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NPD-Verbotsverfahren
"Das Desaster nicht noch mal erleben"

Der Journalist und frühere Richter Heribert Prantl hat Verständnis für das vorsichtige Agieren des Bundesverfassungsgerichts im NPD-Verbotsverfahren geäußert. Der Schock nach dem Scheitern im ersten Anlauf sitze unglaublich tief, sagte er im DLF. Diesmal sollen alle Beweise im Vorhinein offengelegt werden.

Heribert Prantl im Gespräch mit Thielko Grieß |
    Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der "Süddeutschen Zeitung".
    Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der "Süddeutschen Zeitung". (Imago / Sven Simon)
    Das Bundesverfassungsgericht hatte den Bundesrat gestern dazu aufgefordert, weitere Beweise dafür vorzulegen, dass die V-Leute in der rechtsextremen Partei tatsächlich abgeschaltet sind. "Eigentlich hätten die Beweise längt geliefert werden müssen", sagte Prantl im Deutschlandfunk. Die gestrige Aufforderung zeige die große Vorsicht des Gerichts. "Die Richter wollen nicht nochmal das Desaster von 2003 erleben." Damals war der Verbotsantrag gescheitert, weil der Verfassungsschutz damals auch in der Parteispitze Informanten hatte, ohne dies offenzulegen.
    Prantl sprach sich dafür aus, den Argumentationsstrang für ein Verbot der Partei zu ändern. Ziel müsse ein vorbeugender Opferschutz sein. Die Frage sei, ob die Partei zu Gewalt anstachele. Beweise müssten eine Verbindungslinie zwischen "brauner Ideologie" und Gewalt nachweisen.

    Das Interview in voller Länge:
    Thielko Grieß: Nur weil jemand treuherzig versichert, er habe etwas erledigt, heißt das ja noch längst nicht, dass es auch so geschehen ist. Es ist ungefähr diese Alltagsweisheit, die zur gestrigen Meldung vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gehört. Die Richter dort müssen entscheiden, ob sie dem Antrag der Bundesländer folgen, die NPD zu verbieten. Dazu - das weiß seit dem ersten gescheiterten Verfahren ungefähr jeder - darf die Partei nicht von V-Leuten der Verfassungsschutzämter gelenkt werden. Sonst lenkte der Staat eine Partei, die er dann verbieten will.
    Und nun zur treuherzigen Versicherung: Die Innenminister haben dem Gericht versprochen, die V-Leute abzuziehen. Dafür aber will das Gericht Beweise sehen. - Telefonisch ist uns jetzt zugeschaltet aus München Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der "Süddeutschen Zeitung" und selbst Jurist. Schönen guten Morgen.
    Heribert Prantl: Guten Morgen, Herr Grieß.
    Grieß: Warum haben die Länder diese Beweise nicht längst geliefert?
    Prantl: Ich ging eigentlich davon aus, dass das längst geschehen sei, aber die Richter haben ganz offensichtlich Zweifel. Und der Schock des Jahres 2003, der sitzt unglaublich tief. Damals sah sich das Gericht nicht mehr in der Lage, in der Sache zu entscheiden, weil die Verbotsanträge verschmutzt waren, weil sie auf Äußerungen gestützt waren, die NPD-Funktionäre gemacht hatten, welche mehr waren als NPD-Funktionäre, die als V-Männer für die Verfassungsschutzbehörden agierten. Und damals hatte das Gericht auch eindringlich immer wieder gefordert, nennt uns die Namen, und offensichtlich sind sich die Richter in Karlsruhe nicht sicher, dass diesmal wirklich alles sauber verläuft. Deswegen der Drang, deswegen der Druck, es soll diesmal alles von vornherein offengelegt werden.
    "Die ganz große Vorsicht des Gerichts"
    Grieß: Jetzt hat Ralf Jäger, der SPD-Innenminister Nordrhein-Westfalens, gestern gesagt, beruhigt euch, sinngemäß, wir können diese Beweise liefern. Was ist denn Ihre Einschätzung? Wird es so kommen?
    Prantl: Eigentlich hätten diese Beweise längst geliefert sein sollen. Es gibt offensichtlich ein paar Hinweise, die das Gericht stutzen lassen, und diese Hinweise machen das Gericht so vorsichtig. Diese Vorsicht äußert sich in dieser Aufforderung, die gestern gemacht wurde. Natürlich kann man sich fragen, ob das jetzt schon der Einstieg in den Ausstieg aus dem Verfahren ist. Das glaube ich nicht. Aber die gestrige Aufforderung zeigt doch die ganz große Vorsicht des Gerichts. Das Gericht, die Richter wollen nicht noch einmal das Desaster von 2003 erleben, und bevor man in die Verhandlung substanziell eintritt, bevor man die Begründetheit erörtert, will man wirklich die Gewissheit haben, dass das Verfahren zulässig ist, dass nicht wieder Verfahrenshindernisse entgegenstehen, und diese Sicherheit scheinen die Richter noch nicht zu haben.
    Grieß: Wenn Sie von Schock sprechen nach dem ersten gescheiterten Verfahren - das haben Sie vor zwei Minuten gerade getan -, dann meinten Sie die Karlsruher Richter. Das fand ich ganz überraschend und interessant, denn bislang hatte ich den Reputationsverlust vor allem auf die damaligen Kläger bezogen, auf die Politik.
    Prantl: Das war natürlich für sie ein Desaster, was da passiert ist. Damals hatten ja alle drei Verfassungsorgane geklagt: Bundestag, Bundesregierung, Bundesrat. Aber die Richter sahen sich damals vor einer Situation - ich erinnere mich an Gespräche mit dem mittlerweile verstorbenen Verfassungsrichter Hassemer, der das Verfahren führte, der entsetzt war darüber, dass die Verfassungsorgane, die geklagt haben, dem Verfassungsorgan Verfassungsgericht zumuten, mit verschmutzten Beweisanträgen zu arbeiten. Und diese Zumutung wirkt nach, auch ins jetzige Verfahren.
    Grieß: Jetzt haben wir ja schon sehr viel über Beweise gesprochen, Herr Prantl. Helfen Sie mir und uns beim Verständnis: Wie sehen solche Beweise eigentlich aus?
    "Parteiverbot als eine Art vorbeugender Opferschutz"
    Ein Unterstützer der NPD steht am Sonntag (17.06.2012) mit einem Shirt mit der Aufschrift "Deutschland" bei einer NPD-Kundgebung am Strausberger Platz in Berlin.
    Verfahren muss Beweise für die Verbindung zwischen brauner Ideologie und Gewalt vorlegen, sagt Prantl. (dpa / picture alliance / Matthias Balk)
    Prantl: Es sind natürlich erst einmal Programmatik, es sind Aussagen von NPD-Funktionären, es sind die Parteiprogramme. Aber ich glaube, das ist eigentlich nur der Vordergrund. Dass die Partei antisemitisch ist, dass sie rassistisch ist, das begegnet keinem Zweifel. Es ist zu klären, bekämpft sie aktiv die Verfassungsordnung. Nun kann man sagen, na gut, die deutsche Demokratie ist stark, die braucht man nicht schützen, die ist nicht mehr so tapsig wie in den 50er-Jahren, als die KPD und die Sozialistische Reichspartei verboten wurde. Es geht ganz gewiss auch nicht um den Schutz einer anderen Partei, wie die NPD sich selber überschätzend immer wieder behauptet.
    Es geht - und da müssen die Beweismittel vorliegen -, geschützt werden müssen die Menschen, die in den Fußgängerzonen und den Eisenbahnabteilen angepöbelt werden, weil sie dem Bild, das sich die NPD von der Gesellschaft macht, nicht entsprechen. Das heißt, es geht darum, und das ist die entscheidende Frage bei der Beweisaufnahme, es geht darum: Stachelt diese Partei, die verboten werden soll deswegen, die NPD, Gewalt an. Die Opfer von Ausländerhass sind nicht so stabil wie die Demokratie. Für mich ist das Parteiverbot so eine Art vorbeugender Opferschutz. Also müssen im Verbotsverfahren Beweise vorgelegt werden, die die Verbindungslinie zwischen Ideologie, zwischen brauner Ideologie und Gewalt nachzeichnen. Da gibt es ja einige Hinweise aus der Aufklärung der NSU-Verbrechen. Es wurde deutlich, dass es Verbindungen gibt zwischen zum Beispiel dem stellvertretenden Vorsitzenden der NPD Thüringen, damals Ralf Wohlleben, und der Terrorgruppe NSU. Solche Verbindungen müssen aufgezeigt werden. Es muss gezeigt werden, dass diese NPD eine Art Durchlauferhitzer ist der Gewalt. Wenn es so ist, dann kann man auch nicht mehr sagen, die NPD spielt momentan im parlamentarischen Betrieb gar keine Rolle. Gefährlichkeit ist nicht unbedingt eine Prozentfrage bei Wahlen. Dann muss man eingreifen, wenn nachgewiesen wird, wenn nachgewiesen werden kann, dass diese NPD Gewalt gegen Flüchtlinge, Ausländer und Minderheiten fördert.
    Grieß: Herr Prantl, Bitte um eine ganz kurze Antwort. Sehen Sie, lesen Sie Vorzeichen über den weiteren Verlauf dieses Verfahrens aus dem Wunsch der Karlsruher Richter von gestern?
    Prantl: Es ist eine große Vorsicht. Ich glaube, man kann noch nicht sagen, dass das Verfahren jetzt schon dem Ende entgegentreibt. Die Richter wollen ein beweiskräftiges Verfahren durchführen und wenn die Beweise nicht vorgelegt werden, und zwar nicht so, wie es die Richter haben wollen und wie es das Urteil von 2003 gefordert hat, dann wird es zu einer Verhandlung und zu einer Prüfung der Begründetheit nicht kommen.
    Grieß: Ich bedanke mich! Heribert Prantl war das, Mitglied der Chefredaktion der "Süddeutschen Zeitung", heute Morgen live aus München. Gruß nach München aus Köln!
    Prantl: Alles Gute.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.