Anna M. sitzt am Küchentisch. Es ist ruhig in der Wohnung, zwei ihrer drei Kinder sind in der Kita. Anna M. war 38, als sie mit ihrem dritten Kind schwanger wurde. Wie bei ihren beiden anderen Schwangerschaften lässt sie im dritten Monat eine Ultraschalluntersuchung machen.
"In der Nackenfaltenmessung kam raus, dass die Harnblase stark vergrößert war, und das hat dazu geführt, dass das Risiko für die Trisomie 13 und Trisomie 18 deutlich erhöht war."
Bei einer Trisomie 13 oder 18 handelt es sich um eine schwere Chromosomenanomalie. Das Chromosom 13 oder 18 liegt dreimal im Erbgut vor – nicht zweimal. Die betroffenen Kinder sterben oft schon im Mutterleib. Anna M. und ihr Mann wollen Gewissheit.
"Und das war für uns der Grund, dass wir uns dann für eine Chorionzottenbiopsie entscheiden haben."
Eine Chorionzottenbiopsie zählt wie die Fruchtwasseranalyse zu den invasiven Untersuchungen in der Pränataldiagnostik. Das Prinzip ist ähnlich: Der Arzt entnimmt Zellen aus dem Mutterkuchen oder dem Fruchtwasser und lässt sie auf Chromosomenanomalien untersuchen.
Anna M. hatte Glück. Sie hat den Eingriff gut überstanden, ihr Sohn kam gesund auf die Welt. In Deutschland nehmen immer mehr Frauen so eine Untersuchung in Anspruch. Jede fünfte Schwangere ist heute älter als 35. Damit steigt das Risiko, dass das Kind eine Chromosomenanomalie hat. Am häufigsten ist die Trisomie 21, das Down-Syndrom. Die meisten Paare sind nicht bereit, so ein Kind auszutragen. Doch die Gewissheit hat ihren Preis.
"Die Fruchtwasseruntersuchung hat ein Risiko von 0,3 bis 1 Prozent, dass durch den Eingriff selbst eine Fehlgeburt ausgelöst werden kann."
Michael Entezami ist Gynäkologe. Er arbeitet am Zentrum für Pränataldiagnostik und Humangenetik am Kurfürstendamm in Berlin.
"Das passiert Tage bis Wochen später, dass entweder der Fetus keinen Herzschlag mehr zeigt, oder dass in der Folge die Fruchtblase platzt, Fruchtwasser vaginal abläuft und in der Folge Wehen oder auch Fieber auftreten können und es dadurch auch zu Fehlgeburten kommt."
Jedes Jahr sterben hierzulande um die 600 Föten nach einer Fruchtwasseranalyse oder Chorionzottenbiopsie, schätzen Mediziner. Das ist der Fluch der invasiven pränatalen Diagnostik. Ein Großteil dieser Eingriffe könnte bald überflüssig werden: In Kürze. Noch in diesem Monat will die Konstanzer Firma Lifecodexx einen neuen Test auf den Markt bringen. Er soll eine Trisomie 21, also das Down-Syndrom aufspüren, und außerdem eine Trisomie 13 und 18. Alles, was man für den Test braucht, ist ein Röhrchen Blut von der Mutter. Der Test ist zuverlässig, das Risiko einer Fehlgeburt gleich null.
"Das ist eine übliche Blutabnahme, etwa zehn, vielleicht 15 Milliliter, das ist eine normale Blutabnahme."
Michael Entezami hat den Test bereits eingesetzt, im Rahmen einer Studie. Sein Fazit:
"Der Test ist für uns eine Bereicherung. Es ist ein Durchbruch auf einem Feld, wo seit 20 Jahren geforscht wurde, ohne Gefährdung der Schwangerschaft eine Aussage über die Chromosomen des Kindes zu machen."
Der Bluttest wird vermutlich um die 1000 Euro kosten. Die Frauen müssen ihn vorerst aus eigener Tasche bezahlen. Trotzdem ist die Nachfrage hoch.
"Weil viele Schwangere, gerade nach Kinderwunschbehandlung, gerade nach vorausgegangenen Fehlgeburten oder anderen traumatischen Erlebnissen, sehr große Angst haben, das Risiko einer Fruchtwasseruntersuchung einzugehen. Und die Alternative Blut abzugeben und daraus eine sehr sichere Aussage zu bekommen, natürlich sehr verlockend ist."
"Also wenn es den Test damals gegeben hätte, hätte ich ihn schon gemacht, weil ich das Fehlgeburtsrisiko natürlich so ausgeschlossen hätte."
sagt Anna M. Doch sie sieht den Test auch kritisch. Durch die Pränataldiagnostik werde ohnehin immer mehr Verantwortung auf die Paare abgewälzt.
"Das fand ich auch damals das Problem, dass man sich über so eine Fragestellung heute einen Kopf machen muss und eine Meinung bilden muss, und das war früher nicht so. Als ich in der Situation war, habe ich gedacht, das ist eigentlich viel einfacher, wenn man da gar keine Wahl hat, sondern dann nimmt man das so hin, und dann ist es halt so, und jetzt muss man sich immer dafür oder dagegen entscheiden. Und das wird immer schwieriger für die Paare, wenn es immer leichtere Tests gibt dafür."
Je einfacher, je risikoloser der Test ist, desto schwieriger wird es für die Paare, auf einen Test zu verzichten – und desto schwieriger wird es vielleicht auch, ein Kind mit Down-Syndrom zu akzeptieren, wenn man es so leicht hätte erkennen können. Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Hubert Hüppe von der CDU, hält den neuen Bluttest schlicht für gesetzeswidrig.
"Ich halte da nicht viel von, weil dieser Test macht ja keinen therapeutischen oder medizinischen Sinn, denn welchen Sinn sollte so ein Test haben, denn Menschen mit Down-Syndrom haben Down-Syndrom, den einzigen Sinn, den dieser Test ja offensichtlich machen soll, ist, dass man die Menschen, die Down-Syndrom haben, aussortieren will. Dass sie, wie es die Praxis zeigt, wahrscheinlich danach abgetrieben werden, wenn es sich herausstellt, dass sie anders sind als andere Menschen."
Der Bluttest wird die Debatte über Sinn und Unsinn der Pränataldiagnostik neu entfachen. Ob das Selbstbestimmungsrecht der Mütter schwerer wiegt als das Recht eines Kindes auf Leben. Es sind alte Fragen, auf die es, je nach Blickwinkel, unterschiedliche Antworten gibt. Doch der Test wirft auch neue Fragen auf, um deren Antworten erst noch gerungen werden muss. Dank modernster molekularbiologischer Methoden können Genetiker erstmals das Erbgut eines Fötus untersuchen, ohne ihm direkt Zellen entnehmen zu müssen. Der Test steht beispielhaft dafür, wie rasant sich die Möglichkeiten der genetischen Diagnostik entwickeln. Welche Untersuchungen werden eines Tages noch möglich sein, und welche Folgen?
Der Bluttest funktioniert so: Im Blut der Mutter schwimmen auch DNA-Stückchen des Fötus. Sie stammen aus abgestorbenen, zersetzten Zellen aus dem Mutterkuchen, und die sind genetisch identisch mit dem Kind. Die DNA-Stücke werden im Labor vervielfältigt und anschließend den einzelnen Chromosomen zugeordnet. Daraus können Genetiker berechnen, ob die Chromosomen 13, 18 und 21 zweimal vorkommen – was normal wäre – oder dreimal. Dann würde eine Trisomie vorliegen. Michael Entezami:
"Ich würde diesen Bluttest nie unkritisch einfach so mal machen, um zu gucken, was los ist, sondern nur eingebettet in eine vernünftige Ultraschalldiagnostik, in eine biochemische Diagnostik, das heißt Blutabnahme der Plazentahormone, um ein Gesamtbild zu haben, und um dann letztendlich abschließend kritisch einschätzen zu können, wie die Aussagekraft des Bluttests für die einzelne Schwangere ist."
Wenn eine Frau ihren Fötus untersuchen lassen möchte, dann sollte sie in der 11. Schwangerschaftswoche das Ersttrimester-Screening, also die Ultraschalluntersuchung machen – wie bisher auch. Wenn es dann Hinweise auf eine Trisomie 21, 13 oder 18 gibt, dann sollte der Bluttest zum Einsatz kommen. Wenn der Bluttest negativ ausfällt, könnten die Frauen auf eine Fruchtwasseruntersuchung oder eine Chorionzottenbiopsie verzichten.
"Also ich denke, der große Vorteil wird darin liegen, in vielen Fällen, wo im Moment eine Fruchtwasseruntersuchung durchgeführt wird, um jeden Zweifel auszuschließen, dass in diesen Fällen der Bluttest ausreichend Sicherheit bringt. Und das betrifft sicherlich 80 bis 90 Prozent der invasiven Untersuchungen, inklusive der Fruchtwasseruntersuchungen, die nur aus Altersindikation gemacht werden."
Der Test wird die Fruchtwasseruntersuchung nicht vollständig ersetzen können. Im Moment kann er nur eine Trisomie 21, 13 oder 18 aufspüren. Andere, seltenere Chromosomenanomalien werden nicht erfasst. Außerdem: Wenn eine Patientin ihr Kind abtreiben lassen will, weil der Bluttest positiv ausgefallen ist, dann sollte sie sich auf jeden Fall durch eine Fruchtwasseruntersuchung absichern, sagt Michael Entezami. Die Fehlerquote des Tests sei zwar gering.
"Aber man muss sich vergegenwärtigen, dass es Fehler geben kann."
80 bis 90 Prozent der Frauen könnten in Zukunft auf eine Fruchtwasseruntersuchung verzichten. Der Test ist für die Schwangeren ein Gewinn, so hat es jedenfalls auch das Bundesforschungsministerium gesehen und seine Entwicklung mit 230.000 Euro gefördert. Für den Behindertenbeauftragten Hubert Hüppe ein Skandal.
"Offensichtlich gibt es ein Interesse, möglichst viele Menschen, die anders sind als andere, nicht zur Welt kommen zu lassen."
Ein Vorwurf, dem sich auch Pränataldiagnostiker wie Michael Entezami immer wieder ausgesetzt sehen.
"Wir sind da in einem Spagat. Als Frauenarzt muss ich der Schwangeren die Möglichkeiten der Pränataldiagnostik anbieten, sie in Kenntnis darüber setzen, welche Möglichkeiten es gibt, und sie darf entscheiden, welche Möglichkeiten sie nutzt. Wenn ich das nicht tue, dann war’s bisher schon so, zumindest, wenn die Schwangere 35 oder älter war, dass sie hinterher klagen konnte, auf den Ersatz der Unterhaltskosten des Kindes und der Krankheitskosten des Kindes. Und da klagen nicht nur die Eltern, da klagen auch die Krankenkassen, und dass auf der anderen Seite uns vorgeworfen wird, dass wir Selektion betreiben, was natürlich überhaupt nicht unsere Intention ist."
Wenn sich der Test in den nächsten Jahren als zuverlässig erweist, dann stehen die Chancen gut, dass er auch von den Krankenkassen übernommen wird. Wahrscheinlich werden dann immer mehr Schwangere auf den Test zurückgreifen wollen - auch jüngere, die vorher nie über eine Fruchtwasseruntersuchung nachgedacht hätten.
Doch der Dammbruch könnte auch noch in eine andere Richtung gehen. Forschern aus Hongkong ist es bereits gelungen, aus einer mütterlichen Blutprobe das gesamte Erbgut des Fötus zusammenzupuzzeln. Theoretisch könnte man also die kompletten genetischen Anlagen des Fötus durchforsten – nach chromosomalen Störungen, nach Erbkrankheiten, auch nach genetischen Risikofaktoren, die zu Krankheiten wie Krebs oder Diabetes führen könnten.
Technisch ist das möglich, aber viel zu teuer. Und aus medizinischer Sicht fragwürdig.
"Dieses Szenario kann ich mir im Moment nicht vorstellen – man darf ja nicht vergessen: Im Genom von jedem von uns befinden sich mehrere Millionen genetische Varianten. Das Problem ist also nicht die Nachweisbarkeit der Varianten durch eine Labormethode. Das Problem ist die Interpretation, was diese Varianten eigentlich bedeuten."
Peter Propping ist Humangenetiker an der Universität Bonn und Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.
"Wenn Sie mehrere Millionen Varianten, das heißt Abweichungen vom Standardgenom haben, dann müssen Sie ja bei jeder einzelnen sagen, was das für das Kind oder den Menschen bedeuten soll. Und erst mal sind wir davon sehr weit entfernt, und außerdem würde wenn Sie das mal zu Ende denken, überhaupt kein Mensch mehr geboren werden. Weil wir alle natürlich irgendwelche Abweichungen in millionenfacher Ausführung vom Standardgenom haben."
Es mache - wenn überhaupt – nur Sinn, gezielt nach Krankheitsanlagen zu suchen, die bereits bekannt sind. Zum Beispiel nach Erbkrankheiten, die schon in der Familie aufgetaucht sind.
"Dann wäre es eigentlich erst mal sehr viel vernünftiger und naheliegender, die beiden Eltern zu untersuchen. Denn der Fet kann ja nur die Information tragen, die bei seinen Eltern vorkommen."
Video im Internet: "”The day Christiane was born was pure joy.”".
Ein Video im Internet, von der Seite "beyondbatten.org". Christiane als Baby, im Arm ihres Vaters. Christiane auf der Schaukel, mit ihrer Mutter.
Sie will Lehrerin werden, sagt sie in die Kamera. Doch dieser Traum wird nie in Erfüllung gehen. Christiane Benson leidet an der Neuronalen Ceroid-Lipofuszinose, kurz NCL. Als die Krankheit diagnostiziert wurde, war sie fünf. Inzwischen ist sie blind, ihre geistigen und körperlichen Fähigkeiten bauen immer weiter ab. Wahrscheinlich wird sie noch vor ihrem 18. Geburtstag sterben.
Mutter: "Der Tag, an dem wir Christianes Diagnose bekamen, war grauenvoll. Unglaube, Verzweiflung, Sorge, Qual, Angst und untragbarer Schmerz."
NCL zählt zu den rezessiven monogenen Erbkrankheiten. Christianes Eltern tragen beide den Gen-Defekt in sich, sind aber gesund. Jeder Mensch hat nämlich zwei Versionen von einem Gen in seinem Erbgut. Bei Christianes Eltern ist die zweite Version normal, deshalb ist die Krankheit bei ihnen nicht ausgebrochen. Christiane hat von beiden Eltern das defekte Gen geerbt, die Wahrscheinlichkeit dafür lag bei 25 Prozent. Es gibt Tausende solcher Erbkrankheiten, auch Mukoviszidose gehört dazu und die Beta-Thalässemie. Viele sind extrem selten, viele unheilbar.
Kein Kind sollte so ein Schicksal erleiden. Die Krankheit muss ausgerottet werden. Das ist die Mission der Familie Benson. Christianes Vater hat eine Stiftung gegründet und den amerikanischen Genetiker Stephen Kingsmore damit beauftragt, einen Test zu entwickeln, mit dem Paare feststellen können, welche Gen-Defekte sie in sich tragen – und zwar bevor sie ein Kind zeugen. Stephen Kingsmore hat den Test im Januar 2011 in einer Fachzeitschrift vorgestellt: Ein Tropfen Blut reicht aus, um das Erbgut der Eltern auf mehr als 600 rezessive Erbanlagen gleichzeitig zu durchforsten.
Solche Heterozygotentests sind nicht neu, es gibt sie schon seit Jahrzehnten – bislang allerdings nur für einzelne Krankheiten wie zum Beispiel Mukoviszidose. Der Kingsmore-Test sprengt alle Dimensionen.
"Als dies zum ersten Mal propagiert wurde, ich glaube ich war in Deutschland der erste, der das propagiert hat, stieß das auch bei meinen Kollegen zunächst auf Ablehnung, oder jedenfalls auf große Zurückhaltung. Auch bei den Meinungsführern in meinem Fach."
Hans-Hilger Ropers leitet das Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin-Dahlem. Er hilft Stephen Kingsmore dabei, den Test marktreif zu machen.
"Ich sehe mit großer Freude, dass viele einflussreiche Kollegen sich inzwischen völlig auf meiner Linie bewegen, und auch finden, dass man einen solchen Test der Öffentlichkeit nicht vorenthalten kann."
Jeder Mensch trägt zwischen 20 und 30 Anlagen für rezessive monogene Erbkrankheiten in seinem Erbgut. Mit dem Kingsmore-Test ließe sich überprüfen, ob bei den potenziellen Eltern die gleichen Genvarianten für dieselbe Krankheit vorliegen. Das ist bei einem bis zwei Prozent aller Paare der Fall. Die Wahrscheinlichkeit, dass das gemeinsame Kind beide Gen-Defekte erbt und erkrankt, liegt dann bei 25 Prozent. Hilger Ropers:
"Wenn man sich vorstellt, es könnte einen selber betreffen oder die eigene Schwester betreffen oder das eigene Kind, dann wird die Sache einem meistens sehr viel klarer, und dann will man ihnen auch die Möglichkeit geben mit diesen Risiken aktiv umzugehen. Und dann ist man eher dafür, dass es solche Möglichkeit auf jeden Fall gibt."
"Wichtig ist, dass die, die entscheiden, also die Eltern oder die potenziellen Eltern, wissen, was sie denn da tun."
... sagt Peter Propping.
"Ein Teil der Krankheiten ist ja auch leicht oder durchaus behandelbar, und man mag durchaus unterschiedliche Ansichten darüber haben, ob es überhaupt gerechtfertigt ist, bei einer leichten oder durchaus behandelbaren Krankheit überhaupt eine vorgeburtliche Diagnostik in Anspruch zu nehmen, auch da, denke ich muss über diese neuen Methoden in der Öffentlichkeit intensiv diskutiert werden und aufgeklärt werden."
Aufklärung ist wichtig. Der Kingsmore-Test würde – wie auch der Bluttest auf Trisomie 21 - unter das Gendiagnostikgesetz fallen. Ärzte und Genetiker müssten Paare, die diesen Test machen möchten, ausführlich beraten. Die Paare müssen aber letzten Endes selbst entscheiden, was sie mit einem positiven Testergebnis, mit dem Risiko von 25 Prozent anfangen: Eine Schwangerschaft riskieren und im Zweifelsfall abtreiben? Ein Kind adoptieren? Ganz auf Kinder verzichten?
"Das was mit dem Test theoretisch möglich oder praktisch möglich ist, ist, dass die Anzahl der geborenen Kinder mit solchen Krankheiten sehr viel geringer wird."
Doch auch dieser Test wird den Eltern kein gesundes Kind garantieren können. Erbkrankheiten können auch erst nach der Befruchtung entstehen – durch spontane Mutationen. Für Kritiker wie den Behindertenbeauftragten Hubert Hüppe zeigen solche Entwicklungen: Die Hürde für menschliches Leben wird immer weiter nach oben gesetzt.
"Und wenn sich diese Gesellschaft dazu entwickelt, dass nur noch ganz bestimmte Menschen zur Welt kommen dürfen, dann wird sie zu einer diskriminierenden und unmenschlichen Gesellschaft und das finde ich fatal."
Hubert Hüppe wünscht sich feste Regeln für die genetische Diagnostik.
"Wir haben ja bei allen anderen Hochtechnologien, die möglicherweise auch mit Gefahren verbunden sind, haben wir ja auch feste Regeln. Bei einigen haben wir ja auch Rückschritte gemacht, also nehmen wir mal die Atomenergie in Deutschland. Offensichtlich gab es einen Konsens in der Gesellschaft, zu sagen, diese Technologie ist für die Menschen in manchen Bereichen eben zu gefährlich, als dass wir sie anwenden können."
Hans-Hilger Ropers, der Jahre lang als Humangenetiker die Eltern von kranken Kindern beraten und untersucht hat, sagt:
"Die meisten Eltern, die ein behindertes Kind haben, werden es lieben, aber noch mehr lieben würden sie es, wenn sie nur gesunde Kinder hätten. Und diese Möglichkeit muss man ihnen geben."
Für ihn rechtfertigen die neuen Möglichkeiten der Pränatal- oder genetischen Diagnostik aber keinesfalls, kranke Menschen zu diskriminieren.
"Sie und ich sind Träger von vielleicht 20, vielleicht 30 solcher rezessiven Mutationen. Und es ist reines Glück, dass offenbar nicht beide Eltern diese Anlagen hatten oder dass wir eben trotz einer solchen Risikokonstellation eben gerade nicht von beiden Eltern zwei Defekte bekommen haben. Ich denke, wenn man das alles weiß und wenn man auch weiß, wie schwer diese Krankheiten sind, dann muss unsere Solidarität gerade denjenigen gelten, die weniger Glück gehabt haben."
Es wird immer Paare geben, die mit gutem Recht auf eine vorgeburtliche Diagnostik verzichten. Die allermeisten Krankheiten, die allermeisten Behinderungen treten ohnehin erst im Laufe des Lebens auf: als Folge von Umwelteinflüssen, Infektionen oder Unfällen. Es wird nie eine Garantie für ein gesundes Kind geben. Gesundheit ist nicht planbar. Sie ist reine Glückssache.
"In der Nackenfaltenmessung kam raus, dass die Harnblase stark vergrößert war, und das hat dazu geführt, dass das Risiko für die Trisomie 13 und Trisomie 18 deutlich erhöht war."
Bei einer Trisomie 13 oder 18 handelt es sich um eine schwere Chromosomenanomalie. Das Chromosom 13 oder 18 liegt dreimal im Erbgut vor – nicht zweimal. Die betroffenen Kinder sterben oft schon im Mutterleib. Anna M. und ihr Mann wollen Gewissheit.
"Und das war für uns der Grund, dass wir uns dann für eine Chorionzottenbiopsie entscheiden haben."
Eine Chorionzottenbiopsie zählt wie die Fruchtwasseranalyse zu den invasiven Untersuchungen in der Pränataldiagnostik. Das Prinzip ist ähnlich: Der Arzt entnimmt Zellen aus dem Mutterkuchen oder dem Fruchtwasser und lässt sie auf Chromosomenanomalien untersuchen.
Anna M. hatte Glück. Sie hat den Eingriff gut überstanden, ihr Sohn kam gesund auf die Welt. In Deutschland nehmen immer mehr Frauen so eine Untersuchung in Anspruch. Jede fünfte Schwangere ist heute älter als 35. Damit steigt das Risiko, dass das Kind eine Chromosomenanomalie hat. Am häufigsten ist die Trisomie 21, das Down-Syndrom. Die meisten Paare sind nicht bereit, so ein Kind auszutragen. Doch die Gewissheit hat ihren Preis.
"Die Fruchtwasseruntersuchung hat ein Risiko von 0,3 bis 1 Prozent, dass durch den Eingriff selbst eine Fehlgeburt ausgelöst werden kann."
Michael Entezami ist Gynäkologe. Er arbeitet am Zentrum für Pränataldiagnostik und Humangenetik am Kurfürstendamm in Berlin.
"Das passiert Tage bis Wochen später, dass entweder der Fetus keinen Herzschlag mehr zeigt, oder dass in der Folge die Fruchtblase platzt, Fruchtwasser vaginal abläuft und in der Folge Wehen oder auch Fieber auftreten können und es dadurch auch zu Fehlgeburten kommt."
Jedes Jahr sterben hierzulande um die 600 Föten nach einer Fruchtwasseranalyse oder Chorionzottenbiopsie, schätzen Mediziner. Das ist der Fluch der invasiven pränatalen Diagnostik. Ein Großteil dieser Eingriffe könnte bald überflüssig werden: In Kürze. Noch in diesem Monat will die Konstanzer Firma Lifecodexx einen neuen Test auf den Markt bringen. Er soll eine Trisomie 21, also das Down-Syndrom aufspüren, und außerdem eine Trisomie 13 und 18. Alles, was man für den Test braucht, ist ein Röhrchen Blut von der Mutter. Der Test ist zuverlässig, das Risiko einer Fehlgeburt gleich null.
"Das ist eine übliche Blutabnahme, etwa zehn, vielleicht 15 Milliliter, das ist eine normale Blutabnahme."
Michael Entezami hat den Test bereits eingesetzt, im Rahmen einer Studie. Sein Fazit:
"Der Test ist für uns eine Bereicherung. Es ist ein Durchbruch auf einem Feld, wo seit 20 Jahren geforscht wurde, ohne Gefährdung der Schwangerschaft eine Aussage über die Chromosomen des Kindes zu machen."
Der Bluttest wird vermutlich um die 1000 Euro kosten. Die Frauen müssen ihn vorerst aus eigener Tasche bezahlen. Trotzdem ist die Nachfrage hoch.
"Weil viele Schwangere, gerade nach Kinderwunschbehandlung, gerade nach vorausgegangenen Fehlgeburten oder anderen traumatischen Erlebnissen, sehr große Angst haben, das Risiko einer Fruchtwasseruntersuchung einzugehen. Und die Alternative Blut abzugeben und daraus eine sehr sichere Aussage zu bekommen, natürlich sehr verlockend ist."
"Also wenn es den Test damals gegeben hätte, hätte ich ihn schon gemacht, weil ich das Fehlgeburtsrisiko natürlich so ausgeschlossen hätte."
sagt Anna M. Doch sie sieht den Test auch kritisch. Durch die Pränataldiagnostik werde ohnehin immer mehr Verantwortung auf die Paare abgewälzt.
"Das fand ich auch damals das Problem, dass man sich über so eine Fragestellung heute einen Kopf machen muss und eine Meinung bilden muss, und das war früher nicht so. Als ich in der Situation war, habe ich gedacht, das ist eigentlich viel einfacher, wenn man da gar keine Wahl hat, sondern dann nimmt man das so hin, und dann ist es halt so, und jetzt muss man sich immer dafür oder dagegen entscheiden. Und das wird immer schwieriger für die Paare, wenn es immer leichtere Tests gibt dafür."
Je einfacher, je risikoloser der Test ist, desto schwieriger wird es für die Paare, auf einen Test zu verzichten – und desto schwieriger wird es vielleicht auch, ein Kind mit Down-Syndrom zu akzeptieren, wenn man es so leicht hätte erkennen können. Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Hubert Hüppe von der CDU, hält den neuen Bluttest schlicht für gesetzeswidrig.
"Ich halte da nicht viel von, weil dieser Test macht ja keinen therapeutischen oder medizinischen Sinn, denn welchen Sinn sollte so ein Test haben, denn Menschen mit Down-Syndrom haben Down-Syndrom, den einzigen Sinn, den dieser Test ja offensichtlich machen soll, ist, dass man die Menschen, die Down-Syndrom haben, aussortieren will. Dass sie, wie es die Praxis zeigt, wahrscheinlich danach abgetrieben werden, wenn es sich herausstellt, dass sie anders sind als andere Menschen."
Der Bluttest wird die Debatte über Sinn und Unsinn der Pränataldiagnostik neu entfachen. Ob das Selbstbestimmungsrecht der Mütter schwerer wiegt als das Recht eines Kindes auf Leben. Es sind alte Fragen, auf die es, je nach Blickwinkel, unterschiedliche Antworten gibt. Doch der Test wirft auch neue Fragen auf, um deren Antworten erst noch gerungen werden muss. Dank modernster molekularbiologischer Methoden können Genetiker erstmals das Erbgut eines Fötus untersuchen, ohne ihm direkt Zellen entnehmen zu müssen. Der Test steht beispielhaft dafür, wie rasant sich die Möglichkeiten der genetischen Diagnostik entwickeln. Welche Untersuchungen werden eines Tages noch möglich sein, und welche Folgen?
Der Bluttest funktioniert so: Im Blut der Mutter schwimmen auch DNA-Stückchen des Fötus. Sie stammen aus abgestorbenen, zersetzten Zellen aus dem Mutterkuchen, und die sind genetisch identisch mit dem Kind. Die DNA-Stücke werden im Labor vervielfältigt und anschließend den einzelnen Chromosomen zugeordnet. Daraus können Genetiker berechnen, ob die Chromosomen 13, 18 und 21 zweimal vorkommen – was normal wäre – oder dreimal. Dann würde eine Trisomie vorliegen. Michael Entezami:
"Ich würde diesen Bluttest nie unkritisch einfach so mal machen, um zu gucken, was los ist, sondern nur eingebettet in eine vernünftige Ultraschalldiagnostik, in eine biochemische Diagnostik, das heißt Blutabnahme der Plazentahormone, um ein Gesamtbild zu haben, und um dann letztendlich abschließend kritisch einschätzen zu können, wie die Aussagekraft des Bluttests für die einzelne Schwangere ist."
Wenn eine Frau ihren Fötus untersuchen lassen möchte, dann sollte sie in der 11. Schwangerschaftswoche das Ersttrimester-Screening, also die Ultraschalluntersuchung machen – wie bisher auch. Wenn es dann Hinweise auf eine Trisomie 21, 13 oder 18 gibt, dann sollte der Bluttest zum Einsatz kommen. Wenn der Bluttest negativ ausfällt, könnten die Frauen auf eine Fruchtwasseruntersuchung oder eine Chorionzottenbiopsie verzichten.
"Also ich denke, der große Vorteil wird darin liegen, in vielen Fällen, wo im Moment eine Fruchtwasseruntersuchung durchgeführt wird, um jeden Zweifel auszuschließen, dass in diesen Fällen der Bluttest ausreichend Sicherheit bringt. Und das betrifft sicherlich 80 bis 90 Prozent der invasiven Untersuchungen, inklusive der Fruchtwasseruntersuchungen, die nur aus Altersindikation gemacht werden."
Der Test wird die Fruchtwasseruntersuchung nicht vollständig ersetzen können. Im Moment kann er nur eine Trisomie 21, 13 oder 18 aufspüren. Andere, seltenere Chromosomenanomalien werden nicht erfasst. Außerdem: Wenn eine Patientin ihr Kind abtreiben lassen will, weil der Bluttest positiv ausgefallen ist, dann sollte sie sich auf jeden Fall durch eine Fruchtwasseruntersuchung absichern, sagt Michael Entezami. Die Fehlerquote des Tests sei zwar gering.
"Aber man muss sich vergegenwärtigen, dass es Fehler geben kann."
80 bis 90 Prozent der Frauen könnten in Zukunft auf eine Fruchtwasseruntersuchung verzichten. Der Test ist für die Schwangeren ein Gewinn, so hat es jedenfalls auch das Bundesforschungsministerium gesehen und seine Entwicklung mit 230.000 Euro gefördert. Für den Behindertenbeauftragten Hubert Hüppe ein Skandal.
"Offensichtlich gibt es ein Interesse, möglichst viele Menschen, die anders sind als andere, nicht zur Welt kommen zu lassen."
Ein Vorwurf, dem sich auch Pränataldiagnostiker wie Michael Entezami immer wieder ausgesetzt sehen.
"Wir sind da in einem Spagat. Als Frauenarzt muss ich der Schwangeren die Möglichkeiten der Pränataldiagnostik anbieten, sie in Kenntnis darüber setzen, welche Möglichkeiten es gibt, und sie darf entscheiden, welche Möglichkeiten sie nutzt. Wenn ich das nicht tue, dann war’s bisher schon so, zumindest, wenn die Schwangere 35 oder älter war, dass sie hinterher klagen konnte, auf den Ersatz der Unterhaltskosten des Kindes und der Krankheitskosten des Kindes. Und da klagen nicht nur die Eltern, da klagen auch die Krankenkassen, und dass auf der anderen Seite uns vorgeworfen wird, dass wir Selektion betreiben, was natürlich überhaupt nicht unsere Intention ist."
Wenn sich der Test in den nächsten Jahren als zuverlässig erweist, dann stehen die Chancen gut, dass er auch von den Krankenkassen übernommen wird. Wahrscheinlich werden dann immer mehr Schwangere auf den Test zurückgreifen wollen - auch jüngere, die vorher nie über eine Fruchtwasseruntersuchung nachgedacht hätten.
Doch der Dammbruch könnte auch noch in eine andere Richtung gehen. Forschern aus Hongkong ist es bereits gelungen, aus einer mütterlichen Blutprobe das gesamte Erbgut des Fötus zusammenzupuzzeln. Theoretisch könnte man also die kompletten genetischen Anlagen des Fötus durchforsten – nach chromosomalen Störungen, nach Erbkrankheiten, auch nach genetischen Risikofaktoren, die zu Krankheiten wie Krebs oder Diabetes führen könnten.
Technisch ist das möglich, aber viel zu teuer. Und aus medizinischer Sicht fragwürdig.
"Dieses Szenario kann ich mir im Moment nicht vorstellen – man darf ja nicht vergessen: Im Genom von jedem von uns befinden sich mehrere Millionen genetische Varianten. Das Problem ist also nicht die Nachweisbarkeit der Varianten durch eine Labormethode. Das Problem ist die Interpretation, was diese Varianten eigentlich bedeuten."
Peter Propping ist Humangenetiker an der Universität Bonn und Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.
"Wenn Sie mehrere Millionen Varianten, das heißt Abweichungen vom Standardgenom haben, dann müssen Sie ja bei jeder einzelnen sagen, was das für das Kind oder den Menschen bedeuten soll. Und erst mal sind wir davon sehr weit entfernt, und außerdem würde wenn Sie das mal zu Ende denken, überhaupt kein Mensch mehr geboren werden. Weil wir alle natürlich irgendwelche Abweichungen in millionenfacher Ausführung vom Standardgenom haben."
Es mache - wenn überhaupt – nur Sinn, gezielt nach Krankheitsanlagen zu suchen, die bereits bekannt sind. Zum Beispiel nach Erbkrankheiten, die schon in der Familie aufgetaucht sind.
"Dann wäre es eigentlich erst mal sehr viel vernünftiger und naheliegender, die beiden Eltern zu untersuchen. Denn der Fet kann ja nur die Information tragen, die bei seinen Eltern vorkommen."
Video im Internet: "”The day Christiane was born was pure joy.”".
Ein Video im Internet, von der Seite "beyondbatten.org". Christiane als Baby, im Arm ihres Vaters. Christiane auf der Schaukel, mit ihrer Mutter.
Sie will Lehrerin werden, sagt sie in die Kamera. Doch dieser Traum wird nie in Erfüllung gehen. Christiane Benson leidet an der Neuronalen Ceroid-Lipofuszinose, kurz NCL. Als die Krankheit diagnostiziert wurde, war sie fünf. Inzwischen ist sie blind, ihre geistigen und körperlichen Fähigkeiten bauen immer weiter ab. Wahrscheinlich wird sie noch vor ihrem 18. Geburtstag sterben.
Mutter: "Der Tag, an dem wir Christianes Diagnose bekamen, war grauenvoll. Unglaube, Verzweiflung, Sorge, Qual, Angst und untragbarer Schmerz."
NCL zählt zu den rezessiven monogenen Erbkrankheiten. Christianes Eltern tragen beide den Gen-Defekt in sich, sind aber gesund. Jeder Mensch hat nämlich zwei Versionen von einem Gen in seinem Erbgut. Bei Christianes Eltern ist die zweite Version normal, deshalb ist die Krankheit bei ihnen nicht ausgebrochen. Christiane hat von beiden Eltern das defekte Gen geerbt, die Wahrscheinlichkeit dafür lag bei 25 Prozent. Es gibt Tausende solcher Erbkrankheiten, auch Mukoviszidose gehört dazu und die Beta-Thalässemie. Viele sind extrem selten, viele unheilbar.
Kein Kind sollte so ein Schicksal erleiden. Die Krankheit muss ausgerottet werden. Das ist die Mission der Familie Benson. Christianes Vater hat eine Stiftung gegründet und den amerikanischen Genetiker Stephen Kingsmore damit beauftragt, einen Test zu entwickeln, mit dem Paare feststellen können, welche Gen-Defekte sie in sich tragen – und zwar bevor sie ein Kind zeugen. Stephen Kingsmore hat den Test im Januar 2011 in einer Fachzeitschrift vorgestellt: Ein Tropfen Blut reicht aus, um das Erbgut der Eltern auf mehr als 600 rezessive Erbanlagen gleichzeitig zu durchforsten.
Solche Heterozygotentests sind nicht neu, es gibt sie schon seit Jahrzehnten – bislang allerdings nur für einzelne Krankheiten wie zum Beispiel Mukoviszidose. Der Kingsmore-Test sprengt alle Dimensionen.
"Als dies zum ersten Mal propagiert wurde, ich glaube ich war in Deutschland der erste, der das propagiert hat, stieß das auch bei meinen Kollegen zunächst auf Ablehnung, oder jedenfalls auf große Zurückhaltung. Auch bei den Meinungsführern in meinem Fach."
Hans-Hilger Ropers leitet das Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin-Dahlem. Er hilft Stephen Kingsmore dabei, den Test marktreif zu machen.
"Ich sehe mit großer Freude, dass viele einflussreiche Kollegen sich inzwischen völlig auf meiner Linie bewegen, und auch finden, dass man einen solchen Test der Öffentlichkeit nicht vorenthalten kann."
Jeder Mensch trägt zwischen 20 und 30 Anlagen für rezessive monogene Erbkrankheiten in seinem Erbgut. Mit dem Kingsmore-Test ließe sich überprüfen, ob bei den potenziellen Eltern die gleichen Genvarianten für dieselbe Krankheit vorliegen. Das ist bei einem bis zwei Prozent aller Paare der Fall. Die Wahrscheinlichkeit, dass das gemeinsame Kind beide Gen-Defekte erbt und erkrankt, liegt dann bei 25 Prozent. Hilger Ropers:
"Wenn man sich vorstellt, es könnte einen selber betreffen oder die eigene Schwester betreffen oder das eigene Kind, dann wird die Sache einem meistens sehr viel klarer, und dann will man ihnen auch die Möglichkeit geben mit diesen Risiken aktiv umzugehen. Und dann ist man eher dafür, dass es solche Möglichkeit auf jeden Fall gibt."
"Wichtig ist, dass die, die entscheiden, also die Eltern oder die potenziellen Eltern, wissen, was sie denn da tun."
... sagt Peter Propping.
"Ein Teil der Krankheiten ist ja auch leicht oder durchaus behandelbar, und man mag durchaus unterschiedliche Ansichten darüber haben, ob es überhaupt gerechtfertigt ist, bei einer leichten oder durchaus behandelbaren Krankheit überhaupt eine vorgeburtliche Diagnostik in Anspruch zu nehmen, auch da, denke ich muss über diese neuen Methoden in der Öffentlichkeit intensiv diskutiert werden und aufgeklärt werden."
Aufklärung ist wichtig. Der Kingsmore-Test würde – wie auch der Bluttest auf Trisomie 21 - unter das Gendiagnostikgesetz fallen. Ärzte und Genetiker müssten Paare, die diesen Test machen möchten, ausführlich beraten. Die Paare müssen aber letzten Endes selbst entscheiden, was sie mit einem positiven Testergebnis, mit dem Risiko von 25 Prozent anfangen: Eine Schwangerschaft riskieren und im Zweifelsfall abtreiben? Ein Kind adoptieren? Ganz auf Kinder verzichten?
"Das was mit dem Test theoretisch möglich oder praktisch möglich ist, ist, dass die Anzahl der geborenen Kinder mit solchen Krankheiten sehr viel geringer wird."
Doch auch dieser Test wird den Eltern kein gesundes Kind garantieren können. Erbkrankheiten können auch erst nach der Befruchtung entstehen – durch spontane Mutationen. Für Kritiker wie den Behindertenbeauftragten Hubert Hüppe zeigen solche Entwicklungen: Die Hürde für menschliches Leben wird immer weiter nach oben gesetzt.
"Und wenn sich diese Gesellschaft dazu entwickelt, dass nur noch ganz bestimmte Menschen zur Welt kommen dürfen, dann wird sie zu einer diskriminierenden und unmenschlichen Gesellschaft und das finde ich fatal."
Hubert Hüppe wünscht sich feste Regeln für die genetische Diagnostik.
"Wir haben ja bei allen anderen Hochtechnologien, die möglicherweise auch mit Gefahren verbunden sind, haben wir ja auch feste Regeln. Bei einigen haben wir ja auch Rückschritte gemacht, also nehmen wir mal die Atomenergie in Deutschland. Offensichtlich gab es einen Konsens in der Gesellschaft, zu sagen, diese Technologie ist für die Menschen in manchen Bereichen eben zu gefährlich, als dass wir sie anwenden können."
Hans-Hilger Ropers, der Jahre lang als Humangenetiker die Eltern von kranken Kindern beraten und untersucht hat, sagt:
"Die meisten Eltern, die ein behindertes Kind haben, werden es lieben, aber noch mehr lieben würden sie es, wenn sie nur gesunde Kinder hätten. Und diese Möglichkeit muss man ihnen geben."
Für ihn rechtfertigen die neuen Möglichkeiten der Pränatal- oder genetischen Diagnostik aber keinesfalls, kranke Menschen zu diskriminieren.
"Sie und ich sind Träger von vielleicht 20, vielleicht 30 solcher rezessiven Mutationen. Und es ist reines Glück, dass offenbar nicht beide Eltern diese Anlagen hatten oder dass wir eben trotz einer solchen Risikokonstellation eben gerade nicht von beiden Eltern zwei Defekte bekommen haben. Ich denke, wenn man das alles weiß und wenn man auch weiß, wie schwer diese Krankheiten sind, dann muss unsere Solidarität gerade denjenigen gelten, die weniger Glück gehabt haben."
Es wird immer Paare geben, die mit gutem Recht auf eine vorgeburtliche Diagnostik verzichten. Die allermeisten Krankheiten, die allermeisten Behinderungen treten ohnehin erst im Laufe des Lebens auf: als Folge von Umwelteinflüssen, Infektionen oder Unfällen. Es wird nie eine Garantie für ein gesundes Kind geben. Gesundheit ist nicht planbar. Sie ist reine Glückssache.