Am Donnerstag wird Bundeskanzlerin Angela Merkel vor dem Bundestags-Untersuchungsausschuss zur Späh-Affäre um den US-Geheimdienst und die Rolle des Bundesnachrichtendienstes aussagen. Bereits heute sind Kanzleramtschef Peter Altmaier und der Geheimdienstbeauftragte der Bundesregierung, Klaus-Dieter Fritsche, als Zeugen geladen. Der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele sagte dazu im DLF, zentrale Frage in dieser Woche sei:"Wann wusste die Kanzlerin, dass ihr Satz falsch war und wann das Kanzleramt." Nun komme es darauf an, was Altmaier, Fritsche und Merkel dazu sagten.
Ströbele, der für die Grünen im Untersuchungsausschuss sitzt, sagte, man wisse, dass das Bundeskanzleramt schon Ende Oktober 2013 die Weisung gegeben habe, die Ausspähpraxis einzustellen. Aber auch danach sei diese fortgesetzt worden. Die Geheimdienste, darunter auch der BND, hätten in Europa, aber auch über NATO-Länder "hemmungslos alles abgegriffen, was sie kriegen konnten".
Der Untersuchungsausschuss war im März 2014 eingesetzt worden. Damit hatte der Bundestag auf die Enthüllungen des früheren US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden zu den massiven Spähprogrammen reagiert. Der Ausschuss soll klären, inwieweit Bürger und Politiker in Deutschland von der NSA und verbündeten Geheimdiensten ausspioniert wurden. Außerdem geht es um die Zusammenarbeit zwischen NSA und dem Bundesnachrichtendienst bei der Abschöpfung von Kommunikationsdaten.
Das komplette Interview zum Nachlesen:
Sandra Schulz: Und am Telefon ist jetzt Hans-Christian Ströbele, für Bündnis 90/Die Grünen Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium für die Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes und stellvertretendes Mitglied im NSA-Untersuchungsausschuss. Schönen guten Morgen!
Hans-Christian Ströbele: Ja, guten Morgen.
Schulz: Welchen Reim machen Sie sich heute auf diesen Satz, Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht? War das einfach naiv, oder war das gelogen?
Ströbele: Ja, es war vor allen Dingen falsch. Das wissen wir ja inzwischen und uns interessiert jetzt - und das wird ein zentraler Punkt in der Befragung sein -, wann wusste die Kanzlerin, dass das falsch war. Wann wusste das Kanzleramt, dass das falsch war. Ist das möglicherweise im Kanzleramt ihr nicht gesagt worden, ist sie da in eine Falle reingelaufen. Wir wissen es nicht. Wir wissen nur eins, dass im Kanzleramt sehr wohl bekannt gewesen ist, schon Ende Oktober 2013, dass eine solche Praxis existierte, weil da ist eine Weisung erteilt worden, das abzustellen.
Schulz: Gehen Sie denn davon aus, dass das jetzt in dieser Woche, in dieser letzten Woche der Beweisaufnahme zweifelsfrei geklärt wird werden können?
Ströbele: Das kommt darauf an, was die Zeugen sagen, also was Herr Altmaier sagt. Er wird ja jetzt heute dran sein. Was Herr Fritsche sagt, der da immer eine ganz zentrale Rolle gespielt hat. Und was am Donnerstag die Kanzlerin sagt. Da geht es ja auch nicht nur jetzt um diesen Satz, sondern es geht auch darum, das Verhalten des Kanzleramtes vor der letzten Bundestagswahl: Was ist da abgesprochen worden? Ist mit der Kanzlerin abgesprochen worden, dass Herr Pofalla im August 2013 erklärt hat, da ist nichts dran, die ganze Sache hat sich erledigt. Wir brauchen da gar nichts weiter zu machen. Und was wusste zu diesem Zeitpunkt das Kanzleramt wirklich, was ist da vorher gesprochen worden. Wie man vor der Bundestagswahl damals, ein paar Wochen vor der Bundestagswahl, mit dieser ganzen Frage umgeht?
Schulz: Jetzt sind Sie kurz vor dem Ende Ihrer Ermittlungsarbeit. Viele haben sicherlich nicht ganz genau verfolgt, was jeweils der Stand war. Was ist denn heute oder zum Auftakt dieser Woche der substanziellste Vorwurf, den Sie der Bundesregierung machen würden?
Ströbele: Ja, dass die Bundesregierung seinerzeit genau das gemacht hat, wozu die Kanzlerin gesagt hat, das geht gar nicht. Und dass das auch sogar nach dem Ende 2013 weiter praktiziert worden ist. Da sind zunächst solche Selektoren rausgenommen worden, dann sie aber wieder reingenommen worden. Und das ist eine Praxis, von der die Amerikaner, die amerikanischen Geheimdienstchefs gesagt haben, we take all, wir nehmen alles, was wir kriegen können, auch in Deutschland. Auch vom deutschen Nachrichtendienst ganz offensichtlich praktiziert worden. Die haben ja hemmungslos gerade auch in Europa, aber auch über NATO-Länder, über andere NATO-Länder, die nicht in Europa sind, hemmungslos alles abgegriffen, was sie kriegen konnten.
Schulz: Wie kommen Sie da auf die Einschätzung hemmungslos? Es geht ja heute erst mal um die Befragung von Altmaier, dem Kanzleramtsminister. Der hat nach den Snowden-Enthüllungen ja ganz deutliche Worte gesprochen aus dem Kanzleramt. Das war ja ein Ton, den kannte man vorher gar nicht. Da war ja die Rede von technischen und organisatorischen Defiziten beim BND. Wie gesagt, so was aus dem Kanzleramt war vorher noch nie zu hören. Der Chef wurde inzwischen getauscht, die Kompetenzen des BND ja auch klarer gezeichnet. Ist das inzwischen jetzt nicht alles auf dem richtigen Weg?
"Praxis wird nun auf eine gesetzliche Grundlage gestellt"
Ströbele: Da hat sich einiges geändert. Das hoffen wir sehr. Es hat sich auch die Gesetzeslage geändert. Nun muss man sagen, nach den Enthüllungen von Edward Snowden nicht nur in den USA, sondern dann auch in Deutschland. Aber die Änderung ist völlig unzulänglich. Vor allen Dingen einige Praktiken, die damals illegal und entgegen dem, was die Kanzlerin in der Öffentlichkeit dargestellt hat, an der Tagesordnung waren, werden ja jetzt legalerweise fortgesetzt werden können. Das heißt, es ist zum Teil die Praxis auf eine gesetzliche Grundlage gestellt worden und kann jetzt dann gar nicht mehr beanstandet werden. Für uns ist deshalb diese gesetzliche Änderung, die dann erfolgt ist, völlig unzureichend.
Schulz: Aber steht es der Regierung nicht auch frei, solche gesetzlichen Grundlagen zu schaffen?
Ströbele: Der Bundestag hat das natürlich gemacht. Ja! Aber da fragt man sich, inwieweit ist das mit dem Grundgesetz zu vereinbaren, inwieweit ist das auch mit dem zu vereinbaren, was die Kanzlerin immer vor sich hergetragen hat, wie sie sich verhält und dass sie Vorwürfe macht gegenüber den USA. Zum Beispiel, dass sie ihr Handy abgehört haben. Wenn deutsche Nachrichtendienste sich ähnlich verhalten zu freundschaftlichen Partnern in Europa und sonstigen NATO-Ländern.
Schulz: Hans-Christian Ströbele, Sie sind ja jetzt seit fast 20 Jahren auch Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium, also dem Gremium, das gerade Missstände und diesen Kontrollverlust verhindern soll. Haben auch Sie da Probleme verschlafen?
Ströbele: Wenn wir nicht informiert werden, dann können wir leider nichts machen. Und gerade in diesem Bereich ist die Information überhaupt nicht da, ist nichts gegeben worden.
Schulz: Haben Sie denn vor Snowden mal nachgefragt?
Ströbele: Wir haben natürlich nach Snowden nachgefragt.
Schulz: Nein, vor Snowden.
"Ich bin belogen worden"
Ströbele: Ich kann nur immer wieder feststellen, ich bin belogen worden. Mir ist gesagt worden, wir wissen überhaupt nicht, wovon der redet und ob das, was der da in seinen Papieren, in den Dokumenten aus seinem Besitz, was da steht, ob das nicht gefälscht ist. Wissen wir, ob die Papiere echt sind? Die haben immer so getan, ich weiß von nichts, und wir haben dann herumgestochert. Deshalb war es dringend erforderlich, diesen Untersuchungsausschuss zu machen. Und es stimmt auch nicht, dass der Kanzleramtschef, dass von daher für uns Unterstützung und Information gekommen ist. Dieser Ausspruch und die Reaktion von Altmaier, die war erst 2015, im März 2015. Das heißt, fast zwei Jahre ist die Praxis fortgesetzt worden, die Edward Snowden mit seinen Dokumenten hier für Deutschland unter anderem aufgeklärt hat.
Schulz: Aber die Zusammenarbeit zwischen NSA und BND, die ist ja schon zu rot-grünen Zeiten aufgenommen worden. Kann es auch sein, dass da die CDU-Kanzleramtsminister Probleme geerbt haben zum Teil von der rot-grünen Regierung?
Ströbele: Nein. Das war ja noch gar nicht möglich. Die Technik war in den Jahren 2003, 2004 und so überhaupt noch nicht soweit. Nach 2002 ist angefangen worden, ein solches Projekt, das hieß "Eikonal", in die Tat umzusetzen. Und leider ist auch damals das Parlament nicht informiert worden.
Schulz: Haben Sie denn da gefragt?
Ströbele: Ich kann nicht nach was fragen, von dem ich überhaupt nicht weiß, dass so was existiert.
Schulz: Der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele aus dem Parlamentarischen Kontrollgremium, gleichzeitig stellvertretendes Mitglied im NSA-Untersuchungsausschuss und heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Danke Ihnen ganz herzlich.
Ströbele: Ja, auf Wiedersehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.