Dass es bei den Nibelungen vor allem um "Gold" geht, heute auch Geld genannt -wie im Filmgeschäft also! – das war dem Fernsehproduzenten Nico Hoffmann natürlich klar, als er die Intendanz der Wormser Nibelungenfestspiele übernahm. Hoffmann durfte sich also wie zu Hause fühlen: der Nibelungenschatz liegt zwar irgendwo im Rhein, aber das Geld, das die Stadt Worms und etliche Sponsoren tourismusbedingt in das Festival pumpen, ist auch nicht von Pappe. Mit dem Budget kann man in Breitwand inszenieren: vor dem Dom stehen ein durchsichtiger Container, in dem die Schauspieler in den Drehpausen ihre Neurosen besprechen, und eine große Leinwand, auf der man im Close up die Inszenierung von Nuran David Calis besichtigen darf. Das ist, als Freilufttheater, geschickt gemacht: in der Totale sieht man, wie im Fußballstadion, ameisenhafte Schauspieler unten auf der Bühne; die Kamera aber zeigt, dass sie auch Gesichter haben.
Domblick mal ganz anders
Den romanischen Dom allerdings, der bislang immer als imperiale Wand, als Herr und Gebieter vor dem Nachthimmel stand, verliert man bei dieser Prozedur ein wenig aus dem Blick. Dafür filmt die Regie erstmals in den Dom hinein, ins Allerheiligste, und zeigt dort zankende Königinnen bzw. eifersüchtige Schauspielstars. Denn das ist der Ansatz des Stücks von Albert Ostermaier: "the making of", ein Drehteam, das sich am Set über die Produktion eines Nibelungenfilms streitet. Die Konkurrenz unter Filmleuten als zweite Ebene hinter dem noch brutaleren Sagenstoff.
Es beginnt als Fellini-hafter Karneval: alles, was überhaupt mitspielt, lärmt und tänzelt über die Bühne, auch eine großartige, aber irgendwie fehlbesetzte Balkan-Brass-Combo – man weiß nicht recht, warum die ständig mit Schmackes und guter Laune herumtuten, da der ganze Rest doch eher Kampfgetümmel um die besten Rollen und die Gunst des Regisseurs ist. Vladimir Burlakov spielt diesen Filmregisseur als juvenilen Troublemaker, ein Egomane, der alle gegen alle ausspielt. Das ist schön selbstironisch und mit Szenekenntnis geschrieben, aber leider mit ständigem Overdrive gespielt. Die männlichen Darsteller wurden vom echten Regisseur, also Nuran David Calis, offenbar nach körperlicher Fitness ausgesucht: Hagen von Tronje macht ständig Klimmzüge, Siegfried hat die Figur eines Preisringers. Es ist einer der Coups von Skript und Inszenierung, den Siegfried mit einem türkischen Schauspieler zu besetzen, mit Ismail Deniz. Wenn der – an Gunters Stelle – mit Brünhild schlafen, ergo: sie vergewaltigen soll, erfüllt das natürlich alle Klischees vom bösen Muslim; und der Schauspieler, der einen Schauspieler spielt, der Siegfried spielt, er weigert sich.
Kampf der Generationen im Filmgewerbe
Die Rollen von Kriemhild und Brünhild sind doppelt besetzt, je eine junge und eine alte Schauspielerin, die beim Regisseur Punkte machen und möglichst viele Szenen spielen wollen; Kampf der Generationen auch im Filmgewerbe. Katja Weitzenböck als ältere Kriemhild-Darstellerin hat eine sehr schöne Szene, als sie völlig aufgelöst davon erzählt, dass sie früher Pornos gedreht und nun Angst habe, dass sie im Netz jemand erkennt. Das schwankt zwischen Soap Opera und realem Wahnsinn. Michaela Steiger, die ältere Brünhild, darf ausgiebig den Drachen geben, der an der Flasche hängt. Dann aber werden vom Autor nur noch Klischees bemüht: der Produzent des Films, gespielt von Uwe Ochsenknecht, heißt Konstantin Trauer und hat folglich Krebs. Josef Ostendorf gibt den heroinabhängigen Drehbuchautor; das Drehbuch stammt aber in Wahrheit von einem Klatsch-Reporter, den Tatort-Kommissar Dominic Raacke spielt.
Es gibt auf der am Ende gefluteten Bühne Pressekonferenzen, Mittelhochdeutsch, eine Bombendrohung. Nach der Pause fällt das Stück in sich zusammen, dafür wird Heiner Lauterbach als Wormser Bürgermeister per Video zugeschaltet. Auch schön. Albert Ostermaier, der Torwart der deutschen Autoren-Nationalmannschaft, hatte übrigens einen sympathischen Stargast im Publikum: Jogi Löw. Der hat gerade ein Finale verpasst. Das muss man von Ostermaier leider auch sagen.