18. Dezember 1998, gegen 18 Uhr, in einem Edeka-Markt am Rand von Chemnitz: Eine Kassiererin hat gerade die Tagesseinnahmen eingesammelt, als zwei Maskierte das Geschäft überfallen. Sie sind bewaffnet, drohen mit einer Pistole, die Kassiererin gibt ihnen das Geld, etwa 30.000 D-Mark. Die Täter flüchten und schießen dabei um sich. Ein Zeuge wird später berichten, eine Kugel sei ihm knapp am Kopf vorbeigeflogen. Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos die Täter waren.
Mit diesem schweren Raubüberfall soll die Terrorserie des NSU, des Nationalsozialistischen Untergrunds, begonnen haben. Der rechtsextremistischen Gruppe, der nach bisherigen Erkenntnissen Mundlos und Böhnhardt sowie Beate Zschäpe angehörten, werden zehn Morde zur Last gelegt. Die beiden Männer kamen unter bislang ungeklärten Umständen ums Leben. Zschäpe und vier mutmaßliche Unterstützer des NSU müssen sich seit Mai 2013 vor dem Oberlandesgericht in München verantworten. Am Dienstag findet die letzte Sitzung vor der Sommerpause statt. Beate Zschäpe wird dabei weiterhin von ihrem bisherigen Verteidigungsteam vertreten.
15 Raubüberfälle werden dem NSU zur Last gelegt
Insgesamt 15 Raubüberfälle, die laut Anklage ebenfalls dem NSU zugerechnet werden und bei denen Menschen zum Teil schwer verletzt wurden, spielen im Mordprozess nur eine Nebenrolle. Die Opfer dieser Taten sind kaum bekannt. Während die Mordanschläge überwiegend im Westen verübt wurden, geschahen die Raubüberfälle dagegen ausnahmslos im Osten Deutschlands.
"Aber es fällt auf, dieses Auseinanderklaffen der beiden Serien: Banküberfälle quasi vor der Haustür – Morde und Sprengstoffanschläge bundesweit verteilt", sagt der CDU-Bundestagsabgeordnete Clemens Binninger.
"Es sind natürlich genauso Opfer dieser drei Täter wie alle anderen, wenn auch in geringerem Maße, was ihre körperlichen Schädigungen angeht." Die Ombudsfrau der NSU-Opfer, Barbara John.
"Sodass man in der Zusammenschau dieses Wissens davon ausgehen muss, dass der thüringische Verfassungsschutz, zumindest der thüringische Verfassungsschutz, ein Wissen darüber hatte, wie das Trio sich bis zu dem Zeitpunkt im Untergrund finanzierte." Der Opferanwalt Carsten Ilius.
"Wir wissen aber, dass Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe bereits Ende 1998 mit dem Überfall auf den Edeka-Markt in Chemnitz mit Raubüberfällen begonnen haben und dann in der Folgezeit bis 2007 mindestens einmal jährlich Raubüberfälle auf Geldinstitute begingen. Der letzte war dann am 4. November 2011 in Eisenach." Herbert Diemer, der Prozessvertreter des Generalbundesanwaltes in München.
Mit 15 bewaffneten Raubüberfällen sollen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe ihren "gemeinsamen Lebensunterhalt bestritten haben", so die Anklagebehörde. Doch es gibt Zweifel an dieser These. Allein acht der Überfälle wurden in Chemnitz verübt, drei in Zwickau. Städte, in denen das Trio lebte. Mehrere Banken lagen in unmittelbarer Nähe ihrer Wohnungen: in derselben Straße zum Beispiel oder nur einen Steinwurf entfernt. Was für die mögliche Ausspähung nützlich gewesen sein könnte, bedeutete andererseits ein höheres Entdeckungsrisiko.
"Die haben sicher Banküberfälle begangen. Die Frage ist, ob sie wirklich alle begangen haben." Clemens Binninger war Obmann der Unionsfraktion im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages, der von 2012 bis 2013 tagte. Der Parlamentarier räumt erhebliche Zweifel ein, da von den mutmaßlichen Tätern Böhnhardt und Mundlos keine eindeutigen Spuren gefunden wurden, Fingerabdrücke etwa oder DNA-Substanz. "Die Spurenlage am Tatort ist ja bei den Banküberfällen ähnlich ernüchternd wie bei den Morddelikten und Sprengstoffanschlägen auch. Eben dass man am Tatort selber keine DNA von Mundlos oder Böhnhardt bisher hat, obwohl ja vieles dafür spricht. Und deshalb hielt ich es auch für denkbar, dass es bei dieser Bankraubserie eben mehrere Täter gibt oder nicht alle von den zweien begangen wurden."
Waren Böhnhardt und Mundlos die Täter beziehungsweise in wie vielen Fällen? Und gab es Helfer, Unterstützer, Mittäter? Die Fahnder der Kriminalpolizei hielten es damals auch für möglich, dass ein dritter Mann in einem Fluchtauto gewartet haben könnte. Von einem dritten Täter berichtet im Juni 2015 vor dem Oberlandesgericht in München auch jener Zeuge, auf den beim ersten Überfall im Dezember 1998 geschossen worden war. Drei vermummte Personen seien an ihm vorbeigerannt. Seltsam: Die damaligen Ermittlungsakten sind von der Staatsanwaltschaft Chemnitz vernichtet worden, heißt es in der Anklageschrift ohne weitere Erklärung. Auch die Tatwaffe wurde nie gefunden.
Bankräuber treten völlig anders auf als die kaltblütigen Mörder
Und noch etwas anderes erscheint dem gelernten Polizisten Binninger merkwürdig: Die Bankräuber wurden als nervös und fahrig beschrieben, die Mörder dagegen müssen ruhig und kaltblütig gewesen sein. Waren das wirklich dieselben Männer?
"Dass wir bei den Banküberfällen es immer mit sehr aufgeregten, fast schon hysterisch-hektischen, aggressiven Tätern zu tun haben, wo man den Eindruck haben könnte aufgrund der Zeugenvernehmungen: Die Lage war jedes Mal kurz vor der Eskalation. Und zur gleichen Zeit begehen die gleichen Personen an öffentlich belebten Plätzen eiskalt und präzise Morde, ohne dass irgendetwas auffällt oder sie den kleinsten Anschein von Nervosität zeigen. Das fällt auf."
Eine weitere Merkwürdigkeit: Bei den Überfällen wurden insgesamt vier bis fünf verschiedene Schusswaffen benutzt. Sie seien in der Habe des Trios gefunden worden, steht in der Anklageschrift. Doch die Ermittler in Chemnitz sehen das anders. Der zuständige Kriminalkommissar sagte 2012 vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages aus. Im Protokoll wird er folgendermaßen zitiert:
"Ich kann nur sagen: Zu meiner Ermittlungszeit haben wir nie eine Waffe typmäßig konkretisieren können."
Oktober 1999. Bewaffnete Täter überfallen eine Postfiliale in Chemnitz, ausgerechnet in derselben Straße, wo die NSU-Mitglieder noch ein Jahr zuvor gewohnt hatten. Die Täter verriegeln die Tür von innen mit einem Holzpflock, auf dem die Polizei ein sieben Zentimeter langes Haar findet. Es wird zunächst aufbewahrt. Jahre später, 2005, verschickt die Polizei dieses Haar zur DNA-Bestimmung. Als 2011 die NSU-Gruppe auffliegt, erkundigen sich die Chemnitzer Ermittler beim Landeskriminalamt Sachsen nach diesem Haar und erfahren: Es ist nicht mehr da. Im Ausschussprotokoll findet sich folgender Dialog:
- Kriminalbeamter: "Wir haben versucht, als das gegen Mundlos und Böhnhardt bekannt wurde, natürlich dieses Haar, diese - ich sage mal – kleine DNA mit Böhnhardt und Mundlos zu vergleichen. Aber es gibt dort ein kleines Fragezeichen hinsichtlich des Verbleibes dieser Spur, sodass uns das einfach nicht mehr möglich war."
- Untersuchungsausschuss: "Also, die DNA ist weg? Diese Spur ist weg?"
- Kriminalbeamter: "Richtig. Die haben wir einfach nicht mehr."
- Untersuchungsausschuss: "Die ist nicht mehr aufzufinden?"
- Kriminalbeamter: "Genau. Deswegen lässt sich da heute auch kein Abgleich mehr machen."
- Untersuchungsausschuss: "Kommt das häufiger vor, dass Spuren weg sind?"
- Kriminalbeamter: "Nein, das sollte eigentlich gar nicht vorkommen".
- Untersuchungsausschuss: "Also, die DNA ist weg? Diese Spur ist weg?"
- Kriminalbeamter: "Richtig. Die haben wir einfach nicht mehr."
- Untersuchungsausschuss: "Die ist nicht mehr aufzufinden?"
- Kriminalbeamter: "Genau. Deswegen lässt sich da heute auch kein Abgleich mehr machen."
- Untersuchungsausschuss: "Kommt das häufiger vor, dass Spuren weg sind?"
- Kriminalbeamter: "Nein, das sollte eigentlich gar nicht vorkommen".
Es ist nicht der einzige Schwund. Im November 2006 und im Januar 2007 überfallen in Stralsund zwei Männer gemeinsam dieselbe Sparkasse. Sie erbeuten insgesamt über 250.000 Euro. Nachdem die Bundesanwaltschaft im November 2011 die NSU-Ermittlungen übernommen hatte, schickte die Staatsanwaltschaft Stralsund die Originalakten nach Karlsruhe – insgesamt zehn Ordner. Die Bundesanwaltschaft leitete sie an das Bundeskriminalamt nach Meckenheim weiter – wo die umfangreiche Fracht aber nie ankam. Nachforschungen des BKA ergaben, dass die Bundesanwaltschaft die Akten nicht, wie üblich, per Kurier versandte, sondern mit der Post. Zitat:
"Bundeskriminalamt. Vermerk: Verlust von Originalakten der Staatsanwaltschaft Stralsund. Die Akten wurden dem BKA im März 2012 auf dem Postweg durch den GBA übersandt. Dabei sind die Akten entweder verloren gegangen oder im BKA selber verlegt worden. Es liegen lediglich Kopien der betreffenden Akten vor, deren Vollständigkeit nicht verifiziert werden kann."
Nach den beiden Überfällen in Stralsund werden den NSU-Mitgliedern für die nächsten viereinhalb Jahre keine weiteren Banküberfälle mehr zugerechnet. Die Mordserie endete im Jahr 2007. Doch im September 2011 wurde erneut eine Sparkasse im thüringischen Arnstadt überfallen, mutmaßlich vom NSU. Ebenso wie der Bankraub in Eisenach am 4. November 2011. Am Ende dieses Tages waren Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos tot, ihre Wohnung in Zwickau war abgebrannt, Beate Zschäpe auf der Flucht. Und die Öffentlichkeit erfuhr zum ersten Mal etwas von einer Gruppierung namens "Nationalsozialistischer Untergrund".
Einer der 15 Überfälle, die dem NSU zugeschrieben werden, schlägt aus der Art. In Zwickau stürmt im Oktober 2006 ein einzelner Mann in eine Sparkassenfiliale, wo sich neun Personen aufhalten. Der Bankräuber ist überfordert, Angestellte und Kunden wehren sich. Zwei Schüsse fallen. Der Täter flieht ohne Beute. Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass Uwe Böhnhardt der Täter war, auch, weil der Bankräuber Linkshänder war. Clemens Binninger allerdings hat Fragen:
"Der Fall unterscheidet sich insofern, eben der Einzeltäter, wo man fragen muss: Warum hat der das gemacht? War hier akuter Geldbedarf? Gab es einen Streit innerhalb des Trios, der Gruppe, des Duos, von was auch immer? War das abgestimmt? Wo war der andere an dem Tag? Weil man ja dann danach noch mal die Überfälle begeht in Stralsund und dann ist es ja vier Jahre ruhig."
Opfer sind nicht auf der Opferliste verzeichnet
Einer der Schüsse trifft einen 18-jährigen Bank-Azubi in den Bauch. Zwar überlebt er trotz lebensgefährlicher Verletzungen – doch der Fall ist offenbar kaum bekannt. Auch die Opferbeauftragte der Bundesregierung, Barbara John, erfährt davon erst durch die Recherchen zu dieser Sendung. "Ja, ist ja unglaublich. Wissen Sie denn was, ob ... , also das interessiert mich sofort und ich werde mich auch drum kümmern, ob dieser Mann dann in irgendeiner Weise auch ein Schadensgeld bekommen hat." Von den Opfern der Raubüberfälle wusste John anfänglich nichts. "Der ist bisher in keiner Liste aufgetaucht. Ich habe ja meine Informationen, als ich mit der Arbeit begann, bekommen vom Justizamt, also vom Justizministerium, da waren die Opferlisten geschrieben. Das waren einmal die Hinterbliebenenfamilien, zum anderen die Keupstraßen-Opfer."
Der angeschossene Banklehrling stand auf keiner Liste, sagt John. Die Täter gingen bei ihren Überfällen brutal vor. Sie besprühten Bankangestellte und Kunden mit Reizgas, schlugen sie mit der Pistole auf den Kopf, mit einem Gewehrkolben ins Gesicht, mit einem Tischventilator auf den Arm. Einige sind traumatisiert bis heute. Sie berichten darüber vor dem Oberlandesgericht in München als Zeugen.
Das Bundesjustizamt, zuständig für Entschädigungsansprüche, erklärt auf Nachfrage, es habe nur die Opfer erfasst, die einen Entschädigungsantrag gestellt haben. Sämtliche Opfer zu registrieren, sei nicht Aufgabe des Amtes. Barbara John: "Ich stehe da genauso ratlos davor, wie Sie im Moment. Es kann ja auch sein, dass die Ermittlerbehörden das gar nicht weitergegeben haben, sondern dass das in den Bundesländern blieb, in denen diese Banküberfälle stattgefunden haben."
Beim NSU-Prozess in München sind die Raubüberfälle zwar Gegenstand der Beweiserhebung. Die Körperverletzungen der Bankangestellten und Kunden hat die Bundesanwaltschaft allerdings zum großen Teil nicht als eigene Taten angeklagt, sondern behandelt sie als Nebensache der Überfälle. Und wo keine Anklage ist, ist auch keine Nebenklage möglich.
Allein der Banklehrling, der den lebensgefährlichen Bauchdurchschuss erlitt, hat eine Entschädigung erhalten. Nebenkläger ist aber auch er nicht. Kein einziges Opfer der Raubüberfälle tritt im Gerichtsverfahren als Nebenkläger auf. Werden diese Opfer vergessen? Barbara John, die Opferbeauftragte der Bundesregierung, meint ja: "Die spielten ja auch bisher in der öffentlichen Auseinandersetzung und in der Berichterstattung so gut wie gar keine Rolle. Man wusste zwar, da sind diese 15 Banküberfälle. Dass das alles inhaltlich zusammenhängt, liegt ja auf der Hand, denn die Überfälle dienten der Geldbeschaffung und dem Untertauchen, dem jahrelangen Untertauchen. Und in dieser Zeit sind ja dann auch die Morde begangen worden."
Vermutlich insgesamt 600.000 Euro erbeutet
Bei den 15 Raubüberfällen erbeuteten die Täter insgesamt etwa 600.000 Euro. Wie viel sie davon ausgegeben haben, wie viel Geld später gefunden wurde – darüber gehen die Angaben auseinander. Neben den 72.000 Euro aus dem letzten Raub in Eisenach sollen weitere 40.000 Euro sichergestellt worden sein. Dem Untersuchungsausschuss des Bundestages war mitgeteilt worden, in der ausgebrannten Wohnung in Zwickau hätten die Ermittler 190.000 Euro entdeckt: "Uns lag ja in der Ausschussarbeit ein Aservatenverzeichnis vor aus dem November 2011. Und aus dem ging eben hervor, dass man in dem Haus in der Frühlingsstraße in Zwickau etwas mehr als 190.000 Euro sichergestellt hat."
Doch diese Summe stellt die Bundesanwaltschaft selbst infrage. Im Juni dieses Jahres erklärte Bundesanwalt Herbert Diemer am Rande des Prozesses: "Die Summe, die man in der Habe der Getöteten und von Frau Zschäpe im November 2011 gefunden hat, waren um die 114.000 Euro. Davon waren aber knapp 72.000 Euro aus dem Raubüberfall in Eisenach."
Nachfragen sind nicht möglich. Die oberste Ermittlungsbehörde der Bundesrepublik beantwortet seit Beginn des Prozesses keinerlei Fragen mehr zum NSU-Komplex. Das "gebiete der Respekt vor der Beweisaufnahme des Gerichtes", heißt es. Für diese Sendung gab Bundesanwalt Diemer die gehörten kurzen Stellungnahmen ab.
Grundlegende Fragen tun sich mit der Anklage auf: Warum hätte man im Herbst 2011 wieder Banken überfallen sollen, wenn man noch mindestens 40.000 Euro besaß? "Wir haben auch mal versucht, Berechnungen anzustellen, was sie eigentlich so zum Leben brauchten. Da ist es tatsächlich so, dass man davon ausgehen kann, nach höheren Berechnungen, dass sie zusätzlicher Mittel noch bedurften. Allerdings haben wir keine Erkenntnisse, woher das Geld gekommen sein könnte."
Verfassungsschutz muss schon früh Hinweise gehabt haben
Der Rechtsanwalt Carsten Ilius vertritt in München die Witwe des achten Mordopfers Mehmet Kubasik aus Dortmund. Wie sich die Mörder finanzierten, diese Frage gehört zu seinem Mandat. Verrechnet man die verschiedenen Summen, hatten die drei Mitglieder des NSU in ihrer Zeit im Untergrund etwa 700 bis 1100 Euro pro Person und Monat zur Verfügung. "Andere Finanzierungsquellen sind uns bei den Ermittlungen bisher nicht bekannt geworden", sagt Bundesanwalt Herbert Diemer.
Die Hauptverhandlung in München hat unterdessen aber noch etwas anderes ergeben: Der Verfassungsschutz muss schon früh Hinweise auf die Überfälle gehabt haben. – Nebenklageanwalt Carsten Ilius: "Es gibt einige Erkenntnisse, und zwar im Wesentlichen von ... , verdichtete Erkenntnisse, im Wesentlichen von drei V-Leuten."
Drei V-Leute des brandenburgischen und des thüringischen Verfassungsschutzes in der rechtsextremen Szene lieferten Informationen über den Unterschlupf des Jenaer Trios in Chemnitz, wie auch über mögliche Raubüberfälle. 1999 meldete der mutmaßliche V-Mann Marcel D., ein Kontaktmann habe ihm erklärt, die drei würden jobben. Ob der Ausdruck "jobben" dabei für "arbeiten" steht, ist fraglich. "Und die Diskussion, die wir auch in der Hauptverhandlung ausgetragen haben, in der Szene, die wir nachgefragt haben auch, ist, ob jobben nicht in Wirklichkeit genau die Beschaffung von Geld über Überfälle meint und damit quasi das eine Art von Codewort dafür ist, dass eben Überfälle begangen wurden."
Jener Kontaktmann, der offenbar mit dem Trio in Verbindung stand, wurde ein Jahr später selber V-Mann der Behörden, sein Name: Thomas S. Gegen ihn ermittelt die Bundesanwaltschaft wegen Unterstützung des NSU. Ein anderer bekannter V-Mann ist Tino Brandt. Er gab im Jahre 2001 die Information weiter, die Untergetauchten würden sich mit eigenen Aktionen finanzieren. Für Nebenklageanwalt Carsten Ilius kann das nur eins bedeuten: "Das heißt, hier fließt eindeutig die Information über die Deckblattmeldung an den thüringischen Verfassungsschutz, dass das Trio in der Lage ist, sich über eigene Aktionen selbst zu finanzieren. Das kann notwendigerweise nur auf bewaffnete Überfälle hindeuten."
Der Verfassungsschutz erhielt obendrein eine Information über einen möglichen bisher unbekannten Bankraub. Der müsste im Frühjahr oder Sommer 1998 verübt worden sein und ist dem NSU bisher nicht zugerechnet. Informant war V-Mann Carsten S. mit dem Decknamen "Piatto": "Aus der Meldung selbst könnte man möglicherweise auch ersehen, dass es schon vorher einen Überfall gegeben haben muss, weil von einem weiteren Überfall die Rede ist."
Der Anklageschrift zufolge soll die Raubserie des NSU im Dezember 1998 mit dem Überfall auf den Edeka-Markt begonnen haben. Gab es aber möglicherweise einen weiteren, einen 16. Raubüberfall, der auf das Konto des NSU geht? Und wer könnten dann die Täter gewesen sein?
Im September wird die Hauptverhandlung vor dem Oberlandesgericht in München fortgesetzt. Auch über einige Raubüberfälle und die Finanzierung der rechtsextremistischen Gruppe wird noch zu sprechen sein.