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Numerus Clausus-Urteil
Beim Medizin-Studium kommt es nicht nur aufs Abi an

Abiturnote zu stark gewichtet, zu viel Eigenständigkeit der Unis bei Aufnahmetests, Angabe von Ortspräferenzen: Das sind die drei Hauptpunkte, die nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht mit den bestehenden Numerus-Clausus-Regelungen für das Medizin-Studium vereinbar sind. Der Kläger reagierte erleichtert.

Von Thomas Wagner |
    Lukas Valentin Floyd Jäger, Kläger im Ausgangsverfahren, steht am 19.12.2017 vor der Urteilsverkündung im Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe (Baden-Württemberg). Das Bundesverfassungsgericht verkündet das Urteil über die Zulassungsbeschränkung (Numerus clausus) beim Medizinstudium. Es geht um das Grundrecht der freien Wahl der Ausbildungsstätte und des Berufs sowie den Gleichheitsgrundsatz.
    Lukas Valentin Floyd Jäger hatte gegen die bestehenden Zulassungsbeschränkungen für das Studium der Humanmedizin geklagt (dpa / Sina Schuldt)
    Er brachte das Ganze ins Rollen: Lukas Jäger aus Hamburg wollte Medizin studieren - und durfte nicht. Abidurchschnitt 2,4 - das bedeutete: kein Studienplatz.
    "Das System, nur Abiturbeste mit 1,0 oder noch darüber hinaus nehmen zu wollen, ist meiner Ansicht nach falsch. Weil das nichts darüber aussagt, ein besserer Arzt zu werden. Ich finde, eine menschliche Komponente gehört da noch mit hinzu."
    Deshalb hat Lukas Jäger geklagt, gegen die bestehenden Zulassungsbeschränkungen für das Studium der Humanmedizin - erst vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, dann bis ganz hinauf, zum obersten Gericht hierzulande überhaupt.
    Und genau dort verkündete Ferdinand Kirchhof, Vorsitzender des Ersten Senates, eine wegweisende Entscheidung:
    "Es wird folgendes Urteil verkündet: Aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 4. Oktober 2017 hat das Bundesverfassungsgericht Erster Senat für Recht erkannt:"
    Ganze fünf Minuten zählt Verfassungsrichter Kirchhof Rechtsvorschriften, Staatsverträge, Landesgesetze, Bundesgesetze auf - für viele im Saal eine erster Hinweis darauf, wie kompliziert die Zulassungsbeschränkungen für angehende Medizinstudierende geregt sind. Zum Schluss dann die klare Entscheidung: All die Paragrafen sind …
    "....soweit sie die Zulassung zur Humanmedizin betreffen, mit Artikel 12 Absatz 1 Satz eins in Verbindung mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar."
    Denn: Das Grundgesetz garantiere die Berufswahlfreiheit. Davon ist grundsätzlich auch das Medizinstudium berührt. Zwar ergebe sich aus der beschränkten Zahl der Studienplätze die Notwendigkeit eines Auswahlverfahrens. Das müsse aber in einem transparenten Verfahren Chancengerechtigkeit gewähren - und genau die sieht das Bundesverfassungsgericht in den bestehenden Regelungen verletzt, die auf einem Vier-Säulen-Modell basiert: 20 Prozent der Studienplätze werden nach der Abiturnote vergeben, 20 Prozent nach der Wartezeit. 60 Prozent dürften die Hochschulen selbst in eigens gestalteten Aufnahmeverfahren verteilen. Diese Aufteilung an sich sei zwar nicht zu beanstanden. Und selbst die grundsätzlich immer wieder kritisierte Vergabe nach der sogenannten Abitur-Bestennote gehe nach den Artikeln des Grundgesetzes durchaus in Ordnung.
    "Dieses Verfahren ist sachgerecht, denn die Abiturnote belegt als Ergebnis einer mehrjährigen Bewertung durch mehrere Personen in der Schule die Qualifikation eines Bewerbers zum Studium."
    Verstellter Blick auf andere Fähigkeiten
    Kritisch werde es allerdings, wenn nur noch Dezimalen hinter dem Komma einer Abiturnote über die Zuteilung eines Studienplatzes entscheiden, so Verfassungsrichter Michael Eichberger:
    "In einer solchen Situation lässt sich anhand der Abiturnote nicht mehr mit hinreichender Sicherheit die Eignung feststellen und lassen die minimalen Unterschiede nicht mehr zuverlässig genug auf Unterschiede der Eignung schließen. Die Berücksichtigung der Abiturbesten birgt das Risiko, einseitig kognitive intellektuelle Fähigkeiten zum Maßstab zu nehmen und andere gleichermaßen wichtige Fähigkeiten zu übergehen."
    Wie zum Beispiel soziale Kompetenz oder filigranes, haptisches Geschick, das in der Abinote ebenfalls nicht abgebildet werden. Deshalb, so Verfassungsrichter Fereinand Kirchhof, gebe es die klar Aufgabe an die Bildungspolitik: zumindest eine Ergänzungsregelung muss her.
    "Um alle Bewerbungen gerecht zu werden, muss der Gesetzgeber zumindest ein weiteres Auswahlkriterium gesetzlich vorsehen, das nicht auf Schulnoten basiert."
    Ebenfalls als nicht verfassungskonform sieht das Gericht die Verpflichtung angehender Medizinstudierenden, bei ihrer Bewerbung sechs Unis anzugeben, die für ein Studium infrage kämen. Das führt in der Praxis häufig dazu, dass Bewerber trotz Eignung nur wegen einer falschen Ortspräferenz trotzdem keinen Studienplatz bekommen. Verfassungsrichter Ferdinand Kirchhof sieht solche verpflichtenden Ortspräferenzen, die zudem auch sechs Unis begrenzt sind, kritisch:
    "Sobald sie aber darüber hinaus gehend die Wirkung entfalten, einer Bewerbung, die nach der Eignungsprüfung zur Zuteilung eines Studienplatzes führen würde, wegen einer ungeschickten Angabe einer Ortspräferenz wieder den bereits erreichten Studienplatz zu nehmen, konterkarieren sie die sachgerechte Auswahl und sind verfassungswidrig."
    Zudem, so eine weitere Auflage des Bundesverfassungsgerichtes, müssten die Hochschulen bei der Zuteilung jener Plätze, die sie selbst vergeben dürfen, strenger als bisher an die gesetzliche Kandare genommen werden. Das Auswahlverfahren müsse von Gesetzes wegen standardisiert und transparent sein. Ferdinand Kirchhof:
    "Die Anforderungen werden die vorgelegten Vorschriften nur eingeschränkt gerecht. Weder Hochschulrahmengesetze noch Landesgesetze präzisieren das hinreichend."
    Abiturnote zu stark gewichtet, zu viel Eigenständigkeit der Unis bei eigenen Aufnahmetests, verpflichtende Angaben von Ortspräferenzen, die bei guter Eignung trotzdem zur Ablehnung eines Studienplatzes führen können: Das sind die drei Hauptpunkte, die nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht mit den bestehenden Numerus-Clausus-Regelungen bei der Medizin vereinbar sind. Die müssen daher neu gefasst werden. Dafür hat der Gesetzgeber ein Jahr Zeit. Doch schon heute, nach dem Prozess, große Erleichterung bei Kläger Lukas Jäger. Er hat zwar sieben Jahre warten müssen, bis er erst kürzlich, einen Studienplatz in Marburg bekommen hat:
    "Man merkt natürlich, dass diese Zeit eben deutlich zu lange ist, und dass nachfolgende Studienbewerber keine sieben Jahre mehr warten müssen, um ihren Traumberuf lernen zu können."