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NSU-Morde
"Die V-Leute waren dicht dran"

Der Publizist Stefan Aust hält die Beweise der Mittäterschaft von Beate Zschäpe an den NSU-Morden für nicht sehr überzeugend. Es gebe aber Anhaltspunkte dafür, dass das Duo Böhnhardt und Mundlos nicht allein operiert habe, sagte Aust im Dlf. Dazu gehöre auch der Kontakt zu Informanten des Verfassungsschutzes.

Peter Sawicki im Gespräch mit Stefan Aust |
    Stefan Aust, Herausgeber der Zeitung "Die Welt"
    Stefan Aust war lange Chefredakteur des "Spiegel" und ist inzwischen Herausgeber der Tageszeitung "Welt" (picture alliance / dpa / Klaus-Dietmar Gabbert)
    Peter Sawicki: Der NSU-Prozess geht möglicherweise auf die Zielgerade und nach Ansicht ihres Anwalts ist die Hauptangeklagte Beate Zschäpe keine Mittäterin der rechtsterroristischen Morde. Dieses Plädoyer und den Prozess insgesamt wollen wir jetzt weiter vertiefen, und zwar mit Stefan Aust. Er war lange Jahre Chefredakteur des "Spiegel", ist jetzt Herausgeber der Zeitung "Die Welt" und Beobachter des NSU-Prozesses. Schönen guten Abend!
    Stefan Aust: Guten Abend.
    Sawicki: Ist es jetzt bald geschafft?
    Aust: Na ja. Es sieht so aus, als wenn es irgendwann demnächst oder in absehbarer Zeit mal zu einem Urteil kommen wird. Ob das dann das Ende dieses Verfahrens ist, das wage ich zu bezweifeln, denn ich glaube nicht, welches Urteil jetzt auch immer gefällt wird, dass das erst einmal Bestand haben wird.
    Beweise für Zschäpes Mittäterschaft "nicht besonders überzeugend"
    Sawicki: Blicken wir mal kurz auf das Plädoyer heute. Ist Beate Zschäpe keine Mittäterin?
    Aust: Ich kann das nicht beurteilen. Ich war nicht dabei. Aber es ist das gute Recht ihres Anwaltes, die Indizien und die Beweise, die es gibt, so zu werten, wie es in seine anwaltliche Strategie passt. Und man muss in der Tat sagen, dass die Beweise dafür, dass Beate Zschäpe tatsächlich Mittäterin ist, wirklich nicht besonders überzeugend sind. Es gibt keine Beweise dafür, dass sie an irgendeinem Tatort gewesen ist.
    Dass sie an den Taten auf irgendeine Weise eine direkte Beteiligung hat, ist jedenfalls nicht schlüssig nachgewiesen. Die direkteste Beziehung zwischen ihr und den Taten von Böhnhardt und Mundlos besteht ja darin, dass sie eine Art Halbgeständnis abgelegt hat, nämlich auf Veranlassung ihres Anwaltes wohl, oder vielleicht auch auf eigene Veranlassung, hat sie zumindest eines verkünden lassen durch ihren Anwalt, dass sie immer nachträglich von den Morden erfahren hat - nicht vorher. Das hat er wohl vorsichtshalber so mit ihr besprochen, nehme ich an. Aber das ist eigentlich die engste Verbindung zwischen ihr und den Taten.
    "Ankläger haben Ermittlungen nicht weit genug geführt"
    Sawicki: Haben die Ankläger hier versagt aus Ihrer Sicht?
    Aust: Ich glaube, die Ankläger haben in einer Hinsicht versagt, indem sie nämlich die Ermittlungen nicht weit genug geführt haben. Das was Beate Zschäpe in ihrem, nennen wir es mal, Geständnis gesagt hat, entspricht ja weitgehend dem, was in der Anklageschrift steht. Aber die Anklageschrift ist, glaube ich, sehr stark fixiert darauf, die einzige Person, wenn wir jetzt mal von den anderen, die mit vor Gericht stehen, absehen, die in einer richtig direkten Beziehung zu den zwei Haupttätern stand, verantwortlich zu machen für das, was da geschehen ist. Es gibt ja niemand anders, der so eng an den beiden dran war. Aber es ist ja noch nicht einmal hundertprozentig geklärt, ob Böhnhardt und Mundlos das nun tatsächlich alles alleine gewesen sind. Das ist unklar. Es gibt ja wirklich ziemlich dürftige Beweise zum Beispiel darüber, an welchem Tatort sie tatsächlich gewesen sind. Es gibt keine DNA-Spuren, es gibt relativ wenig, muss man sagen.
    Mir hat sogar einmal ein Ermittler, der am Anfang an den Ermittlungen beteiligt war und der zu den beiden gehörte, die als erste die richtige Theorie hatten, nämlich dass es zwei Täter sind, die aus dem ausländerfeindlichen Sektor stammen und die diese Morde begangen haben, selbst der hat zu mir gesagt, die tatsächlichen Beweise dafür, dass Böhnhardt und Mundlos an den Tatorten alleine waren, sind nicht besonders hieb- und stichfest. Ich will jetzt nicht sagen, dass sie das nicht waren. Im Gegenteil! Ich bin ganz sicher, dass die ganz direkt daran beteiligt gewesen sind. Aber die Beweise für ihre Anwesenheit an den Tatorten sind ziemlich dürftig und ob die es wirklich alleine gewesen sind, ist unklar.
    "Tote Täter sind bequem!"
    Sawicki: Aber heißt das, dass man nach den Beweisen nicht gründlich genug gesucht hat, oder sind sie einfach wirklich so schwer nachzuweisen?
    Aust: Ich glaube, es ist erstens tatsächlich sehr schwer nachzuweisen, weil die Täter, die beiden plus X, sagen wir mal, ja doch ziemlich raffiniert vorgegangen sind, muss man sagen. Und man hat sich sehr schnell auf die These, dass es diese beiden Täter waren plus Beate Zschäpe, geradezu festgebissen. Und man muss auch mal sagen: Die beiden sind tot. Tote Täter sind bequem!
    Sawicki: Angenommen, bei Beate Zschäpe wird vom Gericht festgestellt, dass sie keine Mittäterin ist, wäre das nicht eine große Blamage?
    Aust: Natürlich. Deswegen bin ich auch ziemlich davon überzeugt, dass weder die Bundesanwaltschaft noch vor allen Dingen das Gericht sich nachher dieser Linie der Verteidigung anschließen wird. Ich bin ziemlich fest davon überzeugt, dass sie wegen Mittäterschaft zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wird. Aber ich finde es für den Anwalt durchaus nachvollziehbar, dass er die Beweiskette für nicht wirklich geschlossen hält.
    Mundlos' Kontakte zum V-Mann
    Sawicki: Sie sagen ja, vieles ist noch ungeklärt beziehungsweise in viele Richtungen wurde offenbar gar nicht ermittelt. Trotzdem dauert das Ganze ja schon fünf Jahre. Das heißt, wie kann man diesen Prozess bewerten?
    Aust: Na ja. Die Länge eines Verfahrens bedeutet noch nicht unbedingt, dass die Ermittlungen alle einwandfrei geführt worden sind. Wissen Sie, es gibt viele Anhaltspunkte dafür, dass die beiden nicht alleine operiert haben, das heißt nicht alleine gehandelt haben, und dass Leute sehr nah dran waren, die mit ihnen zu tun hatten. Es gibt zum Beispiel - das haben wir ja selbst intensiv recherchiert und das hat der Untersuchungsausschuss dann auch als sehr wahrscheinlich dann zu Papier gebracht -, dass Mundlos zum Beispiel in einer Baufirma gearbeitet hat, über einen längeren Zeitraum, und diese Baufirma gehörte einem V-Mann des Verfassungsschutzes.
    Das heißt, die V-Leute des Verfassungsschutzes waren außerordentlich dicht dran, und das konnte man alles gar nicht so genau klären, weil zum Beispiel in dem Moment, in dem Frau Zschäpe sich gestellt hat, ein Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz mit dem Decknamen Lingen die V-Mann-Akten aus dem Archiv sich geholt hat, die im Zusammenhang mit diesen Personen standen, die aus dem Umfeld kamen, und hat die schreddern lassen, hat die vernichten lassen. Dafür ist er ja im Übrigen inzwischen auch verurteilt worden. Und Sie müssen sich mal vorstellen: Als dieses Thema im Bundestagsuntersuchungsausschuss erörtert worden ist, da hat der Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt, Herr Fritsche, einen denkwürdigen Satz gesagt. "Es dürfen keine Staatsgeheimnisse bekannt werden, die Regierungshandeln unterminieren." Wörtlich, das kenne ich auswendig.
    Sawicki: Und welche Schuld, wenn man das weiterdenkt, trifft den Staat bei den NSU-Morden?
    Aust: Ich glaube, das kann man so pauschal gar nicht sagen. Ich glaube, dass es viele Anzeichen dafür gibt, dass es nicht völlig unbekannt gewesen ist, dass drei Vorgänge, über die man viele Jahre ermittelt hat, nämlich eine Mordserie, eine Bankraubserie und die Suche nach diesen drei untergetauchten Personen, dass da in den Behörden niemand auf den Gedanken gekommen sein soll, dass diese drei Vorgänge etwas miteinander zu tun haben. Das glaube ich niemals.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.