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NSU-Prozess
Eiszeit auf der Anklagebank

Es ist der mittlerweile 211. Verhandlungstag: Beate Zschäpe und ihre drei Pflichtverteidiger stellen im Prozess offen zur Schau, wie zerrüttet das Verhältnis zwischen ihnen mittlerweile ist. Nach dem Willen Zschäpes soll Anja Sturm das Pflichtverteidigertrio verlassen. Eine Entscheidung muss das Gericht fällen - voraussichtlich aber nicht mehr in dieser Woche.

Von Tim Assmann |
    211. Verhandlungstag. 9.45 Uhr. Als Zschäpe kurz vor Prozessbeginn in den Gerichtssaal geführt wird, begrüßt sie nur einen ihrer drei Anwälte - den Kölner Juristen Wolfgang Heer – und auch den nur schmallippig. Verteidiger Wolfgang Stahl liest demonstrativ Zeitung als Zschäpe direkt neben ihm Platz nimmt und Anja Sturm, die Dritte im Bunde der Zschäpe-Verteidiger, schaut in ihren Laptop, würdigt ihre Mandantin keines Blickes. Nach dem Willen Zschäpes soll Anja Sturm das Pflichtverteidigertrio verlassen. Schlecht vorbereitet, herrisch und nicht verschwiegen genug – so sieht Zschäpe mittlerweile ihre Anwältin Sturm. Das geht aus dem vierseitigen, handschriftlichen Entpflichtungsantrag hervor, den Zschäpe dem Gericht übergeben hat und der dem BR vorliegt.
    Zschäpes Vorwürfe wohl nicht konkret genug
    Anwältin Sturm hat die Vorwürfe zurückgewiesen und Rückendeckung von ihren Mit-Verteidigern Heer und Stahl bekommen. Zschäpes Antrag war dem Gericht offenbar auch nicht konkret genug. Sie bekam Zeit für eine weitergehende Begründung. Die Entscheidung über den Entbindungsantrag fällt das Gericht – voraussichtlich aber nicht mehr in dieser Woche. Dass der Senat Zschäpes Wunsch nachkommt und die Pflichtverteidigerin Sturm vom Mandat entbindet ist gegenwärtig eher unwahrscheinlich. Dass Zschäpe sich von Sturm trennen möchte um Platz für einen neuen Pflichtverteidiger zu schaffen, ist Spekulation. In den vergangenen Monaten bekam Zschäpe in der Haft mehrfach Besuch von einem Münchner Strafverteidiger, der ihr im vergangenen Jahr bei dem Antrag half, mit dem sie damals versuchte, sich von allen drei Pflichtverteidigern zu trennen. Das Gericht lehnte diesen Wunsch allerdings ab.
    Hessische Verfassungsschützer im Zeugenstand
    Unabhängig vom Streit zwischen Zschäpe und ihren Verteidigerin setzt das Gericht die Beweisaufnahme fort - heute mit der Vernehmung mehrerer hessischer Verfassungsschützer. Am Vormittag sagte zunächst ein ehemaliger Abteilungsleiter des hessischen Landesamtes aus. Er war der Vorgesetzte jenes Geheimdienstmitarbeiters, der 2006 beim Mord an Halit Yozgat, dem Betreiber eines Internetcafes in Kassel, nach eigenen Angaben zufällig am Tatort war und so ins Visier der Ermittler geriet. Der Ex-Vorgesetzte des Mannes telefonierte damals mit seinem Mitarbeiter, hatte aber an den kompletten Vorgang nun im Zeugenstand kaum noch konkrete Erinnerungen. Für Verblüffung bei einigen Prozessbeteiligten sorgte die Aussage des ehemaligen hochrangigen Verfassungsschützers er habe keinen einzigen schriftlichen Vermerk in der Angelegenheit verfasst – obwohl einer seiner eigenen Mitarbeiter Tatverdächtiger in einem Mordfall war.