Der CDU-Gesundheitsminister in Nordrhein-Westfalen ist zufrieden mit dem Umgang der Corona-Pandemie und der aktuellen Situation in NRW. Dennoch könne man nicht mehr von einer "landesweiten Lage" sprechen, sagte Karl-Josef Laumann im Deutschlandfunk. Man müsse täglich nach Auffälligkeiten und sprunghaften Infektionsanstiegen auf regionaler Ebene schauen, um das Überspringen in andere Teile der Bevölkerung zu verhindern. Das sei im Fall Tönnies gut gelungen.
Zwar sei die Zahl der Infizierten im Kreis Gütersloh auch ohne Tönnies-Bezug höher als in anderen Kreisen - das führte Laumann aber auf die hohe Zahl der Tests zurück. "Wir haben fast 40.000 Leute getestet. Wenn man egal wo in Deutschland 10.000 Leute testet, wird man im einstelligen oder niedrigen zweistelligen Bereich Infizierte finden, unabhängig vom Ort."
Der NRW-Gesundheitsminister betonte jedoch, dass er nichts davon halte, ohne Anlass flächendeckend zu testen und schickte damit einen Seitenhieb in Richtung Bayern. "Seit dem 25. Februar bin ich sehr gut damit gefahren, dass ich nicht politisch getestet habe, sondern mich in NRW an den Richtlinien des RKI orientiert habe. Die bayerische Teststrategie ist vom RKI nicht gedenkt."
Auch andere Branchen als die Fleischindustrie überprüfen
Die Situation in der Fleischindustrie verurteilte der Gesundheitsminister: Laumann hofft, dass die geplanten Gesetzesänderungen nach der Sommerpause verabschiedet und zum 1. Januar "in voller Schärfe" in Kraft treten. "Es muss jetzt anders werden, man darf nicht mehr weggucken." Das Infektionsschutzgesetz habe ihm erstmals die Möglichkeit gegeben, Sammelunterkünfte überprüfen zu lassen. Man müsse sich auch zukünftig die Frage stellen, "wie ist die Arbeit und wie sind die Wohnverhältnisse organisiert? Da werden wir uns auch andere Branchen angucken müssen."
"Große Disziplin in der Bevölkerung"
Laumann rechnet mit einer höheren Infektionsrate nach den Sommerferien und den damit verbundenen Reisebewegungen der Menschen auch über Deutschland hinaus. "Die Frage ist, ist das im beherrschbaren Bereich?" Laumann verwies auf die vielen Demonstrationen im Zuge der Black-Lives-Matter-Bewegung in Großstädten Deutschlands. Dort waren im Anschluss keine höheren Infektionszahlen beobachtet worden.
Insgesamt zeigte sich Laumann zufrieden mit dem Verhalten in der Bevölkerung. "Ich glaube schon, dass es mit der großen Disziplin zu tun hat, dass wir so gut durch die Pandemie gekommen sind."
Laumann, der auch NRW-Arbeitsminister ist, hofft darauf, dass die staatlichen Programme den Markt stabilisieren und die Wirtschaft ankurbeln. "Denn wir haben gewaltige Kurzarbeiterzahlen und müssen sehen, dass wir die Wirtschaft so ankurbeln, dass daraus nicht Arbeitslosigkeit wird."
Das Interview im Wortlaut:
Küpper: Es sind anstrengende Tage, Wochen und Monate für alle Menschen in Deutschland aktuell, die Corona-Pandemie fordert vielen viel ab, auch und gerade vielen Politikerinnen und Politikern, erst recht wenn sie mit dem Schutz der Gesundheit betraut sind und erst recht in einem großen Bundesland, im bevölkerungsreichsten Bundesland Deutschlands, in Nordrhein-Westfalen. Von daher vielen Dank, Karl-Josef Laumann, dass Sie bereit sind, an diesem Sonntagvormittag mit uns hier live in Münster zu sprechen. Zu Beginn und nach gut vier Monaten akuter Corona-Krise in Deutschland, welche Routinen entwickelt eigentlich ein Gesundheitsminister? Welche Zahlen schauen sie sich morgens als Erstes an?
Laumann: Ja gut, man schaut sich natürlich als Erstes die Zahlen an, hat es eine Zunahme der Infizierten in Nordrhein-Westfalen gegeben. Wir kriegen jeden Tag um 14 Uhr die Zahlen aus den 44 Kreisen und kreisfreien Städten in Nordrhein-Westfalen. Da guckt man natürlich genau hin, gibt es Auffälligkeiten. Wir gucken sehr regional. Das hat auch mit der Evidenz 50 bei 100.000 Einwohnern über sieben Tage zu tun. Es kommt ja darauf an, dass man nicht erst dann eingreift, wenn es auf die 50 zugeht, sondern dass man schon bei 10, 15, 20, wenn man einmal Infizierte, wenn man sieht, dass in einem Kreis die Zahlen einfach sprunghaft, da meine ich dann schon 15 bis 20 Neuinfizierte mit, mal hat. Da lässt man schon mal nachfragen, was ist das, kann man sich das erklären.
"Es gibt jetzt keine landesweite Lage mehr"
Also, wir haben schon auch im Ministerium natürlich eine Routine entwickelt, die Zahlen sehr im Auge zu behalten, weil es jetzt einfach keine landesweite Lage mehr gibt, sondern es geht jetzt sehr darum, regionale Ereignisse früh zu erkennen und dass wir dann Quarantäne machen, um dieses Ereignis auch breit angelegt testen, um das Überspringen in andere Teile der Bewohnerschaft zu verhindern und das ist uns, finde ich, sehr gut gelungen. Selbst bei der Massengeschichte Gütersloh und Fleischfabrik Tönnies ist es uns ja augenscheinlich und sicher gelungen, dass es sich auf die Schlachthof-Mitarbeiter konzentriert hat und nicht übergesprungen ist. Also, da sind wir, glaube ich, heute relativ gut aufgestellt.
Küpper: Sie ist schon mittendrin, haben schon viele Schlagworte genannt, über die wir heute Morgen sprechen wollen, aber vorab noch mal ein kurzer Blick von oben drauf. Sie sind Jahrzehnten Politiker, Bundestagsabgeordneter, Landtagsabgeordneter, waren Patientenbeauftragter der Bundesregierung, mehrfach Landesminister. Hatten Sie eigentlich je mehr Macht oder auch mehr Verantwortung als in dieser Krise jetzt?
Laumann: Nein, also, man muss ganz klar sagen, das ist jetzt schon eine Ausnahmesituation, denn alle Erlasse, die gemacht worden sind, fußen ja auf dem Infektionsschutzgesetz und, ich sage mal, Sie haben alle die Unterschrift, in jedem Bundesland, des Landesgesundheitsministers. Also, Sie sehen ja, was man mit so einem Infektionsschutzgesetz machen kann.
Küpper: Sie bestimmen das öffentliche Leben.
Laumann: Wir bestimmen das öffentliche Leben, natürlich wird das auch im Kabinett besprochen und auch unter den Ressorts abgeglichen, sodass man die Verantwortung zumindest politisch verteilt, aber es ist am Ende nichts möglich ohne die Unterschrift des Gesundheitsministers.
Küpper: Wie sehr spüren Sie diese Verantwortung?
Laumann: Also, es ist so, bei all dem, was wir gemacht haben, ist mir am schwersten gefallen, die Unterschrift unter die Verfügung, dass wir die Besuche in den Altenheimen untersagt haben.
Küpper: Warum?
Laumann: Ja, ganz einfach, wenn man alte Menschen, die auch keine lange Lebenserwartung mehr haben, die durchschnittliche Lebenserwartung in einem Altenheim ist sechs Monate, wenn man da sagt, ihr dürft die nicht mehr besuchen, ich meine, man muss ja sehen, was man da gemacht hat. Man verbietet Kindern, ihre Mutter zu besuchen. Man verbietet der Mutter, Kontakt mit ihren Kindern zu haben. Ehepaare, die 50, 60 Jahre verheiratet sind, trennt man voneinander, dadurch, dass der eine Partner, der vielleicht noch nicht im Heim ist, den anderen nicht mehr besuchen kann, und ich sage Ihnen auch, in der ganzen Pandemie, die vielen Briefe, die wir bekommen haben, es hat nirgendwo so viel, finde ich, herzzerreißende Briefe gegeben an den Minister, an das Ministerium, wie in dieser Frage. Das hat schon vielen Leuten sehr wehgetan.
Küpper: Können Sie diesen Menschen denn Hoffnung machen?
Laumann: Ja, selbstverständlich. Wir haben ja jetzt zum 1. Juli im Grunde genommen das wieder sehr weit geöffnet, auch dass man die Bewohnerinnen und Bewohner auf den Zimmern besuchen darf. Viele Heime hatten so viel Angst vor dem Virus, dass sie quasi ein totales Kontaktverbot gemacht haben, und da habe ich jetzt auch noch in den nächsten Tagen sehr viel Überzeugungsarbeit zu leisten, dass die Angst vor dem Virus bei den Einrichtungsleitungen nicht so groß ist, sondern dass man da wieder wirklich zu mehr Normalität kommt.
"Wo man viel testet, stellt man auch viel fest"
Küpper: Es gibt auch noch einen weiteren Bereich hier in Nordrhein-Westfalen. Sie haben ihn schon angesprochen, wo noch Maßnahmen laufen, dieser sogenannte Corona-Hotspot Gütersloh, also der Kreis Gütersloh, der sich immer noch in einem sogenannten Lockdown infolge dieser Tönnies-Krise befindet. Die Zahlen dort sinken. Können Sie dort Entwarnung geben oder anders gefragt, am Dienstag sollen diese Maßnahmen auslaufen, bis dahin sind sie aktuell befristet, werden sie dann auslaufen?
Laumann: Ja, da gucken wir uns dann die Zahlen am Montagabend noch mal an. Wir haben jetzt im Kreis Gütersloh auf 100.000 Einwohner in dieser Sieben-Tages-Evidenz 66,5 Infizierte. Wenn man Tönnies rausrechnet, sind es wir bei 28,8, also es ist auch höher ohne Tönnies als in anderen Kreisen.
Küpper: Woran liegt das?
Laumann: Ja gut, wir haben natürlich unheimlich viel getestet. Wir haben im Kreis Gütersloh alleine über die Bundeswehr und über die Abstrichzentren der Kassenärztlichen Vereinigung fast 40.000 Leute getestet. Wir haben weitere Teste, da habe ich die Zahlen noch nicht, alles, das was die Hausärzte getestet haben. Das sind ja auch noch mal ein paar Tausend. Wir haben zum Beispiel die ganzen Krankenhäuser, das Personal getestet, haben im Übrigen im allen Krankenhäusern zusammen nur neun Infizierte gefunden. Das sind natürlich Zahlen, wo man ganz viel testet, stellt man auch viel fest.
Küpper: Also, gehen Sie auch davon aus, dass die Dunkelziffer in Deutschland eigentlich höher ist als das, was wir gerade abbilden?
Laumann: Ich halte sie nicht für besonders hoch, aber wenn man natürlich, will ich mal sagen, egal wo in Deutschland 10.000 Leute testet, wird man am Ende wahrscheinlich auch im einstelligen oder niedrigen zweistelligen Bereich Infizierte finden, unabhängig von dem Ort, wo wir sind. Man muss nur auf der anderen Seite auch wieder sagen, das ist auch ungefähr die Quote der Ungenauigkeiten der Tests. Deswegen ist das immer so eine Frage, nicht anlassbezogen zu testen. Das macht Bayern jetzt ja. Ich halte da nicht sehr viel von. Ich bin auf jeden Fall seit dem 25. Februar bis jetzt, finde ich, sehr gut damit gefahren, dass ich nicht politisch getestet habe, sondern dass ich mich sehr orientiert habe in Nordrhein-Westfalen an den Richtlinien des RKIs, also das Robert-Koch-Institut.
Küpper: Politisch getestet, das verstehe ich nicht, was heißt das?
Laumann: Ja, wo die ganze Pandemie anfing, haben in einer Telefonschalte die 16 Gesundheitsminister plus der Bundesgesundheitsminister gesagt, wie gehen wir jetzt mit der Frage um, was ist die Leitlinie, und da waren wir uns alle einig, dass wir uns orientieren an den Richtlinien des RKIs, des Robert-Koch-Institutes. Ich halte sehr viel vom Robert-Koch-Institut. Es ist ohne Frage die beste Institution, die wir haben, wenn es um Pandemie geht. Die beobachten ja auch weltweit seit Jahrzehnten jede Pandemie-Entwicklung. Das sind unabhängige Leute, das sind Wissenschaftler, und die sagen ja, was ist jetzt eigentlich zum Beispiel eine Teststrategie in der jetzigen Situation, wo unser Land ist. Daran habe ich mich orientiert und die sagen ganz klar, es muss anlassbezogen getestet werden, aber dann sehr weitläufig. Also, nehmen wir ein Beispiel. Tönnies, klar ist, alle Menschen, die dort arbeiten, unter Quarantäne, alle Menschen testen. Auch weil es jezt eine so große Sache war, weil es 1.300 Wohnungen gab, wo diese Menschen gelebt haben, sind wir dann auch noch weit in die Bevölkerung gegangen, um zu gucken, ob das Virus übergesprungen ist, aber deswegen muss man jetzt keine Testserie, ich sage mal, in Köln machen oder in Bonn machen, sondern man muss es dann regional machen. Ich möchte gerne auch für Nordrhein-Westfalen durchhalten, dass wir uns an dem Robert-Koch-Institut orientieren, wie wir unsere Teststrategie machen. Die bayerische Strategie ist vom Robert-Koch-Institut nicht gedeckt.
Ausreiseverbot für betroffene Kreise nicht machbar
Küpper: Dann habe ich das jetzt verstanden. Das Robert Koch-Institut hat ja auch im Grunde genommen diese Marke, die Sie auch gerade schon angesprochen haben, diese Inzidenz, 50 Neuinfektionen über sieben Tage à 100.000 Einwohner, denke ich, sozusagen gesetzt. Warum ist es eigentlich nicht richtig, dann, sobald dieser Wert es einfach entscheidet, einfach reflexhaft den sogenannten Lockdown zu verhängen?
Laumann: Ja, politisch ist es ja so, es sei denn, es handelt sich um ein lokales Ereignis. Also, wenn mal die Sache drüberkommt, weil man es in einem Krankenhaus oder in einem Altenheim hat, was man lokal begrenzen kann, dann kann man das anders entscheiden, aber ansonsten hat es automatisch die Folgen, dass dann die jeweilige Landesregierung den Lockdown machen muss. Es gibt ja auch dann so, jetzt in Sachen Gütersloh, wurde ja auch von manchen gesagt, ja, warum macht denn das Land Nordrhein-Westfalen zum Beispiel für die Menschen im Kreis Gütersloh kein Ausreiseverbot.
Küpper: Die Stimmen gab es.
Laumann: Das ist von anderen – von uns weg –, also von Kreisen oder auch Urlaubsregionen gesagt worden. Ich kann nur sagen, das kann man gar nicht machen. Ich habe sehr schnell festgestellt, dass zum Beispiel in einem großen Krankenhaus in Bielefeld 450 Menschen arbeiten als Pflegekräfte, die im Kreis Gütersloh wohnen. Also, da kann ich sofort in einer der größten Städte in Ostwestfalen auch sofort die Krankenhausstrukturen schließen. Das kann man gar nicht machen.
Küpper: Können Sie das denn, unabhängig von diesen praktischen Fragen, überhaupt rechtlich durchsetzen, geschweige denn dann irgendwie logistisch kontrollieren?
Laumann: Also, erst einmal muss man sagen, rechtlich könnten wir es, das ist klar. Ich halte es nur nicht für kontrollierbar. Also, über so viel Polizei verfügt Herbert Reul nicht, die er mir dann zur Verfügung stellen müsste.
Küpper: Der Innenminister hier in Nordrhein-Westfalen.
Laumann: Um die Grenzen eines großen Landkreises abzusichern und da müsste man ja wieder wie im Mittelalter mit Passierscheinen arbeiten oder Ähnlichem. Ich halte das praktisch nicht für durchführbar, sondern man muss dann den Lockdown machen. Man muss das gesellschaftliche Leben zurückfahren, um etwas Ruhe reinzubringen, damit das Virus es nicht so leicht hat, andere zu infizieren und überzuspringen in andere Bevölkerungskreise, aber da Grenzen zu machen, das ist in der heutigen Zeit aus meiner Sicht praktisch nicht mehr möglich.
Pandemieverlauf "hat auch mit der großen Disziplin in unserer Bevölkerung zu tun"
Küpper: Dennoch, wir haben jetzt Sommerferien hier in Nordrhein-Westfalen, in anderen Bundesländern auch sicherlich, Reisezeit. Wir groß ist Ihre Sorge vor dieser Zeit?
Laumann: Also, ich bin auf jeden Fall gespannt darauf, ob es durch diese Reisebewegungen, die sich ja auch nicht nur auf unser Land beschränken, sondern die sich ja auch auf ganz Europa ausweiten werden, ob es dadurch zu höheren Infizierungen kommt.
Küpper: Was glauben Sie?
Laumann: Ich bin jetzt nicht beunruhigt. Ich glaube schon, dass wir das lösen können, aber führt mehr Reisebewegung, dass Menschen sich wieder mehr vermischen, dass Menschen wieder mit ganz anderen Bevölkerungsgruppen zusammenkommen, führt das zu einer höheren Infektionsrate, also, ich rechne schon damit, dass es die Infektionsrate ein bisschen erhöhen wird. Die Frage ist, ist es im beherrschbaren Bereich oder ist es nicht im beherrschbaren Bereich. Wir haben ja vor einigen Wochen auch in Nordrhein-Westfalen in den größeren Städten eine große Demonstration gehabt wegen der Rassismus-Debatte in den Vereinigten Staaten. Da habe ich auch gedacht, wo ich die Bilder im Fernsehen gesehen habe, mein Gott, was ist bloß in zehn Tagen los, wenn man dann feststellen kann, dass das Virus wirkt, und man muss sagen, wir haben keine Entwicklung in diesen Städten gehabt, die irgendein Anzeichen darauf machen, dass sich dort Leute infiziert haben.
Küpper: Entnehme ich Ihren Worten, Sie würden den Menschen nicht von Reisen abraten, egal ob ins In- oder Ausland?
Laumann: Also, ich würde es mal so sagen, das muss jeder mit sich selber ausmachen. Wer sehr vorsichtig ist, wer sehr ängstlich ist, finde ich, sollte sich das nicht antun. Wenn man das in der Abwägung macht, finde ich es vertretbar, sonst würden wir es ja auch nicht erlauben, aber jeder, finde ich, muss es für sich und seine Familiensituation, auch ob er zum Beispiel in der Familie besonders anfällige Familienmitglieder hat, ganz alte Leute in der Familie auch mit dazugehören, dann würde ich die Frage vielleicht etwas anders beurteilen, als wenn ich in einer Familie lebe, wo ich nicht besonders gefährdete Menschen in meinem Familienverbund habe.
Küpper: Wir schauen auf Deutschland. Wir sehen relativ geringe Infektionszahlen, von einzelnen regionalen Ausbruchsstellen einmal abgesehen. Man stellt auch fest, dass die Akzeptanz dieser Corona-Einschränkung, die es anfangs dann doch relativ stark gegeben hat, dass die durchaus sinkt. Es gibt Veranstaltungen in Köln, an diesem Wochenende ist der Christopher Street Day, diese Parade, zwar abgesagt worden, dennoch viele Menschen waren dort. Straßen mussten dann letztendlich geräumt werden. Was stellen Sie fest? Sinkt die Akzeptanz auch aufgrund der niedrigen Zahlen?
Laumann: Ja und nein, also, erst einmal glaube ich, dass wir in Deutschland so gut durch diese ganze Pandemie-Sache seit dem 25. Februar durchgekommen sind, ich glaube schon, dass es auch mit der großen Disziplin in unserer Bevölkerung zu tun hat, und da muss ich erst einmal, finde ich, auch unseren Menschen ein Kompliment machen. Natürlich sehe ich auch, was jetzt heute Nacht in Köln war, was mir auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus meinem Ministerium berichten, die in großen Städten leben und sagen mir, na ja, Herr Minister, samstagabends ist es schon in den Szenengassen ähnlich wie vor Corona, aber es gibt trotzdem ja auch ganz viele Bereiche, wo die Menschen noch nach wie vor sehr vorsichtig sind. Ich kann nur sagen, diese Grundhaltung, die wir sagen, Leute, versucht den Abstand einzuhalten, und dann, wenn wir den Abstand nicht einhalten können, trägt eine Maske, das ist schon, glaube ich, eine Sache, die uns noch sehr lange begleiten wird und die sehr vernünftig ist, sich daran zu halten, und wer Veranstaltungen macht, der muss natürlich in der Lage sein, die Nachverfolgung sicherzustellen. Wir haben jetzt gesagt, die Leute können wieder bis 50 Menschen auch in Gaststätten feiern, Geburtstagsfeiern, Hochzeiten, Ähnliches, weil man bei 50 Leuten noch weiß, wer da ist. Wir haben gesagt, es können auch Veranstaltungen über 100 stattfinden, aber dann muss es einen Plan geben, wer hat wo gesessen, und deswegen ist diese Sache ganz wichtig, Abstand, da, wo Abstand nicht geht, Maske. Da, wo wir auf die Maske und den Abstand verzichten, brauchen wir vom Veranstalter eine Liste der Menschen, nicht nur die im Saal waren, sondern auch wo sie sich im Saal aufgehalten haben.
Schlachtwirtschaft - "Es muss jetzt anders werden"
Küpper: Um die ganze Sache dann verfolgen zu können. Herr Laumann, ein kleiner Exkurs, Fleischindustrie. Das Ganze hat ja zwei Seiten, zwei Themen, die Bedingungen für die Menschen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort, aber auch für die Tiere. Beginnen wir mit Ersterem. Sie haben in dieser Woche im Bundestag gesprochen, dort gesagt, dass Sie die angekündigten Gesetzesverschärfungen der Bundesregierung unterstützen, digitale Zeiterfassung, Ende von diesen sogenannten Werkverträgen. Wann, glauben Sie, greift das Ganze endlich?
Laumann: Ich hoffe, dass das sofort nach der Sommerpause verabschiedet wird und dass es spätestens zum 1. Januar in seiner vollen Schärfe in Kraft tritt. Das ist mir völlig klar, so wie wir Schlachtwirtschaft in Europa, in Deutschland organisieren, kann es nicht bleiben. Im Übrigen sieht es auf den Schlachthöfen in unseren Nachbarländern, zum Beispiel in Holland, ja auch nicht sehr viel anders aus. Ich bin ganz klar der Meinung, dass wir hier zu einer Verantwortung zurückkehren müssen der Leute, die Schlachthöfe betreiben, eben auch für das Personal und das haben die outgesourct. Der Fall Gütersloh, aber auch unsere Erfahrungen in Coesfeld machen sehr deutlich, dass wir hier wieder zu normaleren, vernünftigeren Strukturen kommen müssen. Was sich da einfach entwickelt hat, das ist alles legal, und ich muss auch sagen, dass viele, auch in meiner Partei, das immer ein bisschen versucht haben, wegzudrücken. Ich will nicht sagen, dass sie es toleriert haben.
Küpper: Na ja, am Ende faktisch schon.
Laumann: Aber es ist schon so, dass man immer gesagt hat, ja, aber wir missbrauchen die Osteuropäer und es geht nur über Werkverträge. Nein, es muss jetzt anders werden und wir haben ja jetzt auch festgestellt, ich habe ja 650 Wohnungen über unseren nordrhein-westfälischen Arbeitsschutz kontrollieren lassen. Die Ergebnisse sind einfach so, dass man da nicht mehr weggucken darf. Im Übrigen, das ist der Vorteil der Pandemie, das Infektionsschutzgesetz gab mir jetzt zum ersten Mal die Möglichkeit, den Arbeitsschutz überhaupt in die Wohnungen zu schicken, weil es war vorher rechtlich gar nicht möglich.
Küpper: Corona als Brennglas sozusagen, jetzt betraf es erst einige Wenige. Da hat es uns als Mehrheitsgesellschaft scheinbar nicht interessiert. Jetzt ist es andersherum, jetzt interessieren wir uns dafür. In welchen anderen Branchen wird es ähnliche Umwürfe geben, weil es ähnliche Missstände gibt? Sie sind Arbeitsminister.
Laumann: Also, ich würde mal sagen, man muss immer sehr kritisch hingucken, wo Menschen in Sammelunterkünften leben. Wir haben uns zwei Bereiche jetzt in den letzten Wochen sehr genau angeguckt. Fleischindustrie, da habe ich eben etwas zu gesagt. Wir haben uns aber auch die Landwirtschaft, die Saisonarbeit in der Landwirtschaft, angeguckt. Da muss ich sagen, die Berichte des Arbeitsschutzes sind so, alles in allem ist die Situation auf den Bauernhöfen für die Leute in Ordnung. Also, da haben wir ja auch in der Regel Werkvertragswohnungen, und man kann sagen, alles in allem ist das in der Fleischwirtschaft nicht in Ordnung. Das ist schon, finde ich, ein sehr großer Unterschied.
Artgerechte Tierhaltung "absolut wichtig"
Wir haben jetzt ja auch ein paar regionale Ausbrüche im Bereich von Paketdiensten gehabt. Da müssen wir, finde ich, auch jetzt in der nächsten Zeit sehr genau hinschauen, wie sind da die Arbeitsbedingungen, werden da die Abstände eingehalten. Da haben wir im Übrigen auch relativ viele Werkverträge. Natürlich liegen Infizierungen nicht an dem System Werkverträge. Es liegt eher an der Frage, wie ist die Arbeit organisiert und wie sind die Wohnverhältnisse organisiert, und ich finde, da werden wir schon sehr genau uns auch andere Branchen angucken müssen.
Küpper: Ich will auch noch auf das Thema Tierhaltung, Tierwohl zu sprechen kommen. Heute hat ihre Parteikollegin Julia Klöckner, die Bundeslandwirtschaftsministerin, in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" gesagt, für sie ist klar, wir müssen in Stallumbauten investieren und sie möchte oder fordert auch ein staatliches Tierwohlkennzeichen. Beides auch aus Ihrer Sicht, Sie stammen aus der Landwirtschaft, längst überfällig?
Laumann: Also, es ist ja absolut wichtig, dass es den Tieren gutgehen muss und dass wir eine artgerechte Tierhaltung sicherstellen müssen. Ich habe auch sehr viel Sympathien dafür, wenn man jetzt wieder zu einer Struktur stärker kommt, wo diese These, die ja auch mich immer schwer berührt hat, auch in meiner Wahlkreisarbeit, es ist ja nun wirklich so, dass in Deutschland 10, 15, 20 Jahre eine Landwirtschaftspolitik auch vom Bauernverband gemacht worden ist und mit unterstützt worden ist, die hieß Wachsen und Weichen. Man wollte schlicht und ergreifend eine international konkurrenzfähige Landwirtschaft, aber mit dem, wie wir in Deutschland nun mal über Umweltschutz denken, über Wasserschutz denken, wir wollen ja auch unsere Parklandschaften erhalten, wir haben ja in Deutschland nicht einen Urwald, sondern wir haben ja eine Kulturlandschaft, die ja durch Bauernhand auch in den letzten Jahrhunderten geprägt worden ist, wenn wir die erhalten wollen, dann kann unsere Landwirtschaft nach meiner Meinung nicht zu internationalen Wettbewerbsbedingungen arbeiten, sondern dann müssen wir sagen, wir wollen hier ganz klar einen gewissen Weg gehen, und wenn dieser Weg dazu beiträgt, dass wir wirklich auch eine bäuerliche Familienstruktur in der Landwirtschaft erhalten, dann wäre mir das sehr recht.
Küpper: Ich will noch ganz kurz auch, Sie sind Arbeitsminister, auf die Arbeitslosenzahlen gucken, auch auf die staatlichen Summen, die da jetzt zugeschossen werden, um diese Krise abzufedern. Sie haben anfangs einmal gesagt, wer nach der Krise nicht den Landesrechnungshof am Arsch hat, der hat alles verkehrt gemacht. Ist das das richtige Motto, dass wir jetzt momentan jetzt sehr, sehr viel Geld überall in die Hand müssen, um diese Krise abzufedern?
Laumann: Also, dieser Spruch stammt von mir aus einer Zeit, wo es darum ging, ich sage mal, Kopf und Kragen zu riskieren als Minister, um Schutzbekleidung zu besorgen. Ich sage mal, das Schlimmste an der ganzen Krise war für mich, dass wir am Anfang den Leuten keine Schutzkleidung geben konnten, keine FFP-2-Masken hatten und Ähnliches.
Küpper: Das war die Zeit der Bilder aus Bergamo.
Laumann: So, und sie waren ja auch nicht auf dem Weltmarkt zu kaufen und natürlich der Haushaltsausschuss des Landtages hat mir damals 500 Millionen zur Verfügung gestellt, um Schutzkleidung zu kaufen, und in dem Zusammenhang habe ich mal gesagt, mit wem man jetzt alles Verträge macht und kauft, um nur was zu kriegen, da hat ein Gesundheitsminister alles verkehrt gemacht, wenn er anschließend keinen Ärger mit dem Landesrechnungshof hat, aber was jetzt die anderen Programme angeht, jetzt sehe ich das schon anders.
Bundes-Hilfsgelder schnell verteilen
Ich habe zum Beispiel ja vom Haushaltsgesetzgeber eine Milliarde für die Krankenhäuser bekommen, da möchte ich natürlich jetzt schon, dass wir das Geld sehr schnell ausgeben. Die Krankenhäuser sollen davon, ich sage mal, energetische Erneuerung machen und vielleicht auch moderne Betten kaufen, dass das Geld auch schnell ausgegeben wird, um in die Wirtschaft zu kommen und das wird die ganze Kunst sein, glaube ich. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht riesige staatliche Programme auflegen, aber das Geld so langsam abfließt, dass es erst dann die Wirtschaft ankurbelt, wenn die Pandemie schon längst in den Geschichtsbüchern steht. Das macht mir viel mehr Sorgen, dass das Umsetzen staatlicher Programme wirklich, wenn es in den Investitionsbereich geht, sehr, sehr lange dauert, und deswegen müssen wir natürlich sehen, dass die Dinge sehr stark so ausgegeben werden, dass sie uns jetzt helfen, ich sage jetzt mal ganz einfach, industrielle Arbeit, Fertigung in Deutschland zu stärken, zu stabileren und den Markt zu stabilisieren, denn wir haben gewaltige Kurzarbeiterzahlen und wir müssen natürlich sehen, dass wir jezt die Wirtschaft so ankurbeln, dass daraus nicht Arbeitslosigkeit wird.
Küpper: Herr Laumann, die Zeit fliegt. Wir sind schon auf der Schlussgeraden. Letzte Frage, da will ich noch einmal auf das Corona-Management zukommen. Sie haben sehr stark plädiert dafür, Grundrechte zu wahren. Ihr Chef, Armin Laschet, hier in Nordrhein-Westfalen der Ministerpräsident, tut das auch, aber wenn man auf die Zahlen guckt, die Umfragewerte, dann hat man den Eindruck, dass der Kampf für Grundrechte in Deutschland sehr unpopulär ist.
Laumann: Ja, ich glaube, das waren Umfragen, wenn man so lange Politik macht wie ich, habe ich schon so viele Umfragehochs und –tiefs erlebt. Darauf will ich jetzt einmal nicht viel darauf geben. Wir haben in Nordrhein-Westfalen eine sehr niedrige Infektionszahl, und am Ende waren wir erfolgreich.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.