"Die richterliche Unabhängigkeit bedeutet, dass der Richter frei entscheiden kann, seinem Gewissen verpflichtet ist und den Gesetzen unterworfen ist. So steht es bereits in unserem Grundgesetz."
Sagt Joachim Lüblinghoff, stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Richterbundes. Fabian Wittreck, Rechts-Professor an der Universität Münster, ergänzt:
"Er darf nicht gegen seinen Willen versetzt oder gerade aus dem Amt entfernt werden. Und wie wichtig das ist, sehen wir, glaube ich, gerade in Polen, wo die Regierung genau diese Macht sich zuschreiben lassen will, nämlich Richter zu entlassen."
In Polen ist die Unabhängigkeit der Justiz extrem gefährdet. Der Justizminister kann künftig Gerichtsvorsitzende entlassen und durch eigene Leute ersetzen. Gegen die Reform gingen Zehntausende auf die Straße, sie sehen darin einen Angriff auf die Demokratie und den Rechtsstaat.
Von diesen Zuständen ist die Bundesrepublik weit entfernt. Aber das Thema "richterliche Unabhängigkeit" spielt auch hierzulande immer wieder eine Rolle. Am 7. September wird am Bundesgerichtshof der Fall des Richters Thomas Schulte-Kellinghaus verhandelt. Er war von seiner Gerichtspräsidentin ermahnt worden, seine Amtsgeschäfte "ordnungsgemäß und unverzögert" zu erledigen. Er habe nur 68 Prozent der Durchschnittsleistung anderer Richter erreicht. Schulte-Kellinghaus wehrte sich gegen den Erledigungsdruck und die Ermahnung, zunächst vor dem Richterdienstgericht in Karlsruhe.
"Weil es nicht darum geht oder ging, wie die Präsidentin formuliert hat, dass ich meine Amtsgeschäfte ordnungsgemäß erledige. Es geht vielmehr darum, dass die Präsidentin von mir verlangt hat, dass die Erledigungszahlen, also die Anzahl von beendeten Verfahren, dass die erhöht wird. Und damit ist zwingend verbunden, was die Präsidentin wusste, dass ich meine Rechtsanwendung ändern müsste. Und das darf ich nicht als Richter."
Thomas Schulte-Kellinghaus ist Richter am Oberlandesgericht Karlsruhe, Zweigstelle Freiburg. Er arbeitet in einem Zivilsenat, zuständig unter anderem für Versicherungsrecht. Das Vorgehen seiner ehemaligen Präsidentin, die inzwischen im Ruhestand ist, hält er für einen ganz klaren Eingriff in seine richterliche Unabhängigkeit. Sie habe Druck auf ihn ausgeübt, seine Rechtsanwendung zu ändern.
"Es ist ganz normal, dass Rechtsanwendung von Richtern Zeit kostet – und bei unterschiedlichen Richtern unterschiedlich viel Zeit. Es geht also zum Beispiel darum, wie viele Zeugen ich anhöre, ob ich Parteien und Anwälte darauf hinweise, dass Sachvortrag fehlt. Es geht darum, wie viel ich die Akten lese. Und es geht vor allem auch darum, inwieweit man als Richter, ich betone: in der Regel unbewusst, ich sage mal flapsig, das dünnste Brett wählt, also eine Lösung im Zivilprozess – schneller Prozess, Ende."
Dem Richter wurde nicht vorgeworfen, zu wenig gearbeitet zu haben oder gar faul gewesen zu sein. Trotzdem hatte Schulte-Kellinghaus bisher vor den Dienstgerichten in erster und zweiter Instanz keinen Erfolg. Jetzt hofft er auf das höchste deutsche Gericht, den Bundesgerichtshof.
Der GAU des Rechtsstaates
"Es darf im Rechtsstaat nicht sein, dass eine Präsidentin, aus welchen Gründen auch immer, versucht, einen Richter zu zwingen, seine Rechtsanwendung zu ändern. Das ist aus meiner Sicht der GAU des Rechtsstaats."
Seit 2012 läuft der Fall Schulte-Kellinghaus durch die Instanzen. Er wirft wichtige Fragen auf: Was darf ein Richter, was darf er nicht? Wann darf die Dienstaufsicht tätig werden? Was ist ein unzulässiger Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit?
Zu der Fachöffentlichkeit, die sich von Anfang an für den Fall interessierte, gehört Carsten Schütz, Direktor des Sozialgerichts in Fulda.
"Wenn man es wie Kollege Schulte-Kellinghaus in der Sache ernst nimmt und meint, ist das an sich die konsequente Haltung sozusagen, diesen Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit vor Gericht abwehren zu wollen. Deswegen habe ich großes Verständnis dafür, auch dafür, den Instanzenzug zu durchlaufen."
Die richterliche Unabhängigkeit sei das A und O in einem Rechtsstaat, meint Carsten Schütz.
"Ein entscheidender Punkt des Rechtsstaats ist, dass er als einzige Staatsform, soweit sie für mich jedenfalls erkennbar ist, in der Lage ist, die individuelle Freiheit des Menschen zu sichern. Und die Freiheit wird bedroht von vielen Akteuren, aber auch von der Staatsgewalt. Und die ist immer mächtiger als der Einzelne, das heißt, wenn Sie die Freiheit sichern wollen, brauchen Sie eine unabhängige Justiz, die gegen staatliche Gewalt insbesondere die Freiheit sichert und entsprechend dort sozusagen einschreitet."
"Ein Staat ist meines Erachtens nur dann ein Rechtsstaat, wenn er zumindest gelegentlich vor Gericht verliert. Und wenn die Bürger das auch sehen."
Ergänzt Fabian Wittreck, Professor für Öffentliches Recht, Rechtsphilosophie und Rechtssoziologie an Universität Münster.
"Es muss passieren, dass Angeklagte freigesprochen werden, es muss passieren, dass festgestellt wird, dass die Polizei rechtswidrig gehandelt hat. Und das kann nur festgestellt werden, wenn es unabhängige Richter gibt, die sich das zutrauen. Und wenn die Bürger entweder fürchten, ahnen oder sogar Gewissheit haben, dass Richter nicht unabhängig sind, dann sind Gerichte nutzlos."
Richterliche Unabhängigkeit hat Grenzen
Das wäre das Ende des Rechtsstaats. Denn Rechtsstaat heißt, der Staat unterwirft sich dem Recht und lässt diese Bindung ans Recht auch kontrollieren. Die richterliche Unabhängigkeit, meint Fabian Wittreck, habe jedoch auch Grenzen.
"Der Richter darf sich nicht unter Berufung auf seine Unabhängigkeit in der Kantine vordrängen. Er darf unter Berufung auf seine Unabhängigkeit nicht sagen, ich halte meine Sitzung im Bademantel ab. Und natürlich darf die Dienstaufsicht einschreiten, wenn der Richter entweder gar nicht arbeitet, deutlich zu wenig arbeitet, oder sich unangemessen gegenüber den Prozessbeteiligten verhält."
Das hört sich zwar einfach an, ist es aber nicht, wie die gerichtliche Praxis zeigt.
Monika Nöhre war 13 Jahre lang Präsidentin des Kammergerichts – bis zu ihrer Pensionierung vor zwei Jahren. Das Kammergericht ist das Berliner Oberlandesgericht. Monika Nöhre hatte die Dienstaufsicht über einen der größten Gerichtsbezirke in Deutschland mit mehr als 1.000 Richtern. Wenn ein Richter seine Arbeit offensichtlich liegen ließ, musste sie eingreifen.
"Wenn man einmal feststellt, dass es zu, ich würde mal sagen, Ungleichgewichtungen in der Erledigung kommt – man sieht ja, in einem Senat wird viel erledigt, der andere hat in vergleichbaren Sachen da irgendein Problem –, dann sollte man auf die Kolleginnen und Kollegen zugehen und mit ihnen reden. Ich hab das so praktiziert während meiner Zeit, das war auch nicht immer ganz einfach, aber ich hab es im Nachhinein so empfunden, dass es der richtige Weg war."
Richter sind keine Maschinen
Je nach Fall sind die Herausforderungen für die Richter unterschiedlich. Manchmal ist Schnelligkeit gefragt, manchmal kommt es mehr auf die Gründlichkeit an. Monika Nöhre:
"Richter sind keine Maschinen, und man muss auch immer bedenken, das Urteil muss gut begründet sein, es muss auch standhalten beim BGH, es nützt nichts, wenn das Urteil zu schnell geschrieben wird, dann beim BGH in der Revision aufgehoben wird, und die ganze Sache zurückkommt zum Kammergericht, dann wird dadurch ja viel mehr Arbeit erzeugt. Das sind die absoluten Ausnahmen, das kommt selten vor, aber im Blick haben muss man es trotzdem."
Die ehemalige Kammergerichtspräsidentin hat in ihrer Amtszeit nur drei Mal schriftliche Maßnahmen der Dienstaufsicht ergriffen.
"Aber keine dieser Maßnahmen betraf die Schlagzahl der Arbeit, also der Erledigungsdruck spielte in diesen Maßnahmen überhaupt keine Rolle."
So wie es im Fall Thomas Schulte-Kellinghaus passiert ist, der von seiner Gerichtspräsidentin ermahnt wurde.
"Sondern es waren ganz andere Fälle, in denen ich zu diesen etwas drastischeren Maßnahmen gegriffen habe. Zum Beispiel ein Richter, eine Richterin kommt nicht rechtzeitig aus dem Urlaub zurück, und man hört eine gewisse Zeit von jemandem nichts."
Zwischen Gründlichkeit und Willkür
Aus vielen verschiedenen Perspektiven kennt Lore Maria Peschel-Gutzeit die richterliche Tätigkeit. So war sie selbst viele Jahre Richterin, zuletzt als Vorsitzende eines Familiensenats am Oberlandesgericht in Hamburg. Dann war sie Justizsenatorin, zweimal in Hamburg und einmal in Berlin, heute arbeitet sie als Rechtsanwältin. In ihrer Zeit als Vorsitzende Richterin hatte sie einen Richterkollegen, der als "Quartalsarbeiter" bekannt war.
"In einem Quartal arbeitet er ganz schnell und ganz viel - und das nächste Quartal macht er gar nichts. Gut, das gehört alles zur richterlichen Unabhängigkeit, er kann sich die Arbeit einteilen, wie er will. Nur wenn er ein Vierteljahr lang eine Akte überhaupt nicht anfasst, dann ist das nicht mehr witzig. Und das waren die Fälle, in denen ich dann auch einspringen musste."
Einspringen – indem sie die Sache an sich zog und selbst bearbeitete. Das durfte sie als Vorsitzende – mehr nicht.
Später, als Hamburger Justizsenatorin, bekam Lore Maria Peschel-Gutzeit es mit einem ganz besonderen Richter zu tun, der in die Hamburger Justizgeschichte einging.
"Der gab zum Beispiel für eine Frau, die ein Auto zerkratzt hatte, drei Jahre Gefängnis, und so etwas. 'Sonst lernt sie es nicht', nach dem Motto. Das war natürlich alles völlig unmöglich. Und die nächste Instanz hob das auch auf. Der kam damit auch nicht durch, dieser Richter. Aber da stapelten sich natürlich die Dienstaufsichtsbeschwerden gegenüber einem solchen Richter. Da habe ich ihn mal kommen lassen und habe mit ihm gesprochen, wie er eigentlich meint, sein Amt weiter ausüben zu können. Ich wüsste natürlich, dass er unabhängig sei, aber es gebe ja auch den Missbrauch der Unabhängigkeit. Das hat ihn überhaupt nicht berührt. Er hat gesagt: 'Ich mache weiter so, das ist meine Auffassung'. Da kommen Sie nicht gegen an."
Der Richter landete schließlich nach einer kurzen, schlagzeilenträchtigen Karriere als Politiker in Hamburg im Abseits. Er lebt heute in Brasilien.
Solche Extremfälle gibt es nur selten. Aber wenn selbst solch ein Mann durch die richterliche Unabhängigkeit vor Dienstaufsichtsmaßnahmen geschützt war, fragt man sich, warum in sehr viel milderen Fällen, wie dem von Richter Schulte-Kellinghaus, Maßnahmen ergriffen werden.
Kontrolle darf niemals inhalticher Art sein
Die "Neue Richtervereinigung", die sich für transparente und demokratische Entscheidungsprozesse in der Justizverwaltung einsetzt, sieht in den Dienstaufsichtsmaßnahmen eindeutig einen unzulässigen Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit. Peter Pfennig, selbst Richter am Verwaltungsgericht, ist Sprecher der Fachgruppe Gewaltenteilung in der "Neuen Richtervereinigung":
"Die Ermahnung, seine richterlichen Amtsgeschäfte unverzüglich zu erledigen, das wird oft missverstanden. Die Erledigung, die dort genannt ist, ist natürlich nicht die Verfahrenserledigung, also, den Prozess zu Ende zu bringen mit einem Urteil, sondern der Richter ist verpflichtet – und das kann ermahnt werden –, seine rechtsanhängigen Sachen, die ihm zugeschrieben sind in seinem Dezernat, anzupacken und zur Erledigung zu bringen, sprich: spruchreif zu machen. Das ist das Korrektiv dienstrechtlicher Art, das natürlich da sein muss, damit eine Kontrolle letztendlich stattfinden kann. Aber sie darf niemals inhaltlicher Art sein."
Rechtsstaat lebt vom Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz
Wie im Fall von Schulte-Kellinghaus. Wie die "Neue Richtervereinigung" hat auch der eher konservative "Deutsche Richterbund" die richterliche Unabhängigkeit zu einem seiner Haupt- und Dauerthemen gemacht. Joachim Lüblinghoff ist stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Richterbundes:
"Der Rechtsstaat lebt vom Vertrauen der Bevölkerung auch in die Justiz. Jeder muss mal damit rechnen, dass er mit der Justiz zu tun hat, im Zweifel im Guten. Aber stellen Sie sich vor: Sie selbst sind Angeklagter in einem Strafprozess. Dann hoffen Sie und vertrauen darauf, dass der Richter, der über Sie entscheidet, unabhängig ist und das nur wirklich nach dem Gesetz und nach seinem Gewissen macht."
Joachim Lüblinghoff ist Vorsitzender Richter eines Zivilsenats am Oberlandesgericht Hamm. Er hat auch schon Fälle erlebt, in denen Richter sich vor dem Richterdienstgericht gegen Eingriffe in ihre Unabhängigkeit gewehrt haben.
"Es war ein Schwurgericht, das überlastet war und möglicherweise nicht genügend terminiert hatte. Und in dem Fall hatte sich ein Präsident selbst damit befasst und versucht, die Terminabsprache mit den Anwälten zu machen. Dass das nicht geht, liegt auf der Hand. Und in diesem Fall richtete sich die Überprüfung natürlich gegen den Präsidenten. Er wurde natürlich gefragt, ob er und wie weit er in die richterliche Unabhängigkeit des Schwurgerichts und insbesondere des Schwurgerichtsvorsitzenden eingegriffen hat."
Kritik an der Gewaltenteilung in Deutschland
Auch das Thema Gewaltenteilung – zu der die Unabhängigkeit der Justiz zwangsläufig gehört – steht auf der Agenda von beiden Richterverbänden. Peter Pfennig von der "Neuen Richtervereinigung":
"Die Gewaltenteilung ist ja eine, wenn Sie so wollen, staatsrechtliche Beschreibung der verschiedenen Verantwortlichkeiten in einer Gesellschaft. Und ein Teil dieser Gesellschaft ist nun mal die Justiz, die rechtsprechende Gewalt, wie es im Grundgesetz genannt ist, die ganz klare Aufgaben hat, nämlich Kontrollfunktionen der beiden übrigen Gewalten, insbesondere der Exekutive. Und da kommt es natürlich schon drauf an, wie diese Kontrolle funktioniert. Ist sie beeinflusst? Ist sie beeinflussbar, oder ist sie unabhängig?"
In der Bundesrepublik Deutschland sei diese Kontrolle nur auf den ersten Blick unabhängig, meint der Verwaltungsrichter. Denn der Justizminister und die Justizverwaltungen seien Teil der Exekutive. Solange sie die Richter ernennen, sei die Rechtsprechung nicht wirklich unabhängig. Auch Joachim Lüblinghoff sieht hier Probleme.
"Ja, wir sind weit entfernt von der Unabhängigkeit und von der Selbstverwaltung. Gefordert wird das seit dem Juristentag 1953. Kurzum ist es so: Würde Deutschland heute versuchen, Mitglied in der Europäischen Union zu werden, würden wir die jetzt gültigen Bestimmungen, die eben diese auch organisatorische Unabhängigkeit fordert, nicht erfüllen."
Selbstverwaltung der Justiz gefordert
"Deutscher Richterbund" wie "Neue Richtervereinigung" verlangen eine Selbstverwaltung der Justiz. Peter Pfennig:
"Im Prinzip geht es darum, die Justiz selbstständiger zu machen und eigenverantwortlicher. Die Forderung, ganz klar: konsequente Umsetzung der Gewaltenteilung durch Einführung der Selbstverwaltung."
Nicht mehr die Justizminister, also die Exekutive, sondern ein Richtergremium, zum Beispiel ein Justizverwaltungsrat, würden dann die Richterinnen und Richter einstellen und befördern lassen. Dass dadurch richterliche Unabhängigkeit garantiert würde, bezweifelt allerdings der Jura-Professor Fabian Wittreck:
"Wenn ich bislang sage, ich habe die Gefahr, dass ein beförderungswilliger Richter sich zumindest fragt, na was denkt denn der Justizstaatssekretär wohl über diesen Fall. Dann würde er sich unter den Bedingungen einer Selbstverwaltung fragen: Was denken denn die Mitglieder des obersten Richterrates über diesen Fall. Das heißt, ich habe nur den Gefährder ausgetauscht."
Größtes Problem ist die Hierarchie in der Justiz
Wittreck sieht die richterliche Unabhängigkeit vor allem durch die Hierarchie in der Justiz mit ihren Beförderungsämtern gefährdet. Sie zu beseitigen, die Leitungsposten auf Zeit zu vergeben, und alle anderen Richterinnen und Richter gleichzustellen – das ist sein Zukunftsmodell. Damit wäre zumindest für die innere Unabhängigkeit der Richterinnen und Richter ein wichtiger Schritt getan, es würde keiner mehr immer bessere Posten erreichen wollen. Thomas Fischer, bis vor kurzem noch Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, ergänzt:
"Es gibt eigentlich keinen Grund, warum ein Richter am Amtsgericht oder ein Richter am Landgericht weniger verdienen sollte als ein Richter am Oberlandesgericht oder am Bundesgerichtshof. Die Arbeit ist eine andere, aber es ist weder die Mühe noch die Qualifikation eine andere. Man ist ja kein besserer Richter, weil man am Oberlandesgericht arbeitet statt am Amtsgericht, sondern man macht eine andere Arbeit."
Und für die äußere Unabhängigkeit, das heißt die Einmischung von außen, müssen sich Richter und ihre Dienstherren in dem rechtsstaatlichen System von "Checks and Balances" immer wieder vergewissern, was geht – und was nicht geht. So dürfen die Gerichtspräsidenten zwar Weisungen erteilen, aber nur zum äußeren Ablauf, sagt Thomas Fischer.
"Man kann einen Richter anweisen, gelegentlich im Gericht vorbeizuschauen, nicht zu sagen, er sei nicht dazu in der Lage, einen Computer zu bedienen, oder er lehne das Aktenlesen von vorneherein ab und ähnliche Dinge.
Man darf einem Richter aber in keinem Fall sagen, dass er mehr Vergleiche machen soll, dass er bestimmte Entscheidungen in eine bestimmte Richtung treffen soll, dass er sich mal überlegen soll, ob er noch was werden will, wenn er so weiter macht wie er es jetzt macht.
Also alles, was auch nur entfernt Einfluss auf die inhaltliche Entscheidung von Richtern hat, ist unzulässig. Und das darf auch kein Präsident, und sei er noch so hoch, irgendeinem Richter sagen. Das festzustellen, wäre Aufgabe und Anlass, dann beim Richterdienstgericht dagegen einen Antrag zu stellen."
Ein wegweisendes Urteil
Wenn der Bundesgerichtshof diese Woche den Fall des Richters Schulte-Kellinghaus verhandelt, wird es auch um die innere und äußere Unabhängigkeit gehen. In seinem Fall war es der Erledigungsdruck, den Schulte-Kellinghaus nicht hinnehmen wollte. Er ist davon überzeugt, dass in seinem Prozess Fragen behandelt werden, die über sein persönliches Richter-Schicksal hinausreichen.
"Inwieweit können Bürger damit rechnen, dass Richter sich wirklich erstrangig, ausschließlich am Gesetz orientieren und nicht an einem Erledigen von Fällen um jeden Preis? Und wie steht die Politik dazu? Das ist ein grundlegendes Problem. Und ich würde mir wünschen, dass ein solches grundlegendes Problem des Rechtsstaats, das es vor zehn oder 20 Jahren nicht gegeben hat in Deutschland, von Medien, Journalisten, Wissenschaftlern, Beobachtern mehr wahrgenommen werden würde."