"Das ist eine Vier-Seiten-Hobelmaschine, da wird das rohe Holz sozusagen auf Format gehobelt."
Frank Tollert ist Handwerksmeister und Chef einer Fensterbaufirma in Leipzig. Er startet einen Standhobel, der in der Mitte seiner Montagehalle steht. Ein dickes Edelstahlrohr, durch das die anfallenden Holzspäne abgesaugt werden, führt von der Maschine nach oben zur Hallendecke.
"Ja, also, die liegt so bei einer Anschlussleistung von 30 KW. Und dazu muss man natürlich rechnen kommt die Abluft. Die Abluftanlage hat auch noch mal 18 KW."
Der Glasermeister ist ein großer, kräftiger Mann, dem man ansieht, dass er hart arbeitet. Er führt seine Fensterbaufirma in der vierten Generation, beschäftigt drei Mitarbeiter und einen Lehrling. Seine Frau hilft als Sekretärin aus. Energiekosten sind für Frank Tollert ein wichtiger Faktor. Um zu sparen, hat er sich eine Heizanlage einbauen lassen, die die abgesaugten Späne verbrennt und damit heizt. Die 20.000 Kilowattstunden Strom jedoch, die er im Betrieb jedes Jahr verbraucht, kann er nicht selbst erzeugen. Deshalb ärgert er sich, dass die Stromkosten immer weiter steigen. Noch mehr aber grämt den Handwerker, dass er voraussichtlich ab dem 1. Januar 2012 pro Kilowattstunde 0,15 Cent mehr zahlen soll - zugunsten der gut 100 größten Stromverbraucher.
"Und das ist ungerecht, da ja Handwerk die Wirtschaftskraft in dem Land ist, wo noch Menschen mit ihrer Hände Arbeit sprichwörtlich die Werke vollbringen. Und die Leistungsträger werden letztendlich dafür bestraft oder werden zur Kasse gebeten und müssen für die Großen mit bezahlen."
Der Grund: Im Juni diesen Jahres hat der Bundestag mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP ein Gesetz beschlossen, wonach Unternehmen mit hohem Energieverbrauch wesentlich weniger für die Nutzung des Stromnetzes zahlen müssen als private Haushalte oder kleine Betriebe. Energieintensive Unternehmen, die mindestens 7.000 Stunden im Jahr Strom beziehen und mehr als 10 Gigawatt verbrauchen, zahlen für die Nutzung des Stromnetzes sogar gar nichts mehr. Von der Befreiung begünstigt sind große Aluminium- und Stahlhütten, Papier-, Glas- oder Zementhersteller und auch große Rechenzentren.
Normalerweise begleicht jeder Verbraucher die sogenannten Netznutzungsentgelte mit seiner Stromrechnung. Diese Einnahmen gehen an die Netzbetreiber, die damit die Kosten für Betrieb, Wartung und Ausbau der Stromnetze in Deutschland decken und darüber hinaus einen Gewinn einbehalten. Ein gutes Stromnetz hat seinen Preis, das sieht auch Frank Tollert so. Deshalb sollen sich auch die Strom fressenden Industrieunternehmen an den Kosten beteiligen:
"Sie profitieren ja genauso von dem erneuerten Stromnetz, wie die kleinen Betriebe und deswegen fordern wir eben als Handwerk, dass hier eben eine Gleichstellung erfolgt."
Eine Forderung, mit der Frank Tollert nicht alleine steht. Holger Krawinkel ist Spezialist für Energiefragen beim Bundesverband der Verbraucherzentralen. Er und seine Kollegen laufen Sturm gegen die Verordnung, die Großverbraucher schont. Krawinkel nutzt ein einfaches Bild:
"Es erscheint mir absurd. Wenn Sie das übertragen, dann würde ja praktisch ein LKW, der besonders viel auf der Autobahn fährt, von der LKW-Maut befreit werden."
Die Autobahnen stellt der Bund, sie stehen der Allgemeinheit zur Verfügung. Stromtrassen dagegen sind nicht Eigentum des Staates, sondern gehören gewinnorientierten Unternehmen, etwa der Energie Baden-Württemberg (EnBW). Da diese ein Monopol auf ihre Stromleitungen haben, muss der Staat die Höhe der Gewinne regulieren und die Unternehmen sehr genau kontrollieren. Nach Meinung der Verbraucherzentralen hat der Gesetzgeber dabei in der Vergangenheit mehrfach Fehler gemacht, was Holger Krawinkel nicht versteht:
"Das führt für alle Beteiligten zu Entgelten, die höher sind, als sie eigentlich sein müssten und da die Industrie immer einen relativ guten Draht zur Politik hat, hat man sich gesagt: Also bevor wir hier mehr bezahlen, lassen wir uns lieber befreien, dann trifft uns das zu mindestens nicht."
Auch die Art und Weise, wie die neue Regelung für stromintensive Unternehmen installiert wurde, sorgt für Ärger. Erstmals war davon in einer Stellungnahme der Wirtschaftsvereinigung Metalle die Rede. Die Lobbygruppe, die nach eigenen Angaben 653 Firmen mit über 100.000 Beschäftigten vertritt, hat diese für den Wirtschaftsausschuss des Bundestages verfasst und in die Beratungen über das sogenannte "Gesetz zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften" eingebracht. Dieses Gesetz war Teil eines großen Paketes, das nach der Katastrophe von Fukushima den Atomausstieg in Deutschland regelte. In der Stellungnahme, die in einer öffentlichen Anhörung verlesen wurde, heißt es:
"Die Wirtschaftsvereinigung Metalle begrüßt die Initiative, stromintensive Unternehmen mit einem kontinuierlichen Stromverbrauch von mindestens 7.000 Stunden pro Jahr grundsätzlich von den Netznutzungsengelten zu befreien. Die Befreiung würde die netzstabilisierende Wirkung eines kontinuierlichen Strombezugs widerspiegeln. Örtliche Gegebenheiten sollen hierbei keine Rolle spielen, da die stabilisierende Funktion im gesamten Netz wirksam ist. Vereinbarungen über zu- und abschaltbare Lasten bleiben davon unberührt."
An eine offene Diskussion im Wirtschaftsausschuss kann sich kein Parlamentarier erinnern. Das muss wohl hinter den Kulissen gelaufen sein, vermuten Oppositionspolitiker. Erst am Abend bevor das Gesetz im Wirtschaftsausschuss beschlossen wurde, tauchte die Idee einer Ausnahmeregelung für Großverbraucher in einem Änderungsantrag der Regierungsfraktionen von CDU/CSU und FDP auf. Zwei Tage später wurde die Netzentgeltbefreiung dann mit der Stimmenmehrheit der schwarz-gelben Koalition im Bundestag verabschiedet – gültig mit Beginn des kommenden Jahres. Für Holger Krawinkel ein Beispiel dafür, wie Politik eigentlich nicht gemacht werden sollte:
"Man spricht hier auch von dem sogenannten Mitternachtsparagrafen. Also kurz vor Toresschluss wurde eine Änderung der Politik übergeben. Und die hat das in das Gesetz beziehungsweise die Verordnung mit reingenommen. Das ist natürlich sehr intransparent. "
Im Büro des wirtschaftspolitischen Sprechers der Unionsfraktion, Joachim Pfeiffer, will man sich zum Hergang nicht äußern. Dass der Wortlaut im Änderungsantrag nahezu identisch mit der Stellungnahme der Wirtschaftsvereinigung Metalle ist, bleibt ebenfalls unkommentiert.
Auch Fachleute wundern sich. Jan Fuhrberg-Baumann ist technischer Geschäftsführer der Stadtwerke Leipzig Netz GmbH und damit zuständig für die Stromnetze in der Stadt. Er widerspricht der Behauptung des Lobbyverbands, dass Großabnehmer generell eine stabilisierende Wirkung auf das Stromnetz hätten:
"Allein die konstante Abnahme mit einem Kraftwerk daneben stabilisiert nicht das Netz in 100 oder 300 Kilometern Entfernung. Es ist nicht eine technische Frage, es ist eine rein politische Entscheidung gewesen."
Er vermutet, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Industrie zu stärken – eine Art Subvention für große Energieverbraucher also. Auch vor der Änderung der Vorschriften gab es bereits Ausnahmen bei den Netzentgelten, die allerdings technisch zu begründen waren. Denn sie betrafen in erster Line die sogenannten "atypischen Netznutzer". Gemeint sind Nachtspeicheröfen, Wärmepumpen und Industrieunternehmen, die das Netz nachts nutzen. Einen Anreiz, den Matthias Kurth, der Präsident der Bundesnetzagentur, den Stromabnehmern bewusst bieten wollte:
"Das Netz ist ja in der Nachtzeit ohnehin nicht ausgelastet, ja und in soweit können wir da natürlich auch Befreiung geben. Denn das teuerste an jedem Netz ist immer die Spitzenlast und wer sich sozusagen in die Lasttäler legt, dem kann man auch aus Netztopologie und Netzkostengründen eine Befreiung geben."
In deren Genuss künftig auch industrielle Großverbraucher kommen, die anderenfalls damit drohen, mit ihren Unternehmen aus Deutschland abzuwandern, wie Matthias Kurth berichtet:
"Und dann hat der Gesetzgeber gesagt, ja wenn das so ist, dass wir befürchten müssen, dass ein Unternehmen aus Deutschland abwandert, weil es diese Kosten nicht tragen kann, dass damit die Arbeitsplätze, die Wirtschaftskraft, die Wertschöpfung uns ganz verloren geht, dann befreien wir sie lieber sage ich jetzt mal von den Netzentgelten, weil sie dann sozusagen einen Wertschöpfungsbeitrag in Deutschland leisten."
Das hat vor Jahren bei der sogenannten EEG-Umlage auch schon geklappt, mit der der Ausbau der erneuerbaren Energien finanziert wird. Alle Verbraucher zahlen über ihre Stromrechnung in einen Topf ein, aus dem der Bau neuer Windparks oder Solarkraftwerke bezuschusst wird. Kleine Betriebe und private Haushalte beteiligen sich mit 3,5 Cent pro Kilowattstunde an der Umlage, stromintensive Großbetriebe mit gerade mal 0,05 Cent.
Jan Fuhrberg-Baumann von den Stadtwerken Leipzig ist nicht glücklich darüber, dass Ähnliches nun auch für Netzentgelte gilt. Denn die Stadtwerke müssen die Gebühr bei ihren Kunden einfordern und Erhöhungen erklären. Bis zum heutigen Tag gibt es nur Schätzungen darüber, wie hoch die zusätzlichen Kosten für die Abnehmer ausfallen werden, obwohl die neue Verordnung bereits ab 1. Januar 2012 in Kraft treten soll. In den Augen von Jan Fuhrberg-Baumann haben sich Koalitionspolitiker im Wirtschaftsausschuss des Bundestags hier schlicht überrumpeln lassen:
"Wir gehen davon aus, dass das Volumen alleine in 2012 eine Milliarde Umverteilung sein wird, mit wachsender Tendenz, denn längst nicht alle Industrieunternehmen haben heute schon erkannt, welche Möglichkeiten ihnen diese Gesetzesänderung bietet."
Sicher ist, es geht um viel Geld. Um schätzungsweise eine Milliarde Euro, die allein im kommenden Jahr den privilegierten Stromverbrauchern erspart bleibt. Eine Summe, die die übrigen Stromnetznutzer aufbringen müssen, denn die Bundesnetzagentur hat den Netzbetreibern feste Einnahmen garantiert. Dazu zählen die vier große Unternehmen EnBW, Transpower, 50 Hertz und Amprion, in deren Besitz die Überlandleitungen sind. Daneben gibt es noch die sogenannten Verteilnetze, die in den Händen von Hunderten, teilweise sehr kleinen Betreibern sind – vor allem Stadtwerke, die ihre Endverbraucher an das Stromnetz anschließen. Professor Christian von Hirschhausen lehrt an der TU Berlin Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik. Er forscht über die europäischen Stromnetze und beschreibt die Aufgabe der Netzbetreiber recht trocken:
"Netzbetreiben sollte ein langweiliges Geschäft sein, weil es "nur" - in Anführungsstrichen - daraus besteht, Stromerzeugung und Stromverbrauch miteinander zu verbinden. Die sollen die Strippen ziehen und dafür entsprechend adäquat kompensiert werden, nicht mehr und nicht weniger."
Versorgungssicherheit hat Priorität, was den Betrieb der Netze so teuer macht. Im Nordosten von Leipzig steht eines von mehreren Umspannwerken, das den Stadtwerken gehört. Hier kommt Strom aus einer 110 Kilovolt-Leitung an, der auf Tausende Haushalte verteilt werden muss.
Im Moment schaltet ein Techniker eine freie Leitung wieder ans Netz an. Aus der rechten Wand der Halle kommen drei unterarmdicke Kabel, die über verschiedene meterhohe Schalter auf die andere Seite der Halle führen. Bei einer Spannung von 110 Kilovolt gilt es, einen Sicherheitsabstand von einem Meter einzuhalten. Kommt man der Leitung näher, springt der Strom wie ein Blitz durch die Luft über, ein Stromschlag wäre tödlich.
Der laute Knall entsteht beim Zusammenprallen der beiden Kontakte. Dadurch wird ein möglicher Lichtbogen unterbrochen, der die Leitung wie ein Schweißgerät beschädigen würde. Die Techniker haben nun einen Trafo eingeschaltet, mithilfe dessen Strom von 110 Kilovolt auf 10 Kilovolt gewandelt wird. Zwei dieser Trafos stehen hier. Ihr Wert: jeweils etwa 1 Million Euro. Technisch nötig wäre nur ein Trafo. Sollte der aber ausfallen, muss sofort der andere als Ersatz eingeschaltet werden – ansonsten droht in Leipzig Stromausfall. Dieses Prinzip gilt für das gesamte Netz, überall stehen Ersatztrafos und das macht den Betrieb so teuer.
Ein weiterer Kostenpunkt ist der Netzausbau, erklärt der Wirtschaftswissenschaftler Christian von Hirschhausen:
"Man hat eine zeitlang gedacht, man müsste an der Infrastruktur sparen. Ich denke man ist heute in einer Situation, wo wir wissen, dass tendenziell Infrastruktur dazu da ist, Verbraucher zu verbinden und damit auch für die meisten Beteiligten die Wohlfahrt zu steigern."
Nicht zu vergessen die Energiewende, die viele Leitungen schon heute an die Belastungsgrenze bringt. Deutschland steigt bis zum Jahr 2022 bekanntlich aus der Atomkraft aus und will langfristig auch ohne die großen Kohlekraftwerke auskommen. Beide Kraftwerkstypen liefern kontinuierlich, ohne große Schwankungen immer die gleiche Menge an Strom. Ganz anders die Stromgewinnung aus erneuerbaren Energien. Matthias Kurth von der Bundesnetzagentur:
"Für diese volatile Stromerzeugung ist unser deutsches Stromnetz, aber auch das europäische Stromnetz weder geplant noch ausgelegt. Und wir wollen ja jetzt nicht bei den 18 Prozent Erneuerbaren stehen bleiben, sondern unsere Projektion für zehn Jahre sagt, dass wir mindestens mit 35 Prozent Erneuerbaren zu rechnen haben, wenn nicht gar mit 50 und mehr Prozent Erneuerbaren."
Dass bei Erneuerbaren der Stromfluss nicht kontinuierlich ist, sondern an manchen Tagen sehr hohe Spitzen haben kann, macht den Netzen und deren Betreibern zu schaffen.
"Für die Netze bedeutet das, dass sie im Moment stabil gehalten werden können – Deutschland hat ein gutes Stromnetz – aber nur mit Steuerungsmaßnahmen, die eigentlich nur für Notfälle gedacht waren.´"
Diese Notfallmaßnahmen steuern die Netzbetreiber. Sie können Kraftwerke anweisen, bei Stromüberkapazität vom Netz zu gehen oder eben wieder hochzufahren. Das geschieht derzeit immer häufiger, soll aber wieder zur Ausnahme werden. Doch dafür müssen die Netze erst umgerüstet und ausgebaut werden erklärt Jan Fuhrberg-Baumann von den Stadtwerken in Leipzig:
"Hier werden wir konfrontiert werden mit der Aufgabe, die sogenannte Lastseite zu steuern. Wenn zu viel Strom da ist, dafür mit Sorge zu tragen, dass ein großer Verbraucher beispielsweise mit rein geht. Oder aber auch, wenn ein Unterangebot besteht, was ja bald das größere Problem ist, dann auch dafür Sorge zu tragen, dass Verbraucher abgeschaltet werden."
Vor allem Städte mit großen Industriebetrieben und stromintensiven Verbrauchern werden davon betroffen sein. In den ländlichen Regionen dagegen drängen immer mehr kleine Stromerzeuger etwa mit Biomasse auf den Markt. Und die Netzbetreiber werden jeden noch so kleinen Erzeuger ans Netz anschließen müssen, dazu sind sie gesetzlich verpflichtet.
Welche Kosten auf die Stadtwerke zukommen werden, lässt sich noch nicht sagen. Sicher ist aber: Am teuersten werden die großen Übertragungsleitungen sein, um Strom von Nord nach Süd zu transportieren. Im Süden der Republik ist der Stromverbrauch am höchsten – was mit der dortigen Industriedichte zu tun hat. Erneuerbare Energie aus Windkraftanlagen aber wird vor allem im Norden, an den Küsten, bald auch auf dem Meer gewonnen. Strom muss künftig also quer durch Deutschland transportiert werden, will man die Energieversorgung sicherstellen. Aufgabe der Bundesnetzagentur ist es, den Ausbau der Übertragungsleitungen zu koordinieren und mit den Netzbetreibern umzusetzen.
Die Kosten für den Netzausbau – bis zu 50 Milliarden Euro – gehen zulasten der Verbraucher. Über ihre monatliche Stromrechnung werden private Haushalte und kleine Betriebe zur Kasse gebeten. Strom fressende Unternehmen dagegen bleiben vom Netznutzungsentgelt verschont.
Vorausgesetzt, die EU-Kommission macht ihnen nicht einen Strich durch die Rechnung. Denn die Ausnahmeregelung, die ab Beginn des kommenden Jahres gelten soll, muss in Brüssel Bestand haben. Noch hat sich die zuständige Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes nicht geäußert. Vergleichbare Befreiungen für Großverbraucher in Österreich und Luxemburg allerdings hat sie als unerlaubte Beihilfe wieder gekippt. Ob die Kommission, die im Eiltempo beschlossenen deutschen Ausnahmen noch rückwirkend außer Kraft setzen kann, darüber streiten Experten. In Deutschland ist die Energiewende seit der atomaren Katastrophe in Japan Konsens zwischen den politischen Parteien – der Konsens umfasst auch die damit verbundenen Kosten. Für Holger Krawinkel von den Verbraucherzentralen hat ein Kampf bereits begonnen: der Kampf darum, wer wie viel für die Energiewende zahlen muss und wer wie viel vom Kuchen abbekommt.
"Wir haben natürlich jetzt sozusagen die Energiewendegewinner, die auch kräftig die Hand aufhalten."
Dazu zählen für Krawinkel alle, die aus erneuerbaren Quellen Energie gewinnen. Gewinner sind auch die Netzbetreiber, deren Macht in den kommenden Jahren wachsen wird. Auch die Stadtwerke als kleine Netzbetreiber und dezentrale Stromerzeuger werden profitieren, ihre Bedeutung wird steigen.
"Diese Gruppen waren natürlich, bevor der Atomausstieg wirklich feststand, wichtige gesellschaftliche Verbündete für eine andere Energiepolitik, aber jetzt ist sozusagen das beschlossen und dann müssen sie sie auch sozusagen strenger danach beurteilt werden, ob sie wirklich liefern und ob sie zu einem vernünftigen Preis liefern können."
Auch der Leipziger Glasermeister Frank Tollert steht hinter der Energiewende mit all ihren Konsequenzen. Der 47-jährige fordert aber, dass die Investitionslasten gerecht verteilt werden. Dem Handwerksmeister ist aber durchaus bewusst, dass große Unternehmen in puncto Lobbyarbeit weit erfolgreicher sind, vielleicht näher am Ohr der Politik.
"Es ist immer ein Problem des Handwerks: Ein Handwerker ist viel lieber in seiner Werkstatt und macht seine Arbeit, als draußen Handwerkspolitik zu machen und auf seine Situation hinzuweisen."
Er könne nicht damit drohen, mit Betrieb und Arbeitsplätzen einfach ins Ausland abzuwandern, nur weil ihm die Energiekosten hierzulande zu hoch sind. Dennoch: Frank Tollert will gehört werden. Er sagt, die Politik solle damit aufhören, die Großindustrie auf Kosten kleiner Betriebe und privater Haushalte zu unterstützen:
"Das geht eben, bis der Leidensdruck eine Grenze erreicht hat, wo man dann eben nicht mehr weiter machen kann."
Frank Tollert ist Handwerksmeister und Chef einer Fensterbaufirma in Leipzig. Er startet einen Standhobel, der in der Mitte seiner Montagehalle steht. Ein dickes Edelstahlrohr, durch das die anfallenden Holzspäne abgesaugt werden, führt von der Maschine nach oben zur Hallendecke.
"Ja, also, die liegt so bei einer Anschlussleistung von 30 KW. Und dazu muss man natürlich rechnen kommt die Abluft. Die Abluftanlage hat auch noch mal 18 KW."
Der Glasermeister ist ein großer, kräftiger Mann, dem man ansieht, dass er hart arbeitet. Er führt seine Fensterbaufirma in der vierten Generation, beschäftigt drei Mitarbeiter und einen Lehrling. Seine Frau hilft als Sekretärin aus. Energiekosten sind für Frank Tollert ein wichtiger Faktor. Um zu sparen, hat er sich eine Heizanlage einbauen lassen, die die abgesaugten Späne verbrennt und damit heizt. Die 20.000 Kilowattstunden Strom jedoch, die er im Betrieb jedes Jahr verbraucht, kann er nicht selbst erzeugen. Deshalb ärgert er sich, dass die Stromkosten immer weiter steigen. Noch mehr aber grämt den Handwerker, dass er voraussichtlich ab dem 1. Januar 2012 pro Kilowattstunde 0,15 Cent mehr zahlen soll - zugunsten der gut 100 größten Stromverbraucher.
"Und das ist ungerecht, da ja Handwerk die Wirtschaftskraft in dem Land ist, wo noch Menschen mit ihrer Hände Arbeit sprichwörtlich die Werke vollbringen. Und die Leistungsträger werden letztendlich dafür bestraft oder werden zur Kasse gebeten und müssen für die Großen mit bezahlen."
Der Grund: Im Juni diesen Jahres hat der Bundestag mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP ein Gesetz beschlossen, wonach Unternehmen mit hohem Energieverbrauch wesentlich weniger für die Nutzung des Stromnetzes zahlen müssen als private Haushalte oder kleine Betriebe. Energieintensive Unternehmen, die mindestens 7.000 Stunden im Jahr Strom beziehen und mehr als 10 Gigawatt verbrauchen, zahlen für die Nutzung des Stromnetzes sogar gar nichts mehr. Von der Befreiung begünstigt sind große Aluminium- und Stahlhütten, Papier-, Glas- oder Zementhersteller und auch große Rechenzentren.
Normalerweise begleicht jeder Verbraucher die sogenannten Netznutzungsentgelte mit seiner Stromrechnung. Diese Einnahmen gehen an die Netzbetreiber, die damit die Kosten für Betrieb, Wartung und Ausbau der Stromnetze in Deutschland decken und darüber hinaus einen Gewinn einbehalten. Ein gutes Stromnetz hat seinen Preis, das sieht auch Frank Tollert so. Deshalb sollen sich auch die Strom fressenden Industrieunternehmen an den Kosten beteiligen:
"Sie profitieren ja genauso von dem erneuerten Stromnetz, wie die kleinen Betriebe und deswegen fordern wir eben als Handwerk, dass hier eben eine Gleichstellung erfolgt."
Eine Forderung, mit der Frank Tollert nicht alleine steht. Holger Krawinkel ist Spezialist für Energiefragen beim Bundesverband der Verbraucherzentralen. Er und seine Kollegen laufen Sturm gegen die Verordnung, die Großverbraucher schont. Krawinkel nutzt ein einfaches Bild:
"Es erscheint mir absurd. Wenn Sie das übertragen, dann würde ja praktisch ein LKW, der besonders viel auf der Autobahn fährt, von der LKW-Maut befreit werden."
Die Autobahnen stellt der Bund, sie stehen der Allgemeinheit zur Verfügung. Stromtrassen dagegen sind nicht Eigentum des Staates, sondern gehören gewinnorientierten Unternehmen, etwa der Energie Baden-Württemberg (EnBW). Da diese ein Monopol auf ihre Stromleitungen haben, muss der Staat die Höhe der Gewinne regulieren und die Unternehmen sehr genau kontrollieren. Nach Meinung der Verbraucherzentralen hat der Gesetzgeber dabei in der Vergangenheit mehrfach Fehler gemacht, was Holger Krawinkel nicht versteht:
"Das führt für alle Beteiligten zu Entgelten, die höher sind, als sie eigentlich sein müssten und da die Industrie immer einen relativ guten Draht zur Politik hat, hat man sich gesagt: Also bevor wir hier mehr bezahlen, lassen wir uns lieber befreien, dann trifft uns das zu mindestens nicht."
Auch die Art und Weise, wie die neue Regelung für stromintensive Unternehmen installiert wurde, sorgt für Ärger. Erstmals war davon in einer Stellungnahme der Wirtschaftsvereinigung Metalle die Rede. Die Lobbygruppe, die nach eigenen Angaben 653 Firmen mit über 100.000 Beschäftigten vertritt, hat diese für den Wirtschaftsausschuss des Bundestages verfasst und in die Beratungen über das sogenannte "Gesetz zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften" eingebracht. Dieses Gesetz war Teil eines großen Paketes, das nach der Katastrophe von Fukushima den Atomausstieg in Deutschland regelte. In der Stellungnahme, die in einer öffentlichen Anhörung verlesen wurde, heißt es:
"Die Wirtschaftsvereinigung Metalle begrüßt die Initiative, stromintensive Unternehmen mit einem kontinuierlichen Stromverbrauch von mindestens 7.000 Stunden pro Jahr grundsätzlich von den Netznutzungsengelten zu befreien. Die Befreiung würde die netzstabilisierende Wirkung eines kontinuierlichen Strombezugs widerspiegeln. Örtliche Gegebenheiten sollen hierbei keine Rolle spielen, da die stabilisierende Funktion im gesamten Netz wirksam ist. Vereinbarungen über zu- und abschaltbare Lasten bleiben davon unberührt."
An eine offene Diskussion im Wirtschaftsausschuss kann sich kein Parlamentarier erinnern. Das muss wohl hinter den Kulissen gelaufen sein, vermuten Oppositionspolitiker. Erst am Abend bevor das Gesetz im Wirtschaftsausschuss beschlossen wurde, tauchte die Idee einer Ausnahmeregelung für Großverbraucher in einem Änderungsantrag der Regierungsfraktionen von CDU/CSU und FDP auf. Zwei Tage später wurde die Netzentgeltbefreiung dann mit der Stimmenmehrheit der schwarz-gelben Koalition im Bundestag verabschiedet – gültig mit Beginn des kommenden Jahres. Für Holger Krawinkel ein Beispiel dafür, wie Politik eigentlich nicht gemacht werden sollte:
"Man spricht hier auch von dem sogenannten Mitternachtsparagrafen. Also kurz vor Toresschluss wurde eine Änderung der Politik übergeben. Und die hat das in das Gesetz beziehungsweise die Verordnung mit reingenommen. Das ist natürlich sehr intransparent. "
Im Büro des wirtschaftspolitischen Sprechers der Unionsfraktion, Joachim Pfeiffer, will man sich zum Hergang nicht äußern. Dass der Wortlaut im Änderungsantrag nahezu identisch mit der Stellungnahme der Wirtschaftsvereinigung Metalle ist, bleibt ebenfalls unkommentiert.
Auch Fachleute wundern sich. Jan Fuhrberg-Baumann ist technischer Geschäftsführer der Stadtwerke Leipzig Netz GmbH und damit zuständig für die Stromnetze in der Stadt. Er widerspricht der Behauptung des Lobbyverbands, dass Großabnehmer generell eine stabilisierende Wirkung auf das Stromnetz hätten:
"Allein die konstante Abnahme mit einem Kraftwerk daneben stabilisiert nicht das Netz in 100 oder 300 Kilometern Entfernung. Es ist nicht eine technische Frage, es ist eine rein politische Entscheidung gewesen."
Er vermutet, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Industrie zu stärken – eine Art Subvention für große Energieverbraucher also. Auch vor der Änderung der Vorschriften gab es bereits Ausnahmen bei den Netzentgelten, die allerdings technisch zu begründen waren. Denn sie betrafen in erster Line die sogenannten "atypischen Netznutzer". Gemeint sind Nachtspeicheröfen, Wärmepumpen und Industrieunternehmen, die das Netz nachts nutzen. Einen Anreiz, den Matthias Kurth, der Präsident der Bundesnetzagentur, den Stromabnehmern bewusst bieten wollte:
"Das Netz ist ja in der Nachtzeit ohnehin nicht ausgelastet, ja und in soweit können wir da natürlich auch Befreiung geben. Denn das teuerste an jedem Netz ist immer die Spitzenlast und wer sich sozusagen in die Lasttäler legt, dem kann man auch aus Netztopologie und Netzkostengründen eine Befreiung geben."
In deren Genuss künftig auch industrielle Großverbraucher kommen, die anderenfalls damit drohen, mit ihren Unternehmen aus Deutschland abzuwandern, wie Matthias Kurth berichtet:
"Und dann hat der Gesetzgeber gesagt, ja wenn das so ist, dass wir befürchten müssen, dass ein Unternehmen aus Deutschland abwandert, weil es diese Kosten nicht tragen kann, dass damit die Arbeitsplätze, die Wirtschaftskraft, die Wertschöpfung uns ganz verloren geht, dann befreien wir sie lieber sage ich jetzt mal von den Netzentgelten, weil sie dann sozusagen einen Wertschöpfungsbeitrag in Deutschland leisten."
Das hat vor Jahren bei der sogenannten EEG-Umlage auch schon geklappt, mit der der Ausbau der erneuerbaren Energien finanziert wird. Alle Verbraucher zahlen über ihre Stromrechnung in einen Topf ein, aus dem der Bau neuer Windparks oder Solarkraftwerke bezuschusst wird. Kleine Betriebe und private Haushalte beteiligen sich mit 3,5 Cent pro Kilowattstunde an der Umlage, stromintensive Großbetriebe mit gerade mal 0,05 Cent.
Jan Fuhrberg-Baumann von den Stadtwerken Leipzig ist nicht glücklich darüber, dass Ähnliches nun auch für Netzentgelte gilt. Denn die Stadtwerke müssen die Gebühr bei ihren Kunden einfordern und Erhöhungen erklären. Bis zum heutigen Tag gibt es nur Schätzungen darüber, wie hoch die zusätzlichen Kosten für die Abnehmer ausfallen werden, obwohl die neue Verordnung bereits ab 1. Januar 2012 in Kraft treten soll. In den Augen von Jan Fuhrberg-Baumann haben sich Koalitionspolitiker im Wirtschaftsausschuss des Bundestags hier schlicht überrumpeln lassen:
"Wir gehen davon aus, dass das Volumen alleine in 2012 eine Milliarde Umverteilung sein wird, mit wachsender Tendenz, denn längst nicht alle Industrieunternehmen haben heute schon erkannt, welche Möglichkeiten ihnen diese Gesetzesänderung bietet."
Sicher ist, es geht um viel Geld. Um schätzungsweise eine Milliarde Euro, die allein im kommenden Jahr den privilegierten Stromverbrauchern erspart bleibt. Eine Summe, die die übrigen Stromnetznutzer aufbringen müssen, denn die Bundesnetzagentur hat den Netzbetreibern feste Einnahmen garantiert. Dazu zählen die vier große Unternehmen EnBW, Transpower, 50 Hertz und Amprion, in deren Besitz die Überlandleitungen sind. Daneben gibt es noch die sogenannten Verteilnetze, die in den Händen von Hunderten, teilweise sehr kleinen Betreibern sind – vor allem Stadtwerke, die ihre Endverbraucher an das Stromnetz anschließen. Professor Christian von Hirschhausen lehrt an der TU Berlin Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik. Er forscht über die europäischen Stromnetze und beschreibt die Aufgabe der Netzbetreiber recht trocken:
"Netzbetreiben sollte ein langweiliges Geschäft sein, weil es "nur" - in Anführungsstrichen - daraus besteht, Stromerzeugung und Stromverbrauch miteinander zu verbinden. Die sollen die Strippen ziehen und dafür entsprechend adäquat kompensiert werden, nicht mehr und nicht weniger."
Versorgungssicherheit hat Priorität, was den Betrieb der Netze so teuer macht. Im Nordosten von Leipzig steht eines von mehreren Umspannwerken, das den Stadtwerken gehört. Hier kommt Strom aus einer 110 Kilovolt-Leitung an, der auf Tausende Haushalte verteilt werden muss.
Im Moment schaltet ein Techniker eine freie Leitung wieder ans Netz an. Aus der rechten Wand der Halle kommen drei unterarmdicke Kabel, die über verschiedene meterhohe Schalter auf die andere Seite der Halle führen. Bei einer Spannung von 110 Kilovolt gilt es, einen Sicherheitsabstand von einem Meter einzuhalten. Kommt man der Leitung näher, springt der Strom wie ein Blitz durch die Luft über, ein Stromschlag wäre tödlich.
Der laute Knall entsteht beim Zusammenprallen der beiden Kontakte. Dadurch wird ein möglicher Lichtbogen unterbrochen, der die Leitung wie ein Schweißgerät beschädigen würde. Die Techniker haben nun einen Trafo eingeschaltet, mithilfe dessen Strom von 110 Kilovolt auf 10 Kilovolt gewandelt wird. Zwei dieser Trafos stehen hier. Ihr Wert: jeweils etwa 1 Million Euro. Technisch nötig wäre nur ein Trafo. Sollte der aber ausfallen, muss sofort der andere als Ersatz eingeschaltet werden – ansonsten droht in Leipzig Stromausfall. Dieses Prinzip gilt für das gesamte Netz, überall stehen Ersatztrafos und das macht den Betrieb so teuer.
Ein weiterer Kostenpunkt ist der Netzausbau, erklärt der Wirtschaftswissenschaftler Christian von Hirschhausen:
"Man hat eine zeitlang gedacht, man müsste an der Infrastruktur sparen. Ich denke man ist heute in einer Situation, wo wir wissen, dass tendenziell Infrastruktur dazu da ist, Verbraucher zu verbinden und damit auch für die meisten Beteiligten die Wohlfahrt zu steigern."
Nicht zu vergessen die Energiewende, die viele Leitungen schon heute an die Belastungsgrenze bringt. Deutschland steigt bis zum Jahr 2022 bekanntlich aus der Atomkraft aus und will langfristig auch ohne die großen Kohlekraftwerke auskommen. Beide Kraftwerkstypen liefern kontinuierlich, ohne große Schwankungen immer die gleiche Menge an Strom. Ganz anders die Stromgewinnung aus erneuerbaren Energien. Matthias Kurth von der Bundesnetzagentur:
"Für diese volatile Stromerzeugung ist unser deutsches Stromnetz, aber auch das europäische Stromnetz weder geplant noch ausgelegt. Und wir wollen ja jetzt nicht bei den 18 Prozent Erneuerbaren stehen bleiben, sondern unsere Projektion für zehn Jahre sagt, dass wir mindestens mit 35 Prozent Erneuerbaren zu rechnen haben, wenn nicht gar mit 50 und mehr Prozent Erneuerbaren."
Dass bei Erneuerbaren der Stromfluss nicht kontinuierlich ist, sondern an manchen Tagen sehr hohe Spitzen haben kann, macht den Netzen und deren Betreibern zu schaffen.
"Für die Netze bedeutet das, dass sie im Moment stabil gehalten werden können – Deutschland hat ein gutes Stromnetz – aber nur mit Steuerungsmaßnahmen, die eigentlich nur für Notfälle gedacht waren.´"
Diese Notfallmaßnahmen steuern die Netzbetreiber. Sie können Kraftwerke anweisen, bei Stromüberkapazität vom Netz zu gehen oder eben wieder hochzufahren. Das geschieht derzeit immer häufiger, soll aber wieder zur Ausnahme werden. Doch dafür müssen die Netze erst umgerüstet und ausgebaut werden erklärt Jan Fuhrberg-Baumann von den Stadtwerken in Leipzig:
"Hier werden wir konfrontiert werden mit der Aufgabe, die sogenannte Lastseite zu steuern. Wenn zu viel Strom da ist, dafür mit Sorge zu tragen, dass ein großer Verbraucher beispielsweise mit rein geht. Oder aber auch, wenn ein Unterangebot besteht, was ja bald das größere Problem ist, dann auch dafür Sorge zu tragen, dass Verbraucher abgeschaltet werden."
Vor allem Städte mit großen Industriebetrieben und stromintensiven Verbrauchern werden davon betroffen sein. In den ländlichen Regionen dagegen drängen immer mehr kleine Stromerzeuger etwa mit Biomasse auf den Markt. Und die Netzbetreiber werden jeden noch so kleinen Erzeuger ans Netz anschließen müssen, dazu sind sie gesetzlich verpflichtet.
Welche Kosten auf die Stadtwerke zukommen werden, lässt sich noch nicht sagen. Sicher ist aber: Am teuersten werden die großen Übertragungsleitungen sein, um Strom von Nord nach Süd zu transportieren. Im Süden der Republik ist der Stromverbrauch am höchsten – was mit der dortigen Industriedichte zu tun hat. Erneuerbare Energie aus Windkraftanlagen aber wird vor allem im Norden, an den Küsten, bald auch auf dem Meer gewonnen. Strom muss künftig also quer durch Deutschland transportiert werden, will man die Energieversorgung sicherstellen. Aufgabe der Bundesnetzagentur ist es, den Ausbau der Übertragungsleitungen zu koordinieren und mit den Netzbetreibern umzusetzen.
Die Kosten für den Netzausbau – bis zu 50 Milliarden Euro – gehen zulasten der Verbraucher. Über ihre monatliche Stromrechnung werden private Haushalte und kleine Betriebe zur Kasse gebeten. Strom fressende Unternehmen dagegen bleiben vom Netznutzungsentgelt verschont.
Vorausgesetzt, die EU-Kommission macht ihnen nicht einen Strich durch die Rechnung. Denn die Ausnahmeregelung, die ab Beginn des kommenden Jahres gelten soll, muss in Brüssel Bestand haben. Noch hat sich die zuständige Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes nicht geäußert. Vergleichbare Befreiungen für Großverbraucher in Österreich und Luxemburg allerdings hat sie als unerlaubte Beihilfe wieder gekippt. Ob die Kommission, die im Eiltempo beschlossenen deutschen Ausnahmen noch rückwirkend außer Kraft setzen kann, darüber streiten Experten. In Deutschland ist die Energiewende seit der atomaren Katastrophe in Japan Konsens zwischen den politischen Parteien – der Konsens umfasst auch die damit verbundenen Kosten. Für Holger Krawinkel von den Verbraucherzentralen hat ein Kampf bereits begonnen: der Kampf darum, wer wie viel für die Energiewende zahlen muss und wer wie viel vom Kuchen abbekommt.
"Wir haben natürlich jetzt sozusagen die Energiewendegewinner, die auch kräftig die Hand aufhalten."
Dazu zählen für Krawinkel alle, die aus erneuerbaren Quellen Energie gewinnen. Gewinner sind auch die Netzbetreiber, deren Macht in den kommenden Jahren wachsen wird. Auch die Stadtwerke als kleine Netzbetreiber und dezentrale Stromerzeuger werden profitieren, ihre Bedeutung wird steigen.
"Diese Gruppen waren natürlich, bevor der Atomausstieg wirklich feststand, wichtige gesellschaftliche Verbündete für eine andere Energiepolitik, aber jetzt ist sozusagen das beschlossen und dann müssen sie sie auch sozusagen strenger danach beurteilt werden, ob sie wirklich liefern und ob sie zu einem vernünftigen Preis liefern können."
Auch der Leipziger Glasermeister Frank Tollert steht hinter der Energiewende mit all ihren Konsequenzen. Der 47-jährige fordert aber, dass die Investitionslasten gerecht verteilt werden. Dem Handwerksmeister ist aber durchaus bewusst, dass große Unternehmen in puncto Lobbyarbeit weit erfolgreicher sind, vielleicht näher am Ohr der Politik.
"Es ist immer ein Problem des Handwerks: Ein Handwerker ist viel lieber in seiner Werkstatt und macht seine Arbeit, als draußen Handwerkspolitik zu machen und auf seine Situation hinzuweisen."
Er könne nicht damit drohen, mit Betrieb und Arbeitsplätzen einfach ins Ausland abzuwandern, nur weil ihm die Energiekosten hierzulande zu hoch sind. Dennoch: Frank Tollert will gehört werden. Er sagt, die Politik solle damit aufhören, die Großindustrie auf Kosten kleiner Betriebe und privater Haushalte zu unterstützen:
"Das geht eben, bis der Leidensdruck eine Grenze erreicht hat, wo man dann eben nicht mehr weiter machen kann."