Friedbert Meurer: Richard von Weizsäcker, geboren am 15. April 1920 in Stuttgart, Sprössling einer berühmten deutschen Familie. Von 1984 bis 1994 war der CDU-Politiker Bundespräsident. - Hermann Rudolph. Herausgeber des Berliner "Tagesspiegels", hat ein Buch über Richard von Weizsäcker geschrieben, eine Biografie, und ich bin jetzt in Berlin mit ihm verbunden. Guten Morgen, Herr Rudolph.
Hermann Rudolph: Guten Morgen, Herr Meurer.
Meurer: Richard von Weizsäcker ist von Marion Gräfin Dönhoff einmal als der ideale Präsident bezeichnet worden. War er das für Sie auch?
Rudolph: Ich glaube, das kann man schon sagen. Unter den Präsidenten, die wir hatten - und wir hatten ja fast eigentlich immer gute -, ist er doch eine herausragende Figur und in meiner Sicht eigentlich nur vergleichbar mit Theodor Heuss, dem ersten Bundespräsidenten.
Meurer: Warum ragt er heraus?
Rudolph: Ich glaube, er hat das Bild eines liberalen, aufgeklärten Deutschlands, so wie wir unser Land eigentlich gerne hätten, am besten vorgestellt, gelebt und einfach dieses Bild entworfen. Das hat ihm, glaube ich, die Bürgerschaft dieses Landes auch gedankt mit eben einer großen Anhänglichkeit, auch mit einer gewissen Bewunderung, und jedenfalls hat sie sich von ihm angespornt gefühlt.
Meurer: Ein bisschen denkt man ja manchmal jetzt an zu Guttenberg, auch adeliger Hintergrund. War dieser familiäre Hintergrund von Richard von Weizsäcker für ihn eine große Hilfe, mit der er sich eben so präsentieren konnte, wie er das getan hat?
Rudolph: Ich glaube, das hat ihn jedenfalls sehr geprägt und im ganzen Leben einen Halt gegeben, mit dem er sozusagen immer gerechnet hat und rechnen konnte. Das war - der Vater ist ja ins Dritte Reich involviert gewesen - auch nicht immer sozusagen eine Erleichterung, sondern hat auch bestimmte Probleme, die für jemanden, der in dieser Zeit in Deutschland gelebt hat, eben da waren, besonders zugespitzt. Aber insgesamt ist er, glaube ich, ein Familienmensch auch in dem Sinne, dass diese Familie für ihn eine große Bedeutung hat.
Meurer: Sein Vater, Herr Rudolph, war ja Staatssekretär im Außenministerium, vor dem Zweiten Weltkrieg schon und dann auch bis 1943. Er ist dann in Nürnberg als Kriegsverbrecher verurteilt worden zu sieben, dann fünf Jahren Haft. Der Sohn hat ihn in Nürnberg mitverteidigt, war Hilfsverteidiger, und Richard von Weizsäcker beteuert heute noch, sein Vater war unschuldig. Wie sehen Sie das?
Rudolph: Ich sehe in diesem Verhältnis ein richtiges Paradebeispiel für das Dilemma, in dem sich die deutsche Oberschicht befunden hat im Dritten Reich. Ich meine, der Vater Weizsäcker war kein Nazi, aber er war jemand, der sozusagen glaubte, in diesem Amt das Schlimmere zu verhüten.
Meurer: Er war bei der SS.
Rudolph: Ja. Das ist aber eher eine sozusagen formale Geschichte, das gehörte sozusagen zum Amt dazu. Aber er hat natürlich gedacht, wenn ich da drin bin, kann ich eine größere Wirkung ausüben, und das war eben doch weitgehend eine Täuschung und dafür hat er mit diesem Prozess bezahlt und in gewissem Sinne auch der Sohn, für den das natürlich eine Rosskur an Vergangenheitsbewältigung war, denn alles das, was da ausgebreitet wurde, war im Grunde genommen ihm jedenfalls und dem größten Teil, dem allergrößten Teil der Deutschen so nicht bekannt und er hat da sehr früh eine harte Schule durchgemacht, die auch sein Bild wiederum geprägt hat, denn man muss ja sagen, er hat zwar immer den Vater verteidigt, aber in seinen politischen Überzeugungen hat er sich von dem Vater gelöst beziehungsweise hat ihn überwunden. Das ist sozusagen seine große Leistung, zu dem Vater gestanden zu haben als Person, als geschichtliche Größe, aber eben ein ganz anderes Lebensprogramm zu haben.
Meurer: Wie kam das, Herr Rudolph, dass Richard von Weizsäcker, Sohn des Staatssekretärs im Außenministerium, dann zu so einem aufgeklärten linksliberalen Bundespräsidenten geworden ist?
Rudolph: Ich glaube, das ist eben auch die Wirkung dieser Verteidigung, die ihn ganz tief in die dunkelsten Stellen der deutschen Geschichte hat blicken lassen, und das hat sicher den Impuls verstärkt, ein anderes, ein neues Deutschland mit aufzubauen.
Meurer: Seine meistbeachtete Rede ist ja die vom 8. Mai 1985, 40 Jahre nach Kriegsende. Das war ein Tag der Befreiung, nicht der Niederlage. Haben Sie mit ihm herausgefunden, ist ihm klar gewesen, wie bedeutend diese Rede sein würde?
Rudolph: Doch, doch, daran hat er sehr lange gearbeitet. Wenn ich Sie ein bisschen korrigieren darf? Er sagt nicht, dass es kein Tag der Niederlage gewesen ist, das ist schon klar, aber diese Niederlage war eine Befreiung für die Deutschen, und den Akzent gesetzt zu haben, dass aus diesem Schicksal eine Befreiung für alle Deutschen von dem Ungeist des Dritten Reiches gekommen ist, das war sozusagen der Punkt, den er gesetzt hat. Sonst haben auch andere schon in dieser Richtung argumentiert, aber er hat genau dies eben besonders präzise und prägnant gesagt.
Meurer: Es gibt in diesen Tagen auch eine neue Biografie über Helmut Kohl, der ja fast zeitgleich 80 Jahre alt geworden ist, von seinem alten Mitarbeiter Stephan Eisel, und der sagt, Kohl hätte genau in der Zeit, '85, im Prinzip auch dasselbe gesagt mit "Tag der Befreiung", aber bei ihm habe man nicht zugehört. War das so?
Rudolph: Das ist richtig. Das ist etwa drei Wochen vorher in Bergen-Belsen, da hat Kohl eine Rede gehalten, die im Tenor ganz ähnlich ist, aber die nicht übergekommen ist. Das ist eben auch eine besondere Fähigkeit Weizsäckers gewesen, dass er so etwas so sagen konnte, dass die Leute zuhörten. Es gibt ja unter den Kohl-Leuten in diesem Buch von Eisel diese etwas mokante Bemerkung: Wenn Kohl eine große Rede vorliest, dann hört sich das an wie das Telefonbuch, und wenn Weizsäcker das Telefonbuch vorliest, hört sich das an wie eine große Rede. Das ist ein bisschen mokant, aber es stimmt eben, dass er durch seine Person, durch seine Vortragsweise, ich glaube auch durch den intellektuellen Hintergrund so etwas zum Erlebnis machen kann.
Meurer: Das Verhältnis zwischen Bundespräsident und Bundeskanzler, also zwischen Richard von Weizsäcker und Helmut Kohl, war ja, man muss es wohl sagen, schlecht. Hat Richard von Weizsäcker auf Helmut Kohl herabgeschaut?
Rudolph: Das weiß ich nicht, aber man muss dazu sagen, es wurde schlecht, denn am Anfang und bis in die 70er-Jahre, bis in die erste Zeit, in der Kohl im Bundestag Fraktionsvorsitzender war, war es ausgesprochen gut und es ist dann schlecht geworden, ich glaube, im Wesentlichen deswegen, dass Kohl nicht einräumen wollte, dass Weizsäcker eine eigene Laufbahn, einen eigenen Kopf hatte. Das konnte, glaube ich, der Altkanzler nicht so richtig ausstehen, zumal von jemandem, den er als seinen Zögling betrachtete.
Meurer: Richard von Weizsäcker hat einmal, ich glaube, es war so etwa im Jahr 1992, da war er noch Bundespräsident, von der Machtvergessenheit und Machtversessenheit der Parteien gesprochen, und das hatten eigentlich alle auf Helmut Kohl bezogen. War das auf Kohl bezogen?
Rudolph: Das war auch auf Kohl bezogen, aber es war insgesamt auf den gesamten deutschen politischen Betrieb bezogen. Das war eine Abrechnung, bei der Kohl nur - das ist sicher einzuräumen - für ihn sozusagen die Inkarnation dieser Fehlentwicklung oder dieser problematischen Entwicklung des deutschen politischen Betriebes ist.
Meurer: Wir sind damit eingestiegen, dass Marion Gräfin Dönhoff vom idealen Bundespräsidenten gesprochen hat. Was war, Herr Rudolph, nicht ideal an Richard von Weizsäcker?
Rudolph: Da fiele mir zumal an diesem Tage eigentlich nichts wirklich ein. Ich glaube, dass er natürlich eine gewisse Arroganz gehabt hat, dass er vielleicht auch an diesem oder jenem Punkt nicht ganz richtig agiert hat, aber insgesamt hat er, glaube ich, doch eine Amtszeit hingelegt, um das so zu sagen, die vor überall Kritik erhaben ist.
Meurer: Hermann Rudolph hat eine Biografie über Richard von Weizsäcker geschrieben und der feiert heute seinen 90. Geburtstag. Herr Rudolph, herzlichen Dank nach Berlin. Auf Wiederhören!
Rudolph: Auf Wiederhören.
Hermann Rudolph: Guten Morgen, Herr Meurer.
Meurer: Richard von Weizsäcker ist von Marion Gräfin Dönhoff einmal als der ideale Präsident bezeichnet worden. War er das für Sie auch?
Rudolph: Ich glaube, das kann man schon sagen. Unter den Präsidenten, die wir hatten - und wir hatten ja fast eigentlich immer gute -, ist er doch eine herausragende Figur und in meiner Sicht eigentlich nur vergleichbar mit Theodor Heuss, dem ersten Bundespräsidenten.
Meurer: Warum ragt er heraus?
Rudolph: Ich glaube, er hat das Bild eines liberalen, aufgeklärten Deutschlands, so wie wir unser Land eigentlich gerne hätten, am besten vorgestellt, gelebt und einfach dieses Bild entworfen. Das hat ihm, glaube ich, die Bürgerschaft dieses Landes auch gedankt mit eben einer großen Anhänglichkeit, auch mit einer gewissen Bewunderung, und jedenfalls hat sie sich von ihm angespornt gefühlt.
Meurer: Ein bisschen denkt man ja manchmal jetzt an zu Guttenberg, auch adeliger Hintergrund. War dieser familiäre Hintergrund von Richard von Weizsäcker für ihn eine große Hilfe, mit der er sich eben so präsentieren konnte, wie er das getan hat?
Rudolph: Ich glaube, das hat ihn jedenfalls sehr geprägt und im ganzen Leben einen Halt gegeben, mit dem er sozusagen immer gerechnet hat und rechnen konnte. Das war - der Vater ist ja ins Dritte Reich involviert gewesen - auch nicht immer sozusagen eine Erleichterung, sondern hat auch bestimmte Probleme, die für jemanden, der in dieser Zeit in Deutschland gelebt hat, eben da waren, besonders zugespitzt. Aber insgesamt ist er, glaube ich, ein Familienmensch auch in dem Sinne, dass diese Familie für ihn eine große Bedeutung hat.
Meurer: Sein Vater, Herr Rudolph, war ja Staatssekretär im Außenministerium, vor dem Zweiten Weltkrieg schon und dann auch bis 1943. Er ist dann in Nürnberg als Kriegsverbrecher verurteilt worden zu sieben, dann fünf Jahren Haft. Der Sohn hat ihn in Nürnberg mitverteidigt, war Hilfsverteidiger, und Richard von Weizsäcker beteuert heute noch, sein Vater war unschuldig. Wie sehen Sie das?
Rudolph: Ich sehe in diesem Verhältnis ein richtiges Paradebeispiel für das Dilemma, in dem sich die deutsche Oberschicht befunden hat im Dritten Reich. Ich meine, der Vater Weizsäcker war kein Nazi, aber er war jemand, der sozusagen glaubte, in diesem Amt das Schlimmere zu verhüten.
Meurer: Er war bei der SS.
Rudolph: Ja. Das ist aber eher eine sozusagen formale Geschichte, das gehörte sozusagen zum Amt dazu. Aber er hat natürlich gedacht, wenn ich da drin bin, kann ich eine größere Wirkung ausüben, und das war eben doch weitgehend eine Täuschung und dafür hat er mit diesem Prozess bezahlt und in gewissem Sinne auch der Sohn, für den das natürlich eine Rosskur an Vergangenheitsbewältigung war, denn alles das, was da ausgebreitet wurde, war im Grunde genommen ihm jedenfalls und dem größten Teil, dem allergrößten Teil der Deutschen so nicht bekannt und er hat da sehr früh eine harte Schule durchgemacht, die auch sein Bild wiederum geprägt hat, denn man muss ja sagen, er hat zwar immer den Vater verteidigt, aber in seinen politischen Überzeugungen hat er sich von dem Vater gelöst beziehungsweise hat ihn überwunden. Das ist sozusagen seine große Leistung, zu dem Vater gestanden zu haben als Person, als geschichtliche Größe, aber eben ein ganz anderes Lebensprogramm zu haben.
Meurer: Wie kam das, Herr Rudolph, dass Richard von Weizsäcker, Sohn des Staatssekretärs im Außenministerium, dann zu so einem aufgeklärten linksliberalen Bundespräsidenten geworden ist?
Rudolph: Ich glaube, das ist eben auch die Wirkung dieser Verteidigung, die ihn ganz tief in die dunkelsten Stellen der deutschen Geschichte hat blicken lassen, und das hat sicher den Impuls verstärkt, ein anderes, ein neues Deutschland mit aufzubauen.
Meurer: Seine meistbeachtete Rede ist ja die vom 8. Mai 1985, 40 Jahre nach Kriegsende. Das war ein Tag der Befreiung, nicht der Niederlage. Haben Sie mit ihm herausgefunden, ist ihm klar gewesen, wie bedeutend diese Rede sein würde?
Rudolph: Doch, doch, daran hat er sehr lange gearbeitet. Wenn ich Sie ein bisschen korrigieren darf? Er sagt nicht, dass es kein Tag der Niederlage gewesen ist, das ist schon klar, aber diese Niederlage war eine Befreiung für die Deutschen, und den Akzent gesetzt zu haben, dass aus diesem Schicksal eine Befreiung für alle Deutschen von dem Ungeist des Dritten Reiches gekommen ist, das war sozusagen der Punkt, den er gesetzt hat. Sonst haben auch andere schon in dieser Richtung argumentiert, aber er hat genau dies eben besonders präzise und prägnant gesagt.
Meurer: Es gibt in diesen Tagen auch eine neue Biografie über Helmut Kohl, der ja fast zeitgleich 80 Jahre alt geworden ist, von seinem alten Mitarbeiter Stephan Eisel, und der sagt, Kohl hätte genau in der Zeit, '85, im Prinzip auch dasselbe gesagt mit "Tag der Befreiung", aber bei ihm habe man nicht zugehört. War das so?
Rudolph: Das ist richtig. Das ist etwa drei Wochen vorher in Bergen-Belsen, da hat Kohl eine Rede gehalten, die im Tenor ganz ähnlich ist, aber die nicht übergekommen ist. Das ist eben auch eine besondere Fähigkeit Weizsäckers gewesen, dass er so etwas so sagen konnte, dass die Leute zuhörten. Es gibt ja unter den Kohl-Leuten in diesem Buch von Eisel diese etwas mokante Bemerkung: Wenn Kohl eine große Rede vorliest, dann hört sich das an wie das Telefonbuch, und wenn Weizsäcker das Telefonbuch vorliest, hört sich das an wie eine große Rede. Das ist ein bisschen mokant, aber es stimmt eben, dass er durch seine Person, durch seine Vortragsweise, ich glaube auch durch den intellektuellen Hintergrund so etwas zum Erlebnis machen kann.
Meurer: Das Verhältnis zwischen Bundespräsident und Bundeskanzler, also zwischen Richard von Weizsäcker und Helmut Kohl, war ja, man muss es wohl sagen, schlecht. Hat Richard von Weizsäcker auf Helmut Kohl herabgeschaut?
Rudolph: Das weiß ich nicht, aber man muss dazu sagen, es wurde schlecht, denn am Anfang und bis in die 70er-Jahre, bis in die erste Zeit, in der Kohl im Bundestag Fraktionsvorsitzender war, war es ausgesprochen gut und es ist dann schlecht geworden, ich glaube, im Wesentlichen deswegen, dass Kohl nicht einräumen wollte, dass Weizsäcker eine eigene Laufbahn, einen eigenen Kopf hatte. Das konnte, glaube ich, der Altkanzler nicht so richtig ausstehen, zumal von jemandem, den er als seinen Zögling betrachtete.
Meurer: Richard von Weizsäcker hat einmal, ich glaube, es war so etwa im Jahr 1992, da war er noch Bundespräsident, von der Machtvergessenheit und Machtversessenheit der Parteien gesprochen, und das hatten eigentlich alle auf Helmut Kohl bezogen. War das auf Kohl bezogen?
Rudolph: Das war auch auf Kohl bezogen, aber es war insgesamt auf den gesamten deutschen politischen Betrieb bezogen. Das war eine Abrechnung, bei der Kohl nur - das ist sicher einzuräumen - für ihn sozusagen die Inkarnation dieser Fehlentwicklung oder dieser problematischen Entwicklung des deutschen politischen Betriebes ist.
Meurer: Wir sind damit eingestiegen, dass Marion Gräfin Dönhoff vom idealen Bundespräsidenten gesprochen hat. Was war, Herr Rudolph, nicht ideal an Richard von Weizsäcker?
Rudolph: Da fiele mir zumal an diesem Tage eigentlich nichts wirklich ein. Ich glaube, dass er natürlich eine gewisse Arroganz gehabt hat, dass er vielleicht auch an diesem oder jenem Punkt nicht ganz richtig agiert hat, aber insgesamt hat er, glaube ich, doch eine Amtszeit hingelegt, um das so zu sagen, die vor überall Kritik erhaben ist.
Meurer: Hermann Rudolph hat eine Biografie über Richard von Weizsäcker geschrieben und der feiert heute seinen 90. Geburtstag. Herr Rudolph, herzlichen Dank nach Berlin. Auf Wiederhören!
Rudolph: Auf Wiederhören.