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NSA-Affäre
SPD-Innenpolitiker fordert Ausbau der Spionageabwehr

Als Konsequenz aus den Abhöraktivitäten des US-Geheimdienstes NSA müsse die Spionageabwehr ihren Blick stärker Richtung Westen wenden, sagte der SPD-Innenpolitiker Michael Hartmann im Deutschlandfunk. An einem Ausbau dürften keine US-Firmen beteiligt werden.

Michael Hartmann im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Jasper Barenberg: Oktober 2002: Der amerikanische Präsident heißt George W. Bush und ist richtig sauer. Er will gegen den Irak in den Krieg ziehen, weiß dabei die Briten, die Australier und die Slowaken an seiner Seite, empört sich umso mehr darüber, dass der deutsche Kanzler nicht mitziehen will, denn Gerhard Schröder erteilt dem Weißen Haus eine Absage, verbündet sich gar mit Frankreich und Russland in dieser Frage. Wurde deshalb der Geheimdienst NSA auf Schröder angesetzt? So berichten es heute die "Süddeutsche Zeitung" und der NDR.
    Am Telefon begrüße ich den innenpolitischen Sprecher der SPD im Bundestag. Schönen guten Tag, Michael Hartmann.
    Michael Hartmann: Guten Tag, Herr Barenberg.
    Barenberg: Herr Hartmann, niemand in Berlin ist überrascht, berichtet die Kollegin aus der Hauptstadt. Sie auch nicht, nehme ich an?
    Hartmann: Nein. Es ist einfach nur eine neue Volte mit gar nicht so unbekannten Fakten, zumindest wenn man in den Informationszusammenhängen steht, in denen ich stehen muss oder darf.
    Barenberg: Niemand ist überrascht und es ist ein weiteres Zeichen dafür, wie schlecht es um das Verhältnis zu den USA bestellt ist?
    Hartmann: Das Verhältnis zu den USA ist wichtig und muss stabil bleiben. Aber genau deshalb müssen sich die Vereinigten Staaten jetzt unbedingt bewegen. Ich durfte an der Münchner Sicherheitskonferenz teilnehmen und habe auf der Bühne und hinter den Kulissen immer ein hartes "No" gehört, wenn wir über ein No-Spy-Abkommen oder ein anderes Entgegenkommen gesprochen haben. Das geht nicht. Das geht auch nicht im Lichte der Obama-Rede. Und Schröder ist ja nur einfach ein Weiterspinnen einer ohnehin leider schmerzlich bekannten Tatsache.
    Barenberg: Sie haben die Münchner Sicherheitskonferenz angesprochen. Dort wurde ja über vieles gesprochen, aber mit keiner Silbe haben die Gäste aus den Vereinigten Staaten dieses Thema überhaupt angeschnitten. Was sagt denn das darüber aus, zu welchem Entgegenkommen die USA überhaupt bereit sein werden?
    "Wir müssen uns besser selber schützen"
    Hartmann: Ich habe die Podien und Foren anders wahrgenommen. Da wurde verblümt oder auch offen deutlich gesagt, dass diese Praxis eine aus Sicht der USA mehr als nur legitime, ja sogar notwendige und auf jeden Fall noch nicht mal eine Entschuldigung herausfordernde ist. Das verlangt Widerspruch in aller Freundschaft vor dem Hintergrund, dass wir auf einem gemeinsamen Wertefundament agieren, dass es darum geht, Freiheit zu verteidigen, und wir uns als befreundete oder verpartnerte Staaten eben nicht so behandeln lassen dürfen, wie die USA uns behandelt haben.
    Es schädigt die Interessen und das Ansehen der Vereinigten Staaten selbst und ich hoffe, das merken unsere Freunde, die auch weiter Freunde bleiben sollen demnächst. Im Übrigen: Wer uns so behandelt, kann nicht darauf bauen, dass wir das nicht auch irgendwann tun. Außerdem müssen wir uns selbst besser schützen und eine Spionageabwehr aufbauen, die ganz sicher nicht unter Beteiligung von US-Firmen stattfinden wird.
    Barenberg: Weil Sie von dem gemeinsamen Wertefundament sprechen, Herr Hartmann, ist es nicht Zeit anzuerkennen, dass so etwas wie Freundschaft in Wahrheit auch zwischen so engen Verbündeten wie der Bundesrepublik und den USA nicht besteht, sondern dass es hier um knallharte Interessen geht und aufseiten der USA darum, dass mit allen technischen Mitteln zu verfolgen und zu versuchen, was sie können und wozu sie in der Lage sind?
    Hartmann: Herr Barenberg, Sie haben natürlich recht. Der private, von Emotionen geprägte Begriff Freundschaft, der ist unter Staaten zwar gang und gäbe, und auch ich habe das Wort eben verwendet, aber natürlich meinte es eine Interessensidentität, aber in dem Falle doch wirklich auf einem gemeinsamen Wertefundament und mit gemeinsamen Zielen in der Außenpolitik und in der Zusammenarbeit. Deshalb kann man durchaus auch einen interessengeleiteten Freundschaftsbegriff so aufladen, dass man sagt, das geht nicht, das werden wir nicht dulden und wir werden uns dagegen wehren, am besten ihr korrigiert euch aber auch, denn das Abhören von Kanzlerhandys hat nun nichts mehr mit Terrorbekämpfung zu tun. Zu der haben die USA jeden Anlass und uns auch weiterhin an ihrer Seite, aber das beliebige Ausspähen, die klassische Spionage werden und dürfen wir nicht dulden.
    "Eine einmütige Reaktion Europas gefordert"
    Barenberg: Zu einer solchen nüchternen Betrachtung gehört dann auch, dass die Bundesrepublik beispielsweise zu einer anderen Liga gehört oder nicht in die gleiche Liga gehört wie beispielsweise Großbritannien, Kanada oder Australien.
    Hartmann: Diese Eyes of Five, diese fünf Staaten, die da zusammengeschlossen sind und sich wechselseitig versprochen haben, sich nicht auszuspähen, die teilen allerdings auf der anderen Seite Informationen in einer Weise und einer Tiefe, dass ich gar nicht dazugehören möchte - zum einen. Und zum anderen: Es ist ein großer Unterschied, ob man mit nachrichtendienstlichen Mitteln zum Erkenntnisgewinn im Kampf gegen den Terror agiert, oder ob man das weidliche, beliebige Ausspähen betreibt. Es ist ja ganz vergessen, dass sogar der Vatikan betroffen war. Es ist ganz vergessen, dass nicht nur Deutschland, sondern viele andere zentraleuropäische Staaten belauscht und ausgespäht wurden, und dass sogar unsere EU-Vertretungen, also diplomatische Vertretungen, Angriffsziele waren. Das fordert eine einmütige Reaktion Europas. Da haben wir natürlich mindestens einen Schwachpunkt: Großbritannien. Auch mit denen muss ein deutliches Wort geredet werden. Und einen zweiten Schwachpunkt: Polen, über den bisher noch gar nicht so geredet wird.
    Barenberg: Die Grünen, Oppositionspartei, gleich dazu gesagt, werfen Ihnen jetzt vor, dass wie bei der alten Regierung auch die neue keinen Ehrgeiz zeigt, tatsächlich für Aufklärung zu sorgen. Was außer Appellen - Sie sprechen von einer einmütigen Position, die Europa einnehmen muss -, was außer Appellen bleibt denn?
    Hartmann: Zum einen: Wer jetzt die Klappe aufreißt und alles immer schon wusste, wo war dessen Stimme vorher, und wo war diese Stimme vorher, als man selbst Mitglied von Regierungsfraktionen war. Aber das sei nur am Rande erwähnt. - Nun, ich habe eben zwei Aspekte erwähnt, die ich gerne in Zukunft stärker in die Diskussion bringen möchte, nämlich zum einen: Unsere Spionageabwehr muss in Quantität und Qualität nicht nur Richtung Osten, sondern zukünftig leider auch Richtung Westen deutlich besser werden, und wir müssen eigene Maßnahmen aufbauen, um im Rahmen des Rechtsstaates Erkenntnisse zu erzielen, und das alles ohne Beteiligung von US-Firmen. Ich glaube, das Argument der Auftragsvergabe lässt da manche nicht unbeeindruckt. Ich meine das aber sehr ernst, wenn ich das formuliere, und will auch meinen Einfluss in dieser Richtung geltend machen. Und ich füge außerdem hinzu: Wir müssen über alles, was Sicherheitszusammenarbeit bedeutet, noch einmal neu reden, nicht mit dem Ziel, das zu kündigen, wir brauchen uns wechselseitig, aber auch mit dem Ziel, um den US-Amerikanern klar zu machen: Sie haben in Deutschland auch Interessen - man denke nur an Ramstein und anderes -, die uns wechselseitig zu einem anderen Umgang unbedingt bewegen sollten.
    Barenberg: Es ist also schon Zeit, die eigenen Interessen stärker zu definieren und Verbündete dafür in unserer Nachbarschaft, in Europa zu suchen?
    Hartmann: Ja, und ich sehe übrigens mit Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier einen ebenso ruhigen wie erfahrenen wie entschlossenen Politiker jetzt an der Spitze des Auswärtigen Amtes, der das auch vorantreibt, in aller Ruhe, mit aller nötigen Diplomatie, aber auch mit aller Entschlossenheit, und ich erwarte natürlich auch wie alle anderen, dass die Kanzlerin in Amerika ihr Wort geltend machen wird, etwa in dem Sinne, wie sie es in der Regierungserklärung auch schon beschrieben hat.
    Untersuchungsausschuss eingesetzt
    Barenberg: Lassen Sie uns zum Schluss kurz noch über den Untersuchungsausschuss sprechen, der ja geplant ist im Bundestag. Wie viel Aufklärung aus Washington ist über diesen Weg zu erwarten, wenn die Regierung schon bisher mit ihren Fragen keinen großen Erfolg hatte?
    Hartmann: Null Komma null. Die Amerikaner werden uns keine Dokumente geben. Die US-Amerikaner werden keine Zeugen schicken, und das weiß auch jeder, der diesen Untersuchungsausschuss beantragt, oder hoffentlich weiß es jeder. Was wir klären können ist, ob und inwieweit die Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten von Amerika solche Entwicklungen begünstigt hat oder nicht und wie unsere Dienste agieren. Es soll niemand glauben, dass Keith Alexander oder ein anderer hoher Geheimdienstmitarbeiter aus den USA, am besten noch von Obama persönlich entsandt, als Zeuge im Untersuchungsausschuss erscheinen wird.
    Barenberg: Das heißt aber eigentlich, Herr Hartmann: Es macht nicht so richtig Sinn, dieser Untersuchungsausschuss?
    Hartmann: Doch, wenn wir ihn ähnlich wie der NSU-Untersuchungsausschuss einpacken in eine Gesamtfragestellung, die Art und Umfang nachrichtendienstlichen Agierens, die Zusammenarbeit mit den USA und die Kontrolle darüber enquete-mäßig aufarbeiten.
    Barenberg: Der innenpolitische Sprecher der SPD im Bundestag heute live hier in den "Informationen am Mittag" im Deutschlandfunk. Ich bedanke mich, Herr Hartmann.
    Hartmann: Sehr, sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.