Jasper Barenberg: Hat der amerikanische Geheimdienst NSA jahrelang europäische Unternehmen und Politiker ausspähen können, weil der BND dabei nach Kräften half, und zwar mit Suchkriterien, die gegen deutsche und europäische Interessen verstießen, und all das unter den Augen des damaligen Kanzleramtsministers? Nach seinem Auftritt im Bundestags-Kontrollgremium sieht sich Thomas de Maizière vollständig entlastet.
Jede Detailkenntnis über unzulässige Spionageversuche der USA mit Hilfe des BND hat Thomas de Maizière bei seinem Auftritt gestern im Bundestag bestritten. Als Chef im Kanzleramt will er den Amerikanern vielmehr den Wunsch nach einer problematischen Zusammenarbeit abgeschlagen haben. Für den CDU-Politiker sind die Vorwürfe damit aus der Welt, für die Opposition allerdings noch lange nicht. Meine Kollegin Christine Heuer hatte Gelegenheit, darüber mit dem Vorsitzenden des Parlamentarischen Kontrollgremiums zu sprechen, mit André Hahn von der Linkspartei.
Christine Heuer: Thomas de Maizière sieht sich komplett entlastet. Sehen Sie das auch so?
André Hahn: Nein, ich sehe das nicht so, zum jetzigen Zeitpunkt jedenfalls nicht. Herr de Maizière hat sich selbst freigesprochen von allen Vorwürfen, hat das Gremium mit seiner Sicht konfrontiert, er hat aber entscheidende Fragen unbeantwortet gelassen, zum Beispiel die danach, warum er denn trotz Kenntnis, dass die Amerikaner an geltenden Verträgen vorbeigearbeitet haben, nichts unternommen hat, ob er bei den Amerikanern vorstellig wurde, ob er etwas dafür getan hat, dass die Einstellung von Suchbegriffen, die deutschen Interessen widersprechen, unterbleibt. Dazu hat er keine Auskunft geben können und das wird am Ende vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss geschehen und da wird man ihn mit weiteren Akten konfrontieren.
Heuer: Aber, Herr Hahn, Thomas de Maizière hat ganz klar gesagt, er sei 2008 nicht unterrichtet worden über die Spionage-Suchbegriffe der Amerikaner und eine mögliche Wirtschaftsspionage.
Hahn: Genau das ist der Streitpunkt. Er geht davon aus, dass er konkret unterrichtet hätte werden müssen, mit konkreten Firmennamen beispielsweise, von denen er angibt, sie nicht gehört zu haben. Das glaube ich ihm durchaus. Aber es finden sich in den Unterlagen Hinweise zu Arbeiten des BND, dass die Amerikaner entgegen den geltenden Verträgen entsprechende Sachen einstellen, die ihren Interessen entsprechen und deutschen oder auch europäischen Interessen zuwider laufen, und hier hätte er nachfragen müssen, um was für Vorgänge es geht, und das hat er zumindest nach dem jetzigen Kenntnisstand nicht getan.
Heuer: Warum glauben Sie hat er es nicht getan, wenn es so ist?
Hahn: Seine Erklärung ist, dass er das möglicherweise nicht so wichtig genommen hat, und zum damaligen Zeitpunkt ja sogar der Wunsch der Amerikaner bestand, die Zusammenarbeit zu intensivieren und auszubauen, und da hat er die Bedenken des BND dahingehend akzeptiert, dass er diesem Ausbau nicht zugestimmt hat, dass er also keine weiteren Kooperationen mit der NSA dort betreiben wollte. Das kann so gewesen sein, aber der Vorwurf von Wirtschaftsspionage oder politischer Spionage ist doch sehr schwerwiegend und er sagt, er hat das damals nicht gesehen, sondern die Hinweise wären zu allgemein gewesen. So habe ich seine Erklärung jedenfalls verstanden.
Organisationsversagen beim BND
Heuer: Machen Sie auch dem Bundesnachrichtendienst Vorwürfe?
Hahn: Ja selbstverständlich! Wenn es stimmen sollte, dass bestimmte Vorgänge auf der unteren Ebene liegen geblieben sind über Jahre hinweg und man das nicht an die vorgesetzten Stellen weitergemeldet hat, dann ist das auch ein Organisationsversagen beim BND, ganz klar. Offenbar hat man geglaubt, man kann das irgendwie auf interner Ebene mit den Amerikanern klären, indem man ihnen hin und wieder mal gesagt hat, unterlasst das doch mal bitte und jetzt sind schon wieder solche Sachen gekommen. Es wäre aber die Pflicht gewesen des BND, solche Vorgänge an das Kanzleramt, an die entsprechenden Beamten dort weiterzugeben, und dann hätte die politische Führung entscheiden müssen, was man tut.
Heuer: Die einen haben nicht laut genug gerufen und die anderen haben nicht genau genug hingehört?
Hahn: Ja, man kann das schon so sagen. Aber das Schlimme ist ja, dass über ein Jahrzehnt hinweg es möglich war, dass die Amerikaner Begriffe, die nichts zu tun hatten mit Terrorabwehr oder mit der Aufdeckung von Waffenhandel, einspielen konnten und dabei offenkundig Unternehmen, europäische Interessen verletzt worden sind, möglicherweise europäische Institutionen und Politiker betroffen waren, und das hätte man im BND feststellen müssen, das hätte das Kanzleramt wissen müssen, und wenn es das gewusst hat, dann hätte es sofort reagieren müssen. Diesbezüglich ist nichts getan. Das Ganze ist ja erst, was die Liste angeht, vor wenigen Tagen hochgekommen, dass man überhaupt weiß, wie viele waren in dieser Liste drin, wie viele komplizierte und problematische Begriffe. Das können wir erst seit einigen Tagen überhaupt bewerten. Wir haben die Liste bis heute nicht vorliegen. Das war ein ganz entscheidender Punkt. Herr Altmaier sah sich außer Stande, uns diese Liste zur Verfügung zu stellen. Man erwartet im Konsultationsverfahren ein Signal von den Amerikanern. Ich finde das völlig indiskutabel. Es kann ja nicht sein, dass die Amerikaner darüber entscheiden, ob der Deutsche Bundestag Akten des BND vorgelegt bekommen. Das ist doch die Kernfrage. Wenn der Generalbundesanwalt ermittelt, dann muss er diese Akten auch sehen können, und da kann es nicht sein, dass diejenigen, die sich möglicherweise strafbar gemacht haben, entscheiden, ob die Beweismittel herausgerückt werden. Das ist der Punkt, über den wir in den nächsten Tagen reden werden, und möglicherweise wird die Entscheidung darüber beim Bundesverfassungsgericht fallen.
Barenberg: André Hahn von der Linkspartei im Gespräch mit meiner Kollegin Christine Heuer.
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