Archiv

NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD)
"Die Burka-Diskussion ist aufgesetzt und überhöht"

Für den nordrhein-westfälischen Innenminister Ralf Jäger (SPD) geht es bei der Diskussion um ein Verbot der Vollverschleierung nicht um innere Sicherheit. Im Deutschlandfunk sagte er, es handle sich vielmehr um eine "aufgesetzte und überhöhte" Debatte, die mit Blick auf die anstehenden Landtagswahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern geführt werde.

Ralf Jäger im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    NRW-Innenminister Ralf Jäger
    NRW-Innenminister Ralf Jäger (dpa / picture-alliance / Matthias Balk)
    Er persönlich lehne gleichwohl eine Vollverschleierung ab, sagte Jäger. In diesem Punkt müsse er der rheinland-pfälzischen CDU-Vorsitzenden Julia Klöckner recht geben, räumte Jäger ein. Klöckner hatte gestern – ebenfalls im DLF – gesagt, für Frauen mit Burka sei eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben nicht möglich. Er betrachte das Tragen einer Burka ebenfalls als Ausdruck der Unterdrückung von Frauen, so Jäger. Allerdings müsse man diese Diskussion mit der Verfassung in der Hand führen, betonte er. "In Deutschland haben wir eine liberale Verfassung, wo der Staat faktisch nicht eingreifen kann, wie sich ein Mensch kleidet."
    Die Antwort auf Bedrohung durch Terrorismus könne nicht "weniger Freiheit" lauten, betonte Jäger. Vielmehr müsse mit dieser Freiheit für mehr Sicherheit gesorgt werden. Ein generelles Burka-Verbot sei jedenfalls mit der deutschen Verfassung nicht vereinbar.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Der Staat ist gefragt, alles zu tun, um Sicherheit zu gewährleisten. Das meinte Angela Merkel gestern in dem Interview mit dem parteiinternen CDU TV. Tatsächlich wird seit Tagen über ein ganzes Füllhorn von Forderungen debattiert, darunter nicht nur mehr und besser ausgestattete Polizei, sondern auch Forderungen wie die nach dem Verbot der Vollverschleierung und des Doppelpasses. Gestern Abend haben sich die Innenminister der Union auf ein gemeinsames Papier verständigt. Am Telefon begrüße ich jetzt Ralf Jäger von der SPD, er ist Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen. Guten Morgen, Herr Jäger!
    Ralf Jäger: Schönen guten Morgen, Herr Heckmann, ich grüße Sie!
    Heckmann: Herr Jäger, die Innenminister der Union legen also heute ihre Berliner Erklärung vor. Freuen Sie sich schon darauf, weil das eine willkommene Gelegenheit bietet, die Union als Law-and-Order-Partei zu brandmarken?
    Jäger: Nein, es geht nicht um brandmarken. Es geht schlichtweg darum, dass die Menschen in Deutschland in der Tat sich zurzeit nicht wirklich sicher fühlen, dass wir auch Anschläge in Deutschland haben, dass die verantwortlichen Politiker in diesem Land Antworten geben müssen gegenüber Menschen, die Angst haben. Und diese Berliner Erklärung, die wird ja, so wie sie jetzt bereits über den Ticker läuft, nicht mehr den Zustand haben, mit dem sie gestartet ist. Das heißt, skurrile Vorschläge, die nichts mit innerer Sicherheit zu tun haben wie Burkaverbot oder Doppelstaatlichkeit, werden wohl daraus verschwinden.
    Heckmann: Ja, das Totalverbot sozusagen der Vollverschleierung ist vom Tisch, aber um diesen Punkt direkt mal aufzugreifen, Herr Jäger: Weiterhin enthalten ist ein Teilverbot dieser Vollverschleierung und zwar in bestimmten Bereichen - Öffentlicher Dienst ist genannt worden gerade eben, Kitas, Schulen, Universitäten, auch der Straßenverkehr, Demonstrationen, auch das Tragen der Vollverschleierung vor Gericht - sind das Punkte, mit denen Sie d’accord gehen, wo Sie mitgehen können?
    Jäger: Um es deutlich zu sagen: Ich lehne selbst persönlich eine Burka ab, weil sie das Symbol der Unterdrückung von Frauen ist und kein Beitrag zur Integration. Aber klar muss auch sein, ob eine Frau eine Burka trägt oder nicht, hat nichts mit der inneren Sicherheit in Deutschland zu tun.
    "Das entscheidet nicht eine Runde von CDU-Innenministern"
    Heckmann: Aber mit dem Thema Integration.
    Jäger: Ja, natürlich mit dem Thema Integration, das sagte ich bereits. Aber Anlass dieser Berliner Erklärung ist die Frage, wie machen wir Deutschland in Zeiten von Terror, in Zeiten, dass wir im Fadenkreuz des internationalen Terrorismus sind, wie machen wir Deutschland sicherer - diese Burkadiskussion bringt dafür überhaupt keinen Beitrag. Sie ist aufgesetzt, sie ist überhöht, sie ist dem Wahlkampf in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern geschuldet, aber noch mal: Ich selbst lehne persönlich eine solche Burka, sie ist ein Gefängnis für eine Frau, aber es ist kein Thema, was die innere Sicherheit in Deutschland berührt.
    Heckmann: Aber Herr Jäger, das räumen auch die CDU-Politiker ein, dass das weniger ein Thema der inneren Sicherheit ist, sondern ein Thema der Integration. Deswegen jetzt noch mal meine Nachfrage: Wenn jetzt die Unionsinnenpolitiker, Innenminister fordern, dass es ein Teilverbot geben soll dieser Vollverschleierung in den genannten Bereichen - Öffentlicher Dienst beispielsweise, Bildungswesen, Straßenverkehr, auch vor Gericht - ist das eine Forderung, wo Sie mitgehen können?
    Jäger: Ich bin völlig einer Meinung, dass man vor Gericht irgendwo sein Gesicht zeigen muss, ich bin völlig mit den Innenministern in der CDU d’accord, dass eine Burka, wenn sie das Autofahren gefährdet, abgelegt werden muss. Aber letztendlich, wer denn wo, wann eine Burka trägt im Öffentlichen Dienst, das entscheiden die Dienstherren, das sind die Kommunen, das sind die Länder, das entscheidet nicht eine Runde von CDU-Innenministern.
    "Der Staat kann faktisch nicht eingreifen, wie ein Mensch sich kleidet"
    Heckmann: Das heißt, Sie sagen jetzt hier im Deutschlandfunk ganz klar, Sie sind da auch gegen neue gesetzliche Regelungen, was diesen Bereich angeht?
    Jäger: Ich bin nicht gegen neue gesetzliche Regelungen, viele existieren schon. Ich nehme ein Beispiel: Die Vollverschleierung im Auto, beim Autofahren, wenn dies der Verkehrssicherheit nicht dient, ist heute schon untersagt. Das ist, wie ich finde, eine Diskussion, die weniger zu tun hat mit der inneren Sicherheit, die hat auch weniger zu tun mit der Integration, sondern sie ist applauserhaschend für Wahlkämpfer in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin. Es bringt wenig, den Menschen in Deutschland, die in Zeiten von Terror sich unsicher fühlen, eine solche Diskussion zu führen. Wir haben eigentlich anderes zu tun als Innenminister.
    Heckmann: Herr Jäger, die Vollverschleierung ist ja nicht gerade ein Symbol der Gleichberechtigung. Das haben Sie gerade auch schon erwähnt. CDU-Vize Julia Klöckner, die hat dazu gestern im Deutschlandfunk folgendes gesagt:
    "Eine Vollverschleierung, also das Gesicht nicht zu zeigen ist eine extreme Äußerung der Desintegration. Und zum anderen steht eine Vollverschleierung auch für ein abwertendes Frauenbild. […] In anderen Ländern ist ein Vollverschleierungsverbot möglich, und das könnte auch in Deutschland möglich sein."
    In anderen Ländern ist ein Verbot der Vollverschleierung möglich. Das könnte auch in Deutschland möglich sein. Weshalb ist aus Ihrer Sicht ein vollständiges Verbot dieser Vollverschleierung in Deutschland eben nicht möglich?
    Jäger: Ich gebe Frau Klöckner selten recht, in diesem Falle ja, dass es wirklich ein Ausdruck der Unterdrückung der Frauen ist, aber wenn man als verantwortliche Politikerin eine solche Diskussion führt, dann sollte man sie mit der Verfassung in der Hand führen. Andere Länder haben andere Rechtsstaatlichkeit, andere Verfassungen. In Deutschland haben wir eine liberale Verfassung, wo der Staat faktisch nicht eingreifen kann, wie sich ein Mensch kleidet.
    "Thema hat für die innere Sicherheit keinerlei Bedeutung"
    Heckmann: Ist die Verfassung vielleicht zu liberal in Deutschland?
    Jäger: Nein, ich glaube nicht, dass wir in einem zu liberalen Land leben. Wir leben in einer freiheitlichen Gesellschaft. Wir genießen diese Freiheit, diejenigen, die hier Terroranschläge planen, wollen genau diese Freiheit bekämpfen, deshalb sollte man - die Antwort kann nicht lauten, weniger Freiheit, sondern wir müssen schauen, dass wir trotz oder mit dieser Freiheit für mehr Sicherheit sorgen. Frau Klöckner hat völlig Unrecht, sie ist damit auch außerhalb der Linie des eigenen Bundesinnenministers, der ebenfalls der Auffassung ist, wie alle Verfassungsrechtler, dass ein solches Burkaverbot mit der Verfassung, wie sie in Deutschland gilt, nahezu nicht umsetzbar ist.
    Heckmann: Herr Jäger, Sie haben gestern gesagt, ein komplettes Vollverschleierungsverbot hätte auch Folgen für Faschingskostüme beispielsweise und andere Gelegenheiten. Gehören aus Ihrer Sicht Burka und Niqab also bereits so zum Kulturgut wie der Karneval in Deutschland?
    Jäger: Das hat nichts mit Kulturgut zu tun, das hat schlichtweg damit zu tun, dass es faktisch nicht ein Verbot eines bestimmten Kleidungsstückes in der Öffentlichkeit geben kann. Sondern wenn man sich diesem Thema überhaupt nähern kann oder will, nur über den Weg, dass bestimmte kostümierte - ein Verhüllen, ein Vermummen in der Öffentlichkeit untersagt werden muss, und das träfe dann in der Tat auch das Faschingskostüm. Das ist, knapp gesagt, damit wird klar, diejenigen, die so etwas thematisieren, haben nicht das ganze Thema zu Ende gedacht, haben nicht mal den Blick in die Verfassung gewagt. Sie betreiben Wahlkampf für ein Thema, das für die innere Sicherheit keinerlei Bedeutung hat.
    "Man darf nichts pauschalieren und über einen Kamm ziehen"
    Heckmann: Gehen wir weg vom Thema Burkaverbot oder Verbot der Vollverschleierung zu dem anderen Thema, das streitig diskutiert wurde in den vergangenen Tagen, nämlich die doppelte Staatsangehörigkeit. Da wurde ja gefordert, das komplett abzuschaffen, und in der Tat, da gibt es ja auch gute Gründe, die man da anführen kann. Selbst Heinz Buschkowsky von der SPD, der ehemalige Bürgermeister von Berlin-Neukölln, der hat gesagt: 'Ich habe in letzter Zeit zu oft gehört, das ist was für die Deutschen, wir Türken, wir denken anders.' Sind das nicht Argumente, die man auch ernst nehmen muss und die dazu führen müssen, zu sagen, wir müssen uns mal diese doppelte Staatsangehörigkeit wirklich mal angucken, welche Folgen die für die Integration gehabt hat?
    Jäger: Ich selbst komme aus Duisburg, das ist eine Stadt mit einem hohen Migrationsanteil. Hier leben viele Menschen in dieser Stadt, die ihre Herkunft in anderen Ländern haben, die oftmals türkischstämmig sind. Viele dieser Menschen in Duisburg haben die deutsche Staatsbürgerschaft, und zwar ganz alleine. Manche haben die türkische, manche haben eine doppelte Staatsbürgerschaft. Ich glaube eher sogar, dass es ein Beitrag zur Integration sein kann, wenn man nicht verlangt von Menschen, dass sie ihre Wurzeln, ihre Herkunft, ihre Kultur über eine Staatsangehörigkeit leugnen müssen. Dass sie die Menschen vor die Entscheidung stellen, entweder oder. Das hat nichts mit Loyalität zu tun. Das hat mit der Frage zu tun, ob man es zulässt, dass Menschen eine zweite Staatsbürgerschaft besitzen, die auf ihre kulturelle Herkunft hinweisen.
    Heckmann: Das heißt, Sie machen nicht die Beobachtung, Herr Jäger, wie Ihr Parteikollege Herr Buschkowsky –,
    Jäger: Nein, mach ich nicht.
    Heckmann: – der sagt, viele Deutschtürken sagen nach wie vor, wir Türken denken so und so.
    Jäger: Nein. Wie es immer so ist. Man darf nichts pauschalieren und über einen Kamm ziehen, sondern - dass die türkischstämmige Community auch heterogen ist, sich ganz unterschiedlich zusammensetzt, das müsste eigentlich jeder wissen, dass es solche und solche gibt. Es gibt Menschen, die voll integriert in diese Gesellschaft, aber es gibt auch einige, die diese Integration nicht annehmen und faktisch in Parallelgesellschaften leben. Aber diese Doppel- oder Mehrstaatlichkeit, wie sie auch in Deutschland gilt, gilt in fast ganz Europa, in Skandinavien, in den USA, weil klar ist, dass man Menschen nicht unbedingt vor die Entscheidung stellen muss, eine Staatsangehörigkeit aufzugeben zugunsten einer anderen, sondern zwei zu besitzen.
    Entzug des Doppelpasses: "Da haben wir ein Vollzugsdefizit"
    Heckmann: Die Forderung nach einer kompletten Abschaffung des Doppelpasses wird auch nicht mehr in der Schlussfassung der Berliner Erklärung drinstehen. Das haben wir gehört, aber im Fall von islamistischen Gefährdern, die beide Pässe haben oder zwei Pässe haben, soll das in Zukunft möglich sein. Ist das ein Punkt, Herr Jäger, abschließend gefragt, bei dem Sie dann doch mitgehen können?
    Jäger: Alles, was an vernünftigen Vorschlägen auf den Tisch gelegt werden kann, was der Sicherheit in Deutschland dient und nicht dem Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin, finde ich, muss man entspannt, unideologisch und sachlich diskutieren.
    Heckmann: Das heißt konkret in diesem Fall?
    Jäger: Dazu zählt auch ganz sicher die Frage, beispielsweise, wenn eine Teilnahme am Dschihad in Syrien stattgefunden hat und jemand besitzt die doppelte Staatsbürgerschaft, möglicherweise die deutsche zu entziehen. Rechtlich ist das heute schon möglich, wird kaum praktiziert. Da haben wir, glaube ich, ein Vollzugsdefizit, das kann man gerne aufgreifen.
    Heckmann: Der Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Ralf Jäger, war das von der SPD hier live im Deutschlandfunk. Herr Jäger, danke Ihnen für Ihre Zeit und Ihnen einen schönen Tag!
    Jäger: Ihnen auch! Danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.