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NSA-BND-Affäre
"Übergriffigkeit der NSA war bekannt"

Der Grünen-Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss, Konstantin von Notz, verlangt von der Bundesregierung Aufklärung über die jüngste BND-Affäre. Die Zusammenarbeit von Geheimdiensten könne Sinn ergeben, aber wenn der Auslandsgeheimdienst BND im Inland Datenabflüsse für Partner organisiere, sei das ein problematischer Vorgang und etwas Skandalöses.

Konstantin von Notz im Gespräch mit Reinhard Bieck |
    Der Grünen-Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss, Konstantin von Notz
    Der Grünen-Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss, Konstantin von Notz (dpa / picture-alliance / Britta Pedersen)
    Das Parlament habe eine Kontrollfunktion und müsse deshalb ehrliche Antworten bekommen. Innenminister Thomas de Maizière solle bald vor dem NSA-Untersuchungsausschuss aussagen. Der Grünen-Politiker betonte, nach seiner Kenntnis müsste der Bundesregierung die Übergriffigkeit der NSA bereits seit 2005 bekannt gewesen sein.
    Eine Kultur habe sich etabliert, auf parlamentarische Anfragen spitzfindig an dem eigentlichen Fragegegenstand vorbei Antworten zu finden. Das falle der Bundesregierung jetzt auf die Füße.
    Nach Informationen von "Süddeutscher Zeitung", NDR und WDR hat der Bundesnachrichtendienst dem US-Geheimdienst NSA jahrelang dabei geholfen, die französische Regierung und die EU-Kommission auszuspionieren. Über die BND-Station in Bad Aibling seien hochrangige Beamte in Paris und Brüssel abgehört worden.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Eine Woche nach den ersten Berichten über Hilfestellung des BND bei der Spionage des US-Geheimdienstes NSA in Europa sorgen jetzt neue Enthüllungen für Wirbel. Nach Informationen von "Süddeutscher Zeitung", NDR und WDR nutzte die NSA die Abhörstation des Bundesnachrichtendienstes in Bad Aibling zum Ausspähen hochrangiger Beamter des französischen Außenministeriums, des Präsidentenpalastes in Paris und der EU-Kommission in Brüssel. Vor einer Woche waren erste Vorwürfe ans Licht gekommen, wonach der BND der NSA über Jahre half, europäische Unternehmen und Politiker auszuforschen. Mein Kollege Reinhard Bieck hat gestern Abend mit dem Grünen-Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss Konstantin von Notz gesprochen.
    Reinhard Bieck: Herr von Notz, Thomas de Maizière ist ja nun wirklich zu bedauern! Der frühere Kanzleramtschef und heutige Innenminister würde so furchtbar gern alles aufklären, aber leider, leider darf er ja keine Geheimnisse verraten. Ich vermute mal, Herr von Notz, Ihr Mitleid hält sich in Grenzen?
    Konstantin von Notz: Ja, ich würde auch leider, leider über ganz, ganz viele Dinge berichten, die sind auch alle geheim gestempelt. Insofern wird die Bundesregierung hier Opfer ihrer eigenen Geheimniskrämerei. Sie hat große Teile der Akten, die wir bekommen haben, als geheim und streng geheim eingestuft, also mit den höchsten Siegeln belegt, wenn Sie so wollen. Und insofern ist mein Mitleid begrenzt, dass jetzt der Bundesregierung das auch ein bisschen auf die Füße fällt. Aber in der Tat, Herr de Maizière muss vor unseren Ausschuss kommen und soll mal berichten, wie er die Sachen sieht.
    Bieck: Kommen wir doch mal zum Kern dieser Affäre! Ans Licht gekommen ist alles im NSA-Untersuchungsausschuss, der ja aufklären soll, was ausländische Geheimdienste so alles in Deutschland treiben. Wohl gemerkt: Es geht um die Aktivitäten fremder Dienste. Nun, ist das Bekanntwerden der Zusammenarbeit zwischen dem deutschen BND und der amerikanischen NSA in ihrem Untersuchungsausschuss so eine Art Beifang?
    Gewisse Unaufrichtigkeit
    von Notz: Nein, das würde ich so nicht sagen. Denn es geht ja darum, was die NSA auch in Deutschland gemacht hat, in Kooperation mit dem BND. Genau da liegt die Sensibilität der ganzen Kooperation, die es gegeben hat. Und genau dem versuchen wir nachzuspüren. Immer in dem Bewusstsein, dass im Wahlkampf 2013 nach den Snowden-Veröffentlichungen die Bundeskanzlerin, die Bundesregierung damals gesagt hat, man wäre vollkommen überrascht, man hätte überhaupt keine Ahnung gehabt, was die Amerikaner alles tun und was sie alles können. Und das scheint insgesamt von einer gewissen Unaufrichtigkeit geprägt gewesen zu sein.
    Bieck: Also bleiben wir mal bei Überraschung: Ist es denn wirklich so überraschend und verwerflich, dass die Geheimdienste befreundeter Staaten zusammenarbeiten und sich gegenseitig, wie man so sagt, Amtshilfe leisten?
    von Notz: Nein, das sie zusammenarbeiten, das kann durchaus in Ordnung sein und in dem einen oder anderen Fall ja auch Sinn machen. Das Problem ist, dass, wenn in Deutschland der Bundesnachrichtendienst, der ein Auslandsgeheimdienst ist, hier Kommunikationsverkehre abgreift, ob nun auf der Glasfaser oder am Satelliten, dann muss er sich eben an Recht und Gesetz halten. Und wenn er da mit einem Partner kooperiert und ihm Zugänge gewährt und Datenabflüsse zu ihm selbst organisiert, der sich nicht an Recht und Gesetz hält und der ganz offensichtlich gegen deutsche und europäische Interessen verstößt, dann ist das ein hoch relevanter, gravierender und problematischer Vorgang und hat etwas Skandalöses. Das ist ganz eindeutig so.
    Bieck: Die Bundesregierung hat ja letzte Woche sofort den BND zum Übeltäter gemacht. Aber der wehrt sich, er habe dem Kanzleramt schon 2008 verdächtige Anfragen der NSA gemeldet. Ja, wenn das stimmt, dann hat das Kanzleramt als Aufsichtsorgan versagt, oder?
    von Notz: Der ursprüngliche Fall, auf den auch Bezug genommen wird im Jahr 2008 in Vermerken und dann später im Jahr 2010 noch mal, der rührt aus dem Jahr 2005. Und deswegen ist es so, dass eigentlich seit dem Jahr 2005 die Bundesregierung, das Kanzleramt unter Frau Merkel schon das Bewusstsein gehabt haben muss, dass es dort ein Problem gibt. Zumindest aber muss es innerhalb des BNDs bekannt gewesen sein, denn man berichtet ja in diesen späteren Vermerken darüber. Also seit 2005 war die Problematik der Übergriffigkeit der NSA bekannt, und trotzdem hat man weiter in diesem sensiblen Bereich mit der NSA kooperiert, weil man ganz offensichtlich die Belange deutscher Wirtschaftsunternehmen, europäischer, politischer Interessen nicht ganz so ernst genommen hat. Das geht gar nicht.
    Bieck: Also, ich fasse mal zusammen: Die Bundesregierung hat sich anfangs als Unschuldslamm präsentiert nach außen, sie habe von all dem nichts gewusst. Das bezeichnen Sie – Sie haben es auch gerade getan – als Lüge. Und Sie, Herr von Notz, behaupten sogar, das sei kein Einzelfall, in den vergangenen Jahren habe sich geradezu eine Kultur etabliert, dem Parlament nicht die Wahrheit zu sagen. Nennen Sie uns Beispiele.
    Kultur des "An-der-Wahrheit-vorbei-Antwortens"
    von Notz: Es hat sich eine Kultur etabliert, auf die parlamentarischen Anfragen, seien sie in der mündlichen Fragestunde oder durch kleine Anfragen, sehr, sehr spitzfindig immer an dem eigentlichen Fragegegenstand vorbei, Antworten zu finden. Nehmen Sie das Beispiel meines Kollegen Ströbele, der gefragt hat, ob Drohnen ... bei diesen extralegalen – in Anführungsstrichen – Tötungen Drohnen aus Deutschland gesteuert werden, und das hat die Bundesregierung verneint, obwohl man wohl sehr genau wusste, dass über Rammstein so etwas geschieht. Und jetzt sagt man, na ja, es ist ja nicht aus Deutschland, sondern über Deutschland passiert. Diese Spitzfindigkeiten und dieses bewusste An-der-Wahrheit-vorbei-Antworten, das fällt der Bundesregierung hier in diesem Bereich jetzt voll auf die Füße. Und das ist etwas, was sich in den letzten Jahren etabliert hat, und wir müssen einfach zurückkommen zu einer Kultur der ernsthaften Beantwortung parlamentarischer Anfragen. Denn das Parlament hat Rechte und die Bundesregierung hat diese zu beachten. Denn wir müssen die Bundesregierung kontrollieren können. Und wenn wir nicht die Wahrheit auf unsere Fragen gesagt bekommen, dann fällt diese Kontrolle sehr, sehr schwer und das führt dann zu diesen Missständen, wie wir sie jetzt im BND erleben.
    Bieck: Herr von Notz, wer muss denn nun gehen? BND-Chef Gerhard Schindler, aktuelle oder frühere Geheimdienstkoordinatoren im Kanzleramt, Thomas de Maizière?
    von Notz: Ich finde solche Personaldiskussionen derzeit latent unerquicklich, weil sie im Grunde ablenken von der Problematik. Die Problematik ist ein über viele Jahre gewachsenes Versagen von Verantwortlichkeiten bei ganz vielen Stellen und Personen. Ich finde, wir müssen das sauber aufklären jetzt und müssen genau verstehen, wer was wann entschieden hat, wer sich wann über rechtliche und tatsächliche Bedenken, die es immer gab, hinweggesetzt hat, bewusst hinweggesetzt hat. Und dann müssen wir personelle Konsequenzen ziehen und vor allen Dingen strukturelle Konsequenzen. Denn nur wenn wir die Strukturen ändern, die parlamentarische Kontrolle verbessern, nur dann kann so was nicht wieder passieren.
    Kaess: Sagt Konstantin von Notz, der ist der Grünen-Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss. Die Fragen im Interview stellte mein Kollege Reinhard Bieck.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.