Archiv

NS-Dokumentationszentrum München
Alles in einem großen Nazi-Topf verrührt

Durch die Kombination der Dauerausstellung mit aktuellen künstlerischen Positionen will das NS-Dokumentationszentrum in München Diskussionen anregen. Doch die Verbindung von Migration und aktuellen Problemen des Rassismus und Antisemitismus mit dem Nationalsozialismus geht schief.

Von Christian Gampert |
The Deluge, Gemälde von Kent Monkman, 2019
"Die Sintflut" von Kent Monkman steht am Anfang der neuen Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum München. (NS-Dokumentationszentrum München / Privatsammlung Kanada)
Schon im Foyer begegnet man einem großen Kitschbild des kanadischen Künstlers Kent Monkman. Es heißt "Die Sintflut" und zeigt im Stil des Fotorealismus einen Transvestiten in High Heels, der seine beiden verzweifelten Kinder auf einen Felsen zu ziehen versucht. Die Hauptfigur ist, so erfahren wir, ein magisch begabter Angehöriger des "dritten Geschlechts", der als indianischer Widerständler gegen den weißen Kolonialismus seine Kinder aber nicht vor dem Wasser, sondern vor der herannahenden "Siedlerflut" retten will.
Das mag man nun künstlerisch gelungen finden oder nicht, als Entrée für die ständige Ausstellung eines NS-Museums ist das denkbar ungeeignet. Denn es führt weg von historischer Ernsthaftigkeit und hin zur Beliebigkeit, wie sie im späteren Parcours besonders bei der Konzept- und Videokunst zu beobachten ist.
"Türen öffnen mit Künstler-Positionen"
Thematisch hangelt man sich in München vom Krieg gegen amerikanische Ureinwohner über die Auswirkungen des französischen Kolonialismus hin zur Gastarbeiter-Generation der 1970er Jahre, zur heutigen Migration, aktuellen rechtsradikalen Anschlägen und zur Plattenbau-Herkunft der NSU-Mitglieder. Alles wird in einem großen Nazi-Topf verrührt. Direktorin Mirjam Zadoff jedoch glaubt, dass dies den Blick des Publikums weite.
"Die Frage, die sich uns stellt, ist natürlich: Was passiert jetzt in einer Welt, in der Rassismus, Antisemitismus, Faschismus auch in Deutschland wieder präsent sind? Welche Zugänge wollen wir finden? Welche Gespräche wollen wir führen? Und da machen die künstlerischen Positionen Türen auf."
Es gibt in dieser Ausstellung zwar einige Arbeiten, die sich direkt auf die Nazizeit beziehen – Rosemarie Trockels "Frankfurter Engel" als Denkmal für die ermordeten Schwulen und Lesben, Gregor Schneider, der Goebbels‘ Geburtshaus entkernt. Aber auch das wirkt aufgesetzt und theatralisch in einem Haus, das ansonsten mit präzisen historischen Fakten den Holocaust beschreibt.
Postmigrantische Perspektive
Es gibt Werke, die per Video eine düstere Zukunft ausmalen oder subtile heutige Formen der Ausgrenzung thematisieren. Der nigerianische Künstler Emek Okboh baut ironisch eine Schwarzbier-Installation, eine kurdische Künstlerin dokumentiert türkische und deutsche Hass-Mails. Das ist die postmigrantische Perspektive. Mirjam Zadoff:
"Und dann gibt es eine dritte Gruppe von internationalen Positionen, die die Thematik, auch diese Frage: "Was hat die Welt aus dem Zweiten Weltkrieg gelernt? Wie können wir das kontextualisieren?" aufnehmen. Themen wie Rassismus in den USA spielen da eine Rolle, aber auch autobiografische Geschichten wie zum Beispiel von Aslan Goisum, der selbst in einem Flüchtlingslager aufgewachsen ist."
Allerdings: Das heutige Flüchtlingslager öffnet sich nach Europa, während das Lager im französischen Drancy, dessen modernistische Architektur der Künstler Leon Kahane in einem Video abtastet, in den 1940er-Jahren nach Auschwitz führte.
Handwerkliche Mängel
Die Neigung der Kuratoren, die Leiden heutiger Migranten und aktuelle rechtslastige Bewegungen in einen direkten Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus zu bringen, scheint alarmistisch und übertrieben. Schon in der letzten Ausstellung des NS-Dokumentationszentrums "Die Stadt ohne Juden, Ausländer, Muslime, Flüchtlinge" waren handwerkliche Mängel aufgefallen. Da wurde Thilo Sarrazin neben Paul Schultze-Naumburgs "Kunst und Rasse" und die nationalsozialistische Vererbungslehre gestellt. So etwas ist in höchstem Maße unseriös.
Bei der Auswahl der Kunstwerke, die der Kurator Nicolaus Schafhausen für "Tell me about yesterday tomorrow" getätigt hat, kann man leider nur wenig System erkennen. Es handelt sich um ein Sammelsurium von bisweilen gedanklich sehr schlichten Arbeiten, die neben der präzis argumentierenden historischen Dauerausstellung eher störend wirken. Sie sind dort nicht nur ästhetisch, sondern auch politisch fehlplatziert.