Hier habe es die Bundesregierung in den vergangenen Jahren versäumt, die Instrumente zur Kontrolle des Bundesnachrichtendienstes aufzuwerten und sich so in eine starke Verhandlungsposition zu bringen, betonte Löning. Auch zwischen den Europäern und den USA fehle eine Verabredung über eine Zusammenarbeit der Geheimdienste.
Das Interview in voller Länge:
Tobias Armbrüster: Wir haben lange nichts mehr gehört von der NSA und nach dem, was wir schon alles wissen über diese Spionage-Agentur, gibt es kaum noch etwas, das einen wirklich überraschen kann. Und dennoch wird erst jetzt langsam klar, in welchem Umfang die NSA in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten Informationen auch aus oberster Regierungsebene abgefangen hat. Aktuelle Enthüllungen der Plattform Wikileaks zeigen Abhörprotokolle aus dem Bundeskanzleramt, unter anderem mit UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon und dem ehemaligen italienischen Premierminister Berlusconi.
Am Telefon ist jetzt Markus Löning. Er war bis 2014 Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung, berät heute zahlreiche Nichtregierungsorganisationen in Bürgerrechtsfragen und ist Direktor des Privacy Project bei der Denkfabrik Stiftung Neue Verantwortung. Wir erreichen ihn jetzt gerade an diesem Dienstagmittag in London. Schönen guten Tag, Herr Löning.
Markus Löning: Guten Tag, Herr Armbrüster.
Armbrüster: Herr Löning, diese Abhöraktionen, von denen wir da jetzt erfahren, diese Abhöraktionen der NSA, die liegen Jahre zurück. Können wir damit sagen, das ist Schnee von gestern?
Löning: Das könnten wir sagen, wenn wir inzwischen, sagen wir mal, beruhigende Fortschritte erzielt hätten. Bloß leider ist das nicht so und der Unterschied zu der ersten Veröffentlichung ist: Damals waren wir alle noch der Überzeugung, das machen die bösen Amerikaner und wir natürlich überhaupt nicht. Inzwischen wissen wir, dass auch der BND das gemacht hat und vielleicht auch noch macht.
Armbrüster: Lassen Sie uns zunächst bei den Amerikanern bleiben und später auf den BND blicken. Wie sind denn die aktuellen Verabredungen zwischen den USA und der Bundesregierung heute?
Löning: Ich denke letztlich, was fehlt ist eine strategische Verabredung, dass die Europäer miteinander sagen, wir brauchen eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit der Geheimdienste auf der einen Seite, zum Beispiel zur Bekämpfung von organisierter Kriminalität und Terrorismus, aber wir brauchen dazu auch bindende, rechtlich funktionierende Aufsicht durch Parlamente und Gerichte, und diese Absprache gibt es nicht zwischen den Europäern und schon gar nicht zwischen den Europäern und den Amerikanern. Da hat die Bundesregierung in den letzten Jahren aus meiner Sicht strategisch die Chance verpasst, das eigene Niveau an Rechtsschutz für Bürger wirklich zu heben, das eigene Niveau auch an Kontrolle deutlich zu verbessern. Das funktioniert ja noch nicht mal in Deutschland richtig. Von dieser Position aus dann zu sagen, wir haben einen gut funktionierenden Geheimdienst, der auch gut kontrolliert wird durch das Parlament und durch die Gerichte, dann auf die Amerikaner zuzugehen und zu sagen, jetzt möchten wir mit euch eine Vereinbarung, dass das auch wechselseitig gilt, ich glaube, das wäre eine starke Position. Doch die Bundesregierung hat es leider verpasst, sich selbst in so eine starke Position zu bringen.
"Wir haben kein Zwangsmittel, sondern wir haben nur die Überzeugung"
Armbrüster: Aber kann das denn funktionieren? Kann man den Amerikanern da wirklich Vorschriften machen?
Löning: Wir haben kein Zwangsmittel, sondern wir haben nur die Überzeugung, dass zusammen es besser gehen wird. Natürlich sind auch die USA ein Rechtsstaat. Dort gibt es eine ausführliche Debatte über die Kontrolle des NSA. Der Präsident hat da einige Schritte gemacht, die gehen teilweise weiter als das, was wir in Deutschland bisher gemacht haben. Mein Eindruck ist eher, die Zurückhaltung dabei, das aufzuklären, was der BND wirklich tut, und die Zurückhaltung dabei, eine wirklich funktionierende parlamentarische Kontrolle mit ausreichendem Stab, der das kann, mit ausreichend rechtlicher Grundlage für die Parlamentarier, wirklich überall hineinzuschauen, und mit Gerichten, die das dann auch überprüfen, das bringt uns in eine schwache Position, eine schwache Verhandlungsposition gegenüber den anderen Europäern und auch gegenüber den Amerikanern.
Armbrüster: Kann die Zurückhaltung denn möglicherweise darin begründet liegen, dass die Bundesregierung sich sagt, gut, die Amerikaner machen das, aber wir machen es natürlich auch und wir wollen es weiterhin auch machen mit unseren Geheimdiensten, wir wollen weiter auch fremde Regierungschefs abhören und solche Informationen sammeln und wir wollen dies möglichst unkontrolliert tun, und deshalb gucken wir vielleicht auch bei den Amerikanern nicht so genau hin?
Löning: Es muss der Grundsatz gelten, die Regierung darf nichts tun, was das Parlament nicht kontrollieren darf. Das Parlament vertritt die Bürger, es ist der oberste Souverän, und die Bundesregierung darf keine Geheimnisse vor den Kontrolleuren des Parlamentes haben. Dieser Grundsatz muss gelten, gerade bei der Reform der Aufsicht, und im Moment gilt er nicht. Jetzt sagt zwar der BND, wir hören keine befreundeten Regierungen mehr ab, aber ob das stimmt, weiß letztlich natürlich keiner. Und nach den Erfahrungen in den letzten Jahren muss ich sagen, ich würde da dem BND auch erst mal nicht vertrauen, sondern da gilt: Vertrauen ist nicht möglich an der Stelle, Kontrolle wäre dringend nötig.
Armbrüster: Und woran genau hakt es? Wer könnte hier ein Machtwort sprechen?
Löning: Das Parlament und natürlich hier die Mehrheit, die Koalition muss sich einfach dazu durchringen, wirklich deutliche Schritte nach vorne zu gehen, und sie müssen aus meiner Sicht zwei Dinge tun. Einmal muss das Parlamentarische Kontrollgremium deutlich aufgewertet werden in seinen Rechten und mit einem richtig gut funktionierenden Mitarbeiterstab, mit einem großen Stab, der die Dienste auch tatsächlich kontrollieren kann. Einblick in jede einzelne Akte, in jeden einzelnen Vorgang muss möglich sein. Auf der anderen Seite muss für die G10-Kommission, die Abhörmaßnahmen gegenüber Deutschen genehmigen muss, die Regel gelten: Jede Maßnahme, die in Grundrechte eingreift durch einen Geheimdienst, egal wer der Grundrechtsträger ist, jede einzelne Maßnahme muss vorgelegt werden und muss vorher genehmigt werden. Das würde eine deutliche Verbesserung der Kontrolle nach sich ziehen. Zum Zweiten muss klar sein: Es gibt keine geheimdienstlichen Maßnahmen gegen Mitglieder der EU zum Beispiel oder Mitglieder auch der NATO. Das muss aus unserer Sicht als politische Leitlinie gelten. Das kann der Bundestag festlegen.
"Es gibt nichts, das außerhalb des Rechts steht"
Armbrüster: Herr Löning, aber ist das überhaupt realistisch? Geht so was überhaupt? Kann man wirklich sinnvolle Geheimdienstarbeit machen und gleichzeitig diese Geheimdienste so parlamentarisch kontrollieren? Das würde ja im Grunde heißen: mehr oder weniger transparente Geheimdienstarbeit.
Löning: Diese Frage würde man zum Beispiel beim Finanzamt nie stellen. Auch das Finanzamt hat natürlich Geheimnisse, verwahrt persönliche Daten. Keiner von uns hat einen Zweifel daran, dass die Finanzämter ordentlich kontrolliert werden durch die Gerichte und auch durch die Parlamente. Selbstverständlich geht es auch bei Geheimdiensten um den Umkehrschluss. Dass es etwas geben kann, was außerhalb jeglicher Kontrolle stattfindet, vor allem außerhalb jeglicher gerichtlicher und parlamentarischer Kontrolle, kann in einem Rechtsstaat und in einer Demokratie einfach nicht gelten. Es gibt nichts, das außerhalb des Rechts steht, und zum Recht gehört die Kontrolle durch Gerichte und Parlamente.
Armbrüster: Nun hören wir, Herr Löning, relativ selten davon, dass sich da wirklich viele Leute drüber aufregen. Gegen solche Aktionen gibt es eigentlich kaum Demonstrationen und die Aufschreie nach solchen Enthüllungen, die verpuffen ja immer ziemlich schnell wieder. Was schätzen Sie, woran liegt das?
Löning: Vielleicht liegt es daran, dass es so wenig fassbar ist. Aber die Kollegen im Bundestag haben das durchaus verstanden. Gerade die Kollegen, die in dem NSA-Untersuchungsausschuss sind, wissen ja, was da läuft und wie zurzeit die Situation ist. Es gibt da ja auch Impulse in Richtung einer Verbesserung der Kontrolle. Insofern: Da ist ja schon ein Bewusstsein da. Und der Gesetzgeber, also der Bundestag muss diesen Schritt machen. Dazu bedarf es auch keiner Demonstrationen auf den Straßen, sondern da müssen die Abgeordneten ihre Verantwortung wahrnehmen. Sie müssen dafür sorgen, dass das Grundgesetz, das Rechtsstaatsprinzip überall von jeder staatlichen Verwaltung, auch von den Geheimdiensten unbedingt eingehalten wird, dass auch die Bürger- und Menschenrechte, die in der Verfassung kodifiziert sind, von allen staatlichen Verwaltungen eingehalten werden.
Armbrüster: Wie zuversichtlich sind Sie denn eigentlich, dass das Telefon beispielsweise von Angela Merkel oder auch das von anderen Ministern nicht weiter abgehört wird?
Löning: Ich gehe davon aus, dass es eine Menge Dienste gibt, die großes Interesse haben, und zwar könnte ich mir gut vorstellen, dass die chinesische oder die russische Regierung ein großes Interesse daran hat. Das ist sicher eine Frage, die müssen Sie dem Verfassungsschutz stellen: Wie gut ist die Abwehr? Wie gut funktioniert die Abwehr an dieser Stelle? Da gibt es ja immer diejenigen, die wir als nicht unsere Freunde betrachten und die das machen, und es gibt diejenigen, die wir als unsere Freunde betrachten, und mit unseren Freunden brauchen wir tragfähige Vereinbarungen. Da muss Vertrauen aufgebaut werden, da muss auch eine Zusammenarbeit, eine vernünftige Zusammenarbeit sowohl der Geheimdienste, aber auch der kontrollierenden Parlamente stattfinden. Dann kann man das Risiko, dass da abgehört wird, wirklich deutlich senken. Aber die Bundesregierung und der Bundestag müssen dort auch einen Schritt auf die europäischen und amerikanischen Partner zumachen.
Armbrüster: ... sagt hier bei uns im Deutschlandfunk Markus Löning, der ehemalige Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, heute Netzexperte. Vielen Dank, Herr Löning, für das Gespräch an diesem Dienstagmittag.
Löning: Vielen Dank, Herr Armbrüster.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.