Laschet sagte weiter, im Volk habe es zunächst - anders als zu Zeiten des linksextremen RAF-Terrors - keine Anteilnahme für die Opfer des Rechtsterrorismus gegeben. "Man hat die Opfer auch noch zusätzlich verdächtigt." Nun folge eine späte Entschuldigung und das Versprechen: "Ihr seid nicht allein."
Am 9. Juni 2004 war in der Keupstraße im Kölner Stadtteil Mülheim eine Nagelbombe explodiert. Dabei wurden 22 Menschen verletzt, einige von ihnen lebensgefährlich. Die Tat wird dem rechtsextremen Nationalsozialistischen Untergrund zugeschrieben.
Das Interview in voller Länge:
Jürgen Zurheide: Am kommenden Montag jährt sich zum zehnten Mal ein schreckliches Verbrechen. In der Kölner Keupstraße explodierte eine Nagebombe, verletzte viele Menschen schwer, und danach begann eine weitere Verletzung - nämlich die, die verletzt wurden, wurden auch noch verdächtigt. Da ist vieles schief gelaufen, und an diesem Wochenende, zum zehnten Jahrestag, wird gedacht, und da wird man sich auch entschuldigen. Es gibt es eine große Feier, ein Gedenken in Köln unter dem Motto "Birlikte - Zusammenstehen". Über all das wollen wir reden, und dazu begrüße ich Armin Laschet, den stellvertretenden CDU-Bundesvorsitzenden. Guten Morgen, Herr Laschet!
Armin Laschet: Guten Morgen, Herr Zurheide!
Zurheide: Herr Laschet, zunächst einmal: Was ging eigentlich bei Ihnen im Kopf vor, als Sie erfahren haben, dass dieses furchtbare Verbrechen ja nicht in diesem eigenen Milieu passiert ist oder entstanden ist, sondern dass es rechter Terror war?
Laschet: Also ich war genauso erschüttert und auch überrascht wie alle, die das damals wahrgenommen haben. Und wenn man sich dann mehr damit beschäftigte, sich dann auch in die Lage der Opfer einmal hineinversetzt hat, dann ist mir aufgefallen, im Gegensatz zum Terrorismus, den wir in den 70er-Jahren, den linken Terrorismus der RAF hatten, wo das ganze Volk empathisch mit den Opfern gefiebert hatte, wo wir alle um Hanns-Martin Schleyer gebangt haben, wo in Kirchen für Hanns-Martin Schleyer gebetet wurde und am Ende alle Solidarität mit der Familie gezeigt haben - das hat es für die Opfer des Rechtsterrorismus alles nicht gegeben.
Im Gegenteil, Ihr Beitrag hat es ja gerade noch einmal gesagt: Der Vater, der Mann, wurde erschossen, und die Polizei kam und hat dann im Kinderzimmer untersucht, ob am Vorhang Drogenspuren sind. Man hat gleich die Opfer noch zusätzlich verdächtigt, und die haben erst mit dem Auffliegen des NSU-Terrors Empathie erfahren. Erst dann hat die Bundesrepublik, damals noch der Bundespräsident Christian Wulff angeregt, einen Staatsakt gemacht für die Opfer. Und deshalb ist dieses Gedenken an diesem Wochenende so wichtig, um auch den Menschen, die betroffen waren, zu zeigen, das war ein Anschlag auf die ganze Gesellschaft, und das wird in Köln am Wochenende dokumentiert.
Zurheide: Ist das eine späte Entschuldigung? Sie werden ja auch selbst reden bei dieser Feier.
Laschet: Ja, sicher. Das ist sicher eine späte Entschuldigung. Aber es geht auch darum, zu zeigen, ihr seid da nicht allein. Die gesamte Stadt in Köln, viele Menschen aus der gesamten Bundesrepublik, der Bundespräsident, Musiker, Künstler und viele andere werden nach Köln kommen und genau dieses Signal senden. Und das ist wichtig, dass jeder weiß, wenn Terrorismus stattfindet, wenn man Opfer wird, dann empfindet die Gesellschaft das als Anschlag auf sich selbst. Es hätte jeden treffen können - ein Nagelbombenanschlag mitten in einer belebten Straße - da hätte jeder von uns vorbeigehen können in dem Moment, und deshalb geht es nicht nur die türkischen Geschäftsleute, sondern auch die gesamte Gesellschaft an.
Zurheide: Die Tat ist möglicherweise aufgeklärt, aber ob sie wirklich aufgeklärt ist, da gibt es auch wieder erhebliche Zweifel. Da muss es weitere Untersuchungen geben. Was verlangen Sie?
Laschet: Wir haben ja in dieser Woche beantragt, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss auch im Landtag von Nordrhein-Westfalen, weil uns die Kollegen des Bundestagsuntersuchungsausschusses, die sehr gute Arbeit geleistet haben, gesagt haben, wir hatten in Berlin nur 15 Monate Zeit, und wir haben für die Taten in Nordrhein-Westfalen beispielsweise nur drei Tage Zeit gehabt. Und wenn man sich das dann noch mal vorstellt, wie war das mit der Nagelbombe? Da sitzt ein Täterduo in Zwickau, im Osten, reist mit diesen Nagelbomben quer durch die Republik nach Köln und legt die konzentriert vor ein einzelnes Geschäft in einer solchen Straße. Das ist sehr unwahrscheinlich, dass das nur zwei Täter waren. Da muss es Helfer gegeben haben, und dieser Frage nachzugehen, das ist eine Aufgabe, die solch ein Untersuchungsausschuss hat.
"In vielen Details noch Arbeit zu leisten"
Zurheide: Also, ich würde sagen, das ist auch Aufgabe der Ermittlungsbehörden, die dann möglicherweise ein bisschen gut machen können, was sie damals an Unsinn verzapft haben. Wäre das nicht auch eine wichtige Aufgabe?
Laschet: Ja, da hoffe ich auch sehr drauf, dass auch Ermittlungsbehörden das jetzt noch mal genauer machen. Es ist ja auch unvorstellbar, dass 2011 dieses Duo Mundlos/Böhnhardt quasi Selbstmord begeht und sich in die Luft - dieser Wagen da - in die Luft gesprengt wird. Dadurch wusste man, es hat diese Serie des Terrorismus gegeben mit zehn Toten in ganz Deutschland. Und selbst zu diesem Zeitpunkt hat man beispielsweise die Zivilbeamten, die in Köln in der Keupstraße zufällig in der Gegend waren, nicht befragt. Die Polizei hat dann immer noch nicht reagiert, sondern die sind zum ersten Mal befragt worden von dem Bundestagsuntersuchungsausschuss. Und ich glaube, dass da in vielen Details noch Arbeit zu leisten ist, und ich denke, dass das in den Ermittlungsbehörden inzwischen auch so wahrgenommen wird.
Zurheide: Sind die Ermittlungsbehörden auf dem rechten Auge immer noch blind?
Laschet: Pauschal würde ich das so nicht sagen. Wahrscheinlich hat man sich auch damals das nicht vorstellen können oder hat schlicht handwerkliche Fehler gemacht oder hat in den Verfassungsschutzdiensten sogar Wissen zurückgehalten, es der Polizei nicht mitgeteilt. Und ich glaube, seitdem das alles aufgeflogen ist, wird in allen Ländern daran gearbeitet, diese Frage rechter Terrorismus auch im Blick zu haben - dass man automatisch an Milieumorde dachte, dass man die ganze SOKO "Istanbul" oder "Dönermorde" oder Ähnliches nannte -
Zurheide: Allein die Begrifflichkeit ist ja schon -
Laschet: Ja, ja. Und wir haben die alle übernommen! Es gibt viele, auch politische Persönlichkeiten, die damals Verantwortung hatten, die sagen, ich hab mir gar nichts dabei gedacht, und die Medien - und alle haben ganz selbstverständlich geschrieben "Dönermorde", bevor man dann durch das Auffliegen von Mundlos und Böhnhardt auf den Gedanken kam, es war Rechtsterrorismus.
Zurheide: Was rufen Sie jenen Migranten oder Zugezogenen zu, die das als Beleg dafür nehmen, dass sie hier nicht willkommen sind am Ende?
Laschet: Ich glaube, für die ist wichtig, dass sie sehen, die deutsche Politik, die deutsche Gesellschaft hat das erkannt und tut jetzt alles und nutzt jede Chance, um wirklich aufzuklären. Der Prozess in München ist ein ganz wichtiger Prozess, und man merkt ja auch, wie ernst die Richter diesen Prozess nehmen und wie auch medial über diesen Prozess berichtet wird. Und dieses Wochenende ist natürlich eines, wo man das auch noch mal sehr ausdrücklich zeigen kann. Es wird auch dort sein Frau Genc - das ist die Mutter der Opfer des Brandanschlags in Solingen - hat fünf Kinder verloren, Familienangehörige verloren bei dem Brandanschlag 1993. Und damals gab es so eine Bewegung in Deutschland, dass man gesagt hat, jetzt gehen wir auf die Straße und demonstrieren. Und sie hat sich dann auch wiederum ihrerseits dadurch ausgezeichnet, dass sie gesagt hat, das waren nicht „die Deutschen", sondern das waren vier Einzeltäter. Und diese Differenzierung, die die Opfer damals gehabt haben gegenüber unserer Gesellschaft, die müssen wir, glaube ich, auch als Gesellschaft umgekehrt zeigen, dass man nicht, wenn irgendwann mal Integration schief läuft, direkt gesagt wird, siehst du, es ist alles misslungen, siehst du, das ist logisch, das liegt an deren Religion oder was auch immer - sondern dass man immer den einzelnen Menschen in den Blick nimmt. Und das ist eine Aufgabe, die die ganze Gesellschaft bis heute hat.
Zurheide: Das war Armin Laschet, der stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU, zu den Gedenkfeiern und den Feierlichkeiten in Köln aus Anlass des Nagelbombenanschlags in der Keupstraße. Herr Laschet, ich bedanke mich für das Gespräch!
Laschet: Bitte schön!
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