Es ist laut, wenn 28 Kinder gleichzeitig frühstücken, Brotdosen aus dem Rucksack kramen, Stühle rücken, quatschen – nicht zu laut für Lehrerin Marietta Gawert, wohl aber für Lukas, den autistischen Neunjährigen in der Klasse, der sich – Gesicht zur Wand - in die Ecke stellt, um dem Trubel zu entfliehen.
"Unsere Kinder sind sehr rücksichtsvoll, das erlernen die hier im Umgang mit den anderen. Sie sind aber auch bereit – und das ist auch ein Teil der Inklusion – Verantwortung zu übernehmen. Die beobachten schon sehr genau: Da ist ein Kind in Not, da muss ich mich jetzt kümmern. Oder ich muss jetzt mal eine Grenze setzen und sage: Du hörst jetzt mal auf zu schreien. Das muss nicht immer der Lehrer machen, das finde ich ganz toll."
Bündnis von Elternverbänden fordert Änderungen
Die ältesten Schüler sind elf, die jüngsten fünf, die meisten sind gesund, einige sitzen im Rollstuhl, andere hören oder sehen schlecht – etwa fünf Förderkinder gibt es pro Klasse. Sie alle lernen hier zusammen, können so voneinander profitieren, sagt Marietta Gawert. Sie leitet die Grundschule in Köln-Höhenhaus, die als Modellschule gilt für inklusiven Unterricht. Auch wenn die Klassen eher groß, die Räume eher klein sind und eine durchgehende Doppelbesetzung mit gut qualifizierten Fachkräften nicht möglich ist.
"Wir haben rund 80 Förderkinder, und davon haben acht einen Schulbegleiter, auf unterschiedliche Klassen verteilt. Wir haben aber 16 Klassen, das heißt: Es gibt ganz viele Stunden, in denen die Grundschullehrer oder die Förderlehrer komplett mit der Klasse ganz alleine sind."
Alltag an Regelschulen in NRW. Ein Bündnis von Elternverbänden fordert deshalb Änderungen, um, wie sie sagen, die Inklusion zu retten.
"Als Sprecher des Elternbündnisses 'Rettet die Inklusion' …"
Eine Woche vor der Wahl, hat das Bündnis in ein Tagungshotel ins schicke Düsseldorf-Kaiserswerth geladen. Auf dem Podium: schulpolitische Vertreter von Grünen, SPD, CDU, FDP, Linke und Piraten und Bündnissprecher Jochen-Peter Wirths. Die Inklusion sei nur zu schaffen, wenn die Politik radikale Änderungen vornehme.
"Man muss weg von der flächigen Inklusion über 3.500 Regelschulen, da sind überhaupt nicht die Ressourcen da. Und man muss sagen: Wir reduzieren die Anzahl der Regelschulen mit Inklusion deutlich, um dort dann eben die Ressourcen zu bündeln."
Statt Förderschulen zu schließen und Eltern damit die Wahlfreiheit zu nehmen – so die Kritik. Rund 40 Prozent aller behinderten schulpflichtigen Kinder werden aktuell laut Schulministerium an Regelschulen unterrichtet. Unter teils sehr belastenden Bedingungen, wie Karsten Bühnemann erzählt, Vater eines autistischen Sohnes.
"Eine riesige psychische Belastung wenn sie jeden Tag ausgegrenzt werden, und jeden Tag fertiggemacht werden von Lehrern, die völlig überfordert sind. – Wie haben Sie als Vater dann reagiert? – Indem ich ihn als Vater dann natürlich aus der Situation rausgenommen habe und in die nächste Schule gegeben habe. Aber auch das ist kein hilfreiches Mittel. Siebte Klasse, vierte Schule ist auch für die Eltern eine Katastrophe."
Von Rot-Grün fühlen sich viele nicht gut vertreten
Was fehlt, seien Konzepte, Lehrbücher, Geld. Das streitet auch Karin Schmitt-Promny nicht ab. Sie sitzt an diesem Nachmittag für die Grünen auf dem Podium. Sichtlich angespannt muss sie versuchen, die Schulpolitik der vergangenen sieben Jahre ihrer Parteifreundin Sylvia Löhrmann zu erklären.
"Also wir gucken hin und darum sitzen wir hier. So. Und ich möchte noch mal sagen: Ich möchte, dass wir beides machen. Ich möchte, dass wir die Probleme angucken, ich möchte Sie aber auch bitten, sich die gelingenden Beispiele anzugucken…"
Von Rot-Grün fühlen sich viele im Saal nicht gut vertreten. Den lautesten Applaus gibt es für die Kandidatin der Piraten, für Monika Pieper, selbst Sonderpädagogin. Ebenso wie die CDU plädiert sie dafür, keine weiteren Förderschulen zu schließen und mehr Geld in Bildung zu investieren.
"Diese ganzen Baustellen, die wir im Moment betreiben, da ist ja Inklusion tatsächlich nur eine von. Denn was ist mit Integration, mit Digitalisierung…"
Viele Eltern wünschen sich Rückkehr zu G9
Was ist mit Flüchtlingskindern, die integriert werden müssen, mit maroden Schulen, mit Lehrermangel, Unterrichtsausfall? Die Liste sei lang, so Dieter Cohnen, 58 Jahre alt, alleinerziehender Vater von zwei Töchtern und Vorstand der Landeselternschaft. Er kämpft außerdem für die Rückkehr zu G9 – zurück zum Abitur nach neun Jahren.
"G8 hat nie einen pädagogischen Hintergrund gehabt. G8 hat die Freizeit- und anderen Aktivitäten der SchülerInnen massiv beeinträchtigt. Die Wissensvertiefung ist für die LehrerInnen praktisch unmöglich geworden. Die Kinder fühlen sich mehrheitlich unter einem großen Druck."
Und tatsächlich: Die Rücknahme von G8 – zumindest teilweise – scheint so gut wie beschlossene Sache – denn dafür setzen sich alle Parteien an. Ob und wie lange dann aber beide Modelle koexistieren – wie es etwa die FDP fordert – oder ob Eltern selbst entscheiden können, welchen Weg sie wählen, wie es die CDU vorschlägt – das wird sich erst nach der Landtagswahl zeigen.