Die meisten künstlichen Hüften werden einzementiert. Dazu wird der Oberschenkelknochen ausgefräst und der Implantatschaft mit Knochenzement einbetoniert. Allerdings wird diese Methode nur bei älteren Patienten angewendet, denn länger als 15 Jahre hält keine so eingesetzte künstliche Hüfte. Wenn der Beton dann im Operationssaal mit Hammer und Meißel aus dem Knochen gebrochen wird, ist meist nicht mehr genügend Substanz für die nächste Hüfte vorhanden.
Künstliche Hüften, die von selbst in den Knochen einwachsen gibt es bereits. Allerdings haben sie einen entscheidenden Nachteil: Es dauert Monate, bis sie so stabil eingewachsen sind, dass der Patient damit laufen kann.
Die normalen Implantate haben Oberflächen, die der Körper nicht als seine eigene erkennt. Knochenbildende Zellen, die Osteoblasten, fühlen sich nicht wohl darauf oder sterben sogar. Im schlimmsten Fall verkapselt der Körper das Implantat mit Bindegewebe. Deshalb arbeiten Wissenschaftler an der Entwicklung von Implantaten mit speziellen Oberflächen, die dem Körper vorgaukeln, ein Knochen zu sein.
Inzwischen ist Nummer vier im OP angekommen und wird von Dr. Eckart Pilling, einem Spezialist der Dresdner Universitätsklinik für Mund-, Kiefer und Gesichtschirurgie, in Empfang genommen. Das Schwein hat sechs Implantate im Unterkiefer, die aus verschiedenen Materialien bestehen. Bei den Kontrolluntersuchungen prüfen Zahnärzte, wie fest sie inzwischen eingewachsen sind. Pilling:
Ja, die bekommen erst was gegen Stress. Medikament, um den Stress abzubauen, der erst entsteht wenn sie gespritzt werden und diese andere Umgebung jetzt hier. Und nachdem die Stressmedikation richtig wirkt, dann wird die eigentliche Narkose gemacht.... jetzt lehnt sich's an hier.
Nummer vier ist mitten in dem kleinen Untersuchungsraum eingeschlafen. Das Ambiente ist spartanisch: Eine Arbeitsbank, die üblichen Zahnarztlampen und in der Mitte ein kleiner Tisch, auf dem die Schweine untersucht werden. Pilling:
Das sind Minipigs, das sind speziell gezüchtete Minischweine, obwohl die schon relativ groß sind hier, wenn die ausgewachsen sind, passen die kaum noch auf den Tisch.
Der Tierarzt gibt dem Schwein gleich da, wo es sich hingelegt hat, die Narkosespritze hinter das Ohr.
Das Ziel der Implantatforscher ist, die Oberflächen so zu beschichten, dass der Knochen gar nicht merkt, dass ein Fremdkörper in ihm steckt. Das magische Wort hinter dieser Idee heißt Biologisierung.
Bisher sind Standartimplantate ist aus blankem Metall, Stahl, Kobalt-Chrom-Legierungen oder in der Luxusvariante aus Titan. Auch wenn es inzwischen Routine ist, eine defekte Hüfte oder auch ein Knie zu ersetzen - die Probleme damit sind leider ebenso alltäglich. Der Knochen ist ein lebendes Gewebe und an der Oberfläche zum Ersatzteil bauen die sich Knochenzellen ständig ab, auf und um. Die Osteoblasten bauen Knochen auf, ihre Gegenspieler - die Osteoklasten - bauen ihn wieder ab. Stimmt das Gleichgewicht nicht und die knochenabbauenden Zellen sind aktiver als die aufbauenden, lockert sich der Schaft mit dem die künstliche Gelenkkugel im Oberschenkelknochen verankert ist und der Patient muss wieder auf den Operations-Tisch. Bisher haben die Mediziner den eingesetzten Schaft mit Schichten aus Hydroxylapatit beschichtet. Das spritzen sie auf das Implantat auf. Aber diese verhältnismäßig dicken Spritzschichten platzen ab und der Knochen wächst zu langsam an das reine Mineral an.
Deshalb ist es von den Medizinern immer wieder eine Forderung gewesen, wir wollen Schichten haben, die so dünn wie möglich sind. Wir wollen das Einwachsen stimulieren und dann soll Schluss sein mit der Schicht, weil danach dann nichts mehr abplatzen kann, wenn nichts mehr da ist an Schicht.
Dr. Dieter Scharnweber von der Technischen Universität Dresden. Er leitet am Institut für Werkstoffwissenschaft die Abteilung Biomaterialien. Scharnweber:
Wir sind historisch gestartet mit einem Verfahren zur elektrochemisch gestützten Abscheidung von Hydroxylapatit. Das unterscheidet sich von dem bisher verbreiteten Verfahren dadurch, dass es in wässrigen Lösungen unter in vivo-nahen Bedingungen erzeugt wird. Wir erzeugen also eine keramische Beschichtung nicht über Hochtemperaturprozesse, oder über Plasmaprozesse, sondern aus wässriger Lösung heraus, so dass die Eigenschaften der dort entstehenden kristallinen Phasen viel näher an dem des Knochens sind, als sie diese anderen Prozesse zu liefern in der Lage sind.
Die Oberfläche eines Implantates muss so beschaffen sein, dass sie fest haftet, nicht abgeschert werden kann und sie muss den Knochenzellen Halt bieten. All das erreichen die Dresdener mit ihrem Verfahren. Das elektrochemisch aufgetragene Hydroxylapatit bildet eine hauchdünne Schicht auf dem Titan- oder Stahlschaft, der in den Knochen eingesetzt wird, aber es regt den Knochen nicht wirklich zum Wachsen an.
Der Knochen ist ein kompliziertes Netzwerk. Und er ist das vollkommenste Stützgewebe des Körpers. Es gibt verschiedene Knochentypen. Das Grundgerüst aller Knochen sind lange, feine hohle miteinander verdrillte Eiweißmoleküle - Kollagen. In dieses Netz aus Kollagenfasern sind Knochenzellen eingebettet. Die geben Mineralien ab. Das ist vor allem das Kalziummineral Hydroxylapatit. Diese Mineralien von den knochenbildenden Osteoblasten kristallisieren in den Hohlräumen der Kollagenfasern. So wird der Knochen fest und kann als Gerüst den Körper tragen. Braucht ein Patient eine neue Hüfte, bohren die Ärzte den lockeren inneren Teil etwa 15 Zentimeter tief aus um den Schaft für die künstliche Hüfte darin zu versenken. Damit sich die Knochenzellen auf dem Implantat anlagern, überziehen Mediziner an der Berliner Charite Titan-Implantate zum Beispiel mit einem Lack aus einem Netzwerk aus Milchzucker, einem so genannten Polylactid.
Das hat sich als günstig erwiesen aus dem folgenden Grund: Man kann diese Beschichtung bei Raumtemperatur anfertigen also eine kalte Beschichtungstechnologie. Das hat den Vorteil, dass ich eben auch Proteine, eben thermolabile Substanzen in die Beschichtung einarbeiten kann, dass die eben bei dem Beschichtungsvorgang nicht kaputt gehen.
Dr. Gerhard Schmidtmeyer von der Klinik für Unfall- und Widerherstellungschirurgie, hat eigentlich gar nicht erwartet, dass die Schicht aus Milchzucker die Knochenzellen animiert. Er hat sie vielmehr entwickelt, um darin Biomoleküle einzubetten. Wenn der Knochen an das Implantat heranwächst, bauen die Knochenzellen alles um, was ihnen in den Weg kommt. Ein Knochen verändert sich im Minutentakt. Und während die Knochenzellen das Netz aus Milchzucker bei ihren Baumaßnahmen verwerten, setzen sie dann langsam die eingeschlossenen Moleküle frei. Schmidtmeyer:
Wir haben gefunden, dass bei dem Abbau die Frakturheilung stimuliert wird. Woran das liegt, daran arbeiten wir gerade. Wir wissen es noch nicht ganz genau, wir haben ein paar Ideen. Aber das ist natürlich ein sehr spannendes Phänomen, weil wir damit natürlich nicht gerechnet hatten, wir wollten eigentlich sehen, dass es keinen negativen Effekt hat, aber das es zusätzlich noch selbst stimuliert, das ist natürlich überraschend gewesen.
Doch damit nicht genug. Die Schicht aus vernetztem Milchzucker erschwert sogar Bakterien das Anheften. Um hinter die Geheimnisse der Beschichtung zu kommen, führen auch die Berliner Tierversuche durch. Allerdings nicht an Schweinen, sondern an Schafen und nicht an Zähnen, sondern an der Tibia, dem Unterschenkelknochen.
Dazu drehen sie sechs Schrauben mit verschiedenen Beschichtungen in den Knochen und lassen sie einige Wochen lang einzuwachsen, während die Tiere auf der Weide grasen. Danach werden die Schafe getötet und die Unterschenkelknochen in den Labors der Charite untersucht. Schmidtmeyer:
Wir sind jetzt hier in unserem Histologielabor. Und hier werden gerade histologische Schnitte vorbereitet, es werden gerade Knochen, die wir in tierexperimentellen Versuchen entnommen haben, werden gesägt, in dünne Scheiben gesägt und anschließend eben eingebettet um die Frakturheilung histologisch beurteilen zu können. Was wir grad im Hintergrund hören, ist unsere Säge mit der man dünne Scheiben hier anfertigen kann um sie dann anschließend weiter zu bearbeiten. Wir sägen jetzt die Pinlöcher, wo die Schrauben ehemals drin waren und untersuchen diese Schraubenkanäle und da müssen wir jetzt ganz viele Schnitte anfertigen, von drei bis vier Millimetern Dicke, die wir dann nachher schließlich noch mal in einen Kunststoff einbetten und uns dass dann in einer Überichtsfärbung angucken und hier müssen wir jetzt diese Schrauben die da drin waren, waren auch beschichtet mit dem Polymer, ein Teil eben nicht, so dass man auch noch mal unterscheiden kann inwieweit die Stangen in de Knochen einwachsen oder auch nicht.
Also der ganz große Vorteil dieser Beschichtung, den ich darin sehe, ist die Oberflächenstruktur der Prothesen selbst, die ist ja lange erforscht, lange optimiert und ich denke da sind wir auch in einer Phase, wo man sagen kann, man hat sehr sehr gute reine Oberflächenstrukturen, beispielsweise aus Titan, mit der Porosität und dergleichen gefunden und das ist der große Vorteil dieser Beschichtung: ich zerstöre nicht die Oberflächenstruktur des Implantates durch meine Beschichtung. Die Beschichtung ist so dünn, dass sie sich sozusagen lackförmig auf dieser Struktur anlagert und ich damit die Oberflächeneigenschaften die gut etablierten Oberflächeneigenschaften dieser Implantate nicht verändert werden.
Bis Hüft-Implantate für Menschen mit Polylactid beschichtet werden, wird es wohl noch einige Zeit dauern. Für die Behandlung von offenen Knochenbrüchen werden die Schrauben bereits im Herbst in der Klinik eingesetzt werden. Zur Vermeidung von Entzündungen sind die Fixierschrauben zusätzlich mit Antibiotika beschichtet.
In der Lausitz liegt Nummer vier inzwischen in der Narkose. Die Ärzte haben das Tier, das so groß ist wie ein Rottweiler, auf den Behandlungstisch gelegt und drehen die Deckschrauben aus den Kieferimplantaten.
Die Zahnärzte messen mit der Resonanzfrequenzmethode wie fest das Implantat ist. Dazu wird das Implantat mittels Schallwellen in Schwingungen versetzt. Je stärker es schwingt, desto lockerer ist es. Die ganze Prozedur ist nicht schmerzhaft und wird auch bei Menschen in der Zahnarztpraxis gemacht. Aber ein Schwein lässt sich nicht so ohne weiteres ins Maul fassen - daher die Vollnarkose. Pilling:
Kommt vor, dass so ein Implantat auch mal gelockert ist. Deshalb haben wir eine relativ umfangreiche Studie mit zwölf Tieren und je sechs Implantaten, so dass man dann daraus beurteilen kann, war das jetzt ein Problem bei dem einzelnen Tier oder war das generell ein Problem bei der bestimmten Beschichtungsform, wenn sich das bei den anderen Tieren genauso darstellt, dass das das lockere Implantat immer ist. Das wird sich dann hinterher in der Auswertung zeigen.
Die Oberfläche der Implantate haben die Dresdner Forscher mit verschiedenen Wachstumsfaktoren beschichtet. Einige sollen die Bildung von Gewebe fördern, andere das Knochenwachstum anregen. Jedes der sechs Implantate im Maul von Nummer 4 ist anders. Und jedes Tier hat alle Beschichtungen an unterschiedlichen Positionen. Das ist wichtig für die statistische Auswertung des Versuchs.
Die Zahnimplantate im Kiefer von Versuchsschwein Nummer vier sind eine Entwicklung der sächsischen Werkstoffforscher. Wie die Berliner arbeiten sie zwar auch mit Wachstumsfaktoren auf Titanimplantaten, aber einer völlig anderen Basisschicht. Sie nutzen den zweiten Grundbestandteil des Knochens: Lange, Fasern aus Protein, das Kollagen. So nah wie möglich an der Natur bleiben, ist das Motto von Dieter Scharnweber:
Wobei diese Reduktion von Knochen auf Kollagen und Hydroxylapatit natürlich sehr stark abstrahiert. Wir haben im Knochen als Funktion der Zeit zum Beispiel während der Heilung noch eine Reihe anderer Komponenten, die sich in temporären Mustern dort ausbilden. Wir haben aber auch generell eine ganze Anzahl anderer Komponenten, die mit im Knochen drinnen liegen, die ganz wichtig sind, um Zellen gezielt anzusprechen, um Zellen bestimmte Signale zu vermitteln.
Das Anliegen der Forscher ist, dem Körper vorzugaukeln, dass nicht etwa ein 15 Zentimeter langer Implantatschaft im Oberschenkelknochen steckt, sondern dass der Knochen lediglich gebrochen ist und nur heilen muss.
Dazu geben sie den langen Eiweißsträngen des Kollagens in einem wohltemperierten Säurebad die Gelegenheit, sich zu feinen hohlen Fasern zu verdrillen. Diese Fasern verankern sie in der Titanoberfläche. Einfach indem sie in einem Elektrobad langsam Titan in Titanoxid umwandeln. In den Hohlräumen des Metalloxides bleiben die Fasern hängen und sind fixiert. Dann mineralisieren sie noch die Keramikkomponente, das Hydroxylapatit in die feinen Kollagenröhrchen hinein und fertig ist die Mogelpackung. Scharnweber:
Auf jeden Fall braucht man erst einmal eine Art Grundsubstanz, die biologisch in diesem Gewebe vorkommen sollte und an der man dann weiter aufbauen kann. So geht das auch in der Entwicklung eines Organismus. Es geht mit einigen wenigen Komponenten los, wenn sich ein Fötus bildet und die extrazelluläre Matrix wird sowohl in ihrer Zusammensetzung als auch in ihrer Struktur immer komplizierter mit der Entwicklung. Das versuchen wir ein stückweit nachzuahmen.
Die nächste Stufe ist dann das Verankern der Wachstumsfaktoren in der Implantatoberfläche. Die Anker bauen die Dresdner gleich in die Kollagenfasern ein. Sie rollen sich automatisch mit ein, wenn das Kollagen sich zu den hohlen Fasern zusammenrollt. Übersteht das Verfahren die klinischen Tests, würden die Wachstumsfaktoren allerdings erst im Operationssaal auf das Implantat aufgetragen werden, denn die empfindlichen Eiweißmoleküle können nicht sterilisiert werden.
Unsere Zellbiologischen Untersuchungen mit zwei Wachstumsfaktoren zeigen, dass es sehr wichtig ist zu welcher Zeit Zellen mit welchen Wachstumsfaktoren in Kontakt kommen. Für das gesamte Verhalten der Zellen. Und das ist eine Richtung die wir weiter gehen wollen. Das wir also Schichten entwickeln wollen, in denen wir zwar zwei oder vielleicht auch mal mehrere Wachstumsfaktoren drin haben und die Schichten so gestaltet sind, dass die Wachstumsfaktoren in einem zeitlichen Regime freigesetzt werden. Uns also weiter den in vivo Bedingungen anzunähern, zeitliche Muster der Freisetzung und damit des Kontaktes der Zellen mit Wachstumsfaktoren aus diesen Schichten heraus zu entwickeln.
Das Schwein in der Lausitz schläft immer noch tief. Die Untersuchung des linken Unterkiefers ist abgeschlossen. Die Platten sind wieder aufgeschraubt und jetzt ist die rechte Seite dran. Pilling:
Jetzt kommt das schwierigste an der ganzen Operation: das Schwein zu drehen auf dem OP-Tisch.
Aber zu zweit lässt sich das schlafende 50 Kilo Tier sanft auf die andere Seite kugeln. In dieser Seite des Unterkiefers steckt ein Implantat, das die sächsischen Forscher für Wissenschaftler aus München untersuchen. Die Dresdner haben zwar die Beschichtung ausgetüftelt, aber das zentrale Molekül, das die knochenaufbauenden Osteoblasten anlocken soll, stammt aus den Laboren von Professor Horst Kessler, Leiter des Institutes für Organische Chemie und Biochemie der Technischen Universität München.
Auch die Chemiker in München haben das gleiche Ziel wie die Oberflächenforscher aus Berlin und Dresden: Sie wollen den knochenbildenden Zellen nicht nur eine passive Oberfläche wie Hydroxylapatit bieten, sondern das Signal geben: Kommt hier her! Besiedelt das Implantat.
Dabei gehen die Münchner Forscher einen recht minimalistischen Weg: Sie haben ein Molekül aus fünf Aminosäuren - also Eiweißbestandteilen - entwickelt, an denen Zellen besonders gerne haften. Der Chemiker Ulrich Herzel baut die Moleküle in seinem Labor zusammen. Herzel:
Unsere Moleküle sind Peptide. Das heißt, sie bestehen aus mehreren Aminosäuren. In unserem Fall ist es wichtig, dass man die Aminosäuresequenz RGD drin hat. Das ist Arginin, Glycin und Asparaginsäure. Unser Peptid besteht insgesamt aus fünf Aminosäuren, das ist ein kleiner Zyklus. Dieser kleine Zyklus ist stabil.
In der Natur kommt dieser Zyklus, also ein ringförmiges Molekül, nicht vor. Auch wenn es aus Bausteinen besteht, die die Natur verwendet. Aber dennoch funktioniert es. Fängermoleküle auf der Oberfläche der knochenbildenden Zellen - so genannte Integrine - erkennen den Ring und docken an. Kessler:
Da binden die Osteoblasten mit den Integrinen. Also die Integrine sind Oberflächenrezeptoren auf den Zellen die ganz spezifisch diese Sequenz erkennen. Und wenn die sie erkennen, dann fühlt sich die Zelle wohl, sie wird breit, breitet sich flächenartig aus auf der Oberfläche und haftet dann letztendlich und dann fühlt sich die Zelle wohl und vermehrt sich auch und kann dann letztlich eine völlig abdeckende Schicht bilden.
Ist erst eine dichte Schicht aus Zellen entstanden, hat der Knochen keinen Kontakt mehr zum Implantat. Er nimmt nur noch die Schicht aus gesunden und aktiven Osteoblasten auf dem Ersatzteil war. Und genau an die baut er an. Und bewirkt damit, dass Implante, die mit den kleinen Ringmolekülen beschichtet sind, etwa doppelt so schnell einwachsen. Kessler:
Worauf es ankommt ist natürlich, dieses Peptid im richtigen Abstand anzubieten. Wenn das zu dicht auf der Oberfläche sitzt, dann wird es nicht erkannt. Weil die Integrine müssen das Peptid ja umhüllen und einigermaßen damit interagieren.
Also bauen die Münchner eine Molekülkette als Anker an eine der fünf Aminosäuren in diesen Ring. Für die sichere Verankerung in der Titanoberfläche sorgen die Dresdener Werkstoffwissenschaftler mit ihrer Elektrolysetechnik. Dieter Scharnweber baut die Anker ähnlich in die Titanoberfläche ein, wie seine Kollagenfasern. Scharnweber:
Dort beschränken wir uns auf die ganz simple Nutzung einer ganz kurzen Peptidsequenz, eines synthetisch herstellbaren Moleküls. Eines bifunktionellen Moleküls, das einen Kopf hat, der spezifische Wirkung auf Zellen ausübt und eine Ankergruppe aufweist, die zur Fixierung auf irgendwelchen Substraten nützlich ist. Und der betreffenden Ankergruppe von der wir gesprochen haben, gelingt es eine Adsorption auf Titanoberflächen auszuüben und dann im Prozess der anodischen Verdickung der Oxidschicht diese Ankergruppe einzubauen und das Molekül zu fixieren. Dort sind wir ganz entscheidend darauf angewiesen, dass wir im Subnanobereich steuern können, weil das Molekül ist nur wenige Nanometer lang.
Nummer vier hat die Kontrolle der Implantate inzwischen hinter sich. Die Ärzte haben das Schwein in den Aufwachraum - eine umfunktionierte Pferdebox mit dicker Stroheinstreu - getragen. Die Narkose wird etwa noch einen Dreiviertelstunde wirken. Und wieder wird sie hinter das Ohr gestochen. Pilling:
Das ist ein Farbstoff, der ihr über eine Kurzinfusion gegeben wird. Den Ersten haben die Tiere schon bekommen, das ist jetzt der Zweite und dann kommt noch ein Dritter und ein Vierter. Das wird so in einem wöchentlichen Abstand gemacht. Um einfach zu sehen, was pro Woche an Knochen dazukommt.
Der Farbstoff lagert sich in dem frisch gebildeten Knochengewebe ab und leuchtet unter einem Floureszenzmikroskop. So werden die einzelnen Farbstoffgaben sichtbar und die Wissenschaftler können beurteilen, wann sich welche Knochenschicht gebildet hat, ob sie vom Knochen aus gewachsen ist, oder vom Implantat. Pilling:
Bei allen bisherigen Implantaten, die halt keine Wachstumsfaktoren beschichtet hatten, war zu erwarten, dass die Knochenregeneration nur von dem umgebenden Knochen ausgeht und bei denen, die wir jetzt hier untersuchen erhoffen wir uns, das auch eine Knochenneubildung an den Defektzonen von den Implantatoberflächen ausgeht. Das ist innovativ, würde ich mal sagen.
In Dresden versuchen Forscher den natürlichen Knochen möglichst genau zu kopieren; an der Berliner Charite beschichten sie mit einem Polymer aus einem Biomolekül und in München arbeiten Forscher an einer Molekül-Attrappe, die die Knochenzellen anlocken soll. Eine ganz andere Idee verfolgt Professor Rainer Telle vom Institut für Gesteinshüttenkunde der Technischen Universität Aachen. Er setzt nicht auf spezielle Beschichtungen für Stahl- oder Titanimplantate, sondern arbeitet an kompakten Ersatzteilen aus Keramik. Am liebsten würde er dazu die körpereigene Keramik - das Hydroxylapatit - verwenden, aber solche Implantate sind viel zu zerbrechlich.
Appatit ist nämlich ein elend sprödes Material. Viel, viel spröder als Keramik eigentlich und viel, viel spröder auch als Glas. Glas gilt ja als perfekt spröde. Und wir haben im Labor sehr viel Schwierigkeiten überhaupt dieses Material so herzustellen, dass man es präparieren kann. Der Organismus ist da clever. Der hat das gleiche Problem natürlich, nur werden diese Faserstränge beim Wachstum des Knochens zopfartig verflochten.
Im Knochen ist das Hydroxylapatit in die verwobenen flexiblen Kollagenfasern eingebaut. Die Aachener weichen deshalb auf Aluminiumoxid aus. Aus diesem Material lassen sich harte und stabile Keramiken herstellen, aus denen normalerweise Kolben und Lager für Maschinen oder auch Laborgeräte gefertigt werden. Um aus der Industriekeramik einen Kunstknochen herzustellen wendet Rainer Telle einen raffinierten Kniff an, denn die reine Keramik, wie sie aus dem Ofen kommt, wird vom Körper abgestoßen. Um das Implantat herum bildet sich weiches Bindegewebe und kapselt so den Fremdkörper ab. Der Knochen ignoriert regelrecht das Implantat. Pelle:
Die Idee ist einfach so zu tun, als sei die Oxidkeramik, also Aluminiumoxid eigentlich ein Appatit. Der Trick an diesem Verfahren bestand darin, herauszufinden, welchen Bestandteil die Zellen eigentlich als körpereigenes Material anerkennen. Und wir kamen auf die Idee, dass es eigentlich die OH-Gruppe sein könnte und es ist nun nichts leichter, als OH-Gruppen auf eine Oxidkeramik zu bringen. Das lernt man im Prinzip im Abitur in einem Chemiekurs und man kann nun mit unserer Technik jede Keramik und das ist wichtig: jede Keramik, ja, bioaktivieren.
Durch Kochen des Aluminiumoxides in einer starken Lauge bilden sich auf der Oberfläche Wasserreste, die der Knochen als Marker für seinesgleichen verwendet. Das Rezept für die körpereigene Keramik scheint einfach: Ersatzteil für die Hüfte backen, in Natronlauge kochen und fertig ist das Biomaterial. Oder so ähnlich. Telle:
Bitte erlauben sie, dass, weil es so einfach ist, ein kleines Geheimnis um diese Sache bleibt. Wir möchten natürlich nach wie vor auch an diesem Verfahren weiterarbeiten und noch zahlende Kunden haben.
Geheimnis hin oder her. Es scheint zu funktionieren. Dr. Christopher Niedhart, Orthopäde am Klinikum Aachen, testet die Keramik in Zellkulturen aus menschlichen Knochenzellen. Niedhart:
Wir haben festgestellt, das vor allem die Zellabsiedelung, das heißt, die Anheftrate der Zellen durch diese veränderte Oberfläche deutlich beeinflusst wird. Und zwar zum Positiven hin. Es heften 20 Prozent mehr Zellen an und damit sind natürlich 20 Prozent mehr Zellen auch in der Lage entsprechend sich zu verdoppeln und sich entsprechend weiter zu differenzieren. Das heißt, es kommt schneller zu mehr Gewebe.
Die Zellen fühlen sich sogar wohler als auf Hydroxylapatit. Das ist so vielversprechend, dass die Aachener in Kürze Tierversuche starten werden. Sie wollen dann bei Schafen Keramik-Stifte in die Knochen implantieren.
Nun haben Gelenke aus Keramik eine lange und leider unbefriedigende Geschichte in der Implantatmedizin hinter sich. Ein Schaft aus so einem harten Stoff in einem weichen Knochen - da ist der Bruch oder das Ausschlagen der Verankerung vorprogrammiert. Telle:
Sie sehen, dass wir im Grunde immer einem Dilemma ausweichen müssen. Auf der einen Seite wollen wir hochfeste, hochbelastbare Keramik, andererseits müssen wir sie einbetten in eine Umgebung mit einem sehr weichen kontinuierlichen Übergang. Auf der anderen Seite wollen wir Bioaktivität erzeugen, wir wollen, dass das Material vom Körper umgelagert wird, aber gerade diese Materialien sind mechanisch so schwach, dass wir sie nicht einsetzen können. Wir müssen immer eine Gradwanderung betreiben. Niedhart:
Das ist weiterhin ein Manko und das wird natürlich unser Verfahren auch nicht verändern. Die Keramik hat den entscheidenden Vorteil, dass das Abriebverhalten deutlich verbessert ist, gegenüber allen anderen Materialien. Es hat den Nachteil, dass es Es ist nicht die Oberfläche alleine. Das heißt, wenn wir von keramischen Komponenten reden, heißt das immer auch, dass wir nicht über die klassische Hüftprothese reden.
Er denkt eher an Implantate für die Wirbelsäule oder die Gleitfläche von Ersatzkniegelenken. Der Trend geht immer mehr zu kleinen Implantaten und je kleiner der Anker im Knochen, desto besser stehen die Chancen für ein festes Keramikimplantat. Niedhart
Und auch für die Hüftprothese ist es interessant, weil man mit diesem Verfahren jetzt plötzlich über eine nicht zementierte keramische Pfanne nachdenken kann. Und das ist dann ein sehr elegantes Verfahren.
In der Lausitz ist Nummer vier inzwischen wieder wach und läuft zwischen den anderen Schweinen auf dem Hof herum. Die anderen Zehn aus der Versuchsreihe schlafen noch oder warten auf die Behandlung. Sie werden nicht mehr lange leben, denn am Ende der Versuchsreihe reicht es nicht mehr, die Festigkeit der Implantate lediglich mit Schallwellen zu testen. Dazu muss dann der gesamte Unterkieferblock geöffnet werden. Nur eine Sau von den ursprünglich zwölf Tieren haben die Wissenschaftler aus dem weiteren Programm ausgeschlossen: Pilling:
Das ist ein Tier aus unserer Versuchsserie, das haben wir jetzt raus genommen, weil sie Junge gekriegt hat. Und so sind wir dann auch nicht, dass wir nicht ein bissel flexibel sind, wenn so etwas passiert.