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NSU-Prozess
"Es geht natürlich weiter, aber nicht gut"

Es könne sein, dass Beate Zschäpe das Gefühl habe, die Strategie des Schweigens sei nach 128. Tagen nicht mehr durchzuhalten, sagte Heribert Prantl von der "Süddeutschen Zeitung" im DLF. Wenn ihre Anwälte das anders sehen, könne das der Grund für das Zerwürfnis sein.

Heribert Prantl im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Beate Zschäpe und ihre Anwälte
    Beate Zschäpe und ihre Anwälte (picture-alliance / dpa / Peter Kneffel)
    Mario Dobovisek: Seit 14 Monaten läuft er bereits in München, der NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe. Jetzt gibt es eine überraschende Wendung: Ihren Anwälten entzog sie gestern das Vertrauen. Was das für den Prozess bedeutet, ist noch unklar, ebenso wie der Grund für Zschäpes Entscheidung. Mein Kollege Tobias Armbrüster hat am Abend genau darüber mit Heribert Prantl gesprochen, Prozessbeobachter der "Süddeutschen Zeitung".
    Heribert Prantl: Es kann gut sein, dass man sich über die grundsätzliche Strategie im Unklaren ist. Es kann durchaus sein, dass Beate Zschäpe das Gefühl hat, die Strategie des Schweigens ist nach 128 Prozesstagen nicht mehr durchzuhalten, und dass ihre Verteidiger, drei Pflichtverteidiger, eine andere Strategie verfolgen und dass es deswegen zum Zerwürfnis kommt. Es ist nun eine wirklich ganz heikle Situation eingetreten, weil quasi Interna der Verteidigung nach außen getragen werden müssen. Nun wurde Beate Zschäpe aufgefordert zu erklären, warum sie kein Vertrauen mehr hat in ihre Verteidiger. Die gute Frau sitzt jetzt in Stadelheim, alleine, ohne anwaltliche Hilfe und muss sich dem Gericht gegenüber detailliert erklären, meinetwegen – das muss man sich mal vorstellen – mit Hilfe eines Wachtmeisters, mit Hilfe eines Rechtspflegers. Es ist wirklich ganz, ganz schwierig. Und wenn die Anwälte dann sagen, aber aus unserer Sicht ist alles in Ordnung, stellen sie sich quasi gegen ihre Mandantin, die sagt, es sei nicht alles in Ordnung. Womöglich müssen sich die Anwälte auf ihre Schweigepflicht berufen. Dann hat das Gericht keine Basis für seine Entscheidung. Es ist eine heikle Situation für eine Verteidigung, eine heikle Situation für eine Angeklagte, und ich überlege mir, was ich an Stelle von dem Vorsitzenden Richter Götzl machen würde, ob man Beate Zschäpe jetzt für diesen Streit, für diese Unklarheit einen Anwalt, eine Art Mediation beiordnen würde. Man muss sich ja überlegen: Lässt sich die Geschichte bereinigen auf irgendeine Art und Weise.
    Tobias Armbrüster: Mal angenommen, das Gericht sagt jetzt, nein, wir akzeptieren diese Entscheidung von Frau Zschäpe nicht, wie würde es dann weitergehen?
    Prantl: Es geht natürlich weiter, aber es geht nicht gut weiter. Anwälte, die das Vertrauen der Mandantin nicht haben, das ist keine gute Situation für ein Gericht. Natürlich kann die Angeklagte immer machen, was sie will, und kann gegebenenfalls ihre Verteidigungsstrategie durchsetzen. Aber dann sitzen womöglich drei Verteidiger neben ihr, die etwas ganz anderes wollen. Das ist für einen guten Fortgang des Prozesses hoch problematisch. Man könnte sich auch vorstellen, dass das Gericht einen vierten Pflichtverteidiger beiordnet, der das Vertrauen von Beate Zschäpe hat. Vielleicht ist das ein Ausweg. Vernünftiger wäre es, wenn man das Verhältnis zwischen Beate Zschäpe, der Hauptangeklagten, und ihren drei Pflichtverteidigern gut klären könnte. Man weiß aber momentan gar nicht, meint sie alle mit ihrer Ablehnung, meint sie nur einen. Es ist in gewisser Weise auch problematisch, dass sie keinen örtlichen Verteidiger hat. Die Verteidiger, die sich sicher anstrengen, die eine bestimmte Strategie verfolgen der exzessiven Befragung von Zeugen, fliegen am nächsten Tag wieder an ihren Kanzleisitz nach Köln. Die Angeklagte ist quasi in ihrer Haftzelle allein gelassen, was sie momentan als besonders krass empfinden muss in der Situation, wo das Vertrauensverhältnis zu den Anwälten gestört ist. Da würde ich gern, wenn ich zu entscheiden hätte, eine Mediation versuchen.
    Armbrüster: Sie haben jetzt am Anfang gesagt, Herr Prantl, dass Beate Zschäpe möglicherweise gesehen hat, dass diese Entscheidung, nicht auszusagen in diesem Prozess, ein Fehler war. Warum könnte das ein Fehler gewesen sein?
    Prantl: Weil die Hoffnung einer Verteidigung, dass die Indizien zur Verurteilung einfach hinten und vorne nicht reichen, womöglich falsch ist. Und es ist, glaube ich, auch psychologisch ungeheuer schwer, über jetzt am 128. Prozesstag noch weitere Dutzende von Verhandlungstagen ein Schweigen durchzuhalten.
    Armbrüster: Ist hier so ein Moment, wo Beate Zschäpe möglicherweise sieht, hier reden jetzt seit über einem Jahr Menschen über mein Leben und ich persönlich kann da gar nichts dazu sagen? Hier interpretiert sozusagen die Welt um mich herum, was bei mir passiert ist, und ich habe mich entschieden, Nein zu sagen?
    Prantl: So kann ich mir das vorstellen. Und dass die Verteidiger womöglich beraten jetzt – ich kenne die Verteidigungsstrategie nicht; womöglich müssen oder werden die Verteidiger jetzt in ihrer Erklärung, die ja vom Gericht erwartet wird, ihre Verteidigungsstrategie partiell aufdecken müssen, was wirklich eine heikle Angelegenheit ist -, das ist ein Anwaltsgeheimnis, um das es hier geht, und das ist ein Internum, das aufdecken zu müssen, diesen geschützten Bereich. Das ist nicht gut rechtsstaatlich.
    Armbrüster: Was würde es denn für diesen Prozess bedeuten, wenn Frau Zschäpe sich jetzt entschließen würde auszusagen?
    Prantl: Das ist überhaupt nicht kalkulierbar, weil keiner weiß, was sie erklären wird. Wenn die Strategie war, dass man durch Nichtaussagen es so hinkriegt, dass die Taten nicht bewiesen werden können, glaube ich, wackelt diese Verteidigungsstrategie und es könnte sein, dass die Angeklagte Zschäpe dieses merkt und nun darauf dringt, dass sie aussagen will. Es wäre eine große Wende im Verfahren. Wo die Wende hinführt, welche Dinge sich dann entwickeln, das lässt sich nicht vorhersagen.
    Dobovisek: Heribert Prantl, Leiter Innenpolitik bei der "Süddeutschen Zeitung", über die überraschende Wende im NSU-Prozess. Die Fragen stellte mein Kollege Tobias Armbrüster.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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