltag des Terrors. Das den Deutschen zu vermitteln, scheint mir manchmal sehr schwer zu sein. Sich mit dem Leiden der Palästinenser zu identifizieren ist fein, aber sich mit dem Leiden der acht Familien zu identifizieren, scheint mir etwas viel Schwierigeres für manche hier zu sein.