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NS-Verbrecher Himmler
700 Briefe in Israel aufgetaucht

Das Bundesarchiv hält die Briefe von Heinrich Himmler für echt. Entdeckt wurden sie in Israel. Die Zeitung "Die Welt" hat sich drei Jahre lang mit dem Thema befasst und ihre Erkenntnisse jetzt veröffentlicht. Umgeschrieben werden müsse die Geschichte nicht, aber das Material fülle viele Lücken, sagte Sven Felix Kellerhof, "Welt"-Redakteur, im DLF.

Sven Felix Kellerhoff im Gespräch mit Thielko Grieß |
    Der NS-Verbrecher Heinrich Himmler
    Heinrich Himmler, sogenanntet Reichsführer SS, befehligte Todesschwadrone und ihm unterstanden die Konzentrationslager. (picture-alliance / dpa)
    Thielko Grieß: Mit dem Namen Heinrich Himmler ist einiges Grauen verbunden. Er war der sogenannte Reichsführer SS, befehligte Todesschwadrone, ihm unterstanden die Konzentrationslager. Heinrich Himmler hat den Vernichtungskrieg der Nationalsozialisten maßgeblich vorangetrieben. Beim Gerichtsurteil nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde über ihn und seine Taten nicht mehr gesprochen, Himmler tötete sich in britischer Gefangenschaft selbst mit Zyankali. Davor war er verheiratet gewesen mit einer Frau, mit Margarete Himmler. Der hat er über die Jahre Hunderte Briefe geschrieben, die bislang als verschollen galten. Autoren der Zeitung "Die Welt" haben diese Briefe, Notizen und einige Fotos gefunden, in den vergangenen zwei Jahren ausführlich geprüft, meinen, diese Dokumente seien echt, und haben die Geschichte gestern Abend online gestellt und heute Morgen ist sie auch im gedruckten Blatt der "Welt" zu lesen. Und darüber wollen wir jetzt sprechen mit einem der Autoren, guten Morgen, Sven Felix Kellerhoff!
    Sven Felix Kellerhoff: Guten Morgen!
    Grieß: Wie sind Sie auf die Spur dieser Dokumente, dieser Briefe gelangt?
    Kellerhoff: Im Januar 2011 kamen mehrere vertreter einer israelischen Dokumentarfilmerin zu uns und haben uns dieses Material auszugsweise präsentiert. Und zu diesem Zeitpunkt haben wir dann angefangen, also ziemlich genau vor drei Jahren, uns sehr intensiv damit zu beschäftigen. Ich erinnere mich noch, dass ich damals dem Chefredakteur, als er mir sagte, es käme jemand mit Nazipapieren, unbekannten Nazipapieren zu uns, aufgeschrieben habe, um welche Fälle, um welche Personen es sich handeln könnte, welche Nachlässe verschollen sind. Und einer von den Nachlässen, auf die ich damals getippt habe als Möglichkeiten, war der von Heinrich Himmler.
    Grieß: Also, es war bekannt, dass es solche Briefe gibt, man wusste nur nicht, wo sie sind?
    Kellerhoff: Es war bekannt, dass es Reste von – und große Reste – von verschollenen Papieren geben musste, denn andere Reste und Splitter sind in verschiedenen Archiven überliefert. Und es war eben immer die Frage, wo sind die Papiere von Himmler selbst. Wir hatten die Briefe von seiner Frau, auch über einen langen Zeitraum, wir hatten weitere Materialien, aber wir hatten nicht die handschrift des Massenmörders, wie unsere Serie heißt, also nicht das, was Heinrich Himmler selbst an Privatem, ja zu einem großen Teil an intimen Dingen seiner Frau geschrieben hat.
    Grieß: Und da sind wir schon bei einigen Punkten, die wir vielleicht neu lernen über die Person Heinrich Himmlers: Was sind die neuen Aspekte, die Sie gefunden haben?
    Material füllt viele Lücken
    Kellerhoff: Also, ganz wesentlich ist uns, dass die Geschichte nicht umgeschrieben werden muss. Dieses Material füllt viele Lücken, die wir haben im Wissen über Heinrich Himmler, aber sie ändert nicht das komplette Bild. Davon sollte man in der Geschichtswissenschaft sowieso sehr, sehr selten ausgehen, dass ein einzelner Fund, und wenn es auch 700 Briefe sind, das komplette Bild umstürzt. Was wir lernen, ist, wie dieser Mensch Heinrich Himmler getickt hat, wie die irrsinnigen Taten, die er begangen hat, sich aus seiner Warte heraus völlig natürlich entwickelt haben. Es hilft uns, dieses Material, die Taten dieses heinrich Himmlers zu verstehen, ohne – das ist mir ganz wichtig –, ohne dafür Verständnis zu haben. Und da kommen wir sozusagen zum entscheidenden Punkt, denn wenn wir nicht verstehen, wie es zu solchen Verbrechen kommt, dann werden wir auch niemals daraus lernen können und für die Zukunft es verhindern können. Geschichte wiederholt sich ja nicht direkt, aber man kann lernen aus der Geschichte und man kann Warnzeichen erkennen. Und das ist das, was dieses Material erleichtert. Wir sehen, wie aus einem Menschen, der sich selber für anständig hielt, ein massenmörder wurde. Und das ist etwas, glaube ich, was wir bisher so noch nicht hatten, abgesehen davon, dass es noch von keinem führenden Nationalsozialisten so viel wirklich private papiere gegeben hat.
    Grieß: Schreibt er über die Massenmorde, die er anordnete, die er ja auch begutachtete zum Beispiel bei seinen Besuchen in verschiedenen Konzentrationslagern, schreibt er darüber an seine Frau?
    Kellerhoff: Er schreibt darüber überhaupt nicht, es besteht ganz offensichtlich ein völliges Einverständnis zwischen den beiden. Ich bin auch ganz sicher – wir können es nicht beweisen, aber es ist ein Gefühl beim Lesen dieser Briefe –, dass Marga selbstverständlich gewusst hat, was ihr Mann da tut, und dass sie genug gewusst hat, um nicht mehr wissen zu wollen. Es besteht eine völlige Übereinstimmung und er muss gar nicht darüber sprechen. Er deutet es nur an oder wir lesen es in bestimmten Stellen, wenn er zum Beispiel sagt, ja, jetzt fahre ich auf eine Inspektionstour, führt mich unter anderem auch nach Zamosc und Auschwitz. So steht das dann da drin. Oder Briefe, in denen er vom Endsieg erzählt, teilweise noch im April 1945, da kann er schon längst selbst nicht mehr dran geglaubt haben. Seiner Familie, seiner Frau, seiner Tochter schreibt er das noch. Sehr interessant, um sozusagen die geistige Entwicklung dieses Mannes nachzuvollziehen.
    Grieß: Gibt es auch die Antworten seiner Frau an ihn?
    Kellerhoff: Die Antworten seiner Frau sind schon seit Längerem bekannt, aber sie waren quasi wertlos ohne die Briefe von Heinrich Himmler selbst. Die liegen im Bundesarchiv im bestand NS 19, persönlicher Stab SS, denn dort sind sie abgelegt worden. Und die Briefe, die Himmler nach Hause geschrieben hat, die waren natürlich bei seiner Frau und dort sind sie aus dem haus in Gmund am Tegernsee im mai 1945 verschwunden und nicht mehr aufgetaucht bis eben vor wenigen Jahren und jetzt für die Öffentlichkeit zugänglich erstmals im januar 2014.
    Grieß: Ihre Kollegen von der Zeitschrift "Stern" sind ja einmal mit den nur angeblich echten Hitler-Tagebüchern krachend auf die Nase gefallen. Was macht Sie jetzt so sicher, dass diese Briefe echt sind?
    Kellerhoff: Das war natürlich genau das, was ich mit dem Chefredakteur besprochen habe, als das Angebot kam. Und wir haben uns nach allen Richtungen abgesichert, wie man sich nur absichern kann. Wir haben das Bundesarchiv befragt, wir haben den Präsidenten Michael Hollmann, der das Material auch selber intensiv geprüft hat, befragt, es liegt ein Gutachten des Bundesarchivs vor. Wir veröffentlichen als Start unserer achtteiligen serie in der "Welt am Sonntag" und der "Welt" ab morgen ein Interview mit dem Präsidenten des Bundesarchivs, in dem er sich klar bekennt sozusagen zur Echtheit dieses Materials. Und eine bessere Adresse als das Bundesarchiv für die Feststellung von Echtheit oder nicht Echtheit von Nazipapieren gibt es nun nicht. Also, da haben wir uns so abgesichert, wie man das nur tun kann. natürlich habe ich auch als gelernter Historiker, der ich bin, auf eine innere Logik dieses Materials sehr stark geachtet und habe mich sehr intensiv mit der Literatur in den letzten Jahren auseinandergesetzt. Das passt alles. Da ist also sozusagen … auch die Antwortbriefe von Marga auf Himmlers Briefe passen immer exakt. Also, das zu fälschen, halte ich für ausgeschlossen!
    Grieß: Sven Felix Kellerhoff, Autor, Redakteur bei der Zeitung "Die Welt" und Historiker, über die Briefe, die er und andere gefunden haben in Israel, Briefe heinrich Himmlers. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.