Dirk-Oliver Heckmann: Edward Snowden, er ist bekanntlich derjenige, dem die Welt eines zu verdanken hat: die Kenntnis darüber nämlich, dass der amerikanische Geheimdienst NSA in Sachen Überwachung die wohl kühnsten Vermutungen in den Schatten gestellt hat und womöglich weiterhin stellt. In den USA als Verräter verfolgt, wird Snowden ansonsten weltweit für seine Verdienste geehrt. Auch die Opposition im Bundestag zeigt großes Interesse an einer Befragung Snowdens. Die Bundesregierung sieht sich aber außerstande, ihm freies Geleit nach Deutschland zuzusichern. Die Opposition zog deshalb nach Karlsruhe vor das Bundesverfassungsgericht. Gestern wurde die Entscheidung bekannt gegeben.
Patrick Sensburg ist Vorsitzender des NSA-Untersuchungsausschusses. Den CDU-Politiker habe ich gefragt: Sie nennen die Entscheidung eine Klatsche für die Opposition. Weshalb freuen Sie sich eigentlich, dass der NSA-Skandal womöglich immer unaufgeklärt bleiben wird?
Patrick Sensburg: Ich hoffe nicht, dass er unaufgeklärt bleibt. Ganz im Gegenteil! Wir lesen inzwischen sehr, sehr viele Akten, die als geheim und streng eingestuft sind, die uns wichtige Informationen geben, und die Bundesregierung stellt uns Zeugen zur Verfügung, die zum Beispiel über Programme wie „Iconal" sprechen, und das in öffentlicher Vernehmung. Von daher: Ich glaube, dass wir sehr viel aufklären werden, aber ich hoffe, dass die Diskussionen um Rechtsstreitigkeiten vor dem Verfassungsgericht jetzt ein Ende haben.
Heckmann: Das heißt, Sie sagen, man kann auf Edward Snowden als Zeugen eigentlich verzichten?
Sensburg: Ich denke, wir müssen schauen, wenn wir im zweiten Themenkomplex sind, also uns mit den ausländischen Geheimdiensten beschäftigen, dass wir dann Zeugen hören werden, die viel schwieriger zu bekommen sein werden, und da könnte auch noch mal die Frage Edward Snowden aufkommen. Das wird am März/April kommenden Jahres sein. Von daher würde ich auch jetzt noch keinen Zeugen ausschließen. Aber ich denke, wir sollten uns jetzt auf die deutschen Dienste konzentrieren und auf die inhaltliche Arbeit.
"Auf Edward Snowden als Zeugen verzichten"
Heckmann: Aber Sie wissen ja auch, Herr Sensburg: Edward Snowden sagt ganz klar und deutlich, er möchte nicht in Moskau gehört werden, denn da kann er nicht frei reden. Wenn er frei redet, dann droht ihm der Rauswurf aus dem Land, aus seinem Exil. Weshalb nehmen Sie das eigentlich nicht zur Kenntnis?
Sensburg: Dieser Sachstand ist sehr alt. Edward Snowden redet frei, er gibt auch Kollegen von Ihnen vom amerikanischen Fernsehen freimütig Interviews mit doch intensiver Kritik an den amerikanischen Geheimdiensten. Von daher müssen wir uns dann in Zukunft überlegen, welche Möglichkeiten einer Vernehmung noch in Betracht kommen. Da wird man noch mal mit dem Anwalt von Edward Snowden sprechen.
Heckmann: Und der sagt ganz eindeutig, es bleibt dabei.
Sensburg: Wenn es dabei bleibt, dann werden wir auf Edward Snowden als Zeugen verzichten müssen, aber hoffentlich andere Zeugen hören.
Heckmann: Weshalb ist es denn nicht möglich, Herr Sensburg, um diese Diskussion noch mal aufzugreifen, Snowden nach Deutschland zu holen und ihm freies Geleit zu garantieren? Können Sie uns das noch mal erklären, warum das nicht möglich ist?
Sensburg: Weil freies Geleit nur das Gericht zusichern kann, was Edward Snowden auch sucht. Das ist ein amerikanisches Gericht. Wir bräuchten eine Sondergenehmigung der Bundesregierung, und die Bundesregierung vertritt die Rechtsauffassung - die hat sie uns ja mitgeteilt -, dass sie Edward Snowden kein Bleiberecht geben wird derzeit.
"Ob Edward Snowden mehr Erkenntnisse hat, das weiß ich nicht"
Heckmann: Aber die Frage ist ja, warum nicht. Ich meine, ein Land, die USA, dessen einer Geheimdienst foltert und dessen anderer die Menschen massenweise abhört, weshalb sind wir verpflichtet, einem solchen Land Edward Snowden beispielsweise auszuliefern im Fall der Fälle? Der hat doch ungeheure Verdienste auf seine Seite gezogen.
Sensburg: Das weiß ich noch nicht, ob er ungeheure Verdienste auf seine Seite gezogen hat. Wir untersuchen ja viel intensiver als das, was uns Edward Snowden in einigen Dokumenten sagen konnte, inzwischen mit den Dokumenten, die uns die Bundesregierung zur Verfügung stellt, was die deutschen Dienste gemacht haben. Wir werden dann schauen, was ausländische Dienste gemacht haben. Ob Edward Snowden mehr Erkenntnisse hat, als wir inzwischen schon gewonnen haben, das weiß ich nicht. Aber wir müssen uns natürlich auch nach der Entscheidung der Bundesregierung richten, denn es ist eine Entscheidung der Exekutive. Und wenn die Bundesregierung - und sie hat das ja oft begründet - zum Ergebnis kommt, dass sie aufgrund der internationalen Verpflichtungen (und die USA ist aus meiner Sicht auch immer noch ein Rechtsstaat) der Meinung ist, dass sie Edward Snowden keinen Aufenthaltstitel gewähren kann, dann haben wir als parlamentarischer Ausschuss nicht die Möglichkeit, uns einfach darüber hinwegzusetzen. Das ist eine Entscheidung der Bundesregierung. Aber wir können natürlich viele andere Zeugen hören. Glenn Greenwald ist immer noch ein Zeuge, den ich sehr gerne hören würde, und ich hoffe, dass die Zeugen dann sagen, dann kommen wir ab Frühjahr auch in diesen Untersuchungsausschuss.
Heckmann: Herr Sensburg, die Bundesregierung lehnt eine Einladung Snowdens nach Deutschland ja ab mit der Begründung, dass die Beziehungen dann zu den USA belastet würden, wenn dann keine Auslieferung stattfindet. Derweil räumen die USA selber gerade gründlich auf mit den Enthüllungen über die Foltermethoden der CIA und nehmen sogar Terroranschläge dafür in Kauf. Das ist ein beeindruckender Selbstreinigungsprozess, kann man, denke ich, sagen. Können wir uns davon nicht eine Scheibe abschneiden, der Wahrheit auf den Grund zu gehen, auch wenn das mit einem Risiko verbunden ist, oder liegt es daran, dass Sie Edward Snowden eigentlich gar nicht wirklich hören wollen?
Sensburg: Obwohl das Bundesverfassungsgericht ja gesagt hat, dies ist eine Entscheidungskompetenz der Bundesregierung, fragen Sie wieder nach Edward Snowden statt nach den Ergebnissen dieses Ausschusses. Das, was die Kollegin Feinstein in den USA vorgelegt hat, genau das machen wir gerade in Deutschland mit diesem Untersuchungsausschuss. Von daher ist doch viel interessanter eigentlich, was für Erkenntnisse wir aus den letzten Vernehmungen gewinnen können, aus Vernehmungen wirklich, wo es um Details der geheimdienstlichen Tätigkeit geht, wo uns Mitarbeiter der operativen Ebene berichten. Also ich wäre nicht so zweifelnd, dass wir nicht exzellente Ergebnisse erfahren werden und in unseren Abschlussbericht schreiben werden in rund zwei Jahren. Ich wäre eher zuversichtlich, dass auch wir Empfehlungen geben, wie es sowohl mit den deutschen Diensten, aber auch mit ausländischen Diensten in Zukunft besser vorangehen muss.
"Kein Raum für eine erneute Klage"
Heckmann: Der Weg zum Bundesgerichtshof steht ja der Opposition noch offen. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit aus Ihrer Sicht, dass die Opposition sich doch noch durchsetzt?
Sensburg: Die Opposition wäre nach meiner Meinung klug beraten, genau zu prüfen, wann wirklich ein Zeitpunkt ist, wenn wir vor den Bundesgerichtshof gehen müssen. Vielleicht gibt es ja eine Situation, wo wir mit allen Fraktionen gemeinsam der Meinung sind, dass wir von der Bundesregierung nicht ausreichend Aufklärung bekommen, zum Beispiel, wenn es um das Schwärzen von Akten geht, zum Beispiel, wenn es um das Einstufen von Aussagen von Zeugen geht. Dann wäre es doch viel schlagkräftiger, wenn dieser Ausschuss gemeinsam mit allen Fraktionen zum Beispiel dann eine Klage anstrengen würde. Derzeit sehe ich das aber nicht. Die Bundesregierung lenkt auf unsere Kritik jeweils ein, zum Beispiel beim Schwärzen von Akten, und dass man einen Dissens hat bei bestimmten Punkten, ist zwischen Parlament und Bundesregierung immer mal wieder der Fall. Die Frage ist, welches Organ setzt sich durch, und da muss sich nach meiner Meinung der Bundestag mit seinen Ausschüssen durchsetzen, und das tun wir und von daher, glaube ich, ist derzeit kein Raum für eine erneute Klage vor dem Bundesgerichtshof.
Heckmann: Herr Sensburg, wir werden die Entwicklung weiter beobachten. Danke Ihnen erst mal für das Gespräch und einen schönen Abend.
Sensburg: Danke Ihnen!
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