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#NousToutes-Bewegung
Frankreichs Kampf gegen Gewalt an Frauen

Zehntausende Menschen sind in Frankreich auf die Straße gegangen, um für einen besseren Schutz der Frauen vor häuslicher Gewalt zu demonstrieren. Die Zahl der so genannten Femizide ist in Frankreich seit Jahren hoch. Die Politik präsentiert nun erste Reformen.

Jürgen König im Gespräch mit Andreas Noll |
"Nicht eine mehr" steht auf einem Plakat von Demonstrantinnen gegen Gewalt an Frauen in Paris
"Nicht eine mehr" steht auf einem Plakat von Demonstrantinnen gegen Gewalt an Frauen in Paris (AFP/ Alain Jocard)
Andreas Noll: Es ist gerade einmal zehn Tage her, da hat die französische Justizministerin im Fernsehen einen politischen Offenbarungseid geleistet, als sie auf die im Land grassierende Gewalt gegen Frauen angesprochen wurde.
"Wir sind der Situation nicht gewachsen", erklärte Nicole Belloubet. "Unser System", so die Ministerin, "schafft es nicht, diese Frauen zu schützen. Das ist ein Drama. Und wir müssen alles tun, um dies zu ändern." Sie reagierte damit auf einen Fall im Elsass, wo eine Frau von ihrem Partner in Anwesenheit der Tochter getötet wurde. Einer von vielen Fällen in diesem Jahr. Und so steigt der Druck auf die Regierung.
Am Wochenende gingen in ganz Frankreich zehntausende Frauen auf die Straße, um für einen besseren Schutz zu demonstrieren.
In Paris bin ich jetzt verbunden mit DLF-Korrespondent Jürgen König: Herr König, wie groß und wie akut ist das Problem in Frankreich?
Jürgen König: Wenn man Madame Belloubet, wie Sie es eben gespielt haben, hört, dann sieht man, es ist ein immenses Problem. In diesem Jahr wurden in Frankreich nach offiziellen Angaben schon 116 Frauen von ihrem Ehemann oder Lebenspartner getötet. Aktivistinnen gehen von 137 getöteten Frauen aus. Die offizielle Zahl der Todesopfer des letzten Jahres liegt bei 121, darüber hinaus wurden 2018 rund 200.000 Fälle ehelicher Gewalt registriert, die Dunkelziffer wird vermutlich darüber liegen. Das Problem ist auch deshalb so gravierend, weil die Politik, das hat jetzt im Herbst sogar der Europarat offiziell gerügt, er hat gesagt, die Politik habe, Zitat, die Besonderheit der Gewalt gegen Frauen ganz offensichtlich noch nicht vollständig erkannt. Konkret heißt das: Es fehlt unter anderem an Notfallzentren für Opfer von Vergewaltigung und sexueller Gewalt, es fehlt entsprechend an medizinischen Untersuchungen, an Beratung, an psychologischem und seelischem Beistand.
Noll: Welche Resonanz hatten die Massendemonstrationen in Frankreich an diesem Wochenende?
König: Das waren in der Tat Demonstrationen von bedrückender Wucht, so wurde das hier empfunden. An die 70 Organisationen, Parteien, Gewerkschaften, Verbände hatten zu Protestmärschen aufgerufen, rund 150.000 Menschen kamen, etwa ein Drittel davon in Paris. Gefordert wurde auch hier ein grundlegendes Umdenken des Staates, also dass man dieses Problem endlich wirklich ernst nimmt. Das heißt zuallererst mehr Geld, mindestens eine Milliarde Euro wurde gefordert, eben für die schon genannten Notfallzentren, aber auch für mehr Fachpersonal auf den Polizeiwachen, für mehr Schutzunterkünfte für gefährdete Frauen, für aufklärende, vorbeugende Kurse an Schulen. Und gefordert wurden auch – und darüber wird jetzt hier viel diskutiert, auch die Zeitungskommentare sind voll davon –, gefordert wurden auch Änderungen in der Rechtsprechung. Bisher können in Frankreich Vergewaltigungen relativ einfach juristisch auch als sexuelle Übergriffe eingeordnet werden, was die Schwere des Verbrechens deutlich reduziert. Und das geteilte Sorgerecht ist für gewalttätige Familienväter häufig ein Mittel, um die Kontrolle über Frau und Kinder zu behalten. Entsprechend – so die Forderung – müsse die Rechtslage beim Zugangs- und Sorgerecht eindeutig zugunsten von Frauen, die Opfer von Gewalt in der Partnerschaft wurden, verbessert werden.
Noll: Nun ist das Thema nicht neu, Sie haben die Zahlen genannt, sie sind seit Jahren dramatisch. Schon im Sommer hatte die Gleichstellungsministerin einen runden Tisch angekündigt, was ist daraus geworden?
König: Zunächst mal, Mariène Schiappa, diese Ministerin, hatte im Sommer sogar von Generalständen gesprochen, die sie einberufen werde, benannt nach diesen historischen Generalständen, die 1789 mit zur französischen Revolution führten. So hieß das dann auch offiziell, Generalstände gegen die Gewalt in der Ehe. Mariène Schiappa will das Thema wirklich groß angehen, man hat Arbeitsgruppen eingesetzt, um bis Ende November, sprich heute, Maßnahmen zu erarbeiten. Anfang September stellte dann schon Premierminister Édouard Philippe fünf Millionen Euro in Aussicht, um 750 Wohnhäuser für bedrohte Frauen und Kinder einzurichten, jeweils dann mit einem Bleiberecht bis zu einem Jahr, bis also das Rechtsverfahren gegen gewalttätige Partner abgeschlossen ist. Außerdem soll es möglich werden, dass Täter schon vor einer Verurteilung, teilweise schon nach der ersten Gerichtsklage mit elektronischen Fußfesseln versehen werden. Jetzt am Wochenende wurden zwei weitere Maßnahmen bekanntgegeben. Das gemeinsame Sorgerecht soll nun tatsächlich im Falle von Gewalt in der Ehe aufgehoben werden können, und eine Notfallrufnummer wird eingerichtet, die dann rund um die Uhr besetzt sein wird. Das wird sich allerdings noch mindestens ein Jahr hinziehen, bis das technisch und vor allem juristisch umgesetzt werden kann. Weitere Maßnahmen dann, ein ganzes Paket wurde angekündigt, wird der Premierminister Philippe heute am Vormittag hier bekanntgeben.
Noll: Rund 150.000 Menschen, Sie haben es gesagt, waren am Wochenende auf der Straße. Ist das eine Bewegung, die für den Präsidenten politisch zu einer Gefahr werden könnte?
König: Vielleicht? Ich meine, der Kandidat Macron hatte im Wahlkampf 2017 die Gleichheit und das, wie er es nannte, gegenseitige zivilisierte Auskommen von Mann und Frau, das hatte er zu einem zentralen Thema erklärt. Daran gemessen ist vergleichsweise wenig wirklich passiert – also gesetzgeberisch. Jetzt nach den Kundgebungen am Samstag twitterte Präsident Macron, er unterstütze jede Frau, die sexistische oder sexuelle Gewalt erfahren habe, die Regierung und die ganze Nation sollten in der großen Sache mobilisiert bleiben. Also, er nimmt sich der Sache schon ausdrücklich noch mal an, ob das reicht, wird man sehen. Aber, ich glaube, zur ganz großen Gefahr werden wie #NousToutes zum Beispiel für Macron nicht, einfach weil andere Bewegungen im Moment noch wirkungsvoller sind, allen voran die Gelbwesten, aber auch die wieder sehr viel besser aufgestellten Gewerkschaften, die dabei sind, eine große Front gegen Macrons Pläne einer Rentenreform auf die Beine zu stellen, für den 5. Dezember wird zum Generalstreik aufgerufen. Das sind im Moment die großen Gefahren für Macron!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.