Tobias Armbrüster: Welche Konsequenzen muss Deutschland aus den Enthüllungen von Edward Snowden ziehen, vor allem aus der Affäre um Angela Merkels abgehörtes Handy? Um solche Fragen wird es heute Nachmittag in einer Sondersitzung des Bundestages gehen. Am Telefon ist jetzt Michael Hartmann, innenpolitischer Sprecher der SPD, außerdem Mitglied im Parlamentarischen Gremium zur Kontrolle der Geheimdienste. Schönen guten Morgen, Herr Hartmann.
Michael Hartmann: Guten Morgen.
Armbrüster: Herr Hartmann, können wir heute Nachmittag erwarten, dass die SPD in Sachen Snowden voll auf Unions-Linie einschwenkt?
Hartmann: Sie können erwarten und ganz sicher sein: Wir werden bei unserem Kurs bleiben. Und der Kurs hat immer gelautet: Wir brauchen klare Aufklärung. Wir müssen Konsequenzen daraus ziehen, die Praxis darf nicht fortgesetzt werden. Es ist eher so, dass erfreulicherweise nach wahlkampfbedingtem Agieren von Herrn Pofalla die Union jetzt auf unseren Kurs einschwenkt. Das ist richtig und in unserem nationalen Interesse.
Armbrüster: Vor der Bundestagswahl hat die SPD ja noch sehr markige Töne benutzt. Da wurde zum Beispiel deutlich gefordert, Edward Snowden zur Befragung nach Deutschland zu holen. Können wir solche Töne heute Nachmittag im Bundestag noch mal aus Ihrer Fraktion hören?
Hartmann: Warten Sie doch zunächst einmal die Debatte ab und wie wir uns da positionieren. Sonst nehmen wir ja die ganze Spannung raus. Aber ernsthaft geantwortet. Herr Snowden ist der wichtigste Zeuge in der ganzen Aufklärung der NSA-Affäre und Herr Snowden hat sich unglaubliche Verdienste erworben.
Und deshalb ist es unsere Pflicht, so mit ihm und seinen Interessen umzugehen, dass ihm persönlich nicht geschadet wird. Da ist, glaube ich, manchmal kluge und leise Diplomatie besser als ein großer Auftritt vor Kameras.
Armbrüster: Können Sie das ein bisschen konkreter sagen?
Wie kann das dann aussehen, diese kluge und leise Diplomatie?
Hartmann: Ich kann mir vorstellen, dass es durchaus möglich sein wird, Herrn Snowden unter abhörsicheren Bedingungen in Russland selbst zu befragen. Ob das geht und inwieweit das geht, müssen wir jetzt ausloten. Würden wir versuchen, Herrn Snowden einfach nach Deutschland zu bekommen, würden wir mit Sicherheit trotz aller Bemühungen kaum für seine Sicherheit garantieren können. Wir würden ihm und uns also einen Bärendienst erweisen. Ich habe das Gefühl, dass Russland vielleicht auch ganz eigene Interessen vertritt in dieser Frage. Will sagen: Wir müssen aufpassen, dass Herr Snowden nicht zu einem Spielball wird zwischen den Mächten USA und Russland und vielleicht auch dem publizistischen Interesse einzelner.
Armbrüster: Wenn Sie jetzt sagen, Snowden ist nicht sicher in Deutschland, heißt das, man müsste ihn in die USA ausliefern, diese Gefahr ist einfach zu groß?
Hartmann: Wir müssten ihn zunächst einmal aus Russland heraus bekommen. Wenn Sie sich erinnern: es gibt eine Vereinbarung zwischen Herrn Snowden und dem russischen Staat und die besagt, Herr Snowden ist so lange sicher, wie er nicht mehr Schädliches gegen die USA verbreitet und aussagt. Wie soll es also gehen, unter dem Schutz, unter der Duldung des russischen Staates überhaupt Herrn Snowden aus der sicheren Zone herauszubekommen, denn seine Aussage hier in Deutschland wäre ja bestimmt nicht unbedingt freundlich?
Also ein heikles Spiel. Wer wirklich Herrn Snowden anerkennt in seiner unglaublichen Leistung, der muss mit ihm auch behutsamer umgehen, als das manche tun. Ich glaube, wir müssen unbedingt ihm helfen, wir müssen unbedingt aufklären und wir müssen für ein Ende der Spähaffäre sorgen, die ja noch nicht einmal in ihrer Gänze bekannt ist. Das sind die drei Kriterien, das Dreieck, innerhalb dessen wir uns zu bewegen haben.
Bundesregierung muss auf höchster Ebene mit USA verhandeln
Armbrüster: Herr Hartmann, sind Sie denn zufrieden mit der Art und Weise, wie die amtierende Bundesregierung mit der ganzen Angelegenheit umgeht?
Hartmann: Ehrlich gesagt nein. Wir müssen da nicht nur eine, sondern sogar zwei Schippen drauflegen. Zum einen haben wir ja im Sommer diesen Fragenkatalog in die USA rübergereicht. Der scheint mir immer noch nicht und immer noch nicht befriedigend beantwortet zu sein.
Zum Zweiten: immer neue Fakten werden bekannt. Das Karussell hört nicht auf, sich zu drehen, und wir haben keine klare Positionierung der jetzigen Bundesregierung. Ich wünsche mir – und das ist keine Frage von Regierung und Opposition, sondern eine Frage unseres nationalen Interesses -, dass sich Deutschland zum Beispiel, so wie es das in anderen Fragen auch tut, an die Spitze einer europäischen Bewegung setzt, denn nicht nur die Bundesrepublik ist betroffen, auch andere Staaten. Wir müssen außerdem als Deutschland ein ernstes Wort mit unseren britischen Freunden reden und im Übrigen auf höchster Ebene mit den USA verhandeln. Bisher ist das alles in der Vergangenheit so non galant gewesen und jetzt noch nicht energisch genug.
Armbrüster: Ich kann mir vorstellen, dass viele unserer Hörer, die das jetzt von Ihnen hören, denken, das ist wieder ein Politiker in Deutschland, der verspricht, dass man harte Töne anschlägt mit anderen Politikern in London und auch in Washington, aber eigentlich machen die Geheimdienste doch, was sie wollen.
Hartmann: Das sehe ich für die Bundesrepublik Deutschland nicht so. Man muss natürlich immer vorsichtig sein bei Diensten, die im Geheimen agieren. Da darf sich kein Eigenleben entwickeln. Und sicherlich wurden und werden auch hier Fehler gemacht. Aber ich bin mir sehr sicher, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland keinen Staat im Staate haben. Das gilt für den Bundesnachrichtendienst, unseren Auslandsnachrichtendienst, genauso wie für den Verfassungsschutz oder den Militärischen Abschirmdienst.
Ich bekenne mich als Freund der Dienste, aber Freunde müssen manchmal auch sehr kritisch sein. Diese Kritik scheint mir aber eher in Richtung USA derzeit gehen zu müssen. Was unser Land anbelangt meine ich, dass unsere Dienste insgesamt besser werden müssen, zum Beispiel im Erkennen von Cyber-Angriffen, zum Beispiel in der Abwehr von Spionage und allem, was mit Cyber-Sicherheit zusammenhängt, und da hätte eine neue Große Koalition eine große Aufgabe vor sich.
Armbrüster: Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion war das, Michael Hartmann, über die Sondersitzung des Bundestages heute Nachmittag zur NSA-Spähaffäre. Besten Dank, Herr Hartmann, für das Gespräch.
Hartmann: Sehr gerne.
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