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NS-Raubkunst in Frankreich
Provenienz-Forschung noch immer ein heikles Thema

In Frankreich ist die Herkunft von rund 2.100 Raubkunstwerken bis heute ungeklärt. 2018 hatte Premierminister Macron die Restitution zur Chef-Sache erklärt. Doch Geldmangel und fehlende Experten behindern die Provenienz-Forschung. Jetzt will das Kulturministerium verstärkt pro-aktiv tätig werden.

Von Barbara Kostolnik |
Das französische Kunstmuseum Louvre am Abend.
Im Pariser Louvre lagern rund 2.100 NS-Raubkunst-Exponate in zwei Sälen - doch kaum jemand weiß davon (imago stock&people, 81768398 )
Der Louvre ist eines der größten Museen der Welt, man kann sich endlos in den Gängen verlieren, und Kunst bestaunen. Eines aber wird man dort nicht finden: einen festangestellten Vollzeit-Provenienz-Forscher, der prüft, ob und welche Louvre-Kunstwerke aus jüdischem Besitz stammen.
"Ich denke, es gibt keine grundsätzlichen Vorbehalte oder einen Widerstand gegen diese Provenienz-Forschung in den Museen, nicht mehr", erklärt David Zivie, der die Rückgabe-Mission im Kulturministerium leitet. "Aber es gibt auch keine Mittel dafür – wir versuchen, die Konservatoren weiterzubilden, und in den Museen sollte es Stellen für diese Art der Forschung geben."
Noch viele Fragen offen
Frankreich und die NS-Raubkunst, das ist eine lange, eine seltsame Geschichte. Direkt nach dem Zweiten Weltkrieg wurden 60.000 der 100.000 Kunstwerke, von denen man annahm, dass die Nazis sie geraubt und nach Deutschland oder Österreich verbracht hatten, zurück nach Frankreich geholt. 45.000 von ihnen konnten direkt an ihre früheren Besitzer beziehungsweise deren Angehörige zurückgegeben werden. Blieben 15.000.
"13.000 davon", erklärt die Provenienz-Forscherin und Kunsthistorikerin Emmanuelle Polack, "sind damals vom französischen Staat verkauft worden, weil man die Besitzer nicht ausfindig machen konnte, ohne dass das archiviert wurde. Man hat dadurch Raubkunst in den Kunstmarkt gebracht – und die taucht heute gelegentlich wieder auf."
Die restlichen 2.100, zum Teil sehr bedeutenden herrenlosen Kunstwerke, wurden Anfang der 50er-Jahre mit dem Vermerk "MNR" in französischen Museen untergebracht, die allermeisten im Louvre: Seit einem Jahr hat das Museum den MNR, also Werken, die nach dem Zweiten Weltkrieg den Museen mit dem Auftrag übergeben wurden, die rechtmäßigen Eigentümer herauszufinden, zwei Säle gewidmet. Werbung aber macht man damit nicht. Und dann gibt es da noch eine dritte Kategorie:
"Wir wissen nicht, wie viele das sind", gesteht David Zivie. "Objekte, die von den Museen während des Krieges oder danach aufgekauft wurden, die in die Kollektionen gekommen sind, ohne dass man die Herkunft geklärt hat, und die sich später manchmal als Raubkunst erweisen, und dazu haben wir bis jetzt noch gar nicht geforscht."
Während des Zweiten Weltkriegs mussten viele französische Juden und Galeristen unter dem Zwang der NS-Besatzer ihre Werke verkaufen, oft deutlich unter Marktpreis. Viele Besitzer aber wurden einfach enteignet und später deportiert. Der Pariser Kunstmarkt jedoch boomte. Und die Profiteure waren allzu oft auch französische Museen und Galerien.
"Die Frage der Herkunft stellte sich damals, zwischen 1940 und 44 überhaupt nicht", erklärt Emmanuelle Polack. "Dabei stand ganz oft die Herkunft bei den Gemälden dabei: zum Beispiel 'dieses Objekt ist ein israelitisches Objekt, ein jüdisches Objekt'. Das konnte man nicht ignorieren. Aber niemand fragte danach."
"Die Familien interessieren sich wieder mehr"
David Zivie, der die Anfragen zur Restitution auf den Tisch bekommt, spricht von aktuell insgesamt 70 offenen Dossiers, darunter sind auch viele Anfragen von Privatleuten, meistens die Enkel- oder Urenkel-Kinder der ehemaligen Besitzer.
"Die Familien interessieren sich wieder mehr, die Enkel und Urenkel bringen ganz oft neue Aspekte mit, neue Fakten aus den Archiven über den Ursprung der Gemälde, also das Interesse der Familien, der Museen und des Kunstmarkts lässt nicht nach."
Im Kulturministerium will man darüber hinaus verstärkt pro-aktiv tätig werden. Also auch ohne konkrete Anfragen die Kunstwerke prüfen. Viel Geld steht dafür nicht zur Verfügung, etwa 200.000 Euro pro Jahr habe er, sagt David Zivie. Im Ministerium hofft man auf das Engagement privater Stiftungen und der Museen. Es ist höchste Zeit.