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Nur noch wenige Meter

Der Gotthard-Basistunnel soll einmal Menschen und Güter auf Schienen von Nord nach Süd durch die Schweiz führen. Eine entscheidende Zwischenetappe des Baus steht kurz bevor: Am 15. Oktober soll der Hauptdurchschlag erfolgen - der Durchbruch für den mit 57 Kilometern längsten Tunnel der Welt.

Von Alexander Grass |
    Draussen ist es längstens dunkel, aber für Heinz Ehrbar, den Leiter Tunnel- und Trasseebau beim Gotthard-Basistunnel, ist der Tag noch nicht zu Ende. Eben ist eine Sitzung fertig, dann kommt eine Besprechung. Der Hauptdurchschlag steht kurz bevor. Heinz Ehrbar:

    "Dass alle zusammen Bauherr, Unternehmer, Ingenieure, Geologen, Vermesser am gleichen Strick gezogen haben, das ist die eigentlich großartige Leistung, das muss man sehr hoch bewerten."

    Ehrbar erinnert sich an das Gestein in Sedrun das so faul gewesen ist, dass es wie aus einer Zahnpastatube in den Tunnel hereinzudrücken drohte. Die Lösung: Man brach den Tunnel größer aus als nötig. Sah zu, wie der Bergdruck den Tunnel von zuerst 13 auf dann neun Meter Durchmesser zudrückte. Erst zuletzt besorgten massivste Stahlbögen den Rest. Das Problem, so Heinz Ehrbar:

    "Man muss sich vorstellen, wenn diese Stahlbaubogen da diesen Deformationen ausgesetzt sind, dann gibt es Geräusche wie ein Schuss, wie ein Knall."

    Und die Arbeiter drohten davonzulaufen. Denn wenn es im Bergbau knackt, ist es Zeit zu gehen. In einem Felslabor in Sedrun lernten die Bergarbeiter, dass das am Gotthard genau umgekehrt ist. Doch nicht nur im weichen Gestein unter Sedrun wurde Tunnelbauneuland beschritten am Gotthard. Noch nie haben Tunnelbohrmaschinen TBM so tief im Gebirge bei so hartem Gestein und so hohen Felstemperaturen einen so großen Tunnel ausgebrochen. Heinz Ehrbar:
    "30 Kilometer TBM-Vortrieb mit Hartgesteinsmaschinen von diesen Dimensionen - da gab es nicht die entsprechende Erfahrung."
    Weltneuheiten gab es am Gotthard aber auch bei etwas so Unscheinbarem wie dem Beton, der 100 Jahre lang dem Bergdruck, der Feuchtigkeit und dem Bergwasser standhalten muss. Obwohl er mit minderwertigem Ausbruchsmaterial aus dem Tunnel selbst hergestellt wurde. Heinz Ehrbar

    "Das ist ein Thema, wo viele Leute gesagt haben vor 10 oder 15 Jahren: Das geht nicht so. Heute haben wir den Erfolg."

    Für die Güterbahn-Rennstrecke, die Heinz Ehrbar mit 2000 Mitarbeitern geschaffen hat, fehlen noch wichtige Anschlussbauwerke im Norden und im Süden. Die Zukunft der Güterbahnen besteht in Italien vorerst aus Bergen von Papier. Genau das beunruhigt Vizedirektor Giuliano Asperti, er ist bei der Industriellenvereinigung in Mailand zuständig für Verkehrsfragen.

    Man sei sich noch nicht klar geworden, sagt Asperti über die Staatsbahn Trenitalia und den Infrastrukturminister in Rom, was es bedeute, wenn vom Gotthard statt 22 Millionen Tonnen 55 Millionen Tonnen kämen.

    Mehr Transporte bedeuteten mehr Reichtum. Mehr Umsatz. Mehr Arbeit. Der Gotthard-Basistunnel bringe tiefere Kosten im Verkehr mit den Kunden in Europa. Alles in allem ein Wachstum von 500 bis 700 Millionen Euro pro Jahr.

    Werden die Anschlüsse an die neue Gotthardbahn nicht rechtzeitig fertig, befürchtet die Assolombarda, belaufe sich der Schaden auf 400 Millionen Euro jährlich. Für den Milliarden-teuren Ausbau des Flaschenhalses Mailand existiert aber erst ein Vorprojekt. Toni Eder vom Schweizer Bundesamt für Verkehr leitet jene Arbeitsgruppe, die die langfristige Eisenbahn-Infrastrukturplanung zwischen der Schweiz und Italien koordiniert:

    "Das sind also sehr große Projekte und die Finanzen sind knapp. Dann könnte so ein Projekt in den Hintergrund rutschen oder auf der zeitlichen Achse verschieben und dann ist es eben dann nicht bereit. Da haben wir gewisse Sorgen, ja."
    Toni Eder betont, der Ausbau müsse auf der gesamten langen Strecke am Güterbahnkorridor von Rotterdam bis Genua den Bedürfnissen entsprechen. Erste Engpässe gebe es bei der Fahrt von Holland über die deutsche Grenze. Weitere drohten in Süddeutschland, wo der Ausbau der Güterbahn entlang dem Rhein von Einsprüchen verzögert werde. Eder:

    "Die Bahn ist daran, das zu prüfen. Auf der anderen Seite entstehen hohe Kosten, wenn man Tunnellösungen fordert in der Fläche. Aber die Realisierung ist verzögert."

    Auch in der Schweiz sind die Zulaufstrecken zum Gotthard noch längst nicht fertig. Während Toni Eder sich noch mit Hoffnungen zufriedengeben muss, ist Heinz Ehrbar mit dem Weltrekord Durchschlag im Tunnelbauer Olymp angekommen. Seine Leute haben kein Loch gebohrt, sondern eine Geschichte. Ein Fazit, auf das die Infrastrukturplaner und Politiker noch lange warten werden.


    Programmtipp

    Die Entstehung des längsten Tunnels der Welt ist am Samstag, 9.10.2010 auch Thema in der Sendung Gesichter Europas um 11:05 Uhr im Deutschlandfunk.