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"Nur noch Einser-Hochschulen"

Die Platzierung in einem Ranking ist für deutsche Universitäten sehr wichtig: es geht um Drittmittel, Reputation, Aufmerksamkeit. Doch Methodik und Fragestellung der Rankings sind nicht über jeden Zweifel erhaben, kritisiert Matthias Kohring, der eine Studie zum Thema durchgeführt hat.

Matthias Kohring im Gespräch mit Manfred Götzke |
    Manfred Götzke: Die Hochschullandschaft in Deutschland ist ein Dschungel: 360 Universitäten, FHs, Kunsthochschulen, und so weiter, und so weiter gibt es – schwer durchzublicken, welche da die richtige ist. Zum Glück aber gibt es Rankings, klare Listen von 1 bis 360, an denen man sich schnell orientieren kann. Aber welche Relevanz haben die Rankings für die Hochschulen? Wie wirken sie sich auf den Betrieb aus?

    Der Kommunikationswissenschaftler Matthias Kohring hat dazu 3.500 Rektoren, Dekane und Professoren befragt und Interessantes rausgefunden: Rankings sind nicht nur Entscheidungshilfe für angehende Studierende, sie entscheiden letztlich auch darüber, wie viel Geld eine Uni zur Verfügung hat, denn vor allem Wirtschaft und Drittmittelgeber aus der Politik richten sich nach den vermeintlich eindeutigen Ranking-Ergebnissen.

    Herr Kohring, hat es Sie überrascht, dass auch Drittmittelgeber aus der Politik ihre Entscheidung so stark von den Rankings abhängig machen?

    Matthias Kohring: Überrascht hat es mich eigentlich nicht, weil ja die Tendenz dahin geht, Hochschulen immer mehr in der Öffentlichkeit darzustellen und sozusagen über die öffentliche Aufmerksamkeit die Hochschulen in den Vordergrund zu schieben. Das führt dann auch dazu, dass Akteure aus der Politik und Wirtschaft – vor allem aus der Wirtschaft – über die Währung öffentliche Aufmerksamkeit gehen werden.

    Götzke: Jetzt ist ja durchaus verständlich, dass Geldgeber oder Auftraggeber in einer relativ unübersichtlichen Hochschullandschaft mit mehr als 300 Hochschulen Orientierung suchen. Wo liegt das Problem dabei?

    Kohring: Der Wunsch nach Orientierung ist sicherlich verständlich. Die Frage ist, ob die Leistung, vor allem die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit von Hochschulen, speziell Universitäten, über Rankings abgebildet werden können. Das heißt, die Frage ist eigentlich: Wie valide sind diese Messungen, die uns da als Ranking präsentiert werden?

    Götzke: Und sie sind nicht besonders valide, implizieren Sie gerade?

    Kohring: Es gibt mehrere Kritikpunkte, die man hier äußern könnte. Zum einen haben wir ja hier ein einziges Ranking, was sich immer mehr in den Vordergrund schiebt, das ist ja das CHE-Ranking. Das ist sozusagen vergleichbar, dass eine einzige Ratingagentur die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft beurteilt – hier haben wir eine einzige wissenschaftliche Ratingagentur sozusagen. Und die Frage ist tatsächlich, wenn man sich die Fragebögen anschaut, ob nicht vor allem die Studierbarkeit der Studiengänge bewertet wird und auch die Drittmittelleistungsfähigkeit der Studiengänge, weniger aber die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit. Hier hätte ich durchaus Zweifel an der Validität der Messung, vor allem aber an den dargestellten Ergebnissen, denn die werden ja zumeist auf wenige Kennwerte verkürzt, und das verspricht vordergründig Orientierung, führt meiner Ansicht nach dazu aber, dass zu viel über einen Kamm geschoren wird.

    Götzke: Ich selbst habe es an der Hochschule auch erlebt, dass die Studierenden gebeten werden, aufgefordert werden, möglichst gut für ihre Uni abzustimmen. Wenn man das weiß und das mit einbezieht in die Bewertung, müsste man doch eigentlich sagen, mit den Rankings kann man gar nichts anfangen.

    Kohring: Auch ich habe davon gehört, auch aus vertrauenswürdigen Quellen, dass Studierende dazu angehalten werden, möglichst positiv zu urteilen. Das führt erstens, nach Ansicht dieser Personen, die das anregen, dazu, dass die eigene Hochschule besser dasteht, um zum Beispiel Drittmittel einzuwerben aus der Wirtschaft, zum Zweiten führt es aber auch dazu, dass die Studenten hinterher auch behaupten können, von einer sehr gut evaluierten Hochschule zu kommen. Das heißt, es ist eine Win-Win-Situation sozusagen, beide profitieren – Studierende und Hochschule – von positiven Ergebnissen, was hinterher dazu führt, dass wir eigentlich nur noch Einser-Hochschulen haben dürften.

    Götzke: Diese Fragwürdigkeit, diese Problematik, ist ja jetzt nicht ganz neu und auch nicht ganz unbekannt. Wie ist denn zu erklären, dass auch Drittmittelgeber aus der Politik, die das eigentlich wissen müssten, sich daran so stark orientieren?

    Kohring: Gut, das ist die Frage, wer letztlich die Entscheidung fällt. Ich glaube, es ist immer einfacher, sich an Vergleichs- oder scheinbar objektiven Kennwerten zu orientieren, weil man ja auch wiederum seine eigene Entscheidung legitimieren muss. Das wird, glaube ich, zu so einer Spirale, dass eben dieser Kennwert, diese Kennziffer, diese öffentlich wahrnehmbaren Kennziffern sehr attraktiv erscheinen. Sie erwecken den Eindruck der Vergleichbarkeit.

    Götzke: Das Problem, das dahintersteckt, ist ja auch die zunehmende Abhängigkeit von Drittmittelgebern, von Drittmitteln an sich.

    Kohring: Das ist ein weiterer Aspekt, der hinzukommt. Ich meine, die gesamte Frage ist ja die, warum Hochschulen überhaupt darauf abzielen, sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren, öffentliche Aufmerksamkeit zu erzielen. Dahinter steckt gewiss auch der Leidensdruck, über öffentliche Aufmerksamkeit Ressourcen einzuwerben. Das führt zu einer gewissen Anpassung, noch nicht opportunistisch, aber doch zu einer strategischen Anpassung an Kriterien, die in der öffentlichen Sphäre attraktiv wahrgenommen werden, und das führt zu einer gewissen Standardisierung und zu einer gewissen auch Konzentrierung auf wenige Aspekte. Denn nichts ist so schlecht in öffentlicher Wahrnehmung wie zu große Komplexität.

    Götzke: Sie haben auch herausgefunden in Ihrer Studie, dass auch hochschulintern gern mit guten Ranking-Ergebnissen einzelner Fakultäten argumentiert wird. Wenn man das, was wir gerade besprochen haben, dazu nimmt, ist das doch eigentlich Selbstbetrug.

    Kohring: Nun gut, eigentlich ist da nichts dagegen zu sagen, dass man sich evaluieren lässt und dass man den Blick öffnet und seine eigenen Strukturen transparent werden lässt – auch hochschulintern. Das Problem ist so ein bisschen, dass wir hier sozusagen eine gewisse Dominanz eines bestimmten Rankings haben und dass sie sich – wissenschaftlich eigentlich komplett überraschenderweise – komplett darauf verlässt, sich von außen bewerten zu lassen. Also die Frage ist natürlich: Wo sind eigentlich die wissenschaftsinternen Kontrollmechanismen, gibt es die nicht mehr oder spielen die hier keine Rolle? Und warum verlässt man sich so sehr auf ein Ranking, was vor allem auf öffentliche Darstellbarkeit ausgerichtet ist? Ich habe beobachtet, dass im Hochschulinternen tatsächlich mit diesen Ergebnissen geworben wird, aktiv geworben wird, obwohl – das muss man, gleichzeitig dazu sagen – viele der Beteiligten sich durchaus über die Fragilität, sage ich mal, der Ergebnisse im Klaren sind.

    Götzke: Was ist Ihre Vermutung, woran liegt das?

    Kohring: Es ist ein gewisser Druck, ein gewisser Druck, sich dem beugen zu müssen. Also ich weiß auf von vielen Kollegen, die am liebsten aussteigen würden. Die können sich einfach nicht durchsetzen, weil eine gewisse Kostennutzenrechnung durchgeführt wird, und da heißt es, das können wir uns nicht leisten, das kann die Hochschule sich nicht leisten, das kann das Institut sich nicht leisten – und so zieht die ganze Karawane mit. Was zu wünschen wäre, wäre eigentlich, dass die Wissenschaft sich, wie zum Beispiel die Uni Bonn es vorexerziert hat, sich von dieser externen Abhängigkeit befreit, allerdings nicht alternativenlos, sondern aufzeigt, wie man vielleicht auf andere Weise vor allem den Studierenden Orientierung verschaffen kann, was die Studiensituation vor Ort betrifft.

    Was die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit betrifft, so glaube ich, sind diese Rankings nicht sehr aussagefähig, sollten sie vielleicht eigentlich auch gar nicht sein. Fatal ist, wenn man sich mal fragt, wozu ist eigentlich die Wissenschaft da in unserer heutigen Gesellschaft, da ist sie ja vor allem dafür da, Neues und Überraschendes zu produzieren. Was aber in den Rankings abgefragt wird, das sind etablierte, altbekannte Erwartungen, und wenn man denen als Wissenschaftler nicht entspricht, dann kriegt man vielleicht sogar eine schlechte Note, was dazu führt, das eigentlich das Innovative in der Wissenschaft, die Gefahr bestünde, dass das Innovative zurückgefahren wird.

    Götzke: Wer wie viele Drittmittel bekommt, hängt stark von Rankings ab, und das ist problematisch, sagt der Kommunikationswissenschaftler Matthias Kohring. Danke schön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.