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NRW-Finanzminister Walter-Borjans
"Schieflage im Länderfinanzausgleich"

Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat ihre Forderung nach einer Neuregelung des Umsatzsteuer- und Länderfinanzausgleichs bekräftigt. NRW verzichte jedes Jahr auf mehr als 1,5 Milliarden Euro, sagte Finanzminister Norbert Walter-Borjans im DLF.

Norbert Walter-Borjans im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
    Mann am Rednerpult
    Der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) spricht am 10.09.2014 im Landtag in Düsseldorf (dpa/picture-alliance/Federico Gambarini)
    Der "Systemfehler" liege darin, dass man die Umsatzsteuer anders bewerte als andere Steuern, sagte Walter-Borjans (SPD) im Deutschlandfunk. Stattdessen müsse die Umsatzsteuer wie alle anderen Steuerarten in den Finanzausgleich einbezogen werden.
    Nordrhein-Westfalen stehe "immer als Nehmerland am Pranger", weil der Umsatzsteuerfinanzausgleich über rund elf Milliarden Euro nicht als Länderfinanzausgleich wahrgenommen werde. Dabei erhalte NRW dadurch jedes Jahr netto weit mehr als 1,5 Milliarden Euro weniger als die anderen Länder.
    Weil der Solidarpakt II und der geltende Länderfinanzausgleich 2019 auslaufen, müssen die Staatsfinanzen neu geordnet werden. Walter-Borjans leitet gemeinsam mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) die Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die Anfang September die Verhandlungen aufgenommen hat. Die ostdeutschen Bundesländer fürchten Einbußen bei der laufenden Reform. In einem in dieser Woche veröffentlichten Papier warnten sie vor "Brüchen und Rückschlägen" im wirtschaftlichen Aufholprozess.
    Walter-Borjans betonte im Deutschlandfunk, Nordrhein-Westfalen werde weiterhin zu den Geberländern gehören, allerdings müsse man weniger abgeben, um auch in Strukturwandel und Infrastruktur investieren zu können.

    Das Interview in voller Länge:
    Jürgen Zurheide: Zwischen den Bundesländern wird in diesen Tagen heftig gerangelt, vor allen Dingen hinter den Kulissen, da dringt nicht so ganz viel nach außen. Worum geht es? Es geht um viel Geld, um den Länderfinanzausgleich. Da wurden im vergangenen Jahr 8,4 Milliarden umverteilt. Die Bayern, die Hessen, sie klagen dagegen, weil sie überwiegend zahlen, und sagen, wir zahlen zu viel. Allerdings ist das nur ein Teil des Problems. Denn auf der anderen Seite gibt es einen anderen Ausgleichsmechanismus bei der Umsatzsteuer, der ist deutlich höher als der, über den wir da gerade geredet haben. Das alles wollen wir jetzt besprechen mit dem Finanzminister von Nordrhein-Westfalen, den ich zunächst einmal am Telefon begrüße. Norbert Walter-Borjans, guten Morgen!
    Norbert Walter-Borjans: Guten Morgen, Herr Zurheide!
    Ungerechte Verteilung
    Zurheide: Herr Walter-Borjans, Sie haben als Nordrhein-Westfalen ganz laut geklagt, unter der Überschrift, wir wollen jetzt weniger an andere zahlen, um damit auch den eigenen Haushalt auszugleichen. Jetzt erst mal die erste Frage: Fehlt Ihnen selbst der Sparwille, dass Sie sich das jetzt woanders holen müssen?
    Walter-Borjans: Nein, überhaupt nicht. Wir müssen weiter jede Ausgabe daraufhin überprüfen, ob sie nötig ist. Aber ich würde gern mal in Erinnerung rufen, dass Sie Ihre Frage an den Finanzminister des Landes richten, das die niedrigsten Pro-Kopf-Ausgaben aller 16 Bundesländer hat. Im Durchschnitt geben allein die westlichen Flächenländer 300 Euro pro Kopf mehr aus als Nordrhein-Westfalen. Natürlich muss man immer weiter gucken, wo man sparen kann, nur mittlerweile, glaube ich, merken die Menschen ja auch, was es heißt, wenn Ausgaben, wenn Geld an bestimmten Stellen fehlt. Ich erinnere nur an die Infrastruktur. Man kann nicht nur durch weiteres Kürzen etwas ausgleichen, was in der Verteilung unter den Ländern nicht gerecht verteilt ist.
    Zurheide: Jetzt kommen wir dann auf den Finanzausgleich, haken wir das Erste mal ab! Also, ich habe gerade gesagt, acht Komma soundso viel Milliarden im direkten Finanzausgleich, dann gibt es noch einen Umsatzsteuerfinanzausgleich über elf Milliarden. Über den wird eigentlich im Moment weniger geredet. Gibt es da nicht auch einen Systemfehler?
    Walter-Borjans: Ja, über den wird eigentlich nie geredet, deswegen steht Nordrhein-Westfalen ja immer am Pranger als Nehmerland, weil dieser erste große Teil der Umverteilung praktisch als Länderfinanzausgleich gar nicht wahrgenommen wird. Da zahlt Nordrhein-Westfalen, oder da verzichtet Nordrhein-Westfalen auf Umsatzsteueranteile von rund zweieinhalb Milliarden Euro jedes Jahr. Wir bekommen dann auf der anderen Seite 700, 800 Millionen zurück, also, netto gehen jedes Jahr weit mehr als anderthalb Milliarden an die anderen, um eben ihren Um- und Aufbau zu unterstützen. Und Systemfehler deshalb, weil wir das ja alles tun, um die Lebensverhältnisse in Deutschland anzugleichen. Das bleibt auch richtig, das müssen wir auch weiter tun und da ist Nordrhein-Westfalen auch ein Stück stärker als manch anderes Land. Nur, wenn die Verhältnisse nicht angeglichen, sondern umgekehrt werden, dann ist da eine Schieflage, da kann es nicht sein, dass wir Schulden aufnehmen, damit andere sie nicht aufnehmen müssen.
    Umteilteilungseffekt
    Zurheide: Das müssen Sie erklären!
    Walter-Borjans: Das liegt zum Beispiel daran, dass wir ... Die Umsatzsteuer wird in Deutschland nicht danach verteilt, wo sie eigentlich herkommt, also entsprechend der Kaufkraft in den Ländern, sondern sie wird nach Einwohnern gleichmäßig auf alle Länder verteilt. Das ist schon mal ein erster Umverteilungseffekt für die, die weniger Kaufkraft haben. Wenn dann aber am Ende noch mal eine Umverteilung von den Finanzstärkeren zu den Finanzschwächeren läuft mit dem Ergebnis, dass am Ende pro Kopf etwa in Sachsen jeder Einwohner ... oder das Land für jeden Einwohner 1.600 Euro Umsatzsteuer erhält und Nordrhein-Westfalen 955, während der Ausgangswert viel höher war, der war auch in Nordrhein-Westfalen stärker, dann ist das eben nicht diese Angleichung, dieser Ausgleich der Lebensverhältnisse, sondern dann stellt es die auf den Kopf. Und das fehlt natürlich irgendwann in Schulen, an Straßen in Nordrhein-Westfalen, im Westen Deutschlands, in anderen Ländern auch, das Saarland, Bremen, auch Teile Bayerns sogar haben ja dasselbe Problem. Und dann noch mal, es geht nicht darum, die Solidarität zu verweigern, sondern es geht darum sich anzugucken: Ist das möglicherweise eine Übersteuerung, die am Ende nicht eben ausgleicht, sondern umkehrt?
    Walter-Borjans benennt Systemfehler
    Zurheide: Wo liegt denn da der Systemfehler?
    Walter-Borjans: Der Systemfehler liegt darin, dass man überhaupt die Umsatzsteuer einzeln anders bewertet als alle anderen Steuern. Ich bin der Auffassung, dass man die Steuerkraft der Länder über alle Steuern gemeinsam sich angucken muss und dann eben, wer ist stärker, wer ist schwächer. Und dann hat der Stärkere abzugeben und der Schwächere ein Stück aufgefüllt zu werden. Das wird auch nicht 2020 enden. Wir wissen alle, dass im Osten Deutschlands noch eine Menge Nachholbedarf ist. Und dann wird sich im Übrigen zeigen, dass Nordrhein-Westfalen weiter zu den Geberländern gehören wird. Wir werden nicht etwa am Ende uns dem entziehen können und auch nicht wollen, aber es wird ein Stück weniger sein, weil wir auch ein Stück mehr in den Strukturwandel und in die marode Infrastruktur des eigenen Landes investieren müssen.
    Zurheide: Also, ich halte fest: Sie sagen, ja, wir sind weiter solidarisch, aber wir können nicht überkompensieren. Wer schafft denn das jetzt politisch, den Finanzausgleich, den Umsatzsteuerfinanzausgleich - und man könnte noch andere Dinge hinzufügen wie die erneuerbaren Energien, da gibt es ja auch Verteilungseffekte zwischen den Bundesländer -, das eigentlich alles mal im Zusammenhang zu sehen? Hat die Politik die Kraft dazu?
    Walter-Borjans: Erstens machen wir das ja gerade, wir stellen gerade in der Runde der Finanzminister - aber als letztendliches Entscheidungsgremium natürlich die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten, denn wir reden hier über eine Größenordnung, die muss am Ende von den Regierungschefs entschieden werden -, wir stellen das zusammen. Wir reden eben über diese Teile des Finanzausgleichs, wir reden aber auch über das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, also die kommunale Infrastruktur, wir reden über die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, wir reden über die Kosten der Unterkunft für Hartz-IV-Empfänger, das sind alles riesige Milliardenbeträge, die ja letztendlich durch ihre ungleiche Verteilung in der Bundesrepublik auch Effekte auslösen. Das ist eine Riesenaufgabe. Und ich sage dazu immer, so was ist keine Mathematikaufgabe, da kommt nicht hinten ein Ergebnis heraus, sondern da geht es um existenzielle Fragen jedes einzelnen Bundeslandes. Und da wird mit Sicherheit hart gerungen. Und da wird man, wenn man vor fünf vor zwölf zum Ergebnis kommt, sich fragen müssen, wo man vielleicht zu früh auf die eigenen Interessen auch verzichtet hat.
    Abschläge bei der Einkommenssteuer
    Zurheide: Jetzt gibt es noch einen anderen Vorschlag, dazu hätte ich gern eine kurze Einschätzung: Die Bayern zum Beispiel haben gesagt, machen wir doch Zu- und Abschläge bei der Einkommenssteuer in den verschiedenen Ländern. Was halten Sie davon?
    Walter-Borjans: Das hört sich immer gut an, das ist aber am Ende genau das Gegenteil dessen, was wir mit dem Finanzausgleich bewirken wollen. Denn was muss dann passieren? Dann müssten die Länder, die am wenigsten Finanzkraft haben - also, ich nenne jetzt noch mal die ostdeutschen Länder -, die müssten dann auf ihre Einkommenssteuer Zuschläge erheben, damit sie mehr bekommen. Und Länder, die hohe Einkommenssteuern erzielen wie Bayern, die könnten sich Abschläge leisten. Was würde das bedeuten? Also, entweder müssten die finanzschwächeren Länder in einen ruinösen Wettbewerb eintreten und sagen, wir müssen dann auch senken und haben dann die Mittel nicht, den Aufbau zu finanzieren, oder sie riskieren Abwanderung derer, die einkommensstärker sind. Und das ist ja nicht das, was das Grundgesetz uns auferlegt, nämlich dafür zu sorgen, dass wir die Lebensverhältnisse in Deutschland angleichen. Übrigens eine Geschichte, die ich immer noch für einen riesigen Vorteil gegenüber Ländern in Europa und anderswo halte, die eben eine starke Hauptstadt haben und ein Land, das dann am Tropf dieses einzigen Finanzzentrums hängt. Wir sind mit dieser dezentralen Struktur, glaube ich, in den letzten Jahrzehnten, wenn nicht sogar Jahrhunderten, hervorragend gefahren.
    Zurheide: Es gibt Schwierigkeiten beim Länderfinanzausgleich, die sind einigermaßen kompliziert, es gibt auch Systemfehler, sie hat uns Norbert Walter-Borjans erklärt, der nordrhein-westfälische Finanzminister. Ich bedanke mich bei Ihnen für das Gespräch, danke schön und auf Wiederhören!
    Walter-Borjans: Ebenfalls!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.