Um 17 Uhr am Freitag will Barack Obama in einer Grundsatzrede erläutern, welche Konsequenzen er aus der Abhöraffäre zu ziehen gedenkt. Eine vom US-Präsidenten eingesetzte Expertengruppe hatte im Dezember 46 Vorschläge für eine Reform vorgelegt. US-Medien berichteten, dass Obama zentrale Forderungen der Experten nicht befolgen und nur geringfügige Änderungen vornehmen wolle. Wichtige Entscheidungen wird der Präsident demnach dem Kongress überlassen.
Doch dort sehen laut "New York Times" entscheidende Abgeordnete keinen Handlungsbedarf. Obama wolle einen Mittelweg gehen. Einerseits wolle er die Forderungen der Geheimdienste für einen effektiven Anti-Terror-Kampf berücksichtigen. Andererseits gehe es ihm darum, die weltweite Empörung zu dämpfen.
Von einer unmöglichen "Quadratur des Kreises" spricht Rüdiger Lentz. Der Direktor des Aspen-Instituts in Berlin sagte im Deutschlandfunk, Obama werde in seiner Rede versuchen, es allen Recht zu machen, doch dies könne er nicht. Die USA hätten von Anfang an betont, keine Rücksicht auf die Gesetze Verbündeter zu nehmen, wenn die eigenen Sicherheitsbedürfnisse betroffen sind. Von deutscher Seite sei man "zu naiv an das Thema heran gegangen", so Lentz. Mit dem Zustandekommen eines No-Spy-Abkommens rechne er nicht.
Der diplomatische Schaden ist groß, nachdem beispielsweise bekannt wurde, dass auch Angela Merkels Mobiltelefon abgehört worden war. Die Expertengruppe hatte eine stärkeren Schutz der Privatsphäre von Ausländern empfohlen sowie strengere Genehmigungsverfahren bei Spähangriffen auf ausländische Politiker. In den USA ist allerdings weniger die Überwachung der Bundeskanzlerin Thema als das massenhafte Abspeichern der Anrufdaten von amerikanischen Bürgern. Beobachter erwarten in Obamas Rede daher vor allem ein Werben um neues Vertrauen.
"Guardian": 2011 fing die NSA täglich fast 200 Millionen SMS ab
Derweil belasten neue Enthüllungen über die Abhörpraktiken den Auftritt Obamas. Der US-Geheimdienst NSA soll weltweit täglich nahezu 200 Millionen SMS-Nachrichten gesammelt und dabei Informationen über Reisepläne, Kontakte und Finanztransaktionen abgefangen haben. Außerdem gäben zum Beispiel Benachrichtigungen über entgangene Anrufe Aufschluss über den Bekanntenkreis eines Nutzers. Das berichtet der britische "Guardian" am Donnerstag. Betroffen von dem Programm mit dem Codenamen "Dishfire" seien auch Personen gewesen, gegen die kein Verdacht illegaler Machenschaften bestanden habe.
Die Zeitung, die schon mehrfach Details zu den Abhörpraktiken der NSA veröffentlicht hatte, berief sich erneut auf Material Edward Snowdens. Im Rahmen des sogenannten "Dishfire"-Programms werde "so ziemlich alles gesammelt, was geht", berichtete der "Guardian". Die Zeitung verwies konkret auf eine NSA-Präsentation aus dem Jahr 2011, in der SMS-Nachrichten als eine "Goldmine" bezeichnet worden seien, die es auszubeuten gelte. Demnach seien im April 2011 im Schnitt täglich 194 Millionen solcher Text-Kurznachrichten gesammelt worden. Zuletzt war bekanntgeworden, dass die NSA auch offline Computer ausspionieren könne.
Europäisches Abkommen im Gespräch
In der Debatte um ein Abkommen mit den USA über ein Verzicht auf gegenseitige Spionage fordert die SPD-Fraktion derweil mehr Druck auf die USA und Parallelverhandlungen über eine ähnliche Regelung innerhalb der Europäischen Union. "Wir sind mit den Vereinigten Staaten verbündet, um gemeinsame Werte wie Freiheit, Demokratie und Recht zu verteidigen", sagte Fraktionschef Thomas Oppermann der "Rheinischen Post". Da sei es kontraproduktiv, "wenn wir uns mit illegalen Mitteln gegenseitig ausspionieren. Wir müssen den Druck erhöhen." Ein Platzen der Gespräche mit Washington sei für Deutschland nicht zu akzeptieren, warnte der SPD-Politiker. Nach seiner Ansicht sollte die EU mit positivem Beispiel vorangehen und mittels eines europäischen Anti-Spionage-Abkommens auch die Ausgangslage in den Gesprächen mit den USA verbessern.
Peter Schaar, der ehemalige Bundesbeauftragte für Datenschutz, hält ein solches Abkommen innerhalb der Europäischen Union allerdings für unrealistisch. "Die Praxis der Briten ist kein bisschen besser als jene der NSA", sagte er der "Berliner Zeitung" mit Blick auf die Aktivitäten der von London und Washington instruierten Geheimdienste. "Insofern sehe ich auch die Verhandlungen über ein Euro-No-Spy-Abkommen skeptisch." Dass die Briten bislang die Anerkennung der EU-Grundrechtecharta verweigerten und Brüssel nicht für die Regelung der Geheimdienstarbeit zuständig sei, mache "ein solches Vorhaben sehr schwierig". Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz, wies im Deutschlandfunk darauf hin, dass die Abhörpraktiken kein "deutsch-amerikanisches Spezialproblem" seien, sondern ein globales.