Das Silicon Valley boomt. Twitter startete vor Kurzem mit Rekordwerten an die Börse. Apple verkauft massenhaft Telefone. Google scannt Millionen Bücher. Und die Facebook-Gemeinde wächst und wächst. Die ganze Welt nutzt Ideen aus dem Silicon Valley und San Francisco. Doch seit den Enthüllungen von Edward Snowden grummelt es in der Bay Area.
Auf den amerikanischen Technologiesektor könnten riesige Probleme zukommen, warnt Daniel Castro, Analyst bei der auf neue Technologie spezialisierten Denkfabrik ITIF. Immer mehr Kunden aus dem Ausland überlegten, ihre Daten statt in den USA auf ihren heimischen Servern zu speichern. Was das für die Tech-Branche im Silicon Valley bedeutet, hat Castro in einer Studie ausgerechnet: Er kommt auf Einnahmeausfälle von 35 Milliarden Dollar in den nächsten drei Jahren.
Tech-Firmen spürten schon jetzt die Auswirkungen des NSA-Skandals, sagt Castro. Unternehmenszahlen hat er allerdings keine. Und: Die Branche schweigt. Egal ob Google, Twitter, Dropbox: Interviewanfragen zur NSA werden meistens ignoriert. Einige wenige antworten per Mail, nur um dann an andere Firmen zu verweisen, die das Thema doch viel mehr betreffe. Die so genannten „ "Techies" sind alarmiert. Dass sich die Branche inzwischen wirklich Sorgen macht, wird noch deutlicher, wenn man ohne Mikrofon kommt – wie Sean Randolph:
Auf den amerikanischen Technologiesektor könnten riesige Probleme zukommen
"Offen auf die Auswirkungen der NSA-Affäre angesprochen hat mich noch niemand. Viele Firmen sind im Moment sehr vorsichtig. Sie wollen nicht, dass das globale Netz zerstückelt wird. Wenn immer mehr Länder ihren eigenen Weg gehen, könnte das dazu führen, dass der freie Informationsfluss ins Stocken gerät und die US-Firmen viele Kunden verlieren. Die Branche hier ist deshalb sehr beunruhigt über die aktuellen Entwicklungen."
Randolph sitzt in einem unauffälligen Hochhaus im Financial District San Franciscos. Mit Beamtensakko und Harry-Potter-Brille ist er das Gegenteil der hippen Twitterer und nerdigen Googler, aber er ist einer der besten Kenner der Branche. Randolph ist Vorsitzender des Bay Area Council Economic Insitute, einer Art Denkfabrik für die Bucht von San Francisco. Es strömt immer mehr Geld in die Region, sagt Randolph. Daran wird auch der NSA-Skandal nichts ändern. Aber die Geschwindigkeit, mit der das Geld fließt, könnte sich verlangsamen. Und das würde am Ende alle treffen.
Ein typisch kalifornisches Großraumbüro: Massagestühle, eine Tischtennisplatte und Fahrradständer zwischen Tischen voller Laptops und Tablet-Computer. David Thompson, Marketingchef von UStream, erklärt gerade sein Geschäftsmodell. Wie Twitter nur für Video, nennt er es scherzhaft. Eine Plattform für Liveberichterstattung. Und die Nachfrage ist groß: Weltweit übertragen Firmen ihre Veranstaltungen in Echtzeit. Während der Proteste in der Türkei erreichten die Livebilder über UStream Millionen, erzählt Thompson. Auf die NSA kommt er nur widerwillig zu sprechen:
"Ob wir wegen dieser NSA-Sache besorgt sind? Nein. Das ist eine rein politische Angelegenheit. Wir helfen Menschen lediglich, ihre Videos zu verbreiten. Die Spionagesache hat auf uns keinen negativen Einfluss."
Spioniert werde doch überall – so lautet die vorherrschende Meinung in der Bay Area. Und nicht nur bei den Unternehmern, sondern auch auf der Straße. Ein großes Thema ist die Überwachung nicht. Auch nicht bei denen, die über die Tech-Branche berichten.
Das Büro des Wirtschaftsdienstes Bloomberg, ein ehemaliges Dock im Hafen. Im Aufzug empfängt der Chef selbst. Jeffrey Taylors Team berichtet hauptsächlich über Tech- und Internetunternehmen – wie Google. Der Konzern mit Hauptsitz im Silicon Valley betreibt zahlreiche Plattformen, die Daten auf Servern in den USA speichern. Taylor wäre also einer der Ersten, die darüber schreiben, wenn Google Kunden verlieren würde.
Es geht nicht um Verluste von heute, sondern um das Wachstum von morgen
"Die Aktie von Google hat vor Kurzem zum ersten Mal die 1000-Dollar-Marke geknackt. Ich sehe da also keinen Zusammenhang mit der weltweiten Entrüstung über die NSA - zumindest noch nicht. Aber die Netzunternehmen hier versuchen jetzt natürlich, deutlich zu machen, dass sie Geheimdienste wirklich nur in Ausnahmenfällen auf ihre Server zugreifen lassen."
Die Gefahr des wirtschaftlichen Schadens sei durchaus real, meint Daniel Castro, Berater bei der "Information Technology and Innovation Foundation" – auch wenn bisher noch niemand etwas davon merke. Es gehe eben nicht um die Verluste von heute, sondern um das Wachstum von morgen.
Ohne Zweifel werden die amerikanischen Technologie-Firmen darunter leiden, dass die US-Regierung das Netz derart flächendeckend ausspähen ließ, ist Castro überzeugt. Branchenkenner Sean Randolph sieht noch einen weiteren Grund, warum US-Unternehmen langfristig verlieren könnten:
"Man könnte es ganz platt Protektionismus nennen: Regierungen und Firmen versuchen immerhin, Server und Netzdienste im eigenen Land anzusiedeln. Die Enthüllungen von Edward Snowden haben da zusätzlichen Druck aufgebaut. Wer vorher schon wollte, dass sich Europa selbst mehr um neue Technologie kümmert, der trommelt jetzt eben besonders laut und sagt: Da seht ihr, warum es besser wäre, auf heimische Produkte zu setzen."
"Man könnte es ganz platt Protektionismus nennen: Regierungen und Firmen versuchen immerhin, Server und Netzdienste im eigenen Land anzusiedeln. Die Enthüllungen von Edward Snowden haben da zusätzlichen Druck aufgebaut. Wer vorher schon wollte, dass sich Europa selbst mehr um neue Technologie kümmert, der trommelt jetzt eben besonders laut und sagt: Da seht ihr, warum es besser wäre, auf heimische Produkte zu setzen."
Und das wohl nicht ganz ohne Wirkung. Immerhin ein Drittel der deutschen Unternehmen will künftig laut einer Studie der Beratungsfirma PwC die Sicherheit der eigenen Datensysteme überprüfen. Fünfzehn Prozent denken sogar darüber nach, auf europäische Dienstleister umzusteigen. Zumindest viele deutsche Firmen sind alarmiert - so scheint es immerhin.